Beteiligte
Kläger und Revisionsbeklagter |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger die Anschaffungskosten eines Telefonverstärkers zu erstatten hat.
Der 1902 geborene Kläger leidet an einer an Taubheit grenzenden Innenohrschwerhörigkeit, wegen der er Hörgeräte beiderseits benötigt. Diese Geräte allein ermöglichen ihm jedoch nicht die Führung von Telefongesprächen; hierfür benötigt er zusätzlich einen batteriebetriebenen Telefonverstärker. Der Kläger lebt allein, seine Ehefrau befindet sich auf Dauer in einem Pflegeheim.
Die Beklagte hat die Gewährung des Telefonverstärkers einschließlich der zum Betrieb notwendigen Batterien abgelehnt. Daraufhin hat sich der Kläger dieses Zusatzgerät selbst beschafft und von der Beklagten die Erstattung der entstandenen Kosten im Gesamtbetrage von 86,30 DM gefordert. Dies hat die Beklagte mit dem Bescheid vom 15. Juni 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 1982 abgelehnt.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt:
Der hochbetagte und schwerbehinderte Kläger sei ohne das Telefon außerstande, bestimmte Dinge zu erledigen. Für ihn sei das Telefon deshalb ein unerläßliches Hilfsmittel zur Aufrechterhaltung des lebensnotwendigen Kontakts zur Umwelt. Da er das Telefon nur mit Hilfe eines Verstärkers benutzen könne, habe die Beklagte ihm dieses Gerät auch zu gewähren.
Die Beklagte begründet ihre Sprungrevision unter Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) damit, daß die gesetzliche Krankenversicherung die Versicherten nur mit den zur Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse zwangsläufig notwendigen, unverzichtbaren und unvermeidlichen Hilfsmitteln zu versorgen habe. Dazu gehöre der Telefonverstärker auch unter Berücksichtigung der individuellen Lebens- und Gesundheitsverhältnisse des Klägers nicht.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Juni 1983 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -)
II
Die Revision der Beklagten führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits; die Entscheidung darüber, ob dem Kläger der beanspruchte Kostenersatz zu zahlen ist, hängt von der Nachholung weiterer tatsächlicher Feststellungen ab.
Das SG hat festgestellt, daß der Kläger sich den Telefonverstärker und die zu seiner Benutzung erforderlichen Batterien erst selbst beschafft hat, nachdem die Beklagte seinen entsprechenden Antrag - allerdings nicht in der Form eines förmlichen Verwaltungsaktes - abgelehnt hat. Der erkennende Senat hat bereits entschieden, daß das bloße "rechtswidrige Verhalten" der Krankenkasse den Versicherten berechtigt, sich die erforderliche Krankenpflege i.S. des. § 182 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO), zu der auch die Versorgung mit den erforderlichen Hilfsmitteln gehört (§ 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c RVO), selbst zu beschaffen und Kostenerstattung von der Krankenkasse zu verlangen (Urteil vom 14. Dezember 1982 - 8 RK 23/81 -, SozR 2200 § 182 Nr. 86). Dementsprechend ist im Kostenerstattungsverfahren zu klären, ob die Ablehnung der Gewährung des Telefonverstärkers einschließlich der zum Betrieb notwendigen Batterien (vgl. BSG, Urteil vom 24. April 1979 - 3 RK 73/77 -, SozR 2200 § 182 b Nr. 11) rechtswidrig war. Das ist der Fall, wenn die Beklagte nach ihren Versicherungsbedingungen i.V.m. § 182 b RVO (i.d.F. des § 21 Nr. 7 des Gesetzes vom 7. August 1974 - BGBl. I 1881 -) verpflichtet war, dem Kläger den Telefonverstärker als Leistung aus der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung zu stellen.
Die Beklagte war leistungspflichtig, wenn der Telefonverstärker ein Hilfsmittel wäre, das erforderlich ist, um - allein diese Variante des § 182 b RVO kommt nach den tatsächlichen Feststellungen des SG hier in Betracht - die Auswirkungen der körperlichen Behinderung der an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit auszugleichen und dieser Ausgleich für den Bereich der elementaren Grundbedürfnisse und Lebensbetätigungen notwendig ist (§ 182 Abs. 2 RVO). Im Hinblick darauf, daß erst der Telefonverstärker dem Kläger ermöglicht, ankommende Telefongespräche zu hören, ist davon auszugehen, daß dieses Zusatzgerät ein Hilfsmittel i.S. des § 182 b RVO ist, da es zur dem Kläger sonst nicht möglichen telefonischen Verständigung erforderlich ist und damit die Auswirkungen der an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit insoweit aufhebt. Unerheblich ist, daß das Gerät nicht unmittelbar am Körper wirkt und die Behinderung nur teilweise und nur im Zusammenwirken mit dem Hörgerät ausgleicht (vgl. dazu BSG Urteil vom 1. April 1981 - 5a/5 RKn 12/79 -, SozR 2200 § 182 b Nr. 20).
Zur Abgrenzung der krankenversicherungsrechtlichen Notwendigkeit i.S. des § 182 Abs. 2 RVO hat der 3. Senat des BSG in bereits ständiger Rechtsprechung (vgl. das Urteil vom 10. November 1977 - 3 RK 7/77 -; BSGE 45, 133, 134 = SozR 2200 § 182 b Nr. 4) klargestellt, daß es bei der Anwendung des § 182 b RVO auch unter Berücksichtigung der Zielsetzung des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) vom 7. August 1974 (BGBl. I 1861) darauf ankommt, ob der Einsatz des Hilfsmittels zur Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse erforderlich ist. Soweit es dagegen nur für besondere, dem gesellschaftlichen oder privaten Bereich allein zuzurechnende Tätigkeiten benötigt wird, gehört es nicht zu den notwendigen Leistungen i.S. des § 182 Abs. 2 RVO (BSG, 3. Senat, Urteile vom 28. September 1976 - 3 RK 9/76 -, BSGE 42, 229, 231 und vom 26. Oktober 1982 - a.a.O. -; erkennender Senat, Urteile vom 24. November 1983 - a.a.O. - und vom 22. Mai 1984 - 8 RK 45/83 -, zur Veröffentlichung bestimmt; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 17. Aufl., Anm. 4 a zu § 182 b; Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, Stand 7. Ergänzungslieferung, Anm. 2 zu § 182 b).
Bei diesen Abgrenzungskriterien der Notwendigkeit i.S. des § 182 Abs. 2 RVO kann der Telefonverstärker nicht generell als notwendiges Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung angesehen werden. Wie das Schreibtelefon für einen Gehörlosen (s. dazu Urteil vom 22. Mai 1984 - 8 RK 45/83 -, a.a.O.) ist auch für den von einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit beiderseits Betroffenen der Telefonverstärker zwar zur telefonischen Verständigung mit anderen Personen erforderlich. Das Gerät erweitert damit den zur Verfügung stehenden Freiraum eines derart Hörbehinderten in nicht unbeträchtlichem Umfange. Allein deshalb kann jedoch die Versorgung mit diesem Hilfsmittel noch nicht als notwendige Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung i.S. des § 182 Abs. 2 RVO angesehen werden. Das wäre nur dann der Fall, wenn die Benutzung des Telefons den allgemeinen Lebensbetätigungen zuzurechnen wäre. Das ist jedoch nicht - jedenfalls derzeit noch nicht - der Fall. Denn in der Bundesrepublik Deutschland verzichten noch immer mehrere Millionen Haushalte auf einen Telefonanschluß als Mittel der Fernverständigung. Dementsprechend dient das Telefon auch gegenwärtig in der Regel nur den besonderen privaten, beruflichen oder allgemein-gesellschaftlichen Bedürfnissen, aber nicht den elementaren Lebensbetätigungen seiner Benutzer.
Die Sachlage kann aber anders zu beurteilen sein, wenn ein Betroffener aufgrund besonderer Umstände unumgänglich auf das Telefonieren angewiesen ist. Das richtet sich, wie der 3. Senat des BSG in dem Urteil vom 26. Oktober 1982 (a.a.O.) entschieden hat, nach dem Umständen des Einzelfalles. Ergibt sich aus ihnen für den Bereich der elementaren Grundbedürfnisse und Lebensbetätigungen die Notwendigkeit, Telefongespräche zu führen, so ist doch die Versorgung des Klägers mit dem - von ihm in diesem Verfahren allein beanspruchten - Telefonverstärker erforderlich.
Das SG hat eine derartige Ausnahmesituation im Falle des Klägers angenommen. Die von ihm hierzu getroffenen tatsächlichen Feststellungen reichen jedoch für diese Beurteilung nicht aus. Das SG hat nur hervorgehoben, der Kläger sei aufgrund seines hohen Alters und der Schwerbehinderung nicht mehr genügend beweglich, "um bestimmte Dinge zu erledigen". Damit ist eine Ausnahmesituation in dem zuvor dargelegten Sinne nicht dargetan. Auch der vom SG angeführte Umstand, daß der Kläger ohne die Benutzung des Telefonanschlusses "isoliert" sei, bedarf der näheren Prüfung, insbesondere dahin, inwieweit der Kläger gezwungen ist, das Telefon anstelle des in der Regel ausreichenden brieflichen Kontaktes zu benutzen.
Der Senat hat es für zweckmäßig gehalten, den Rechtsstreit an das Landessozialgericht (LSG) zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 4 SGG), das auch über die außergerichtlichen Kosten für das Revisionsverfahren zu entscheiden haben wird.8 RK 33/83
Bundessozialgericht
Fundstellen