Leitsatz (redaktionell)

Die "unverzügliche" Anzeige des witterungsbedingten Arbeitsausfalles stellt eine materielle Anspruchsvoraussetzung dar.

 

Normenkette

AVAVG § 143e Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1959-12-07

 

Tenor

Die Sprungrevision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 20. Mai 1964 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I. Die Klägerin, ein Bauunternehmen, begehrt von der beklagten Bundesanstalt die Zahlung von Schlechtwettergeld wegen witterungsbedingten Arbeitsausfalls am 21. Februar 1963 auf ihrer Baustelle in U. Sie hat jedoch diesen Arbeitsausfall erst am 22. Februar fernmündlich dem Arbeitsamt angezeigt. Die Beklagte lehnte (Bescheid vom 25. Februar 1963) das beantragte Schlechtwettergeld ab, da die Anzeige des Arbeitsausfalls nicht gemäß § 143 e Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) "unverzüglich" erstattet worden sei. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 21. März 1963).

Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab (Urteil vom 20. Mai 1964). Die Klägerin gebe selbst zu, daß sie die Anzeige wegen Schlechtwettergeldes für den 21. Februar 1963 zunächst übersehen und deshalb erst am 22. Februar erstattet habe. Hierbei handele es sich deren Meinung nach lediglich um eine Routinemeldung und deshalb sei eine Anzeige am Tage des Ausfalls selbst nicht geboten gewesen. Nach Auffassung des SG bedeutet "unverzügliche Anzeige" jedoch, daß sie am selben Tage fernmündlich oder schriftlich erstattet und gleichzeitig zur Post gegeben werden muß. Da die Klägerin diese Verpflichtung nicht erfüllt habe, könnten die angefochtenen Verwaltungsakte nicht aufgehoben werden.

Die Berufung wurde ausdrücklich zugelassen.

II. Gegen das am 5. Juni 1964 zugestellte Urteil des SG legte die Klägerin am 16. Juni unter Übergehung des Berufungsverfahrens Sprungrevision ein. Hierzu war unter dem 11. Juni 1964, beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen am 20. Juni, die schriftliche Einwilligung des Präsidenten der beklagten Bundesanstalt erklärt worden.

Die Klägerin macht geltend, vom Arbeitsamt S sei für die streitige Zeit allgemein auf die tägliche Anzeige verzichtet und vorgeschrieben worden, daß nur jeweils montags und donnerstags der Arbeitsausfall angezeigt werden müsse. Die hiernach am Donnerstag, den 21. Februar 1963 zu erstattende Meldung sei erst telefonisch am Freitag, den 22. Februar 1963 bewirkt worden, weil die Klägerin für sonstige, außerhalb S im Bereich anderer Arbeitsämter liegende, Baustellen lediglich einmal wöchentlich (jeweils am Montag) Anzeige zu erstatten hatte. Zudem sei ihr Sachbearbeiter beurlaubt gewesen. Die Interessen des Arbeitsamts seien aber durch die verspätete Meldung deshalb nicht beeinträchtigt worden, weil unstreitig bei einer Meldung am 21. Februar 1963 die Baustelle in Untertürkheim wegen der Gewährung von Schlechtwettergeld nicht überprüft worden wäre. Da eine länger andauernde Frostperiode herrschte, habe ohnehin nur eine reine Routinemeldung in Frage gestanden. Im übrigen sei der Begriff "unverzüglich" in § 143 e Abs. 1 Nr. 3 AVAVG nicht gleichbedeutend mit "sofort" oder "am gleichen Tage". Ferner seien bei seiner Auslegung jeweils die besonderen Umstände zu berücksichtigen. Deshalb könne bei wechselnden Witterungsverhältnissen ein strengerer Maßstab angelegt werden als bei unzweifelhaftem Vorliegen des sogenannten Schlechtwetterfalles.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des SG Stuttgart vom 20. Mai 1964 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die unverzügliche Anzeige nach § 143 e Abs. 1 Nr. 3 AVAVG sei eine materielle Anspruchsvoraussetzung für die Gewährung von Schlechtwettergeld. "Unverzüglich" bedeute nach der Legaldefinition des § 121 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) "ohne schuldhaftes Zögern". Für die Frage, ob ein schuldhaftes Zögern vorliege, sei der Zweck entscheidend, den der Gesetzgeber damit verfolge, daß er das unverzügliche Handeln einer Partei verlange. Die Anzeige nach § 143 e Abs. 1 Nr. 3 AVAVG habe keine bloße Ordnungsfunktion. Sie sei einmal für die Prüfung erforderlich, ob der Arbeitsausfall ausschließlich durch zwingende witterungsbedingte Gründe und nicht etwa durch sonstige Umstände, wie zB Betriebsstörungen infolge Maschinenschadens, Aussetzens der Stromzufuhr und dergleichen, verursacht sei. Zum anderen diene die Anzeige der zügigen und schnellen Vorbereitung und Bearbeitung der nachfolgenden Anträge auf Schlechtwettergeld. Insbesondere aber solle sie auch ermöglichen, zeitweise unbeschäftigte Arbeitnehmer vorübergehend in andere dringende Arbeiten zu vermitteln. Daher entspreche insoweit die Interessenlage der Beklagten der des Anfechtungsgegners nach § 121 BGB, da für sie ebenso wie für jenen ein gewichtiges Interesse daran bestehe, so bald als möglich über den jeweiligen Tatbestand unterrichtet zu werden. Dagegen ergebe sich im Gegensatz zu der Interessenlage bei § 121 BGB kein Grund, dem Arbeitgeber eine Überlegungsfrist einzuräumen. Habe dieser sich einmal entschieden, die Arbeit wegen schlechten Wetters an einem bestimmten Tage einzustellen, so bestehe kein Anlaß, die Anzeige nicht im unmittelbaren Anschluß daran zu erstatten. Da für den Anspruch auf Schlechtwettergeld "unverzüglich" somit grundsätzlich "am selben Tage" bedeute und die Klägerin nicht gehindert gewesen sei, die Anzeige noch am 21. Februar 1963 zu erstatten, fehle es an einer materiellen Anspruchsvoraussetzung für die Gewährung von Schlechtwettergeld für diesen Tag.

III. Die Sprungrevision der Klägerin ist statthaft sowie form- und fristgerecht unter Beifügung der Einwilligungserklärung der Beklagten eingelegt (§§ 161, 164, 166 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sie ist mithin zulässig.

Die Revision der Klägerin ist jedoch nicht begründet.

Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 18. Dezember 1964 - 7 RAr 18/64 - in einer gleichartigen Streitsache des näheren ausgeführt hat, ist die nach § 143 e Abs. 1 Nr. 3 AVAVG dem Arbeitsamt unverzüglich zu erstattende Anzeige des witterungsbedingten Arbeitsausfalls nicht etwa nur Verfahrensvorschrift, d. h. formelle, den Anspruch auslösende, sondern vielmehr materielle, den Anspruch begründende Voraussetzung für die Gewährung von Schlechtwettergeld. Diese Anzeige bildet die Grundlage dafür, daß das Arbeitsamt sofort prüfen kann, ob tatsächlich der Arbeitsausfall ausschließlich durch zwingende witterungsbedingte Gründe verursacht ist und ob nicht etwa betriebliche oder wirtschaftliche Umstände (zB Materialmangel, Stromausfall) ausschlaggebend sind oder mitwirken. Zugleich soll die Anzeige es dem Arbeitsamt ermöglichen, auf der Baustelle frei gewordene Arbeitskräfte alsbald anderweit - vorübergehend und aushilfsweise - in dringende Arbeit zu vermitteln. Dieser von Schrifttum und Rechtsprechung allgemein geteilten Auffassung vom Charakter der Anzeige als materieller Anspruchsvoraussetzung steht auch nicht etwa die in § 143 e Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 AVAVG dem Arbeitsamt eingeräumte Ermächtigung zum Verzicht auf die tägliche Anzeige entgegen.

Von entscheidender Bedeutung dafür, ob die Klägerin die materielle Anspruchsvoraussetzung des § 143 e Abs. 1 Nr. 3 AVAVG erfüllt hat oder nicht, ist demnach die Auslegung des Begriffs "unverzüglich" im Sinne dieser gesetzlichen Vorschrift, die der erkennende Senat in dem oben bezeichneten Urteil ausführlich unter rechtlichen und sachlichen Erwägungen vorgenommen hat; hierauf wird ausdrücklich Bezug genommen.

IV. § 143 e Abs. 1 Nr. 3 AVAVG verlangt, daß die Anzeige unmittelbar nach Eintritt des Arbeitsausfalls erstattet wird, d. h. gemäß § 130 BGB dem Arbeitsamt zugehen muß. Nur so kann allgemein verhindert werden, daß etwa Betroffene einen nicht ausschließlich witterungsbedingten Arbeitsausfall, zB bei vorübergehendem Materialmangel oder wegen Betriebsstörungen, durch absichtliche Wahl einer langsamen Übermittlungsart oder sonstige Manipulationen verdecken und dadurch die Überprüfung erschweren oder vereiteln. Nur so kann ferner erreicht werden, daß sofort, jedenfalls noch am Tage des Arbeitsausfalles, Vermittlungsbemühungen für die aussetzenden Arbeitnehmer eingeleitet und diese, wenn nicht am gleichen, so doch möglichst bereits am folgenden Tag in Aushilfsbeschäftigungen vermittelt werden.

Allerdings ist auch bei der Verpflichtung zur "unverzüglichen Anzeige" der zwangsläufig anfallende Zeitaufwand, wie zB zum Erreichen eines Fernsprechers, zum Zustandekommen einer telefonischen Verbindung, zur persönlichen Vorsprache beim Arbeitsamt und dergleichen, zu berücksichtigen. Dabei eintretende Verzögerungen bleiben dann unschädlich, wenn sie nicht auf ein Verschulden, also auf Vorsatz oder Fahrlässigkeit des Anzeigenden zurückzuführen sind. Da jedoch die Klägerin den Feststellungen des SG zufolge und nach ihrem eigenen Sachvortrag die Anzeige tatsächlich am 21. Februar 1963 vergessen hatte, also nicht unverschuldet daran gehindert war, fehlt es für den Schlechtwettergeld-Anspruch der Klägerin hinsichtlich dieses Tages an der materiellen Anspruchsvoraussetzung des § 143 e Abs. 1 Nr. 3 AVAVG.

Die normative, rechtspolitische und soziale Funktion der Unverzüglichkeitsgrenze des § 143 e Abs. 1 Nr. 3 AVAVG erschöpft sich - wie dargelegt - nicht in der bloß formellen Fristsetzung zwecks Tatbestandssicherung. Deshalb kann der Anwendung dieser Vorschrift schließlich auch nicht mit dem Hinweis begegnet werden, es habe unzweifelhaft schlechtes Wetter und darüber hinaus witterungsbedingter Arbeitsausfall vorgelegen.

V. Nach alledem ist der Anspruch der Klägerin auf Schlechtwettergeld für den 21. Februar 1963 nicht gerechtfertigt. Ihre Sprungrevision war daher zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380270

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