Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorverlegung des Rentenbeginns von Hinterbliebenenrenten in der Angestelltenversicherung. Einfluss des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz (SVFAG) und des Kriegsfristengesetzes (KrFrHemmSV/AVG) auf den Rentenbeginn
Orientierungssatz
Nach dem Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz (SVFAG) gelten Hinterbliebenenrenten, die vor seinem Inkrafttreten von einem Versicherungsträger im Bundesgebiet oder im Land Berlin rechtskräftig festgestellt worden sind, als Leistung iS des SVFAG. Eine Änderung dieser Feststellung zu Ungunsten der Berechtigten ist ausgeschlossen, eine Änderung zu ihren Gunsten ist nur hinsichtlich der Rentenhöhe, nicht aber des Rentenbeginns möglich (§ 17 Abs 6 SVFAG). Der Beginn einer Hinterbliebenenrente kann daher nach § 2 KrFrHemmSV/AVG nicht vorverlegt werden (vgl BSG vom 29.10.1956 - 1 RA 101/56).
Normenkette
SVFAG § 17 Abs. 6; KrFrHemmSV/AVG § 2
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 24. Februar 1956 wird aufgehoben; die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Der Kläger ist der minderjährige Sohn des Bauingenieurs .... Dieser hat der Angestelltenversicherung (AV.) angehört. Er ist seit Juli 1944 als Soldat vermißt und seit dem 6. November 1951 rechtskräftig für tot erklärt. Der Kläger erhält vom 1. Juni 1949 an auf Grund des Bescheids der Landesversicherungsanstalt (LVA.) Württemberg vom 16. Dezember 1949 Waisenrente.
Der Kläger beantragte im August 1955, ihm nach § 2 des Kriegsfristengesetzes (KFG) die Rente vom 1. August 1944 an zu gewähren. Die Beklagte lehnte diesen Antrag ab: Für Leistungen aus Beiträgen zur früheren Reichsversicherungsanstalt (RfA.) sei nunmehr das Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz (FAG) maßgebend. Danach könne die Rente frühestens am 1. April 1952 beginnen. Der Kläger beziehe jedoch bereits seit 1. Juni 1949 Waisenrente. Eine weitere Vorverlegung des Rentenbeginns sei nicht möglich (Bescheid vom 22.9.1955). Das Sozialgericht Reutlingen hob diesen Bescheid auf, verurteilte die Beklagte, dem Kläger die Waisenrente bereits vom 1. August 1944 an zu gewähren und ließ die Berufung zu: Die Voraussetzungen des § 2 KFG seien gegeben. Das FAG stehe dem nicht entgegen. Dies ergebe sich aus dem Zweck der beiden Gesetze (Urteil vom 24.2.1956).
Gegen dieses Urteil legte die Beklagte form- und fristgerecht Sprungrevision ein; sie beantragte, die Entscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen: Für Leistungen aus Beiträgen zur RfA. gelte ausschließlich das FAG. Dieses habe für solche Leistungen erst eine Rechtsgrundlage geschaffen und die Gewährung einer Rente auf die Zeit vom 1. April 1952 an beschränkt. Die Vorschrift des § 2 KFG regele nur den Beginn der Rente, setze also einen Leistungsgrund voraus; da dieser in Fällen, die nach dem FAG zu regeln seien, für die Zeit vor dem 1. April 1952 fehle, sei sie insoweit nicht anwendbar. Eine Vorverlegung des Rentenbeginns sei daher ausgeschlossen.
Der Kläger war im Revisionsverfahren nicht vertreten. Die Mutter des Klägers teilte mit Schreiben vom 21. Februar 1957 mit, sie sei finanziell nicht in der Lage, für den Kläger einen Vertreter zu bestellen.
II.
Die Sprungrevision ist zulässig und begründet.
Der Vater des Klägers hat nur Beiträge zur RfA. entrichtet. Diese ist nach der Kapitulation stillgelegt und am 1. August 1953 aufgelöst worden. Die Beklagte als neue Trägerin der AV. ist nicht ihre Gesamtrechtsnachfolgerin. Die aus den Beiträgen zur RfA. hergeleiteten Ansprüche fallen unter das FAG, das allein bestimmt, in welchem Umfang aus solchen Beiträgen Leistungen von einem Versicherungsträger im Bundesgebiet oder im Land Berlin zu gewähren sind. Nach § 2 FAG sind "für die Leistungen grundsätzlich die im Bundesgebiet geltenden Vorschriften der Sozialversicherung unter Berücksichtigung der in den §§ 3 bis 7 vorgesehenen Besonderheiten maßgebend". Die §§ 3 bis 7 FAG befassen sich mit dem hier streitigen Rentenbeginn nicht. Dieser richtet sich daher nach den im Bundesgebiet sonst geltenden sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften, zu denen auch § 2 KFG gehört.
Die Vorschrift des § 2 KFG bestimmt, daß Rentner an die Hinterbliebenen von Kriegsteilnehmern und Internierten - abweichend von § 1286 Reichsversicherungsordnung (RVO) - mit dem Ablauf des Sterbemonats beginnen, sofern der Antrag vor Ablauf des auf die Todesnachricht oder Todeserklärung folgenden Kalenderjahres gestellt wird. Sie regelt mithin nur den Leistungsbeginn, nicht auch den Leistungsanspruch, so daß die Hinterbliebenenrenten nur insoweit vor Ablauf des Antragsmonats beginnen können, als der zuständige Versicherungsträger im Bundesgebiet oder im Land Berlin überhaupt zu Leistungen verpflichtet war. Handelt es sich nun - wie im vorliegenden Fall - um eine Hinterbliebenenrente aus Beiträgen zur RfA., dann ist bei der Anwendung des § 2 KFG zu beachten, daß aus solchen Beiträgen ein Rentenanspruch gegen die Beklagte als der heutigen Trägerin der AV. erst durch das FAG entstanden ist. In der AV. können daher Hinterbliebenenrenten frühestens an dem Tag beginnen, von dem an nach dem FAG ein Rentenanspruch gegen die Beklagte besteht.
Nach dem FAG gelten Hinterbliebenenrenten, die - wie hier - vor seinem Inkrafttreten von einem Versicherungsträger im Bundesgebiet oder im Land Berlin rechtskräftig festgestellt worden sind, als Leistungen im Sinne des FAG. Eine Änderung dieser Feststellung zu Ungunsten der Berechtigten ist ausgeschlossen, eine Änderung zu ihren Gunsten ist nur hinsichtlich der Rentenhöhe, nicht aber des Rentenbeginns möglich (§ 17 Abs. 6 FAG). Der Beginn dieser Hinterbliebenenrente kann daher nach § 2 KFG nicht vorverlegt werden (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 29. Oktober 1956 1 RA 101/55). Das Urteil des Sozialgerichts ist deshalb aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen. Das Schreiben der Mutter des Klägers vom 21. Februar 1957 hat dem Gericht keinen Anlaß geben können, etwa noch ein Gesuch über Bewilligung des Armenrechts anzuregen; die Klage ist, nachdem das Bundessozialgericht die streitigen Rechtsfragen schon in dem Urteil vom 29. Oktober 1956 entschieden hatte und neue Gesichtspunkte nicht beigebracht wurden, ohne Aussicht auf Erfolg gewesen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Fundstellen