Leitsatz (redaktionell)
Der erkennende Senat hat in früheren Entscheidungen weder die Auffassung vertreten, noch ist aus seinen Ausführungen herzuleiten, daß Selbständige (ohne Meisterprüfung) bei Nachweis meisterlichen Könnens und überdurchschnittlichen Berufserfolgs "stets den Selbständigen mit abgelegter Meisterprüfung" gleichgestellt werden müßten, und zwar auch dann, wenn sie selbständigen (zB kaufmännischen) Berufen angehörten, bei denen es eine Meisterprüfung nicht gibt. Der Senat hat lediglich beim Vorliegen bestimmter Tatbestände, die einen Vergleich der Erwerbschancen eines Selbständigen ohne Meisterprüfung mit denen eines Selbständigen seines Berufs " mit abgelegter Meisterprüfung" zulassen und notwendig machen, eine solche Gleichstellung für gerechtfertigt gehalten.
Normenkette
BVG § 30 Abs. 3 DV § 5 Abs. 1 Fassung: 1964-07-30
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 29. August 1968 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin bezieht Witwenversorgung auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) nach ihrem im Jahre 1881 geborenen und im Jahre 1945 für tot erklärten Ehemann F F (F.). F. besuchte im Anschluß an die Volksschule eine Landwirtschaftsschule und war sodann als Landwirtschaftseleve und später als Verwalter und Inspektor auf Gütern in Ostpreußen tätig; seit 1912 bewirtschaftete er ein etwa 500 Morgen großes Landgut selbständig.
Mit Bescheid vom 20. Januar 1966 gewährte das Versorgungsamt L der Klägerin einen Schadensausgleich nach § 40 a BVG unter Zugrundelegung der Besoldungsgruppe A 7 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG). Der Widerspruch, mit dem die Klägerin geltend machte, es sei eine höhere Besoldungsgruppe zugrunde zu legen, wurde durch Bescheid des Landesversorgungsamtes Rheinland-Pfalz vom 26. April 1966 zurückgewiesen. Im Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) Speyer ein Gutachten der Heimatauskunftsstelle für den Regierungsbezirk A beim Landesausgleichsamt Schleswig-Holstein eingeholt. In diesem Gutachten vom 5. April 1967 hat der Sachverständige K unter anderem ausgeführt: "F. sei in den Betrieben G, M und S zunächst als Verwalter, später als Oberinspektor tätig gewesen. Er habe für die damalige Zeit eine durchaus gute, abgeschlossene landwirtschaftliche Ausbildung gehabt; denn diese Betriebe, zwischen 1000 und 2000 Hektar groß, seien überdurchschnittlich bewirtschaftet gewesen. Die Ausbildung des F. sei jedenfalls der eines Landwirtschaftsmeisters gleichzustellen. Seinen eigenen Betrieb habe F. ebenfalls überdurchschnittlich gut bewirtschaftet; es sei einer der höchstbewerteten Betriebe der Gemeinde E gewesen."
Das SG Speyer hat der Klägerin einen Schadensausgleich unter Zugrundelegung der Besoldungsgruppe A 9 BBesG zugesprochen, weil F. eine der Meisterprüfung gleich zu erachtende Ausbildung gehabt und einen entsprechenden Berufserfolg erzielt habe (Urteil vom 4.1.1968).
Die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz durch Urteil vom 28. August 1968 zurückgewiesen.
Es hat ausgeführt:
F. erfülle zwar das Merkmal (für die Einstufung nach der Besoldungsgruppe A 9) "mit abgelegter Meisterprüfung" (in § 5 Abs. 1 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG) nicht; nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei jedoch dieser Begriff auslegungsfähig und -bedürftig. Die Stellung eines Meisters im Beruf eines Landwirts habe erst nach Erlaß der Prüfungsordnung im Jahre 1950, also nach dem Tode des F. erreicht werden können. Von dieser herausgehobenen Stellung dürften diejenigen Landwirte nicht ausgeschlossen werden, die eine Meisterprüfung noch nicht ablegen konnten, die aber durch ihre Ausbildung, ihren beruflichen Werdegang und ihre Leistungen dieselben Einkommens- und Berufschancen gehabt hätten wie ein Landwirtschaftsmeister. Dies treffe nach dem Gutachten der Heimatauskunftsstelle für den Ehemann der Klägerin zu; F. sei mit Rücksicht auf seine Berufsausbildung, Berufserfahrung und seine erfolgreiche Berufstätigkeit einem Landwirtschaftsmeister gleichzustellen. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Beklagte hat fristgemäß und formgerecht Revision eingelegt. Er beantragt,
das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 29. August 1968 und das Urteil des SG Speyer vom 4. Januar 1968 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Beklagte rügt, das LSG habe § 40 a BVG und § 5 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG verletzt. Es habe das Tatbestandsmerkmal "mit abgelegter Meisterprüfung" im Sinne des § 5 Abs. 1 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG nicht bejahen dürfen; damit habe es diese Vorschriften zu extensiv ausgelegt.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten haben sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung (§§ 124 Abs. 1, 153 Abs. 1, 165 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden erklärt. Die Revision des Beklagten ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 SGG); sie ist jedoch sachlich nicht gerechtfertigt.
Das LSG hat - ebenso wie das SG - zu Recht die Auffassung vertreten, dem Schadensausgleich der Klägerin sei nach § 5 Abs. 1 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG ein Durchschnittseinkommen nach der Besoldungsgruppe A 9 zugrunde zu legen, weil der verstorbene Ehemann der Klägerin den (in der Landwirtschaft) selbständig Tätigen mit "abgelegter Meisterprüfung" gleichzustellen sei. Der erkennende Senat hat bereits in dem Urteil vom 28. November 1967 - 8 RV 409/66 - dargelegt, daß die Besoldungsgruppe A 9 auch dann als Vergleichseinkommen heranzuziehen sei, wenn ein Landwirt mit besonderer beruflicher Qualifikation und besonderem Berufserfolg die Meisterprüfung nicht ablegen konnte, weil diese erst nach seinem Tod eingeführt wurde. Der Senat hat dies daraus gefolgert, daß das Merkmal "mit abgelegter Meisterprüfung" insoweit auslegungsfähig und auslegungsbedürftig sei; im Hinblick auf die Regelung der Berufsbildung eines Landwirts nach dem Ende des Krieges könne die Witwe eines "erfolgreichen Landwirts" nicht schlechter gestellt werden, als die Witwe des Landwirts, der die Möglichkeit gehabt habe, die Meisterprüfung abzulegen (dieser Ansicht ist inzwischen auch der BMA beigetreten; vgl. Rundschr. BMA vom 30. 9. 1968, BVBl. 1968 Nr. 64 S. 142).
Das LSG hat in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, der Ehemann der Klägerin habe auf Grund seiner Ausbildung in der Landwirtschaft und als Verwalter "überdurchschnittlich bewirtschafteter Güter" eine besondere Berufserfahrung gewonnen und eine besondere berufliche Qualifikation erreicht; er habe auch seinen eigenen landwirtschaftlichen Betrieb (von etwa 144 Hektar und mit 20 Hilfskräften) 30 Jahre lang "überdurchschnittlich gut" bewirtschaftet. Gegen diese Feststellung, die das LSG im wesentlichen auf das Gutachten des Sachverständigen K von der Heimatauskunftsstelle für den Regierungsbezirk Allenstein beim Landesausgleichsamt Schleswig-Holstein gestützt hat, hat der Beklagte keine Verfahrensrügen in der nach § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG gebotenen Form erhoben; diese Feststellungen sind deshalb für das BSG bindend (§ 163 SGG). Wenn das LSG aus diesen Feststellungen gefolgert hat, der Ehemann der Klägerin hätte im Hinblick auf seinen Berufserfolg Erwerbschancen gehabt, die denen eines in der Landwirtschaft selbständig Tätigen, der (später) die Meisterprüfung abgelegt habe, nicht nachgestanden hätten, er sei deshalb bei der Zuordnung zu der maßgeblichen Berufs- und Wirtschaftsgruppe den "landwirtschaftlichen Meistern" gleichzustellen, so läßt dies keinen Rechtsirrtum erkennen. Die "rechtserheblichen Tatsachen" dieses Falles liegen - entgegen der Auffassung des Beklagten - nicht anders als in der vom Senat in seinem Urteil vom 28. November 1967 entschiedenen Sache.
Der Senat vermag die grundsätzlichen Bedenken des Beklagten gegen die in seinen Urteilen vom 19. Oktober 1967 (SozR DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG, § 5 Nr. 2 - "Gleichstellung der alten Handwerker") und 28. November 1967 dargelegten Erwägungen über die Auslegungsfähigkeit und - Bedürftigkeit des Merkmals "mit abgelegter Meisterprüfung" nicht zu teilen (vgl. im übrigen die den genannten Urteilen beipflichtenden Rd.Erl.BMA vom 30.9.1968 aaO und vom 4.10.1968, BVBl. 1968 Nr. 65 S. 142/143).
Der Senat hat weder die Auffassung vertreten noch ist aus seinen Ausführungen herzuleiten, daß Selbständige (ohne Meisterprüfung) bei Nachweis "meisterlichen Könnens und überdurchschnittlichen Berufserfolgs" im Rahmen der Ermittlung des Durchschnittseinkommens nach § 5 Abs. 1 DVO stets den Selbständigen "mit abgelegter Meisterprüfung" gleichgestellt werden müßten, und zwar auch dann, wenn sie selbständigen (z.B. kaufmännischen) Berufen angehörten, bei denen es eine Meisterprüfung nicht gibt.
Der Senat hat lediglich beim Vorliegen bestimmten Tatbestände, die einen Vergleich der Erwerbschancen eines Selbständigen ohne Meisterprüfung mit denen eines Selbständigen seines Berufs "mit abgelegter Meisterprüfung" zulassen und notwendig machen, eine solche Gleichstellung für gerechtfertigt gehalten. Er hat dies dann angenommen, wenn dieser Vergleich ergeben hat, daß dem selbständig Tätigen ohne Meisterprüfung unter besonderen Umständen (wie sie bei den "alten eingetragenen Handwerkern", die ohne Meisterprüfung ein Handwerk betrieben haben und bei den "erfolgreichen Landwirten", die eine später möglich gewordene Prüfung nicht mehr ablegen konnten vorliegen), nicht minder günstige Erwerbschancen einzuräumen gewesen sind, als seinen "Berufsgenossen" mit abgelegter Meisterprüfung.
Das LSG hat danach die Sach- und Rechtslage zutreffend gewürdigt. Die Revision des Beklagten war als unbegründet zurückzuweisen. Da die Beteiligten zugestimmt haben, konnte der Senat gem. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen