Entscheidungsstichwort (Thema)
Bedeutung der Zustimmung. Rücknahme von Bescheiden über Ermessensleistungen. Erfordernisse der Bescheidgestaltung
Leitsatz (amtlich)
1. Begünstigende Verwaltungsakte mit Dauerwirkung können im Versorgungsrecht zum Nachteil des Berechtigten nur nach BVG § 62 oder KOVVfG § 41 oder - bei Ermessensleistungen - nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts geändert oder zurückgenommen werden.
2. Liegt keine dieser Voraussetzungen vor, so kommt eine "partielle Rücknahme" mit dem Ziel, die Versorgungsleistungen (Ermessensleistungen) auf einem bestimmten Festbetrag "einzufrieren", nicht in Betracht.
3. Zum Nachschieben von Gründen bei einem unzureichend begründeten Verwaltungsakt.
4. Zur Anwendung der Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts im Kriegsopferrecht.
5. Eine Anerkennung als Kannleistung nach BVG § 1 Abs 3 S 2 löst die gleichen Folgeleistungen aus wie ein Rechtsanspruch.
Leitsatz (redaktionell)
1. Ebenso wie die Zustimmung des Landesversorgungsamtes (LVersorgA) im Falle des KOVVfG § 40 Abs 1 nur Bedeutung für das Innenverhältnis zwischen Versorgungsamt und LVersorgA hat (vgl BSG vom 1960-08-26 11 RV 1340/59 = BSGE 13, 48, 50), ist auch die Zustimmung des BMA nach BVG §§ 89 und 1 Abs 3 S 2 nicht Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Bewilligungsbescheids.
2. Nach der Rechtsprechung des 9. Senats des BSG (vgl BSG vom 1964-04-23 9 RV 678/60 = BSGE 21, 35) können Bescheide über Ermessensleistungen - hier die Erhöhung der Versorgungsbezüge von 40 vH auf die Rente eines Erwerbsunfähigen im Wege des Härteausgleichs - im Geltungsbereich des KOVVfG zu Ungunsten des Berechtigten nicht nach KOVVfG § 41, sondern nur nach den Grundsätzen des Allgemeinen Verwaltungsrechts berichtigt werden. Für das vorliegende Verfahren kann dahinstehen, ob dieser Auffassung in jedem Falle zuzustimmen und ob bei fehlender Zustimmung des LVersorgA - ebenso wie bei KOVVfG § 41 - der Bescheid rechtswidrig wäre (insoweit vom 9. Senat offengelassen).
3. Zum Inhalt der Grundsätze des Allgemeinen Verwaltungsrechts über die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte mit Dauerwirkung.
4. Der die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts aussprechende Bescheid muß so gestaltet sein, daß der Betroffene die ihm ungünstigen Rechtsfolgen klar, eindeutig und für ihn nachprüfbar erkennen kann (vgl BSG vom 1956-09-05 9 RV 1038/55 = BSGE 3, 271 und BSG vom 1958-02-12 11/9 RV 948/55 = BSGE 7, 8, 11). Hierzu gehört, daß in dem neuen Bescheid ausdrücklich ausgesprochen wird, daß der frühere unrichtig ist, inwiefern er unrichtig ist und daß er deshalb ganz oder teilweise aufgehoben wird.
5. Begünstigende Verwaltungsakte, die eine Ermessensleistung zum Gegenstand haben, können im Versorgungsrecht nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts geändert oder zurückgenommen werden,
6. Bescheide, die zum Nachteil des Versorgungsberechtigten ergeben, müssen die Rechtsgrundlagen und die Rechtsfolgen mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck bringen; hierzu gehört, daß bei Rücknahmen von begünstigenden Verwaltungsakten in dem neuen Bescheid ausdrücklich ausgesprochen wird, daß der frühere Bescheid unrichtig ist, inwiefern er unrichtig ist und daß er deshalb ganz oder teilweise aufgehoben wird.
7. Jedenfalls auf dem Gebiet der Kriegsopferversorgung ist die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes nur rechtmäßig, wenn das nach GG Art 20 Abs 3 bestehende öffentliche Interesse an der Beseitigung rechtswidriger Verwaltungsakte höher zu bewerten ist als der Vertrauensschutz des Begünstigten; aus dieser Interessenabwägung ergibt sich, daß ein rechtswidriger Verwaltungsakt in der Regel auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden kann, wenn die Ursache für das Zustandekommen des Verwaltungsaktes in den Verantwortungsbereich des Begünstigten fällt.
8. Auch die Härteausgleichsleistungen nehmen an den gesetzlichen Erhöhungen und Anpassungen teil.
Normenkette
BVG § 89 Abs. 2 Fassung: 1960-06-27, § 1 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1966-12-28, § 90 Abs. 3 Fassung: 1972-07-24, §§ 56, 62 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1966-12-28; BVGVwV § 1 Nr. 9; KOVVfG § 41 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1955-05-02, § 24 Abs. 2 Fassung: 1966-12-28; GG Art. 20 Abs. 3
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 25.02.1976; Aktenzeichen L 1a V 446/73-1) |
SG Stuttgart (Entscheidung vom 13.12.1972; Aktenzeichen S 13 V 2430/69) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Februar 1976 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Der im Jahre 1906 geborene Kläger beantragte im September 1952 wegen "Versteifung der Beine (Füße)" Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Diese Gesundheitsstörung führte er auf die Folgen eines Fliegerangriffs in der Nacht vom 5. auf den 6. Mai 1942 auf seinen Wohnort S zurück. Das Versorgungsamt (VersorgA) S lehnte den Antrag mit Bescheid vom 28. Mai 1954 ab, weil das Leiden des Klägers auf einer schon seit 1937 bestehenden Nervenkrankheit (Multiple Sklerose) beruhe und durch das angeschuldigte Ereignis weder hervorgerufen noch verschlimmert worden sei. Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 20. September 1955). In dem anschließenden Klageverfahren erklärte sich der Beklagte aufgrund der von Prof. Dr. Sch erstatteten neurologischen Gutachten bereit, dem Kläger "organisches Nervenleiden iS der Verschlimmerung" als Schädigungsfolge anzuerkennen und hierfür Beschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 vH zu gewähren. Dieses Angebot wurde vom Kläger angenommen; in Ausführung des Vergleichsangebots erging der Bescheid vom 18. Juli 1958. Ein im Jahre 1959 gestellter Verschlimmerungsantrag war im Verwaltungs- und Klageverfahren erfolglos.
Im Oktober 1960 beantragte der Kläger, ihm im Wege des Härteausgleichs nach § 89 Abs 2 BVG (idF des Ersten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts - 1. NOG - vom 27. Juni 1960, BGBl I 453) eine entsprechende Beschädigtenrente zu gewähren. Ferner beantragte er im August 1961 die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs. Nachdem das Landesversorgungsamt (LVersorgA) Baden-Württemberg eine richtunggebende Verschlimmerung durch den Bombenangriff 1942 angenommen und die Anwendung des § 89 Abs 2 BVG empfohlen hatte (siehe Prüfvermerk des LVersorgA vom 13. April 1962), gewährte das VersorgA Stuttgart dem Kläger mit Bescheid vom 10. August 1962 wegen der iS der Verschlimmerung anerkannten "Multiplen Sklerose" ab 1. Juni 1960 die Rente eines Erwerbsunfähigen (MdE 100 vH). Dieser Bescheid war ohne Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) ergangen, der mit Schreiben vom 17. August 1965 eine nachträgliche Zustimmung ablehnte. Das VersorgA schlug in einer Stellungnahme vom 29. November 1965 vor, auf die Rücknahme des Bescheides vom 10. August 1962 zu verzichten. Dieser Auffassung stimmten das LVersorgA und das Arbeitsministerium Baden-Württemberg zu.
Im September 1964 erneuerte der Kläger seinen Antrag auf Berufsschadensausgleich und beantragte außerdem die Gewährung einer Pflegezulage. Diese Anträge lehnte das VersorgA mit Bescheid vom 4. April 1966 ab. In dem Bescheid heißt es weiter, die Voraussetzungen für eine Versorgung im Wege des Härteausgleichs über die mit Bescheid vom 18. Juli 1958 gewährte Versorgung hinaus seien nicht gegeben gewesen und auch jetzt nicht gegeben. Eine Erhöhung der Versorgungsbezüge sei nicht mehr möglich. Da die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts aber nicht in den Verantwortungsbereich des Klägers falle, werde "Versorgung im Wege des Härteausgleichs für einen Erwerbsunfähigen" weitergewährt, jedoch nur "bis zur Höhe von 365,- DM monatlich (Rechtsanspruch: MdE 40 vH = 60,- DM, Härteausgleich 305,- DM)" Der Widerspruch des Klägers, mit dem dieser ferner eine Erhöhung der MdE von 40 auf 50 vH wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins begehrte, wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 14. August 1969). Mit Bescheid vom 3. Oktober 1972 lehnte das VersorgA erneut die Erhöhung der MdE wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins ab.
Das Sozialgericht (SG) Stuttgart hat durch Urteil vom 13. Dezember 1972 die Klage abgewiesen. Mit dem während des Berufungsverfahrens ergangenen "Ausführungsbescheid" vom 12. März 1975, der auf das vom Beklagten im Schriftsatz vom 31. Dezember 1974 abgegebene, vom Kläger aber nicht angenommene Vergleichsangebot erging, gewährte der Beklagte dem Kläger Beschädigtenrente nach einer MdE um 40 vH, die ab 1. Januar 1967 "entsprechend den jeweiligen Anpassungsgesetzen" erhöht wurde, und außerdem Härteausgleich in Höhe von monatlich 305,- DM. Durch Urteil vom 25. Februar 1976 hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg das Urteil des SG abgeändert und die Bescheide vom 4. April 1966 - in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. August 1969 -, vom 3. Oktober 1972 und 12. März 1975 aufgehoben.
In den Entscheidungsgründen wird ausgeführt, dem Kläger sei durch Bescheid vom 10. August 1962 "Rente wegen Erwerbsunfähigkeit im Wege des Härteausgleichs" bewilligt und die Multiple Sklerose als Schädigungsfolge bindend anerkannt worden. Diese Anerkennung sei durch die Bescheide vom 4. April 1966, 3. Oktober 1972 und 12. März 1975 nicht zurückgenommen oder beseitigt worden. Der Bescheid vom 4. April 1966 stelle vielmehr ausdrücklich fest, daß "Versorgung im Wege des Härteausgleichs für einen Erwerbsunfähigen weitergewährt" wird. Lediglich die Höhe der Versorgungsbezüge habe der Beklagte geändert, indem er den Rentenanspruch in der Höhe auf 365,- DM limitiert habe. Dieser Betrag, der sich aus der Rente nach einer MdE um 40 vH = 60,- DM und aus einem Härteausgleich in Höhe von 305,- DM zusammensetze, habe zu keiner Zeit dem entsprochen, was dem Kläger zugestanden habe, sei also in keiner Weise eine auf gesetzlicher Grundlage errechnete Leistung. Ein Festbetrag sei überdies im Gesetz nicht vorgesehen. Weder der Widerspruchsbescheid vom 14. August 1969 noch der "Ausführungsbescheid" vom 12. März 1975 enthielten einen ausdrücklichen Hinweis darauf, daß der Bescheid vom 10. August 1962 hinsichtlich des Anspruchs auf "Härteausgleich" zurückgenommen werden solle. Ein Verwaltungsakt müsse dem Betroffenen bündigen Aufschluß darüber geben, was für ihn jetzt rechtens sein solle. Das gelte vor allem für belastende Verwaltungsakte, welche die Rechtslage für den Betroffenen ungünstiger als bisher gestalten sollten. Es müsse ausdrücklich ausgesprochen werden, daß und inwiefern der frühere Bescheid unrichtig sei und daß er ganz oder teilweise als unrichtig aufgehoben werde. Diesen Erfordernissen entsprächen die Bescheide vom 4. April 1966 und 12. März 1975 nicht. Da in den angegriffenen Bescheiden eine Rücknahme des Bescheides vom 10. August 1962 somit nicht ausgesprochen sei, bedürfe es keiner Ausführungen darüber, ob der Beklagte diesen Bescheid etwa nach § 41 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VfG-KOV) oder nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts habe zurücknehmen dürfen. Daß der BMA den Bescheid vom 10. August 1962 nicht zugestimmt habe, sei unerheblich, weil diese Zustimmung nur verwaltungsintern von Bedeutung sei. Da Gesundheitsstörungen, die zur Gewährung von Kannversorgung nach § 1 Abs 3 Satz 2 BVG - früher § 89 Abs 2 BVG - geführt hätten, versorgungsrechtlich die gleichen Rechtsfolgen auslösten wie bei einem Rechtsanspruch, müßten Art, Dauer und Umfang der Kannversorgung bzw des von Amts wegen aufgrund des 2. NOG auf das neue Recht umzustellenden Härteausgleichs den Leistungen des Rechtsanspruchs entsprechen. Der Beklagte dürfe daher die Versorgung als Kannleistung nicht von den von Amts wegen durchzuführenden regelmäßigen Anpassungen ausnehmen. Der Kläger könne ferner unter den gleichen Voraussetzungen wie bei einem Rechtsanspruch Berufsschadensausgleich und Pflegezulage beanspruchen. Der Beklagte müsse daher die Anträge des Klägers vom 21. August 1961 und 25. September 1964 erneut prüfen, und zwar unter Zugrundelegung der Tatsache, daß der Kläger als erwerbsunfähig anzusehen sei.
Der Beklagte hat gegen das ihm am 17. Mai 1976 zugestellte Urteil am 3. Juni 1976 Revision eingelegt und diese nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 19. August 1976 durch einen weiteren Schriftsatz vom 28. Juli 1976, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 2. August 1976, begründet. Darin heißt es, mit Bescheid vom 10. August 1962 sei dem Kläger wegen Erwerbsunfähigkeit ein Härteausgleich gemäß § 89 BVG bewilligt worden, ohne daß dabei eine klare Trennung zwischen Anspruchs- und Ermessensleistungen vorgenommen worden sei. Erst der angefochtene Bescheid vom 4. April 1966 habe dieses nachgeholt und für die Zukunft den Zahlbetrag der Ermessensleistung auf 305,- DM monatlich begrenzt. Darin sei eine partielle Rücknahme des durch Bescheid vom 10. August 1962 bewilligten Härteausgleichs zu sehen, die nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts für zulässig erachtet werde. Die zusätzliche Versorgung im Wege des Härteausgleichs sei rechtswidrig, weil durch den Bombenangriff vom Mai 1942 das Nervenleiden des Klägers, das bereits 1935 bestanden habe, nicht richtunggebend verschlimmert worden sei. Die Auffassung des LSG, der Kläger habe durch keinen der angegriffenen Bescheide einen dem Gesetz genügenden Aufschluß darüber erhalten, was für ihn jetzt rechtens sein solle, sei unzutreffend. Das LSG hätte also eine sachliche Entscheidung darüber treffen müssen, ob die partielle Rücknahme des Härteausgleichs rechtmäßig gewesen sei. Durch die Aufhebung des Bescheides vom 12. März 1975 habe das LSG ferner § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verletzt.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Februar 1976 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. Dezember 1972 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision des Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die vom LSG gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG zugelassene Revision ist von dem Beklagten frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Die Revision ist daher zulässig (§ 169 SGG); sie erweist sich jedoch als unbegründet. Das LSG hat zu Recht die vom Kläger angegriffenen Bescheide des Beklagten aufgehoben.
Bei einer zulässigen Revision sind die Grundlagen des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen. Dazu gehört auch die Frage der Zulässigkeit der Berufung (vgl BSGE 2, 225). Das LSG hat zutreffend die Berufung des Klägers in vollem Umfang als statthaft angesehen. Streitgegenstand des Berufungsverfahrens war der prozessuale Anspruch des Klägers auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide, mit denen der Beklagte die Auszahlung der vollen (angepaßten) Versorgungsbezüge nach einer MdE um 100 vH sowie die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs und einer Pflegezulage abgelehnt hat. Insoweit sind Berufungsausschließungsgründe nach § 144 und § 148 Nr 3 SGG nicht gegeben (vgl BSG SozR SGG § 148 Nrn 13 und 17; siehe auch BSGE 5, 222, 225; SozR ZPO § 521 Nr 12). Bei dem (Einzel-) Anspruch auf Erhöhung der MdE wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins gemäß § 30 Abs 2 BVG handelt es sich zwar um eine sogenannte "Gradstreitigkeit". Nach dem Inhalt des Urteils des SG, das insoweit eine Erhöhung der MdE von 40 vH auf 50 vH abgelehnt hat, und dem Berufungsbegehren ist insoweit aber die Schwerbeschädigteneigenschaft im Streit (vgl Ausnahme in § 148 Nr 3 SGG).
Entgegen der Auffassung des Beklagten ist auch der Bescheid vom 12. März 1975 gemäß § 96 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden (vgl Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, § 96 Anm 1 b). Durch diesen Bescheid ist der Bescheid vom 4. April 1966 insoweit abgeändert worden, als nunmehr die Anspruchsleistungen "entsprechend den jeweiligen Anpassungsgesetzen" erhöht werden. Auf die weitere Bedeutung dieses Bescheides wird weiter unten einzugehen sein.
Für das Versorgungsrechtsverhältnis des Klägers war ursprünglich der Bescheid vom 18. Juli 1958 maßgebend, der in Ausführung eines vor dem SG geschlossenen Vergleichs erging. Dieser Bescheid bewilligte dem Kläger wegen eines iS der Verschlimmerung gemäß § 1 BVG anerkannten "organischen Nervenleidens" vom 1. September 1952 an Rente nach einer MdE um 40 vH, und zwar als Rechtsanspruch. Durch den Bescheid vom 10. August 1962 wurde das Versorgungsrechtsverhältnis des Klägers neu gestaltet. Der Beklagte machte von der durch das 1. NOG neugeschaffenen Vorschrift des § 89 Abs 2 BVG Gebrauch, wonach mit Zustimmung des BMA ein Härteausgleich auch in den Fällen gewährt werden kann, in denen die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit (§ 1 Abs 3 BVG) nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der ärztlichen Wissenschaft Ungewißheit besteht. - Diese Vorschrift ist durch das 2. NOG (vom 21.2.1964, BGBl I S. 85) als Satz 2 in § 1 Abs 3 BVG aufgenommen worden. - Die Multiple Sklerose, die von der medizinischen Sachverständigen bei dem Kläger festgestellt worden ist, gehört zu diesen Krankheiten (vgl Rundschreiben BMA vom 22.2.1962, BVBl 1962 S. 45). Mit dem Bescheid vom 10. August 1962 hat der Beklagte, gestützt auf eine Stellungnahme des Leitenden Arztes des LVersorgA Baden-Württemberg vom 13. April 1962, gemäß § 89 Abs 2 BVG "Multiple Sklerose" als Schädigungsfolge iS der Verschlimmerung sowie die völlige Erwerbsunfähigkeit des Klägers wegen der anerkannten Schädigungsfolgen anerkannt und dem Kläger Versorgungsrente nach einer MdE um 100 vH gewährt. Da bei dem Kläger das organische Nervenleiden (= Multiple Sklerose) bereits mit einer Teil-MdE um 40 vH als Rechtsanspruch iS der Verschlimmerung durch den Bescheid vom 18. Juli 1958 anerkannt war, muß der Bescheid vom 10. August 1962 - durch den die Rechtsposition des Klägers nicht verschlechtert, sondern verbessert werden sollte - dahin verstanden werden, daß der Beklagte Kannversorgung nach § 89 Abs 2 BVG über diesen Anteil hinaus bis zur Gesamtversorgung eines Erwerbsunfähigen gewähren wollte (vgl das spätere Rundschreiben des BMA vom 25.4.1968 Abschnitt III Nr 4 Abs 3 in BVBl 1968 S. 82).
Der Bescheid vom 10. August 1962 war nicht deshalb unwirksam, weil der Beklagte nicht die Zustimmung des BMA eingeholt hatte, und dieser seine nachträgliche Zustimmung ausdrücklich verweigert hat (vgl Schreiben BMA vom 17.8.1965). Ebenso wie die Zustimmung des LVersorgA im Falle des § 40 Abs 1 VfG-KOV nur Bedeutung für das Innenverhältnis zwischen VersorgA und LVersorgA hat (vgl BSGE 13, 48, 50), ist auch die Zustimmung des BMA nicht Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Bewilligungsbescheides. Abgesehen davon, daß der Versorgungsberechtigte in den meisten Fällen gar nicht prüfen kann, ob der BMA seine Zustimmung "allgemein" (vgl § 1 Abs 3 Satz 2 letzter Halbsatz BVG) oder im Einzelfall erteilt hat oder ob diese Zustimmung von dem VersorgA gar nicht eingeholt worden ist, ist nach der gesetzlichen Aufgabenverteilung nicht der BMA, sondern die Versorgungsverwaltung des Landes für die Bescheiderteilung gegenüber dem Versorgungsberechtigten zuständig (vgl Art 83 ff Grundgesetz - GG - ; § 2 VfG-KOV iVm § 1 der VO über die sachliche Zuständigkeit in der KOV, in der Fassung vom 21.1.1968, BGBl I S. 104; s. Schönleiter/Hennig, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, § 2 Anm 5; Sauerwein, Das Gesetz über das Verwaltungsverfahren in der KOV, § 2 Anm 3; Vorberg/van Nuis, Das Recht der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen, Bd VIII S. 208; Menger in Verwaltungsarchiv 1959 S. 395). Die Rechtslage ist insoweit eine andere als bei der (fehlenden) Zustimmung des LVersorgA zu einem Berichtigungsbescheid nach § 41 Abs 2 VfG-KOV. Dort hat die Zustimmung des LVersorgA eine unmittelbare rechtliche Auswirkung, denn der Sinn seiner Beteiligung liegt gerade darin, das Zustandekommen eines Berichtigungsbescheides materiell (inhaltlich) zu beeinflussen, bevor das VersorgA nach außen tätig werden kann (vgl BSGE 16, 265, 267).
Der Bescheid vom 10. August 1962 ist mit seiner Bekanntgabe an den Kläger für den Beklagten bindend geworden (§ 24 Abs 2 VfG-KOV). Er bildet seither die Grundlage des Versorgungsrechtsverhältnisses des Klägers, soweit er nicht durch spätere Bescheide inhaltlich geändert oder aufgehoben worden ist. Für die Änderung unrichtiger oder unrichtig gewordener Bescheide stehen der Versorgungsverwaltung im Regelfall zwei Wege zur Verfügung: Ist nach ihrer Meinung der Bescheid zwar ursprünglich richtig gewesen, aber durch eine Änderung der Verhältnisse später unrichtig geworden, so hat sie nach § 62 Abs 1 BVG einen Neufeststellungsbescheid zu erlassen. Hält sie dagegen den Bewilligungsbescheid für von Anfang an unrichtig, so erläßt sie bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen nach § 41 VfG-KOV einen Berichtigungs-("Zuungunsten-") Bescheid. Kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden, ob entweder eine Änderung der Verhältnisse iS des § 62 BVG oder eine Unrichtigkeit iS des § 41 VfG-KOV vorliegt, steht aber fest, daß nur die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen der einen oder anderen Vorschrift vorliegen können, so kommt auch die Erteilung eines "Wahlfeststellungsbescheides" in Betracht (vgl BSGE 26, 22). Im vorliegenden Fall hat der Beklagte weder einen Neufeststellungs- noch einen Berichtigungsbescheid erlassen; der Bescheid vom 4. April 1966 wird den hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht gerecht. Daß in dem Gesundheitszustand des Klägers seit Erlaß des Bescheides vom 10. August 1962 eine wesentliche Änderung (= Besserung) eingetreten sei, behauptet der Beklagte selbst nicht. Eine Berichtigungsmöglichkeit nach § 41 VfG-KOV hat der Beklagte zwar geprüft, aber in dem Bescheid vom 4. April 1966 selbst verneint. Im übrigen fehlt es auch an der erforderlichen (vorherigen) Zustimmung des LVersorgA (vgl BSGE 16, 265, 267).
Nach der Rechtsprechung des 9. Senats des BSG (vgl Urteil vom 23.4.1964 in BSGE 21, 35 = SozR VerwVG § 41 Nr 23) können Bescheide über Ermessensleistungen - hier die Erhöhung der Versorgungsbezüge des Klägers von 40 vH auf die Rente eines Erwerbsunfähigen im Wege des Härteausgleichs - im Geltungsbereich des VfG-KOV zuungunsten des Berechtigten nicht nach § 41 VfG-KOV, sondern nur nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts berichtigt werden. Für das vorliegende Verfahren kann dahinstehen, ob dieser Auffassung in jedem Falle zuzustimmen und ob bei fehlender Zustimmung des LVersorgA - ebenso wie bei § 41 VfG-KOV - der Bescheid rechtswidrig wäre (insoweit vom 9. Senat offengelassen, vgl aaO S. 39). Denn jedenfalls kommt hier eine Rücknahme nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts aus mehrfachen Gründen nicht in Betracht.
Der erkennende Senat bestätigt die Auffassung des LSG, daß Bescheide, die zum Nachteil des Versorgungsberechtigten ergehen, insbesondere wenn sie diesem bereits zuerkannte begünstigende Rechtspositionen einschränken oder aufheben sollen, die Rechtsgrundlagen und die Rechtsfolgen mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck bringen müssen. Der die Rücknahme aussprechende Verwaltungsakt muß so gestaltet sein, daß der Betroffene die ihm ungünstigen Rechtsfolgen klar, eindeutig und für ihn nachprüfbar erkennen kann (vgl BSGE 3, 271; 7, 8, 11). Hierzu gehört, daß in dem neuen Bescheid ausdrücklich ausgesprochen wird, daß der frühere Bescheid unrichtig ist, inwiefern er unrichtig ist und daß er deshalb ganz oder teilweise aufgehoben wird. Diesen Erfordernissen genügt der Bescheid vom 4. April 1966 nicht. Er verstößt zum einen gegen die Verwaltungsvorschrift (VV) Nr 10 zu § 22 VfG-KOV; nach deren Satz 1 sind Neufeststellungsbescheide als solche zu bezeichnen. Dies gilt nach VV Nr 10 letzter Satz für Bescheide nach den §§ 40 bis 42 VfG-KOV entsprechend. Nach der Überschrift des Bescheides vom 4. April 1966 erging dieser jedoch lediglich auf die vom Kläger am 21.8.1961 und 25.9.1964 gestellten Anträge (auf Gewährung von Pflegezulage und Berufsschadensausgleich). In keiner Weise wird also zum Ausdruck gebracht, daß der Bescheid vom 10. August 1962 inhaltlich - und zwar grundlegend und mit erheblicher Tragweite für den Kläger - geändert werden soll.
Ferner läßt der Bescheid vom 4. April 1966 eine Rechtsgrundlage für die Verschlechterung der Position des Klägers überhaupt nicht erkennen. Das gleiche gilt für den Widerspruchsbescheid vom 14. August 1969. Wenn der Beklagte nunmehr von einer "partiellen Rücknahme" gesprochen hat, so kann dadurch die fehlende Rechtsgrundlage nicht ersetzt werden. Außerdem aber wird in dem Bescheid eine Regelung getroffen, die mit den Grundsätzen des Versorgungsrechts nicht übereinstimmt. Im vorletzten Absatz des Bescheides wird ausdrücklich festgestellt, daß "Versorgung im Wege des Härteausgleichs für einen Erwerbsunfähigen weitergewährt wird". Alsdann wird dem Kläger ein Versorgungsanspruch "bis zur Höhe von 365,- DM monatlich gewährt", der sich aus einem Rechtsanspruch nach einer MdE um 40 vH (= 60,- DM) und einem Härteausgleich von 305,- DM zusammensetzen soll. Dazu hat das LSG aufgrund seiner Berechnungen jedoch festgestellt, daß der Betrag von 365,- DM "in keiner Weise einer auf gesetzlicher Grundlage errechneten Leistung" entspricht.
Für den Kläger mußte auch unverständlich bleiben, wieso und aufgrund welcher Rechtsnorm für ihn wieder eine MdE um 40 vH maßgebend sein sollte, obwohl der Bescheid vom 18. Juli 1958, in dem diese MdE festgesetzt worden war, durch den Bescheid vom 10. August 1962 ersetzt worden war. Daß der Kläger in seiner Widerspruchsbegründung eine Erhöhung der MdE von 40 vH auf 50 vH verlangt hat, nimmt dem Bescheid vom 4. April 1966 entgegen der Auffassung des Beklagten nichts von seiner Ungenauigkeit und Fehlerhaftigkeit. Vielmehr ist dieser Antrag des Klägers als reine Verteidigungsmaßnahme zu verstehen. Der Kläger mußte bei richtiger Rechtsverfolgung einen derartigen Antrag stellen, um die Position eines Schwerbeschädigten - als Rechtsanspruch - auch für den Fall zu erreichen, daß das Gericht die Entziehung des Härteausgleichs bestätigen sollte.
Der Senat verkennt dabei nicht, daß es der Verwaltung unter bestimmten Voraussetzungen gestattet ist, einen ursprünglich fehlerhaften oder unrichtig (unzureichend) begründeten Verwaltungsakt im späteren Rechtsmittelverfahren auf rechtlich zutreffende Gründe zu stützen. Wie das BSG in ständiger Rechtsprechung entschieden hat (vgl BSGE 7, 12; 7, 262; 10, 211; 11, 236; SozR SGG § 54 Nr 91), ist bei einem unrichtig oder unvollständig begründeten Verwaltungsakt ein späteres "Nachschieben von Gründen" jedoch nur dann zulässig, wenn der Verwaltungsakt durch die neue Begründung nach Voraussetzungen, Inhalt und Wirkungen nicht wesentlich verändert und die Rechtsverteidigung des Betroffenen nicht in unzulässiger Weise beeinträchtigt oder erschwert wird (vgl BSGE 3, 209). Weiterhin ist Voraussetzung, daß die nachgeschobenen Gründe geeignet sind, dem ursprünglich fehlerhaften Verwaltungsakt eine zutreffende und tragfähige Rechtsgrundlage zu geben. Dies trifft jedoch wiederum nicht zu. Der Beklagte hat sich - erstmals im Berufungsverfahren - auf die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts bezogen. Dabei fällt jedoch auf, daß der Beklagte die (rechtliche und tatsächliche) Unrichtigkeit der betragsmäßigen Feststellung (365,- DM) und der Festsetzung eines Festbetrages (Härteausgleich = 305,- DM) in keiner Weise gerechtfertigt hat. Ebensowenig hat der Beklagte überzeugend und in einer Weise, die eine sachgemäße Rechtsverteidigung des Klägers ermöglicht, begründet, weshalb dem Kläger zwar mit dem Bescheid vom 18. Juli 1958 eine Verschlimmerung seines organischen Nervenleidens mit einer MdE um 40 vH (als Rechtsanspruch) zuerkannt worden ist, weshalb aber darüber hinaus - gerade aufgrund der Vorschrift des § 89 Abs 2 BVG in der Fassung des 1. NOG bzw des § 1 Abs 3 Satz 2 BVG (seit dem 2. NOG) - nicht eine weitergehende Versorgung im Wege des Härteausgleichs in Betracht kommen kann (vgl Rundschreiben BMA vom 25.4.1968 in BVBl 1968 S. 82, und vom 29.8.1968 in BVBl 1968 S. 134).
Ferner gestatten die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts nicht schlechthin die Rücknahme jedes rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts mit Dauerwirkung (vgl BSG SozR VerwVG § 41 Nr 23). Jedenfalls auf dem Gebiet der KOV ist die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts nur rechtmäßig, wenn das nach dem Verfassungsgrundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art 20 Abs 3 GG) bestehende öffentliche Interesse an der Beseitigung rechtswidriger Verwaltungsakte im Einzelfall höher zu bewerten ist als das Interesse des Begünstigten am Schutz des Vertrauens in den Bestand behördlicher Verfügungen, das nach dem Verfassungsgrundsatz der Rechtssicherheit gleichfalls schutzwürdig ist (vgl BSGE 21, 35, 39). Aus der Abwägung dieser beiden Grundsätze ergibt sich, daß ein rechtswidriger Verwaltungsakt in der Regel für Vergangenheit und Zukunft zurückgenommen werden kann, wenn die Ursache für das Zustandekommen des Verwaltungsaktes in den Verantwortungsbereich des Begünstigten fällt (vgl BSGE 10, 72, 77; 21, 39).
Davon kann im vorliegenden Fall - auch nach Auffassung des Beklagten (vgl Bescheid vom 4.4.1966, Abs 6) - keine Rede sein. Sind die Umstände, die den rechtswidrigen Verwaltungsakt veranlaßt haben, dagegen dem Verantwortungsbereich der Behörde zuzurechnen, dann kommt eine Rücknahme für die Vergangenheit mit der Folge, daß die bezogenen Versorgungsleistungen zurückzugewähren wären, im Regelfall nicht in Betracht. Bei der - grundsätzlich zulässigen - Rücknahme für die Zukunft muß unter Berücksichtigung der Gesamtumstände geprüft werden, ob nicht im Einzelfall besonders schwerwiegende Umstände vorliegen, die die Entziehung als unbillige Härte für den Betroffenen erscheinen lassen und dazu nötigen, das öffentliche Interesse demgegenüber zurücktreten zu lassen. Dabei sind nicht nur das vorgerückte Alter des Beschädigten und die Bezugsdauer der - unrechtmäßig bezogenen - Leistungen, sondern, wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 5. Dezember 1972 (SozR VerwVG § 41 Nr 31) ausgesprochen hat, auch die Pflicht zu sozial angemessener Rechtsausübung zu berücksichtigen, wenn die Einstellung der Zahlungen eine so einschneidende und dauernde Änderung der Lebensführung bewirken würde, daß sie die Existenzgrundlage des Betroffenen für die Zukunft erschüttert. Nicht entscheidend kann dagegen unter Beachtung der Sozialstaatsgrundsätze die Höhe der zu gewährenden Versorgungsleistungen sein, denn das würde bedeuten, daß bei gleicher Ausgangslage ein Beschädigter oder Behinderter, der besonders schwer betroffen ist und dem deshalb nach dem Gesetz besonders hohe und zusätzliche Leistungen zustehen, wesentlich eher mit einer Entziehung (Rücknahme) der Leistungen rechnen müßte als ein Leichtbeschädigter.
Nach dem Akteninhalt und den Feststellungen des LSG ist der Kläger 1906 geboren. Seit dem Bombenangriff 1942 konnte er einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen; spätestens 1948 mußte er jede Erwerbsarbeit aufgeben. Er ist auf ständige Pflege und Betreuung durch seine Ehefrau angewiesen. Infolge seiner frühzeitigen Erkrankung bezieht er nur eine kleine und - gemessen an seinen Bedürfnissen - völlig unzureichende Sozialversicherungsrente. Die (erhöhten) Härteausgleichsleistungen sind ihm seit Juni 1960 gewährt worden. Der (unzureichend begründete) Bescheid über die "partielle Rücknahme" ist zwar am 4. April 1966 ergangen, jedoch hat sich der Beklagte erstmals mit dem Schriftsatz vom 31.Dezember 1974 als Rechtsgrundlage auf die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts berufen, nachdem vorher sowohl die tatsächlichen als auch die rechtlichen Grundlagen für das "Einfrieren" der Leistungen durchaus unklar waren. Unter Würdigung der Gesamtumstände muß daher dem Interesse des Klägers an dem Fortbestand des begünstigenden Verwaltungsakts vom 10. August 1962 der Vorrang vor dem Interesse der Allgemeinheit an der Beseitigung des (möglicherweise) rechtswidrigen Zustandes gegeben werden. Diese Auffassung haben im übrigen zunächst auch das VersorgA (vgl ausführliche Stellungnahme vom 29.11.1965), das LVersorgA und der zuständige Arbeitsminister vertreten. Die Gründe für eine Sinnesänderung sollen hier nicht weiter untersucht werden.
Auch der Bescheid vom 12. März 1975, der gemäß § 96 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist, hat die Grundlage des Versorgungsrechtsverhältnisses des Klägers nicht geändert. Der Beklagte hatte mit Schriftsatz vom 31. Dezember 1974 an das LSG ein Vergleichsangebot unterbreitet. Dieses Angebot ist jedoch vom Kläger nicht angenommen worden (vgl Schriftsatz vom 10.1.1975). Da ein Vergleich demnach von den Beteiligten nicht abgeschlossen worden ist, kann der Bescheid vom 12. März 1975 auch kein "Ausführungsbescheid nach dem Teilvergleich vom 31. Dezember 1974" sein, wie ihn der Beklagte bezeichnet hat. Dieser gescheiterte Vergleichsvorschlag kann auch nicht als Anerkenntnis des Beklagten angesehen werden. Nach § 101 Abs 2 SGG hat ein Anerkenntnis nur dann Wirkung auf den Gegenstand des Verfahrens und erledigt insoweit den Rechtsstreit in der Hauptsache, wenn es angenommen worden ist; daran fehlt es jedoch hier. Auch dieser Bescheid konnte die in dem Bescheid vom 10. August 1962 niedergelegten Rechte des Klägers nicht beseitigen oder "partiell zurücknehmen". Abgesehen von der unrichtigen Überschrift kommt ein solcher Wille in dem Bescheid nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck. Im übrigen haften diesem Bescheid die gleichen Mängel an, wie sie oben ausführlich zu dem Bescheid vom 4. April 1966 erörtert worden sind. Einen nur durch einen Geldbetrag (Festbetrag), nicht aber durch eine konkrete Versorgungsleistung bestimmten Härteausgleich kennt das BVG nicht.
Enthalten die Bescheide vom 4. April 1966 (in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.8.1969) und vom 12. März 1975 demnach keine "partielle Rücknahme" der früheren begünstigenden Verwaltungsakte, dann ist für das Versorgungsrechtsverhältnis des Klägers weiterhin der Bescheid vom 10. August 1962 maßgebend. Darin ist dem Kläger die Rente eines Erwerbsunfähigen ("MdE 100 vH") gewährt worden. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist die Versorgungsleistung entsprechend den seither im Kriegsopferrecht eingetretenen Verbesserungen und Anpassungen zu erhöhen. Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 11. Mai 1976 (SozR 3100 BVG § 56 Nr 1) mit ausführlicher Begründung entschieden hat, nehmen auch Härteausgleichsleistungen an den jährlichen Rentenanpassungen nach § 56 BVG teil. Nach dieser Vorschrift werden die laufenden Rentenleistungen jährlich zum 1. Juli durch Gesetz in einem in § 56 BVG näher beschriebenen Vomhundertsatz angepaßt, ohne daß dem jeweils eine neue Verwaltungsentscheidung vorauszugehen hätte. Dies gilt auch für Härteausgleichs- und Kannleistungen nach § 90 Abs 3 BVG (in der Fassung des 4. AnpG-KOV vom 24.7.1972, BGBl I S. 1284), einer Regelung, die in ähnlicher Form bereits in den früheren Gesetzen zur Änderung, Neuordnung und Anpassung des BVG enthalten war. Daß dem Kläger laufende Versorgungsbezüge bewilligt worden sind, kann nach Aufbau, Form und Inhalt des Bescheides vom 10. August 1962 nicht zweifelhaft sein. Dieser Bescheid hat dem Kläger das "Stammrecht" zuerkannt, aus dem regelmäßig wiederkehrende (monatliche) Leistungen entspringen. Die Anpassung darf vom Beklagten nicht mit der Begründung versagt werden, die Bewilligung der (erhöhten) Versorgungsleistungen sei seinerzeit zu Unrecht erfolgt, die Bestandskraft des Bewilligungsbescheides lasse sich aber nicht beseitigen (vgl BSG aaO). Wie der erkennende Senat in dem erwähnten Urteil weiter ausgesprochen hat, bezieht niemand einen Härteausgleich "an sich"; der Härteausgleich ist lediglich die Form, in der eine Leistung gewährt wird, die ihren Grund in einer bindend anerkannten Schädigungsfolge hat. Der Kläger hat daher einen Anspruch darauf, daß nicht nur seine Versorgungsrente nach einer MdE um 40 vH, sondern die Versorgungsrente nach einer MdE um 100 vH entsprechend den seither eingetretenen Verbesserungen im Kriegsopferrecht erhöht bzw angepaßt wird.
Daß dem Kläger sonach Versorgung im Wege des Härteausgleichs nach einer MdE um 100 vH zusteht, ist auch für die weiteren Ansprüche des Klägers bedeutsam. Nach der VV Nr 9 zu § 1 BVG lösen Gesundheitsstörungen, bei denen der Gewährung von Versorgung nach § 1 Abs 3 Satz 2 BVG zugestimmt worden ist, die gleichen Rechtsfolgen aus wie anerkannte Schädigungsfolgen. Art, Umfang und Dauer der Kannleistungen entsprechen danach denen der Rechtsansprüche; das gilt auch für die von der Beschädigtenrente abgeleiteten Versorgungsansprüche. Soweit der Beklagte darauf hinweist, daß dies bei Kannleistungen nur "im allgemeinen" der Fall sei, so daß er berechtigt sei, einzelne Leistungen von der Kannversorgung auszunehmen, übersieht der Beklagte, daß die Worte "im allgemeinen" nur in der VV Nr 2 zu § 1 BVG idF des 2. NOG enthalten waren, durch das die ursprüngliche Härteausgleichsregelung des § 89 Abs 2 BVG (idF des 1. NOG) als eigenständige Kannleistung in § 1 Abs 3 Satz 2 BVG aufgenommen worden ist. Bereits in der VV Nr 9 zu § 1 BVG idF des 3. NOG sind aber diese Worte - im Gegensatz zu der VV Nr 1 zu § 89 BVG - entfallen, so daß zwischen den Anspruchsleistungen und den Kannleistungen nach § 1 Abs 3 Satz 1 und 2 BVG kein Unterschied besteht. Der Beklagte vermag sich insoweit auch nicht darauf zu berufen, daß dem Kläger zunächst nur eine Härteausgleichsleistung nach § 89 Abs 2 BVG bewilligt worden sei. Nach Art VI § 1 Abs 4 des 2. NOG waren die bisher nach dieser Vorschrift gewährten Härteausgleichsleistungen von Amts wegen - und ohne Änderung des materiellen Gehalts - in eine Versorgung als Kannleistung umzustellen. Daher bedarf es keiner Erörterung, ob die Worte "im allgemeinen" in der VV Nr 1 zu § 89 BVG in der vom Beklagten angenommenen einschränkenden Weise auszulegen sind.
Bei dem Antrag auf Gewährung eines Berufsschadensausgleichs (§ 30 Abs 3 und 4 BVG) muß der Beklagte demnach davon ausgehen, daß der Kläger während der zeitlichen Geltungsdauer des 1. NOG erwerbsunfähig war und für die darauf folgende Zeit die Schwerbeschädigteneigenschaft besaß. Gleichermaßen ist bei dem Antrag auf Gewährung einer Pflegezulage (§ 35 BVG) zu beachten, daß nach dem Bescheid vom 10. August 1962 die beim Kläger anerkannte "Multiple Sklerose" durch schädigende Einwirkungen iS des § 1 BVG verschlimmert und der Kläger hierdurch erwerbsunfähig geworden ist. Da der Kläger im Berufungsverfahren nur die Aufhebung der angefochtenen Bescheide verlangt hatte, brauchte das LSG keine Feststellungen zu treffen und keine Entscheidung darüber zu fällen, ob der Kläger auch die Verpflichtung des Beklagten zur Leistung (Berufsschadensausgleich und Pflegezulage) hätte verlangen können (vgl Urteil des erkennenden Senats vom 9.2.1977 - 10 RV 43/76 -). Der Beklagte wird nunmehr über die Anträge des Klägers vom 21. August 1961 und 25. September 1964 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu entscheiden haben. Dabei werden die Beteiligten zu erwägen haben, ob der im Widerspruchsverfahren gestellte Antrag auf Erhöhung der MdE gemäß § 30 Abs 2 BVG wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins aufrecht erhalten bleibt, nachdem dem Kläger ohnehin die Versorgungsbezüge eines Erwerbsunfähigen - wenn auch als Kannleistung - zustehen.
Das LSG hat somit zutreffend entschieden; die Revision des Beklagten ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen