Leitsatz (amtlich)
Zur Auslegung des UVNG Art 4 § 2 Abs 5.
Normenkette
UVNG Art. 4 § 2 Abs. 5 S. 1 Fassung: 1963-04-30, § 2 S. 3 Fassung: 1963-04-30; RVO § 575 Abs. 2 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. September 1965 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin ist die Witwe des Baumeisters E G. Dieser ist einem Arbeitsunfall erlegen, der ihm im Jahre 1944 zugestoßen ist. Die Klägerin erhält Hinterbliebenenrente von der beklagten Berufsgenossenschaft. Der Rente liegt der nach den Gesetzen zur vorläufigen Neuregelung von Geldleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung - Neuregelungsgesetze UV - (vom 27. Juli 1957 - BGBl I 1071 - und vom 29. Dezember 1960 - BGBl I 1085 -) berechnete Jahresarbeitsverdienst (JAV) von 16.992.- DM zugrunde. Dieser Betrag errechnet sich aus der Vervielfältigung des im Zeitpunkt des Unfalls geltenden Höchst-JAV von 7.200.- RM mit den für das Unfalljahr ermittelten Umstellungsfaktoren.
Die Klägerin begehrt auf Grund des Art. 4 § 2 Abs. 5 des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) vom 30. April 1963 (BGBl I 241) eine Neuberechnung des JAV. Sie ist der Ansicht, ihre Rente müsse nunmehr nach einem JAV umgestellt werden, der sich aus der Vervielfältigung des von ihrem Ehemann im Jahre vor dem Unfall tatsächlich erzielten Arbeitsverdienstes von 12.161.- RM ergebe. Die Beklagte lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 7. Januar 1964 mit folgender Begründung ab: Der für die Rentenberechnung maßgebende Höchst-JAV von 7.200.- DM werde durch die Übergangsregelung des Art. 4 § 2 Abs. 5 UVNG nicht berührt; durch diese sei lediglich die für die Umrechnung des JAV in § 2 Abs. 3 der Neuregelungsgesetze UV festgesetzte Höchstgrenze aufgehoben worden. Nur wenn sich wegen dieser Höchstgrenze die Umrechnung des JAV nicht hätte voll auswirken können, könnte eine Neufeststellung des JAV auf Grund des Art. 4 § 2 Abs. 5 UVNG in Betracht kommen. Ein solcher Fall liege hier aber nicht vor.
Die Klage ist durch Urteil des Sozialgerichts Münster vom 28. September 1964 abgewiesen worden. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin durch Urteil vom 14. September 1965 zurückgewiesen. Zur Begründung ist dem wesentlichen Inhalt nach ausgeführt: Das Gesetz biete keine Handhabe dafür, den der Rente der Klägerin zugrunde liegenden JAV von 16.992.- DM zu erhöhen. Die Festsetzung des Höchst-JAV auf 36.000.- DM durch § 575 Abs. 2 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO), die nach Art. 4 § 2 Abs. 5 UVNG auch für den zur Gewährung der Hinterbliebenenrente der Klägerin führenden Arbeitsunfall aus dem Jahre 1944 gelte, lasse die bisherige Feststellung des JAV für diese Rente unberührt. Die Übergangsvorschrift des Art. 4 § 2 Abs. 5 UVNG betreffe nur solche Renten, bei denen die auf Grund der Neuregelungsgesetze UV durchgeführte Vervielfältigung des JAV nicht mit dem vollen Betrag hätte berücksichtigt werden können, weil dieser den durch § 2 Abs. 3 der Neuregelungsgesetze UV bestimmten Grenzbetrag überschritten hätte. Nur durch diese Begrenzung entstandene Unbilligkeiten hätten durch Art. 4 § 2 Abs. 5 UVNG beseitigt werden sollen. Renten hingegen, bei denen sich die Vergünstigungen der Neuregelungsgesetze UV hätten voll auswirken können, seien einer weiteren Verbesserung nicht zugänglich. Zu diesen Renten gehöre auch die Hinterbliebenenleistung der Beklagten an die Klägerin. Die Vervielfältigung des der Rente der Klägerin zugrunde liegenden JAV sei beim Inkrafttreten des ersten wie des zweiten Neuregelungsgesetzes UV hinter dem damals geltenden satzungsmäßigen Höchst-JAV von 20.000.- DM zurückgeblieben.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Das Urteil ist der Klägerin am 30. September 1965 zugestellt worden. Sie hat gegen das Urteil am 1. November 1965 Revision eingelegt und sie am 1. Dezember 1965 begründet.
Die Klägerin beantragt,
unter Änderung des angefochtenen Urteils dem Klagantrag erster Instanz stattzugeben, nämlich den Bescheid der Beklagten vom 7. Januar 1964 aufzuheben und die Beklagte anzuweisen, gemäß den Anträgen der Klägerin vom 29. April 1963 und 25. Mai 1963 den JAV für die Berechnung ihrer Rente gemäß Art. 4 § 2 Abs. 5 UVNG festzustellen und die Rente dementsprechend zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
II
Die Revision ist zulässig. Sie hatte aber keinen Erfolg.
Das LSG hat zu Recht die Zulässigkeit der Berufung bejaht Der Bescheid der Beklagten vom 7. Januar 1964, durch den die Neufeststellung der Witwenrente abgelehnt worden ist, betrifft keine Dauerrente im Sinne des § 145 Nr. 4 SGG; eine Dauerrente kann nur eine Verletztenrente, nicht aber eine Hinterbliebenenrente sein. Die Vorschrift des § 145 Nr. 4 SGG kann auch nicht sinngemäß auf die Hinterbliebenenrente angewandt werden (SozR Nr. 13 zu § 145 SGG).
Die Rechtsauffassung des LSG, eine Erhöhung des JAV, welcher der nach den beiden Neuregelungsgesetzen UV vom 27. Juli 1957 und vom 29. Dezember 1960 umgestellten Rente der Klägerin zugrunde liegt, sei nicht aus Art. 4 § 2 Abs. 5 UVNG herzuleiten, trifft zu. Die entgegenstehende Ansicht der Revision, diese Übergangsvorschrift des UVNG ermögliche für die Rente der Klägerin vom 1. Juli 1963 an eine Neuberechnung des JAV von Grund auf, trifft nicht zu; Art. 4 § 2 Abs. 5 UVNG bietet keine Handhabe dafür, den JAV nunmehr in der Weise neu zu berechnen, daß der vom Ehemann der Klägerin im Jahre vor dem Unfall tatsächlich erzielte, aber wegen der bisherigen Begrenzung auf 7.200.- DM nicht voll berücksichtigte Arbeitsverdienst nach den beiden Neuregelungsgesetzen UV vervielfältigt wird.
In einem Anwendungsfall des Art. 4 § 2 Abs. 5 Satz 1 UVNG, der gegeben ist, wenn es sich um einen vor dem 1. Juli 1963 eingetretenen Arbeitsunfall handelt und wegen des rechtzeitig gestellten Antrages des Berechtigten die neue Höchstgrenze des JAV von 36.000.- DM gilt, haben die unter diesem neuen Höchst-JAV liegenden früheren Begrenzungen des JAV grundsätzlich ihre Wirkung verloren. Das hat zur Folge, daß nunmehr vom 1. Juli 1963 an (Art. 4 § 16 Abs. 1 UVNG) im allgemeinen der Rente der vom Versicherten im Jahre vor dem Unfall tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt als JAV zugrunde zu legen ist, wenn dieser bei der ersten Rentenfeststellung nicht in seinem vollen Betrag berücksichtigt werden konnte, weil er den damals geltenden Höchst-JAV überschritt. Ohne weiteres kommt hiernach eine dem Berechtigten günstigere Neuberechnung des JAV nach dem UVNG unter Zugrundelegung des tatsächlich erzielten Arbeitsverdienstes in Betracht bei Arbeitsunfällen, die nach dem Stichtag (31. Dezember 1960) des Zweiten Neuregelungsgesetzes UV eingetreten sind, und bei vor dem 1. Januar 1961 liegenden Arbeitsunfällen, wenn der tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt den auf Grund der Neuregelungsgesetze ermittelten Vervielfältigungsbetrag noch übersteigt. Beides trifft im vorliegenden Streitfall jedoch nicht zu. Die Klägerin erhält ihre Rente nach einem vervielfältigten JAV (16.992.- DM), der höher ist als der tatsächlich erzielte Arbeitsverdienst ihres Ehemannes im Jahre vor seinem tödlichen Unfall im Mai 1944 (rd. 12.000.- RM). Ein über den Betrag von 16.992.- DM hinausgehender JAV steht der Klägerin nicht zu. Er hat, wie die Vorinstanzen im Ergebnis zutreffend ausgeführt haben, keine gesetzliche Grundlage in dem - auch nach Ansicht der Revision - für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits allein in Betracht kommenden Art. 4 § 2 Abs. 5 UVNG. Die Revision verkennt die Reichweite dieser Vorschrift; sie mißt der in Satz 3 des Art. 4 § 2 Abs. 5 UVNG enthaltenen Übergangsregelung, auf die sie erkennbar hinweist, eine Bedeutung bei, die ihr schon dem Wortlaut der Vorschrift nach nicht zukommt. In dem angeführten Satz 3 heißt es, daß bei einer Neufeststellung des JAV die Vorschriften des § 2 Abs. 3 des Neuregelungsgesetzes UV vom 27. Juli 1957 und des § 2 Abs. 3 des Zweiten Neuregelungsgesetzes UV keine Anwendung finden. Damit hat der Gesetzgeber eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß bei einer Neufeststellung des JAV im Rahmen des Art. 4 § 2 Abs. 5 UVNG nur die Begrenzung des auf Grund der Neuregelungsgesetze UV bereits vervielfältigten JAV nicht zu berücksichtigen sei. Satz 3 kann nach seiner unmißverständlichen Fassung nicht dahin verstanden werden, daß nunmehr für die Rentenberechnung vom 1. Juli 1963 an im Nachholungswege ein anderer JAV, nämlich der im Jahre vor dem Unfall tatsächlich erzielte und den bisher berücksichtigten Höchst-JAV übersteigende Arbeitsverdienst des Versicherten mit den nach § 2 Abs. 1 der beiden Neuregelungsgesetze UV für die Unfallzeit bestimmten Umstellungsfaktoren zu vervielfältigen sei. Dem Willen des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Neuregelung in Art. 4 § 2 Abs. 5 UVNG ergibt, entspricht es vielmehr allein, diese Vorschrift in der Weise anzuwenden, daß nur ein Ausgleich in den Fällen ermöglicht werden soll, in denen der vervielfältigte JAV wegen der damals geltenden Höchstgrenze (9.000.- DM; es sei denn, daß die Satzung einen höheren JAV festgestellt hatte) nicht voll zum Zuge kommen konnte. Die hiervon abweichende Auffassung der Klägerin ist auch nicht etwa, wie die Revision anzunehmen scheint, aus Satz 1 im Zusammenhang mit Satz 3 des Art. 4 § 2 Abs. 5 UVNG herzuleiten. In Satz 1 ist lediglich geregelt, daß auf Antrag des Berechtigten der neu eingeführte JAV-Höchstbetrag von 36.000.- DM auch für alte Arbeitsunfälle gilt. Dadurch ist zwar rückwirkend für den der Rentengewährung vom 1. Juli 1963 an zugrunde zu legenden tatsächlichen JAV der Höhe nach ein größerer Spielraum gegeben; eine Grundlage für die von der Klägerin begehrte neue Berechnung des JAV ist jedoch auch in dieser Regelung nicht zu finden. Auf keinen Fall kann aus ihr geschlossen werden, durch sie habe der Weg für eine erneute Umstellung der Rente unter Wiederholung der Vervielfältigung des JAV unter Ansatz des höheren, im Jahre vor dem Unfall vom Versicherten tatsächlich erzielten Arbeitsentgelts eröffnet werden sollen. Eine solche Auslegung wäre weder mit dem Wortlaut der Neuregelung vereinbar noch aus deren Sinnzusammenhang herzuleiten. Auch aus dem schriftlichen Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik des Deutschen Bundestages, 4. WP., Drucks. IV/938 (neu) S. 33 zu Art. 3 § 2 Abs. 3 des Entwurfes eines UVNG ergibt sich nichts für eine solche Auslegung, und im Schrifttum findet sich ebenfalls keine von dem vorstehenden Auslegungsergebnis zu Art. 4 § 2 Abs. 5 UVNG abweichende Stellungnahme (vgl. Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl., 1963, S. 439, 440 Anm. 9 zu § 575 RVO; Haase/Koch, Komm. zum UVNG, S. 294 Anm. 5 zu Art. 4 § 2; Gotzen/Doetsch, Komm. zum UVNG, S. 333 Anm. zu Art. 4 § 2; Jäger in SozVers 1964, 23, 24).
Im vorliegenden Streitfall erreicht, wie von keiner Seite in Zweifel gezogen wird, die Neuberechnung des JAV nach den beiden Neuregelungsgesetzen UV nicht den auf Grund der Satzung der Beklagten seit dem 1. Januar 1954 geltenden Höchstbetrag von 20.000.- DM. Die Umstellung der Rente der Klägerin konnte sich also nach beiden Neuregelungsgesetzen UV, nämlich mit 14.400.- DM im Jahre 1957 und mit 16.992.- DM im Jahre 1960, voll auswirken. Das Klagebegehren ist somit auf Grund der vorstehend dargelegten Rechtslage unbegründet. Die Revision der Klägerin mußte daher zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen