Verfahrensgang
Hessisches LSG (Urteil vom 29.06.1990) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 29. Juni 1990 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist die Gewährung von Hinterbliebenenrente nach § 1265 Reichsversicherungsordnung (RVO) aus der Versicherung des am 10. Juni 1910 geborenen und am 14. April 1981 verstorbenen Versicherten J. W. (Versicherter).
Die Klägerin (geboren am 13. Juni 1914) und der Versicherte hielten sich vor dem 2. Weltkrieg in Rumänien auf, wo sie am 8. Januar 1934 die Ehe schlossen. Aus der Ehe gingen zwei Töchter hervor (geboren 1935 und 1941). Seit 1943 lebten die Eheleute getrennt. Nach Wehrdienst und Kriegsgefangenschaft (ab 1948) arbeitete der Versicherte in Deutschland und erwarb die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Klägerin blieb bis September 1982 in Rumänien. Dort war sie seit 1934 mit dem Versicherten zur Hälfte Miteigentümerin eines Wohnhauses, das aus drei Zimmern sowie einer Küche und Nebenräumen bestand. Sie bewohnte ein etwa 25 qm großes Zimmer. Die übrigen Räume wurden von ihrer Tochter und deren Familie bewohnt.
Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten wurde durch Urteil des Landgerichts Kassel vom 13. April 1965 (rechtskräftig seit dem 15. Juni 1965) gemäß § 48 Ehegesetz (EheG) wegen mehr als dreijähriger Trennung ohne Schuldausspruch geschieden. Am 17. September 1965 heiratete der Versicherte die Beigeladene (geboren am 26. Mai 1918).
Der Versicherte hatte in den Jahren 1964 und 1965 Einkünfte nur aus seiner Arbeit als Zimmermann, und zwar 1964 in Höhe von 9.418,41 DM und 1965 in Höhe von 10.548,16 DM (jeweils brutto). Ab 1. Juli 1973 bezog er flexibles Altersruhegeld, das ab 1. Januar 1979 1.391,80 DM und ab 1. Januar 1981 1.447,50 DM monatlich betrug.
Das Einkommen der Klägerin aus Erwerbstätigkeit betrug in der Zeit von Januar 1964 bis April 1965 etwa 950 Lei monatlich (netto). Seit 1969 bezog die Klägerin Rente, die von April 1980 bis April 1981 1.112 Lei monatlich betrug.
Der Antrag der Klägerin auf Hinterbliebenenrente wurde von der Beklagten abgelehnt (Bescheid vom 1. Dezember 1982) mit der Begründung, die Voraussetzungen des § 1265 Abs 1 Satz 1 RVO seien nicht erfüllt, weil nur ein geringfügiger Unterhaltsanspruch bestanden habe. Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 24. Mai 1984, Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Kassel vom 21. August 1985, Urteil des Hessischen Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 29. Juni 1990). Das LSG ist zu der Auffassung gelangt, daß die Voraussetzungen des § 1265 Abs 1 Satz 1 RVO nicht erfüllt seien, weil der Versicherte weder nach den Vorschriften des EheG noch aus sonstigen Gründen Unterhalt zu leisten verpflichtet gewesen sei und auch tatsächlich keinen Unterhalt geleistet habe. Der nach den Vorschriften des EheG angemessene Unterhalt sei sowohl im Zeitpunkt der Scheidung als auch im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten durch das eigene Einkommen der Klägerin einschließlich des Nutzungswertes ihrer Wohnung sichergestellt gewesen.
Gegen diese Rechtsauffassung wendet sich die Klägerin mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision. Sie trägt vor, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hätte sie einen Unterhaltsanspruch in Höhe von ca 1/3 des Unterschiedsbetrages zwischen ihrem Einkommen und dem des Versicherten gehabt (Differenzmethode). Hieraus hätte sich im Zeitpunkt der Scheidung ein monatlicher Unterhaltsanspruch in Höhe von 73,40 DM ergeben, der seinerzeit 25% des Regelsatzes der Sozialhilfe erreicht hätte.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils des Hessischen Landessozialgerichts vom 29. Juni 1990 und des Urteils des Sozialgerichts Kassel vom 21. August 1985 sowie des Bescheides vom 1. Dezember 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Mai 1984 die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin gemäß § 1265 RVO Hinterbliebenenrente aus der Versicherung des J.W. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das angefochtene Urteil ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen früheren Ehemannes.
Da der Versicherte nach der Scheidung die Beigeladene geheiratet hat und dieser eine Witwenrente gewährt wird, richtet sich der Rentenanspruch der Klägerin nach § 1265 Abs 1 Satz 1 RVO. Diese Vorschrift ist zwar inzwischen durch das Rentenreformgesetz 1992 vom 18. Dezember 1989 (BGBl I, 2261) aufgehoben und durch § 243 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) ersetzt worden. Sie ist aber gemäß § 300 Abs 2 SGB VI für den vorliegenden Fall weiter anzuwenden, da der Antrag schon vor dem Stichtag (1. April 1992) gestellt worden ist und sich auf einen Anspruch bezieht, der ab einem vor dem 1. Januar 1992 liegenden Zeitpunkt geltend gemacht wird.
§ 1265 Abs 1 Satz 1 RVO setzt voraus, daß der Versicherte der Klägerin im letzten Jahr vor seinem Tod nach den Vorschriften des EheG oder aus sonstigen Gründen Unterhalt zu leisten hatte oder tatsächlich Unterhalt geleistet hat. Diese Voraussetzungen sind nach den vom LSG getroffenen umfangreichen tatsächlichen Feststellungen, die für den Senat nach § 163 SGG bindend sind, nicht erfüllt.
Da die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten nach § 48 EheG ohne Schuldausspruch geschieden worden ist, ergeben sich die Voraussetzungen für einen Unterhaltsanspruch aus § 61 Abs 2 EheG in der bis zum 30. Juni 1977 geltenden Fassung. Hiernach hatte der Versicherte, weil er die Scheidung verlangt hatte, insoweit Unterhalt zu leisten, als dies mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Einkommensverhältnisse der geschiedenen Ehegatten und der nach § 63 EheG unterhaltspflichtigen Verwandten des Berechtigten der Billigkeit entsprach.
Die vom LSG gewählte Methode zur Berechnung des Unterhaltsanspruchs der Klägerin im Zeitpunkt der Scheidung ist nicht zu beanstanden. Es entspricht der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ≪BSG≫ (SozR 3-2200 § 1265 Nr 4 S 17), wenn das LSG den Unterhaltsanspruch nicht nach der sog Differenzmethode, sondern nach der sog Anrechnungsmethode bestimmt. Bei der Differenzmethode wird der Unterschiedsbetrag zwischen den Einkünften des Versicherten und der Klägerin errechnet; ein Unterhaltsanspruch wird in Höhe der Hälfte dieses Betrages angenommen. Bei der Anrechnungsmethode hingegen beträgt der Unterhaltsanspruch ein Drittel bis drei Siebtel des Gesamtnettoeinkommens abzüglich der eigenen Nettoeinkünfte des Unterhaltsberechtigten.
Der vorliegende Fall gibt keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung des BSG abzuweichen und sich der Differenzmethode zuzuwenden, zumal sich der Unterhaltsanspruch der Klägerin, wie bereits ausgeführt, nach Billigkeitsgrundsätzen richtet.
Das LSG hat den Anspruch auf Unterhalt im Zeitpunkt des Todes mit zwei Fünfteln des Gesamteinkommens der Ehegatten zur Zeit der Scheidung, hochgerechnet auf die Verhältnisse im Jahr vor dem Tode des Versicherten, angesetzt. Dies ist auch nicht zu beanstanden. Das BSG hat in seiner bisherigen Rechtsprechung, die das LSG zutreffend zitiert hat, durchweg den Satz von zwei Fünfteln gebilligt. Besondere Umstände, die hier zu einer anderen Beurteilung Anlaß geben, sind nicht ersichtlich. Dagegen spricht insbesondere, daß es sich hier um einen Billigkeitsanspruch handelt und die Klägerin sich in einer Lebens-und Einkommenssituation befand, die ihre Grundbedürfnisse weitgehend abdeckte.
Allerdings kann dem LSG, bezogen auf die Berechnungen des Einkommens des Versicherten in mehrfacher Hinsicht nicht gefolgt werden. Diese Fehler wirken sich jedoch letztlich nicht in der Weise aus, daß sich ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente begründen ließe.
Zum einen hat das LSG zu Unrecht für die Bestimmung des Unterhalts zur Zeit der Scheidung das durchschnittliche Arbeitseinkommen des Versicherten aus den Jahren 1964 und 1965 zugrunde gelegt. Maßgebend sind demgegenüber aber die Einkommensverhältnisse im Zeitpunkt der Scheidung, die im Juni 1965 erfolgt war. Dabei wird der letzte wirtschaftliche Dauerzustand, auf den es hier ankommt, bei normalem beruflichen Werdegang durch die Höhe des zuletzt erzielten Einkommens bestimmt. Durchschnittsberechnungen kommen nur bei schwankendem Einkommen in Betracht. Allenfalls kann noch von dem Durchschnittseinkommen des letzten Jahres ausgegangen werden, wenn – wie hier -nähere Anhaltspunkte über das Einkommen in den einzelnen Monaten nicht zu ermitteln sind.
In dem damit allein maßgeblichen Jahre 1965 hatte der Versicherte ein Bruttoeinkommen von 10.548,60 DM.
Darüber hinaus hat das LSG bei der Berechnung des Nettoentgelts zu Unrecht von diesem Betrag den Gesamtsozialversicherungsbeitrag (Arbeitnehmeranteil und Arbeitgeberanteil) abgezogen. Berücksichtigt man richtigerweise nur den Arbeitnehmeranteil, so ergeben sich lediglich Abzüge an Lohnsteuer in Höhe von 1.014,– DM und an Kirchensteuer von 101,40 DM sowie Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von 527,43 DM, Rentenversicherungsbeiträge in Höhe von 738,40 DM und Arbeitslosenversicherungsbeiträge in Höhe von 68,57 DM. Zieht man diese Beträge von dem Bruttoeinkommen ab, so verbleibt ein Nettoeinkommen von 8.098,80 DM = monatlich 674,90 DM. Es ist also letztlich von einem monatlichen Nettoverdienst von 674,90 DM auszugehen und nicht – wie das LSG angenommen hat – von einem Nettoeinkommen von 519,60 DM.
Daraus errechnet sich dann unter Einbeziehung des vom LSG festgestellten monatlichen Einkommens der Klägerin zur Zeit der Scheidung von 1.045 Lei = 348,33 DM ein Gesamtnettoeinkommen der Eheleute von monatlich 1.023,23 DM (674,90 + 348,33). Zwei Fünftel hiervon sind 409,29 DM = 1.227,87 Lei. Zieht man hiervon das eigene Einkommen der Klägerin in Höhe von 1.045 Lei ab, so verbleibt ein Rest von 182,87 Lei (= 60,96 DM).
Hochgerechnet auf den Zeitpunkt des Todes mit dem vom LSG festgestellten Wertfaktor 14,3% ergibt sich daraus für diesen Zeitpunkt ein Unterhaltsbedarf von 1.403,46 Lei (zwei Fünftel = 1.227,87 Lei + 14,3%). Zieht man hiervon wiederum das vom LSG festgestellte eigene Einkommen der Klägerin zur Zeit der Scheidung in Höhe von 1.223,38 Lei ab, so verbleibt ein nicht gedeckter Rest von 180,08 Lei.
Dieser Restbetrag begründete aber ebenfalls keinen Unterhaltsanspruch der Klägerin, denn die Lebensverhältnisse des Versicherten hatten sich durch Ausscheiden aus dem Erwerbsleben und Wiederverheiratung wesentlich verändert. Er hatte vor seinem Tode (April 1981) ein Renteneinkommen von monatlich 1.447,50 DM (letzter wirtschaftlicher Dauerzustand) und war der nicht erwerbstätigen Beigeladenen gegenüber unterhaltspflichtig. Nach den vom LSG herangezogenen unterhaltsrechtlichen Leitlinien des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt/Kassel in NJW 1981, 2236 lag der Mindestbedarf des Unterhaltspflichtigen bei monatlich 750,– DM, der angemessene Unterhalt bei 1.100,– DM. Somit standen für den Unterhalt der Beigeladenen und der Klägerin noch 697,50 DM zur Verfügung. Berücksichtigt man, daß der zur Zeit des Todes des Versicherten fast 63jährigen Beigeladenen die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht mehr zugemutet werden konnte (vgl dazu Brühl/Göppinger/Mutschler, Unterhaltsrecht, 3. Aufl, 1. Teil RdNr 560 mwN) und daß der Mindestbedarf der Beigeladenen bei 600,– DM lag (siehe Sätze des OLG Frankfurt/Kassel NJW 1981, 2236 unter II,2: 750 – 20% = 600), die Klägerin aber demgegenüber ihren Unterhalt in einem weit über das Sozialhilfeniveau hinausgehenden Umfang aus den eigenen Einkünften bestreiten konnte, kommt unter Billigkeitsgesichtspunkten – wenn überhaupt – nur ein geringfügiger Unterhaltsanspruch in Betracht, der als Grundlage für eine Hinterbliebenenrente nicht ausreicht.
Es bestand auch kein Unterhaltsanspruch aus sonstigem Grund, weil die Klägerin und der Versicherte nach den Feststellungen des LSG keine Unterhaltsvereinbarung getroffen hatten und auch ein Unterhaltstitel nicht vorlag.
Dem LSG ist ferner darin zu folgen, daß der Versicherte der Klägerin auch tatsächlich keinen Unterhalt geleistet hat. Auf die Gründe des LSG-Urteils wird verwiesen.
Nach allem war die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen