Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertreibungsbedingte Gründe
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Vertreibung Verfolgter vor dem 1.10.1953.
Orientierungssatz
Es kommt darauf an, ob vertreibungsbedingte Gründe nach Bedeutung und Tragweite das Verlassen des Vertreibungsgebiets zumindest wesentlich mitverursacht haben. Dies zu beurteilen setzt voraus, die Vielfalt der Ursachen zu berücksichtigen, die zum Verlassen des Vertreibungsgebietes beigetragen haben können. Haben mehrere Bedingungen in annähernd gleichem Maße auf den Erfolg hingewirkt, so ist jede von ihnen (Mit-)Ursache im Rechtssinne. Alle übrigen Bedingungen scheiden dann als Ursachen im Rechtssinne aus. Jedes in diesem Sinn wesentlich auf Vertreibungsgründe beruhende Verlassen des Vertreibungsgebietes ist Vertreibung.
Bei der Anwendung dieser Grundsätze ist die besondere Situation der Verfolgten zu berücksichtigen. Sie waren in aller Regel durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen um ihre Existenzgrundlage gebracht worden und standen deshalb nach dem Ende der Verfolgungszeit fast ausnahmslos vor der Aufgabe, sich eine neue Lebensgrundlage aufbauen zu müssen. Die Bewältigung dieser Aufgabe war unter den Verhältnissen der ersten Nachkriegszeit in all den Ländern, die von den Kriegsereignissen betroffen worden waren, von erheblicher Schwierigkeit. Wenn jedoch ein Verfolgter nach dem Aufbau einer neuen Existenz in seinem Heimatland dieses Gebiet verließ und damit seine wirtschaftliche Position erneut aufgab, um in einem anderen Land nochmals den Versuch einer Existenzgründung zu unternehmen, so sind dafür in aller Regel gravierende Umstände maßgebend gewesen. Es entspricht der Lebenserfahrung, davon auszugehen, daß eine ganze Reihe gewichtiger Gründe zusammenkommen muß, ehe ein solch schwerwiegender Entschluß gefaßt wird.
Normenkette
WGSVG § 19 Fassung: 1977-06-27, § 20 Fassung: 1977-06-27; FRG § 1 Buchst a Fassung: 1960-02-25
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 16.04.1982; Aktenzeichen L 18 J 81/81) |
SG Düsseldorf (Entscheidung vom 20.03.1981; Aktenzeichen S 7 (14) J 168/78) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit unter Anrechnung der von der Klägerin in Jugoslawien zurückgelegten Beitrags- bzw Ersatzzeiten.
Die am 16. August 1927 in S./Jugoslawien geborene Klägerin gehört zum Personenkreis der aus rassischen Gründen Verfolgten iS des § 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG) idF vom 29. Juni 1956 (BGBl I, 562). Sie ist vom Bezirksamt für Wiedergutmachung K. als Verfolgte anerkannt und wegen Schadens an Freiheit gem § 160 BEG entschädigt worden. Eine Entscheidung über die Zugehörigkeit der Klägerin zum deutschen Sprach- und Kulturkreis hat die Entschädigungsbehörde nicht getroffen. In einer eidesstattlichen Erklärung vom 21. Januar 1960 hatte die Klägerin als Grund für das Verlassen ihres Heimatlandes Ende 1948 angegeben, sie habe befürchtet, verfolgt zu werden, weil sie aus einer bürgerlichen Familie stamme und antikommunistisch eingestellt sei. Seit dem 20. Dezember 1948 lebt die Klägerin in Israel.
Den Rentenantrag der Klägerin vom 22. Juli 1976 lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 23. Dezember 1977 ab, weil die Klägerin weder zum Personenkreis des § 1 Fremdrentengesetz (FRG) vom 25. Februar 1960 (BGBl I, 93) gehöre, noch die geltend gemachten ausländischen Versicherungszeiten aufgrund der Vorschrift des § 20 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) vom 22. Dezember 1970 (BGBl I, 1846) anrechenbar seien. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente seien daher nicht erfüllt.
Widerspruch und Klage gegen diesen Bescheid blieben erfolglos.
Das Landessozialgericht (LSG) hat in seinem die Berufung zurückweisenden Urteil vom 16. April 1982 offengelassen, ob die Klägerin im Zeitpunkt ihrer Auswanderung nach Israel im Dezember 1948 dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört hat. Es hat die persönlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der Klägerin als Vertriebene im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) idF vom 3. September 1971 (BGBl I, 1566, berichtigt S 1807) verneint und ausgeführt: Die Klägerin habe Jugoslawien nach Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen, die 1947 beendet gewesen seien, verlassen; für die Vertriebenenanerkennung komme daher allein der Tatbestand des § 1 Abs 2 Nr 3 BVFG in Betracht. Nach der Rechtsprechung des 11. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem Urteil vom 5. November 1980 (11 RA 74/79 = SozR 5070 § 20 WGSVG Nr 3) erfordere § 20 WGSVG iVm § 1 Abs 2 Nr 3 BVFG grundsätzlich einen Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis und der Aussiedlung. Dieser Zusammenhang sei bei der Klägerin nicht gegeben; nach ihrer am 21. Januar 1960 im Entschädigungsverfahren abgegebenen eidesstattlichen Erklärung habe sie Jugoslawien wegen ihrer antikommunistischen Einstellung und der deshalb befürchteten Verfolgung verlassen. Gegenteilige Behauptungen im Rentenantragsverfahren seien als Schutzbehauptungen unbeachtlich. Zu keiner anderen Beurteilung führe die Mitberücksichtigung der Prinzipien des Entschädigungsrechts; allein die Tatsache, daß § 20 WGSVG zu den Wiedergutmachungsvorschriften gehöre, zwinge nicht dazu, entsprechend der Regelung des § 150 BEG idF des Bundesentschädigungs-Schlußgesetzes (BEG-SchlußG) vom 14. September 1965 (BGBl I, 1315) bei Aussiedlungen vor dem 1. Oktober 1953 einen Zusammenhang mit dem Deutschtum auch in den Fällen zu vermuten, in denen feststehe, daß die Auswanderung aus anderen Gründen erfolgt sei. Bei der Verabschiedung des WGSVG im Jahre 1970 sei dem Gesetzgeber die Lösung vom Vertriebenenbegriff in der Neufassung des § 150 BEG bekannt gewesen; § 20 WGSVG hingegen nehme weiterhin auf das BVFG und den darin verwendeten Vertriebenenbegriff Bezug. Die Voraussetzungen des § 20 WGSVG erfülle die Klägerin nicht; nach dem FRG anrechenbare Beitrags- oder Ersatzzeiten lägen nicht vor.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere die unrichtige Auslegung des § 20 WGSVG iVm §§ 138, 150 BEG. Sie ist der Ansicht, die Neufassung des § 150 BEG nach dem BEG-SchlußG führe dazu, daß es auf die Motive für das Verlassen des Vertreibungsgebiets nicht mehr ankomme, sofern sich dieses Ereignis vor dem Stichtag - dem 1. Oktober 1953 - abgespielt habe. Diese Auffassung decke sich mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum Vertriebenenbegriff, danach sei für die Anerkennung als Vertriebener ein Zusammenhang zwischen der deutschen Volkszugehörigkeit und der Auswanderung aus den Vertreibungsgebieten nicht erforderlich (Urteil des BVerwG vom 27. Mai 1970 in RzW 1972, S 158 ff). Auch wenn das BVerwG in der späteren Rechtsprechung seine Auffassung modifiziert habe, müsse sich die Auslegung des § 20 WGSVG an der ständigen Rechtsprechung des BVerwG bis zur Verabschiedung des WGSVG im Dezember 1970 orientieren. Ergänzend beruft sich die Klägerin auf das Urteil des 12. Senats des BSG vom 16. Februar 1982 - 12 RK 56/80 -, welches ihre Auffassung stütze.
Die Klägerin beantragt, die Urteile des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16. April 1982 und des Sozialgerichts Düsseldorf vom 20. März 1981 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. Dezember 1977 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. September 1978 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, unter Anrechnung der von ihr in Jugoslawien zurückgelegten Beitrags- und Ersatzzeiten zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Urteile für zutreffend. Auf die Darlegungs- und Beweislast bei Auswanderungen vor dem 1. Oktober 1953 könne auch im Hinblick auf die Regelung des § 150 BEG nF nicht verzichtet werden. Eine unwiderlegbare Vermutung für einen solchen Zusammenhang zwischen Auswanderung und Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis bestehe ebenfalls nicht. Im Gegensatz zu der Regelung des § 150 BEG nF habe der Gesetzgeber in § 20 WGSVG am Vertriebenenbegriff festgehalten. Fraglich könne nur sein, welche Intensität der Vertreibungsdruck haben müsse, um als ursächlich für eine Auswanderung angesehen werden zu können, und wie der Vertreibungsdruck im einzelnen nachgewiesen oder glaubhaft gemacht werde.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist iS der Zurückverweisung begründet. Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben. Zu einer abschließenden Entscheidung fehlen aber die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen.
Die Erfüllung der Wartezeit zur Begründung eines Rentenanspruchs der Klägerin hängt von der Anrechenbarkeit der von ihr in Jugoslawien zurückgelegten Versicherungszeiten ab.
Die Anrechenbarkeit dieser Versicherungszeiten nach dem FRG ist zunächst nach § 1 dieses Gesetzes zu beurteilen. Gemäß § 1 Buchst a FRG findet das Gesetz Anwendung auf Vertriebene iS des § 1 BVFG, die als solche im Geltungsbereich dieses Gesetzes anerkannt sind. Nach der Legaldefinition des § 1 Abs 1 BVFG ist Vertriebener und damit im Sinne des Gesetzes Begünstigter, wer als deutscher Staatsangehöriger oder deutscher Volkszugehöriger seinen Wohnsitz in den Vertreibungsgebieten im Zusammenhang mit den Ereignissen des zweiten Weltkriegs infolge Vertreibung, insbesondere durch Ausweisung oder Flucht, verloren hat. Die deutsche Volkszugehörigkeit hängt gem § 6 BVFG vom Bekenntnis zum deutschen Volkstum in der Heimat des Vertriebenen ab. Ist ein Anerkennungsverfahren - wie im vorliegenden Fall - nicht durchgeführt worden, so werden gem § 20 WGSVG den anerkannten Vertriebenen solche vertriebene Verfolgte gleichgestellt, die lediglich deshalb als Vertriebene nicht anerkannt sind oder anerkannt werden können, weil sie sich nicht ausdrücklich zum deutschen Volkstum bekannt haben. Hinsichtlich dieser geforderten deutschen Volkszugehörigkeit genügt es in entsprechender Anwendung des § 19 Abs 2 Buchst a zweiter Halbs WGSVG, wenn der Verfolgte dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört und deswegen das Vertreibungsgebiet verlassen hat: Derjenige, der sich auf § 20 WGSVG beruft, muß sowohl Verfolgter als auch Vertriebener sein (vgl Urteil des BSG vom 20. Oktober 1977 - 11 RA 88/76 - in SozR 5070 § 20 WGSVG Nr 2). Daß die Klägerin eine Verfolgte iS von § 1 BEG ist, ergibt sich aus den Feststellungen der Entschädigungsbehörde. Die Frage, ob sie auch "vertriebene" Verfolgte iS der §§ 19, 20 WGSVG ist, kann nach den bisherigen Tatsachenfeststellungen noch nicht beantwortet werden.
Das LSG hat die Zugehörigkeit der Klägerin zum deutschen Sprach- und Kulturkreis offengelassen, weil es an dem nach § 1 Abs 2 Nr 3 BVFG erforderlichen Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zu diesem Kreis und der Aussiedlung fehle. Das schließt das Berufungsgericht allein aus der von der Klägerin gegenüber der Entschädigungsbehörde abgegebenen Erklärung vom 21. Januar 1960. Dieser Auffassung vermag der Senat nicht zu folgen; sie ist zu eng und läßt die besondere Situation der Verfolgten des Nationalsozialismus außer Betracht.
In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BVerwG (vgl Urteil vom 11. Februar 1983 - BVerwG 8 C 178.81 - in Buchholz 412.3 § 1 BVFG Nr 29) ist der Senat der Auffassung, daß es darauf ankommt, ob vertreibungsbedingte Gründe nach Bedeutung und Tragweite das Verlassen des Vertreibungsgebiets zumindest wesentlich mitverursacht haben. Dies zu beurteilen setzt voraus, die Vielfalt der Ursachen zu berücksichtigen, die zum Verlassen des Vertreibungsgebietes beigetragen haben können. Haben mehrere Bedingungen in annähernd gleichem Maße auf den Erfolg hingewirkt, so ist jede von ihnen (Mit-)Ursache im Rechtssinne. Alle übrigen Bedingungen scheiden dann als Ursachen im Rechtssinne aus. Jedes in diesem Sinn wesentlich auf Vertreibungsgründen beruhende Verlassen des Vertreibungsgebietes ist Vertreibung.
Bei der Anwendung dieser Grundsätze ist die besondere Situation der Verfolgten zu berücksichtigen. Sie waren in aller Regel durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen um ihre Existenzgrundlage gebracht worden und standen deshalb nach dem Ende der Verfolgungszeit fast ausnahmslos vor der Aufgabe, sich eine neue Lebensgrundlage aufbauen zu müssen. Die Bewältigung dieser Aufgabe war unter den Verhältnissen der ersten Nachkriegszeit in all den Ländern, die von den Kriegsereignissen betroffen worden waren, von erheblicher Schwierigkeit. Wenn jedoch ein Verfolgter nach dem Aufbau einer neuen Existenz in seinem Heimatland dieses Gebiet verließ und damit seine wirtschaftliche Position erneut aufgab, um in einem anderen Land nochmals den Versuch einer Existenzgründung zu unternehmen, so sind dafür in aller Regel gravierende Umstände maßgebend gewesen. Es entspricht der Lebenserfahrung, davon auszugehen, daß eine ganze Reihe gewichtiger Gründe zusammenkommen muß, ehe ein solch schwerwiegender Entschluß gefaßt wird.
Von dieser Sachlage ist bei der rechtlichen Beurteilung auszugehen. Die Auffassung des LSG ist deshalb bereits vom rechtlichen Ansatz her verfehlt, denn es prüft die Frage, ob die Klägerin das Vertreibungsgebiet aus Gründen verlassen hat, die mit ihrer Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis in Zusammenhang stehen, nicht komplex, sondern berücksichtigt dabei lediglich eine einzige Erklärung der Klägerin, die sie zudem in einem Entschädigungsverfahren unter bestimmten rechtlichen Aspekten abgegeben hat. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß bei der Prüfung des Vertreibungstatbestandes auch Erklärungen der Klägerin Beachtung finden können, doch ist es unerläßlich, dabei den Zusammenhang zu berücksichtigen, in dem sie abgegeben worden sind. Weiterhin ist aber bei der Frage zu beachten, daß für die Klägerin, da sie das Vertreibungsgebiet bereits vor dem 1. Oktober 1953 endgültig verlassen hat, die Vermutung streitet, daß dieses Verlassen des Heimatgebietes in kausalem Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis steht.
Allerdings enthält § 20 WGSVG keine Stichtagsregelung. Diese findet sich lediglich in § 150 Abs 2 BEG idF des BEG-SchlußG vom 14. September 1965 (BGBl I, 1315). Diese Vorschrift hat die Entschädigungsberechtigung von der Vertriebeneneigenschaft dergestalt gelöst, daß nunmehr genügt, wenn Verfolgte die Vertreibungsgebiete des § 1 Abs 2 Nr 3 BVFG als Angehörige des deutschen Sprach- und Kulturkreises verlassen haben, wobei diese Vergünstigung auf Auswanderungen vor dem 1. Oktober 1953 begrenzt worden ist. Aufschlußreich sind insoweit die Erwägungen des Gesetzgebers bei der Änderung des § 150 BEG durch das BEG-SchlußG (vgl BT-Drucks IV/3423 S 13, 14), wonach wegen der in der Verwaltungspraxis und Rechtsprechung zu § 150 BEG entstandenen Schwierigkeiten in der Abgrenzung des Begriffs des Aussiedlers nach § 1 Abs 2 Nr 3 BEG sowie des Begriffes der deutschen Volkszugehörigkeit bei der Neuregelung des § 150 BEG in dessen Abs 1 eine Loslösung vom Vertriebenenbegriff vorgesehen worden sei. Dieser Grundgedanke, Aufklärungsschwierigkeiten durch eine Beweiserleichterung abzufangen, und (wohl auch) unbillige Zufallsergebnisse möglichst auszuschalten, hat auch für § 20 WGSVG seine Berechtigung. Deshalb erscheint es sachgerecht, die Stichtagsregelung des § 150 Abs 2 BEG auch bei der Anwendung des § 20 WGSVG zu beachten, zumal diese Vorschrift zu den Wiedergutmachungsgesetzen gehört und zu ihrer Auslegung deshalb auf die dem Entschädigungsrecht zugrundeliegenden allgemeinen Gedanken zurückzugreifen ist (vgl § 138 BEG; BSGE 10, 113, 116). Daraus folgt, daß bei Auswanderungen vor dem 1. Oktober 1953 die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis als wesentliche Ursache für das Verlassen des Vertreibungsgebiets zu vermuten ist, es sei denn, es bestehen ausnahmsweise evident eindeutige Anhaltspunkte dafür, daß das Vertreibungsgebiet maßgeblich aus anderen Gründen verlassen wurde (vgl BVerwG Buchholz 412.3 § 1 BVFG Nrn 20 und 25). Diese Ansicht liegt auch dem Urteil des 11. Senats des BSG vom 20. Oktober 1977 (11 RA 88/76 = SozR 5070 § 20 WGSVG Nr 2) zugrunde. Der 12. Senat geht im Urteil vom 16. Februar 1982 (12 RK 56/80 = SozR 5070 § 20 WGSVG Nr 4) sogar von einer unwiderlegbaren Vermutung aus. Indes erscheint die Annahme einer generellen unwiderlegbaren Vermutung dem Senat - auch im Hinblick auf die Rechtsprechung des BVerwG - bedenklich, ohne daß es jedoch einer Entscheidung hierzu im vorliegenden Fall bedarf (vgl zur Frage der Vermutung noch Urteile des 5. Senats vom 8. September 1983 - 5b RJ 8/83 - und - 5b RJ 48/83 -).
Das Berufungsgericht muß nunmehr die zur Entscheidung erforderlichen Feststellungen treffen.
Hierzu wird das LSG zunächst alle Gründe (komplex) zu ermitteln haben, die dazu beigetragen haben, die Klägerin zum Verlassen ihres Heimatlandes zu bewegen. In diesem Zusammenhang wird es die beschriebene Vermutung berücksichtigen müssen. Weiter wird es nunmehr jedoch besondere Aufmerksamkeit der bisher offengelassenen Frage zu widmen haben, ob die Klägerin dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört hat.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen