Entscheidungsstichwort (Thema)
Übergangsvorschrift. Übergangsregelung. Zahlbetrag. bisheriger Zahlbetrag. Einfrieren. Neufeststellung. neu feststellen. Herstellungsanspruch
Leitsatz (amtlich)
- Auch in einem Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X oder aufgrund eines Herstellungsanspruchs wird eine Rente iS des Art 2 § 10c KnVNG neu festgestellt.
- Bisheriger Zahlbetrag iS des Art 2 § 10c KnVNG ist der Rentenbetrag, der sich im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Neufeststellung (frühestens mit Erlaß des Neufeststellungsbescheides) bei richtiger Berechnung der Rente auf der Grundlage des bisherigen Rechts ergibt.
- Zur Entscheidung des Gerichts, wenn der Rentenversicherungsträger unter Hinweis auf Art 2 § 10c KnVNG einen berechtigten Zugunstenantrag (§ 44 SGB X) abgelehnt hat.
(Zu 1-3: Anschluß an und Fortführung von BSGE 67, 104, 108, 122 f = SozR 3-1300 § 32 Nr 2)
Normenkette
KnVNG Art. 2 § 10c Abs. 5 S. 4 (= ArVNG Art. 2 § 12b Abs. 5 S. 4, AnVNG Art. 2 § 12b Abs. 5 S. 4); SGB X § 44; SGB I § 37; RKG § 53 Abs. 3 S. 4, § 54 Abs. 7 S. 2, § 58a
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 26.08.1993; Aktenzeichen L 2 Kn 187/92) |
SG Gelsenkirchen (Urteil vom 04.09.1992; Aktenzeichen S 6 (2) Kn 32/91) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. August 1993 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt im Rahmen eines Zugunstenverfahrens eine höhere Rente.
Der im Jahre 1931 geborene Kläger bezog ab 1976 eine Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit. Hierbei war die in Polen zurückgelegte Zeit vom 1. August 1951 bis zum 31. August 1952 in die Leistungsgruppe C Ia 1 nach dem Fremdrentengesetz (FRG) eingestuft und als “HaVO-Arbeiten” bei der Berechnung des Leistungszuschlages nach § 59 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) voll berücksichtigt worden. Die Rente wurde mit Bescheid vom 22. Mai 1985 mit Wirkung ab 1. November 1984 in eine Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit gemäß § 47 RKG umgewandelt. Hierbei wurde die Zeit von August 1951 bis August 1952 in die Leistungsgruppe C Ia 3 eingestuft und bei Berechnung des Leistungszuschlages als Untertagearbeit lediglich zu 2/3 berücksichtigt. Dieser Bescheid wurde bindend; der auf den Widerspruch des Klägers hinsichtlich der Bewertung der Zeit von 1967 bis 1970 ergangene Widerspruchsbescheid wurde nicht angefochten.
Im Oktober 1988 beantragte der Kläger eine Überprüfung der Berechnung seiner Rente hinsichtlich der Zeit vom 1. August 1951 bis 31. August 1952.
Mit Bescheid vom 6. Januar 1991 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der Rentenbescheid vom 22. Mai 1985 sei nicht rechtswidrig iS des § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Aufgrund von Zeugenaussagen sei zwar die Zeit von August 1951 bis August 1952 in die Leistungsgruppe C Ia 1 eingestuft worden. Trotz der günstigeren Berücksichtigung dieser 13 Monate ergebe sich jedoch insgesamt bei einer Neuberechnung keine Erhöhung der Rente. Der Grund hierfür sei die Änderung von Berechnungsvorschriften im RKG. Der Kläger habe ab März 1976 eine Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit bezogen, in der eine Zurechnungszeit nach § 58 RKG enthalten gewesen sei. Während des Rentenbezuges sei er weiterhin beschäftigt gewesen und habe entsprechende Pflichtbeiträge gezahlt. Gemäß § 53 Abs 3 Satz 4 RKG idF bis zum 30. Juni 1985 seien die Zurechnungszeit aus der Berufsunfähigkeitsrente in die Erwerbsunfähigkeitsrente mit gleichem Umfang und Prozentsatz übernommen und die Beiträge während der Zurechnungszeit als Höherversicherungsbeiträge zusätzlich entschädigt worden. Durch das Rentenanpassungsgesetz 1985 sei jedoch § 53 Abs 3 Satz 4 RKG zum 1. Juli 1985 geändert; als Übergangsvorschrift gelte Art 2 § 10c Abs 5 des Knappschaftsversicherungs-Neuregelungsgesetzes (KnVNG). Für Neuberechnungen ab dem 1. Juli 1985 sei für den Versicherten nur das Günstigere, entweder die Zurechnungszeit oder die Beitragszeit anzurechnen. Nach Art 2 § 10 Abs 5 KnVNG, letzter Satz, sei diese Regelung auch anzuwenden, wenn Renten mit einem Versicherungsfall vor dem 1. Juli 1985 neu festgestellt würden. Durch die Neuregelung ergebe sich eine Minderung der Rente. Jedoch sei gemäß Art 2 § 10c Abs 5 KnVNG die Rente in der bisherigen Höhe zu leisten. Der Widerspruchsbescheid vom 15. April 1991 brachte keine Abhilfe.
Mit Bescheid vom 15. August 1991 wurde die Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit auf einen von der Beklagten angeregten Antrag des Klägers mit Wirkung ab 1. September 1991 in das flexible Knappschaftsruhegeld nach § 48 Abs 1 Nr 1 RKG umgewandelt; dies führte zu keiner höheren Rentenzahlung, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalles gezahlte höhere Versichertenrente wurde weitergezahlt (errechnetes Knappschaftsruhegeld: DM 26.998,06/Jahr; bisherige Rente DM 30.087,60/Jahr). Mit Bescheid vom 31. Oktober 1991 wurde die Rente des Klägers mit Wirkung ab 1. September 1991 neu festgestellt. Der Bescheid vom 15. August 1991 wurde gemäß § 44 SGB X teilweise zurückgenommen. Bestimmte Zeiten zwischen 1959 und 1968 wurden aufgrund des vorgelegten Legitimationsbuches nunmehr als nachgewiesene Zeiten in vollem Umfang (statt bisher nach dem FRG zu 5/6) angerechnet. Es ergab sich jedoch wiederum keine Nachzahlung, da der hiernach berechnete Rentenbetrag (DM 27.836,72/Jahr) zwar höher ausfiel als der dem Kläger nach dem Bescheid vom 15. August 1991 zustehende, ebenso wie dieser jedoch unter dem im Wege des Besitzschutzes gezahlten Rentenbetrag blieb. In beiden Bescheiden wird die streitige Zeit 1951/52 in der Leistungsgruppe C Ia 1 und als “HaVO-Arbeit” berücksichtigt.
Das Sozialgericht (SG) hat die gegen den Bescheid vom 6. Januar 1991 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. April 1991 erhobene Klage mit Urteil vom 4. September 1992 abgewiesen. Die für den Überprüfungsantrag aus dem Jahre 1988 zwingende Anwendung des neuen Rechts hätte der Kläger nur durch eine rechtzeitige Überprüfung und Anfechtung des Rentenbescheides vom 22. Mai 1985 vermeiden können. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 26. August 1993 zurückgewiesen. Dem Kläger stehe kein Anspruch nach § 44 SGB X zu. Zwar sei der Bescheid über die Gewährung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit vom 22. Mai 1985 hinsichtlich der Bewertung der Zeit von August 1951 bis August 1952 rechtswidrig gewesen. Die Beseitigung dieser Rechtswidrigkeit führe jedoch zu keiner höheren Sozialleistung, wie von § 44 Abs 1 SGB X für die Beseitigung einer Rechtswidrigkeit vorausgesetzt. Dies ergebe sich aus der Übergangsvorschrift des Art 2 § 10c Abs 5 KnVNG, gegen die auch in der für den Versicherten ungünstigen Verknüpfung mit einer Neufeststellung nach § 44 Abs 1 SGB X keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken beständen. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch könne auch nicht daraus hergeleitet werden, daß die Beklagte im Bescheid vom 22. Mai 1985 keinen ausdrücklichen Hinweis auf die Neubewertung der streitigen Zeit mit einer schlechteren Leistungsgruppe gegeben habe. Zwar könne davon ausgegangen werden, daß der Kläger auf einen entsprechenden Hinweis rechtzeitig Widerspruch eingelegt hätte. Auch dieser hätte jedoch bis zum Inkrafttreten des neuen Rechts ab 1. Juli 1985 nicht sachgemäß bearbeitet werden können, so daß auch dann eine Neuberechnung der Rente unter Berücksichtigung neuen Rechts hätte vorgenommen werden können. Der Beklagten könne ferner nicht vorgeworfen werden, den Bescheid vom 22. Mai 1985 sachwidrig verspätet erlassen zu haben. Die auf den Renten-Umwandlungsantrag Ende November 1984 folgende Bearbeitungszeit von sechs Monaten könne angesichts der erforderlichen Ermittlungen nicht als unsachlich lange angesehen werden. Schließlich sei die Beklagte auch nicht verpflichtet, den Kläger so zu behandeln, als wenn er nicht nur rechtzeitig vor dem 1. Juli 1985 Widerspruch eingelegt hätte, sondern die Beklagte diesen auch vor jenem Datum im vom Kläger angestrebten Sinne behandelt hätte.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der vom LSG zugelassenen Revision. Er macht sinngemäß einen Herstellungsanspruch gegen die Beklagte geltend: Die Beklagte habe die Zeiten vom August 1951 bis August 1952 im Bescheid vom 22. Mai 1985 versteckt schlechter bewertet. Sie sei daher gehalten, den Kläger so zu behandeln, als wenn er rechtzeitig vor dem 1. Juli 1985 Widerspruch erhoben hätte.
Der Kläger beantragt,
- das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. August 1993, das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 4. September 1992 sowie den Bescheid der Beklagten vom 6. Januar 1991 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. April 1991 aufzuheben,
- die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger unter teilweiser Rücknahme der Bescheide vom 22. Mai 1985 und 31. Oktober 1991 zu verurteilen, ihm ab dem 1. November 1984 Rentenleistungen unter Berücksichtigung einer Einstufung seiner Untertagetätigkeit vom 1. August 1951 bis 31. August 1952 in der Leistungsgruppe C Ia 1 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. August 1993 zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Der Senat hat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Die zulässige Revision des Klägers ist im Sinne einer Zurückverweisung begründet. Entgegen der Auffassung des LSG hat er einen Anspruch auf rentensteigernde Berücksichtigung der Zeit von August 1951 bis August 1952 unter Einstufung in die Leistungsgruppe C Ia 1 der Anlage 1 zu § 22 FRG, wenn er die hierfür geltenden materiellen Voraussetzungen erfüllt.
Die auf einer Überprüfung nach § 44 SGB X beruhende Leistungsverbesserung in der genannten Hinsicht darf entgegen der Auffassung des LSG nicht nach Art 2 § 10c Abs 5 Satz 4 KnVNG mit der aus der Neuregelung des § 53 Abs 3 Satz 4 RKG folgenden Rentenminderung “aufgerechnet” werden. Zwar stellt auch eine Rentenerhöhung im Rahmen eines Verfahrens nach § 44 SGB X eine Neufeststellung iS des Art 2 § 10c Abs 5 Satz 4 KnVNG dar (1). Das Zusammenwirken beider Vorschriften führt jedoch nicht zur Ablehnung des Anspruchs nach § 44 SGB X, sondern zur Erhöhung der Rente auf der Grundlage des “alten Rechts” (2). In Höhe des so ermittelten Zahlbetrages kann dann die Beklagte allerdings die Rente einfrieren (3). Auch aus einem Herstellungsanspruch könnten keine weitergehenden Ansprüche des Klägers folgen (4).
(zu 1) Dem LSG kann nicht zugestimmt werden, wenn es meint, der zu Recht gestellte Zugunsten-Antrag des Klägers nach § 44 SGB X führe wegen der Regelung des Art 2 § 10c Abs 5 Satz 4 KnVNG nicht zu einer Verbesserung seiner Rechtsposition.
Diese Übergangsvorschrift ist im Falle des Klägers anwendbar. Denn im Rentenbescheid vom 22. Mai 1985 waren die Beiträge, die während der bei seiner Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit angerechneten Zurechnungszeit entrichtet worden waren, als Höherversicherungsbeiträge angerechnet worden. Diese Entscheidung beruhte auf § 54 Abs 7 Satz 2 iVm § 58a RKG, jeweils idF vor Inkrafttreten des Rentenanpassungsgesetzes (RAG) 1985 am 1. Juli 1985. Hiernach blieben bei der Rentenberechnung Beiträge unberücksichtigt, die während einer anzurechnenden Zurechnungszeit entrichtet worden waren; für diese war jedoch ein Jahresbetrag in Höhe von 0,5 vH des der Beitragsentrichtung zugrundeliegenden Bruttoarbeitsentgelts zu gewähren, wobei die Vorschriften über die Steigerungsbeträge aus Beiträgen der Höherversicherung entsprechend galten (§ 1260a Satz 4 RVO, in Bezug genommen durch § 58a Satz 2 RKG). Die von der Beklagten im vorliegenden Fall angewandte geänderte Fassung des § 53 Abs 3 Satz 4 RKG war eine Reaktion des Gesetzgebers auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 8. Februar 1983 (BVerfGE 63, 119 = SozR 2200 § 1255 Nr 17); hierin hatte es das BVerfG als verfassungswidrig angesehen, daß nach der alten Regelung eine höherwertige Beitragszeit durch eine geringerwertige beitragslose Zeit verdrängt werden konnte. Die Neuregelung sah vor, daß während einer angerechneten Zurechnungszeit zurückgelegte Zeiten nach dem Günstigkeitsprinzip entweder als Beitrags- oder Zurechnungszeit berücksichtigt wurden; die zusätzliche Anrechnung nach der Art von Beiträgen zur Höherversicherung entfiel jedoch (nach dem SGB VI ≪Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch –≫ ist eine Zurechnungszeit bei einer Folgerente als Anrechnungszeit zu berücksichtigen – § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB VI –; beim Zusammentreffen mit einer Beitragszeit ist jedoch nach § 54 Abs 3 iVm § 71 Abs 2 SGB VI der günstigere Wert anzurechnen).
Die Neuregelung des § 53 Abs 3 Satz 4 RKG idF des RAG 1985 war nach der Übergangsregelung des Art 2 § 10c Abs 5 KnVNG auch schon für Versicherungsfälle vor dem 1. Juli 1985 als Datum des Inkrafttretens dieses Gesetzes anzuwenden (Satz 1). Dies sollte aber dann grundsätzlich nicht gelten, wenn über den Rentenanspruch eine nicht mehr anfechtbare Entscheidung getroffen worden war (Satz 3). Eine Ausnahme hiervon galt wiederum, wenn eine Rente mit einem Versicherungsfall vor dem 1. Juli 1985 ”neu festzustellen“ war (Satz 4, 1. Halbsatz); dabei war jedoch als Rente mindestens der bisherige Zahlbetrag zu leisten (Satz 4, 2. Halbsatz).
Eine Neufeststellung in diesem Sinne findet auch im Rahmen eines Verfahrens nach § 44 SGB X statt. Dies erschließt sich aus dem Gesetz nicht unmittelbar. Auch die Gesetzgebungsmaterialien zur Übergangsregelung des Art 2 § 10c Abs 5 KnVNG, eingefügt durch das RAG 1985 (BGBl I 913), geben hierzu keine Aufschlüsse (vgl BR-Drucks 523/84, S 17 zur entsprechenden Änderung des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes ≪ArVNG≫ – zu Art 5 Nr 1 – § 12b).
Allerdings entspricht die Regelung des Art 2 § 10c Abs 5 Satz 4 KnVNG den Übergangsregelungen, welche bereits die Abs 1 bis 4 dieser Vorschrift jeweils in ihrem letzten Satz zu weiteren rentenrechtlichen Neuregelungen getroffen hatten; diese Teile des § 10c KnVNG wiederum entstammen dem Haushaltsbegleitgesetz (HBegleitG) 1983 vom 20. Dezember 1982 (BGBl I, 1857). Damals waren, nach dem Beschluß des BVerfG vom 16. Juni 1981 (BVerfGE 57, 335 = SozR 2200 § 1255 Nr 13) bestimmte zwischen Männern und Frauen unterschiedliche Tabellenwerte vereinheitlicht worden. Auch hier wurde jeweils die Anwendung der Neuregelung auf Versicherungsfälle vor einem bestimmten Stichtag davon abhängig gemacht, daß diese Rente neu festzustellen ist; dies wurde ebenfalls, wie in Abs 5, mit einer Zahlbetragsgarantie verknüpft.
Die letzten Sätze der Abs 1 bis 4 des Art 2 § 10c KnVNG waren während der Ausschußberatungen zum HBegleitG 1983 eingefügt worden (vgl BT-Drucks 9/2283 S 97 f); als Erläuterung findet sich im Ausschußbericht (BT-Drucks 9/2290, S 21 f) der Hinweis, durch diese Anfügung solle sichergestellt werden, “daß bei erforderlichen Neufeststellungen von bereits laufenden Renten, weil zB inzwischen weitere Versicherungsjahre nachgewiesen worden sind,” das neue Recht (damals: die neuen verfassungsgemäßen Tabellenwerte) angewendet werde. Soweit es jedoch hierbei zu Verschlechterungen komme, solle der bisherige Rentenzahlbetrag als neu festgestellte Rente weitergezahlt werden.
Zu den den Regelungen des Art 2 § 10c KnVNG entsprechenden Übergangsvorschriften in Art 2 § 12b Abs 3 Satz 3 und Abs 4 Satz 4 Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz ≪AnVNG≫ hat sich der 11. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) im Urteil vom 26. März 1987 (SozR 5750 Art 2 § 12b Nr 2 S 5 ff) geäußert. Er hat als “Neufeststellung” alle Feststellungen, die zu einer Änderung führen, begriffen und dabei ausdrücklich neben Fällen nach § 48 Abs 1 und 2 SGB X (wesentliche Änderung bzw Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung) auch die dem heutigen § 44 SGB X entsprechenden Fälle des früheren § 79 Angestelltenversicherungsgesetz ≪AVG≫ (entsprechend § 1300 Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫ bzw § 93 RKG) einbezogen; nach dieser Vorschrift hatte der Rentenversicherungsträger eine Leistung immer dann “neu festzustellen”, wenn er sich bei erneuter Prüfung überzeugte, daß sie zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt oder zu niedrig festgestellt worden war. Dem 11. Senat hat sich der 4. Senat in den Urteilen vom 9. Juni 1988 (SozR 2200 § 1255a Nr 19, S 54) und vom 28. Juni 1990 (BSGE 67, 104, 108, 122 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2) angeschlossen und Art 2 § 12b Abs 1 und Abs 3 AnVNG dann für anwendbar gehalten, wenn nach den allgemeinen Vorschriften über die Aufhebung von Rentenbescheiden (§§ 44 bis 49 SGB X) eine bindend festgestellte Rente neu festgestellt und die Bestandskraft des Rentenbescheides schon deshalb durchbrochen wird.
Dem folgt auch der erkennende Senat. Der 11. und 4. Senat hatten zwar jeweils nicht über einen Fall des § 44 SGB X, wie vorliegend, zu entscheiden, sondern haben jeweils im Rahmen eines Bescheides nach § 48 Abs 1 SGB X bzw § 45 SGB X über Art 2 § 12b AnVNG die jeweiligen Neuregelungen angewandt. Für ein Verfahren nach § 44 SGB X aber führt diese Auffassung ebenfalls zu einem interessengerechten Ergebnis.
Dies erschließt sich freilich noch nicht aus dem Wortlaut der einschlägigen Vorschriften. Aus diesem könnte eine Pflicht der Verwaltung abgeleitet werden, anläßlich der Korrektur eines Fehlers, der eine zu niedrige Rente zur Folge hatte, die Rente nicht zu erhöhen, sondern in der zur Zeit gezahlten Höhe einzufrieren. Denn Art 2 § 10c Abs 5 Satz 4 RKG enthält (ebenso wie die Abs 1 bis 4 jener Vorschrift) lediglich die Garantie des “bisherigen Zahlbetrags” der Rente. Ein solches Ergebnis wäre widersinnig. Es würde dazu führen, daß ein Versicherter durch die Anwendung des § 44 SGB X schlechter stünde als bisher: Seine Rente würde lediglich in der bisherigen Höhe weitergezahlt und nähme nicht mehr an den Anpassungen teil.
Der erkennende Senat schließt sich jedoch dem 4. Senat auch insoweit an, als dieser den ”bisherigen Zahlbetrag “ iS des Art 2 § 12b AnVNG (= Art 2 § 10c KnVNG) abweichend vom üblichen Wortverständnis definiert hat, nämlich als denjenigen Rentenbetrag, der sich im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Neufeststellung bei richtiger Berechnung der Rente unter Anrechnung der bisherigen (vor Inkrafttreten der von der Übergangsvorschrift des AnVNG bzw KnVNG begleiteten Gesetzesänderung) Werte ergibt (Urteil vom 28. Juni 1990, BSGE 67, 104, 122 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2). Diese Definition ermöglicht nicht nur die sinnvolle Anwendung der Übergangsvorschriften des Art 2 § 12b AnVNG bzw Art 2 § 10c KnVNG auf Verfahren nach § 45 SGB X (wie in dem vom 4. Senat entschiedenen Fall), sondern auch nach § 44 SGB X.
(zu 2) Dies bedeutet, daß der Kläger (sollte die streitige Zeit in der Tat besser einzustufen sein) zunächst nach § 44 Abs 1 SGB X einen Anspruch auf Rücknahme des Rentenbescheides vom 22. Mai 1985 hat, soweit dieser der richtigen Einstufung entgegensteht. Damit verbunden ist ein Anspruch auf Neufeststellung der entsprechend höheren Rente und deren rückwirkende Gewährung ab ihrem Beginn (November 1984), da der Zugunsten-Antrag im Jahre 1988 gestellt wurde (§ 44 Abs 4 SGB X). Diese Rente ist nach dem Rechtszustand vom Mai 1985, unter Geltung von § 54 Abs 7 Satz 2 iVm § 58a RKG aF, zu berechnen, also unter Berücksichtigung der während der Zurechnungszeit entrichteten Beiträge wie Höherversicherungsbeiträge. Auf dieser Grundlage nimmt sie auch – zunächst – an den Rentenanpassungen ab 1985 teil.
(zu 3) Ebenso wie der Erlaß des Rücknahmebescheides nach § 44 Abs 1 SGB X ist jedoch die – hiermit zweckmäßigerweise zu verbindende – bescheidmäßige Neufeststellung der Rente nicht Sache des Gerichts; sie bleibt vielmehr Aufgabe der Beklagten zu dem von ihr zu bestimmenden Zeitpunkt. Damit aber kann das durch das RAG 1985 geänderte Recht nach Art 2 § 10c Abs 5 Satz 4 iVm Satz 1 und 2 KnVNG nicht bereits ab Erteilung des angefochtenen Bescheides vom 6. Januar 1991 angewandt werden; damals hat die Beklagte die Rente nicht neu festgestellt, sondern im Gegenteil eine Neufeststellung abgelehnt.
Vielmehr ist das neue Recht nach der genannten Vorschrift als dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Neufeststellung, dh frühestens mit dem Erlaß des entsprechenden Verwaltungsakts, anzuwenden. Die in diesem Zeitpunkt zustehende Rentenhöhe nach altem Recht ist der (im Urteil vom 28. Juni 1990, BSGE 67, 104, 122 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 definierte) “bisherige Zahlbetrag”. Erst ab dann nimmt die Rente so lange nicht mehr an den Anpassungen teil, bis die dem Kläger nach der Neuregelung des § 53 Abs 3 Satz 4 RKG eigentlich zustehende Rente durch ihre Anpassungen diesen Betrag übersteigt. Beim gegenwärtigen Streitstand besteht kein Anlaß zur Erörterung, inwieweit die am 1. Januar 1992 in Kraft getretenen Neuregelungen des SGB VI dieses auf der Grundlage des zuvor geltenden Rechts gewonnene Ergebnis beeinflussen.
Es ist zugegeben, daß die beschriebene Lösung den Versicherten uU im Ergebnis schlechter stellen kann als er ohne seinen Anspruch nach § 44 SGB X gestanden wäre: Dann nämlich, wenn die Vorteile (Nachzahlung, Anhebung der Rente über den bisherigen Stand) durch die hiermit verbundenen Nachteile aufgezehrt werden. Das Einfrieren bewirkt denknotwendig – zu einem in der Zukunft liegenden Zeitpunkt – das Absinken der Rente unter die Höhe, die sie ohne die Neufeststellung, jedoch unter weiterer Teilnahme an den Rentenanpassungen erreicht hätte. Dem kann der aus § 44 SGB X folgende Anspruch, rechtlich so gestellt zu werden als hätte die Behörde von vornherein richtig entschieden (BSG vom 10. September 1987, BSGE 62, 143, 146 ff = SozR 5750 Art 2 § 28 Nr 5; vgl ferner BSG vom 27. April 1987, SozR 4100 § 134 Nr 36 S 104), nicht entgegengehalten werden: Das geschilderte Ergebnis folgt aus der Spezialregelung des Art 2 § 10c KnVNG, die nach § 37 SGB I Vorrang vor der des § 44 SGB X hat.
Die bisherigen Ausführungen (zu 3) haben allerdings die nach § 96 SGG in das Verfahren einbezogenen Folgebescheide noch nicht berücksichtigt: Nach dem Umwandlungsbescheid vom 15. August 1991 ist dem Kläger ab 1. September 1991 Knappschaftsruhegeld statt der bisherigen Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren. Dieser Bescheid ist auch weiterhin Gegenstand des Verfahrens; der Kläger strebt dessen Änderung zu seinen Gunsten an, auch wenn er im Antrag lediglich noch den – auf jenem Umwandlungsbescheid beruhenden – Bescheid vom 31. Oktober 1991 aufführt.
Aufgrund des neuen Versicherungsfalls des Alters bleibt das Ruhegeld neu, unabhängig von der bisherigen Rente zu berechnen, also, wie geschehen, nunmehr unter Einbeziehung der Neuregelungen durch das RAG 1985. Auch insoweit freilich bestand eine Garantie des “bisherigen monatlichen Rentenzahlbetrages” (§ 53 Abs 5 Satz 2 iVm Abs 3 Satz 5 RKG), der entsprechend den obigen Ausführungen (zu 2) aufgrund der Anhebung der Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit zu erhöhen wäre.
Statt des sich hieraus ergebenden “einzufrierenden” Ruhegeldes stünde dem Kläger jedoch weiterhin die nach den Ausführungen (zu 3) bis zur Neufeststellung dynamisierte Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit zu, wenn er den – im übrigen auf Veranlassung der Beklagten gestellten – für ihn nachteiligen Antrag auf Knappschaftsruhegeld zurücknähme. Dann würde der Umwandlungsbescheid gegenstandslos; ebenso der Bescheid vom 31. Oktober 1991, der die Höhe des – dann weggefallenen – Knappschaftsruhegeldes regelte.
(zu 4) Es kann offenbleiben, ob sich, wie der Kläger meint, aus der “versteckten” schlechteren Bewertung der streitigen Zeiten ein Herstellungsanspruch ergeben könnte. Selbst bei Anwendung dieses Rechtsinstituts könnte er keine weitergehenden Rechtsvorteile herleiten.
Denn auch die aufgrund eines Herstellungsanspruchs vorzunehmende Erhöhung seiner Rente stellt deren “Neufeststellung” iS des Art 2 § 10c Abs 5 KnVNG dar und löst eben jene Rechtsfolgen aus, wie oben (zu 2 und 3) für den Anspruch aus § 44 SGB X näher erläutert.
Bei der nunmehr dem LSG obliegenden Entscheidung wird es zu überprüfen haben, ob die streitige Zeit in der Tat in die Leistungsgruppe C 1a 1 der Anlage 1 zu § 22 FRG einzustufen ist. Hiervon ist das LSG zwar ausgegangen; es fehlen jedoch die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen, aus denen sich ergibt, daß im Falle des Klägers die hierfür geltenden Voraussetzungen erfüllt sind (hierzu das Urteil des Senats vom 6. August 1992, SozR 3-3050 § 22 Nr 2; dort auch zum Leistungszuschlag nach § 59 RKG). Wenn ja, wird es nach den obigen Ausführungen (zu 2) vorzugehen haben. Dabei ist darauf hinzuweisen, daß der Zeitraum von August 1951 bis August 1952 13 Kalendermonate umfaßt (so zu Recht noch der BU-Rentenbescheid vom 27. August 1976, Anlage 1 A Bl 1; anders die Bescheide vom 15. August und 31. Oktober 1991, jeweils Anlagen 9, 11 und 12: 12 Monate).
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen