Leitsatz (amtlich)
Ein Landwirt und Winzer, der in seinem Berufsverband auf der örtlichen Ebene einer kleineren Gemeinde mitarbeitet, kann bei der Teilnahme am "Kerwe-Umzug" der Gemeinde auch wesentlich für seinen eigenen Betrieb tätig sein und unter dem Schutz der landwirtschaftlichen Unfallversicherung stehen.
Normenkette
RVO § 539 Abs 1 Nr 5, § 776 Abs 1 S 1 Nr 4, § 776 Abs 1 S 1 Nr 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten, ob der Unfall des Klägers am 6. Juli 1980 als Arbeitsunfall zu entschädigen und welcher Versicherungsträger dafür zuständig ist.
Das landwirtschaftliche Unternehmen des Klägers in K an der Weinstraße umfaßte neben Acker- und Obstbau einen 3,96 ha großen Weinbaubetrieb. Der Kläger war dem heimatlichen Ortsverein der Bauern- und Winzerschaft (Ortsbauernverein) beigetreten, in dessen Vorstand er die Funktion des ersten Vorsitzenden innehatte. Dem Vorstand gehörte satzungsgemäß auch die erste Vorsitzende des örtlichen Landfrauenvereins an. Der nicht rechtsfähige Ortsbauernverein war auf der untersten Gliederungsebene Teil der Pfälzischen Bauern- und Winzerschaft e.V. Zum "K Markt" hatte die Gemeindeverwaltung die Ortsvereine im nichtamtlichen Teil des Verbandsgemeindeblattes aufgerufen, am "Kerwe-Umzug" teilzunehmen. Der Kläger war dazu bereit. Mit dem örtlichen Landfrauenverein wurde abgesprochen, daß die Landfrauen einen Festwagen herrichten und die Mitglieder des Ortsbauernvereins Wein zur Verfügung stellen sollten, der von diesem Festwagen kostenlos zur Probe auszuschenken war. Auch der Kläger stellte Wein aus seinem Betrieb zur Verfügung. Beim "Kerwe-Umzug" am 6. Juli 1980 fuhr er auf dem Festwagen mit, schenkte Wein an die Zuschauer aus und gab während des Umzugs und der "Kerwerede" auf Anfragen Erläuterungen zum Wein. Als der Wagen beim Wenden umkippte, mußte er hinunterspringen. Er zog sich dabei Unterschenkelbrüche mit nachfolgender Osteomyelitis zu.
Die zu 1) beigeladene landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft gewährte dem Kläger für die Dauer der stationären Behandlungen zunächst Übergangsgeld. Später gab sie die Sache an die beklagte Verwaltungs-Berufsgenossenschaft ab, weil sich der Unfall des Klägers bei der Tätigkeit als Vereinsvorsitzender ereignet habe.
Die Beklagte lehnte es ab, dem Kläger Unfallentschädigung zu gewähren, weil er für einen Verein des privaten Rechts ehrenamtlich tätig gewesen sei. Dabei sei er nicht nach § 539 Abs 1 Nr 13 der Reichsversicherungsordnung (RVO) oder nach § 539 Abs 2 RVO unfallversichert gewesen (Bescheid vom 11. Juli 1984, Widerspruchsbescheid vom 11. März 1986).
Das Sozialgericht (SG) Speyer hat die Beigeladene zu 1) verurteilt, den Unfall des Klägers vom 6. Juli 1980 als Arbeitsunfall zu entschädigen, weil der Kläger als Vorsitzender des Ortsbauernvereins bei einer Tätigkeit für diesen Verein als ein Unternehmen zum Schutze und zur Förderung der Landwirtschaft iS des § 539 Abs 1 Nr 5 RVO verunglückt sei (Urteil vom 2.Dezember 1986). Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz dagegen hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 12. November 1987): Ansprüche gegen die Beklagte beständen nicht, weil der Kläger im Rahmen des Vereinszwecks tätig geworden sei. Auch die Beigeladene zu 1) sei nicht verpflichtet. Zum einen habe es nicht im Interesse des Klägers gestanden, wesentlich für seinen eigenen Weinbaubetrieb tätig zu werden. Zum anderen habe er aber auch keine versicherte Tätigkeit in einem Unternehmen zum Schutze und zur Förderung der Landwirtschaft verrichtet. Zwar möge die Pfälzische Bauern- und Winzerschaft e.V. Mitglied der Beigeladenen zu1) als Unternehmen zum Schutze und zur Förderung der Landwirtschaft sein, aber der Kläger sei nicht ausreichend zu diesem Unternehmenszwecke tätig geworden. Allein das Verteilen kostenloser Weinproben und einige Erläuterungen auf Anfrage stellten noch nicht den notwendigen inneren Zusammenhang zu dem Unternehmen "Schutz und Förderung der Landwirtschaft" dar. Schließlich ständen dem Kläger auch keine Entschädigungsansprüche gegen den zu 2) beigeladenen Gemeindeunfallversicherungsverband (GUV) Rheinland-Pfalz zu. Der Kläger habe weder in einem Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnis zu der Gemeinde K gestanden, noch sei er für sie ehrenamtlich tätig geworden. Er habe keine amtliche gemeindliche Aufgabe erfüllt. Auch die Voraussetzungen des § 539 Abs 2 RVO lägen in beiderlei Hinsicht nicht vor, weil der Kläger nicht in erster Linie gemeindliche Aufgaben habe erledigen wollen.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision macht der Kläger geltend, er habe auf jeden Fall einen Arbeitsunfall erlitten. Sei es, daß er bei einer ehrenamtlichen Tätigkeit für die Gemeinde K iS des § 539 Abs 1 Nr 13 RVO verunglückt sei oder wie ein so ehrenamtlich Tätiger nach § 539 Abs 2 RVO. Ebenso treffe es aber auch zu, daß er in einem Unternehmen zum Schutze und zur Förderung der Landwirtschaft tätig geworden sei, wie das SG zu Recht dargelegt habe.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beigeladenen zu 1) zurückzuweisen, hilfsweise, den Beigeladenen zu 2) oder weiter hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, ihm das Ereignis vom 6. Juli 1980 als Arbeitsunfall zu entschädigen.
Die Beklagte und die Beigeladenen beantragen,
die Revision insoweit zurückzuweisen, als jeweils ihre Verurteilung begehrt wird.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat Erfolg. Sein Unfall ist ein Arbeitsunfall gewesen, dessen Folgen die beigeladene landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft zu entschädigen hat, wie sie auch zu Anfang verfahren ist (§ 548 Abs 1, § 539 Abs 1 Nr 5, § 776 Abs 1 Nr 1, § 790 Abs 1 RVO).
§ 548 Abs 1 RVO setzt voraus, daß sich ein Arbeitsunfall bei der versicherten Tätigkeit ereignet. Dazu ist in der Regel erforderlich, daß das Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet, einerseits zur versicherten Tätigkeit zu rechnen ist, und daß diese Tätigkeit andererseits den Unfall herbeigeführt hat. Zunächst muß also eine sachliche Verbindung mit der Betriebstätigkeit und dem Unternehmen bestehen, der sogenannte innere Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Diese sachliche Verbindung hat vorgelegen. Die Teilnahme des Klägers am "Kerwe-Umzug" hat im inneren Zusammenhang mit seinem Weinbaubetrieb gestanden. Als Unternehmer eines landwirtschaftlichen Betriebes einschließlich des Weinbaues ist er gemäß § 539 Abs 1 Nr 5, § 776 Abs 1 Nr 1, § 792 iVm §§ 658, 659 RVO versichert gewesen.
Nach den nicht angegriffenen und deshalb bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) betrieb der Kläger in K an der Weinstraße ein landwirtschaftliches Unternehmen mit Ackerbau, Weinbau und Obstbau. Jedenfalls an einem Ort mit einer kleineren Gemeinde (K zählte damals weniger als 1.500 Einwohner, vgl Müllers Großes Deutsches Ortsbuch, 22. Aufl 1985/86: 1.457 Einwohner) wird das umfassende Betriebsinteresse eines Landwirts und Winzers auch maßgeblich von seiner harmonischen Zusammenarbeit mit den Angehörigen seines Berufsstandes und auch von seiner möglichst positiven sozialen Einordnung in die Dorfgemeinschaft bestimmt. Schon deshalb steht es im Interesse des eigenen Betriebes, wenn ein landwirtschaftlicher Unternehmer wie der Kläger dem Ortsverein der Bauern- und Winzerschaft (Ortsbauernverein) beitritt. Und da die Aufgaben der Pfälzischen Bauern- und Winzerschaft e.V. wesentlich auf den Schutz und die Wahrung der Interessen des Berufsstandes ausgerichtet sind (vgl § 4 der vom SG beigezogenen Satzung dieses Vereins vom 15. Dezember 1958), handelt ein Mitglied des Ortsbauernvereins in den meisten Fällen zugleich auch wesentlich im Interesse seines eigenen Betriebes, wenn er die örtlichen Aufgaben des Vereins erfüllt. Das trifft im vorliegenden Einzelfall auf den Kläger zu, als er sich bereit erklärte, bei der traditionellen Veranstaltung des "K Marktes" am "Kerwe-Umzug" teilzunehmen. Zwar wurde er insoweit als erster Vorsitzender des Ortsbauernvereins angesprochen, aber hier stimmen Vereins- und Betriebsinteressen schon objektiv überein. Sein eigener Betrieb gehörte zu der relativ kleinen Gruppe der örtlichen Weinbaubetriebe. Unter solchen Umständen hingen die individuellen Betriebs- und Absatzchancen des einzelnen Betriebes weitgehend von dem Ansehen der örtlichen Gruppe des Berufsstandes der Bauern und Winzer ab, der von dem Ortsbauernverein und mittelbar auch von dem organisatorisch und persönlich eng mit ihm verbundenen örtlichen Landfrauenverein repräsentiert wurde. Das gilt für das Ansehen bei der Dorfgemeinschaft, aber vor allem auch für die Meinung der auswärtigen Besucher des "K Marktes". Deshalb handelte der Kläger zumindest auch wesentlich im Interesse seines eigenen Unternehmens, als er auf dem von den Landfrauen hergerichteten Festwagen den von ihm und den übrigen Mitgliedern des Ortsbauernvereins zur Verfügung gestellten Wein kostenlos ausschenkte und auf Anfragen Erläuterungen zum Wein gab. Dieser innere Zusammenhang zwischen der Tätigkeit des Klägers auf dem Festwagen und seinem eigenen Betrieb ist sachlich jedenfalls so stark, daß alle weiteren, möglichen betriebsunabhängigen Motive des Klägers (wie zB die Wahrung des Gemeindeinteresses und die reine Freude an der Teilnahme) für den Aufenthalt auf dem Festwagen höchstens zur Beurteilung einer gemischten Tätigkeit führten, die den Versicherungsschutz für die Fahrt auf dem Festwagen nicht ausschließen könnte.
Der Senat führt insoweit seine Rechtsprechung zum Versicherungsschutz fort, den Beschäftigte und Unternehmer grundsätzlich genießen können, wenn sie an Veranstaltungen der eigenen Berufsorganisation teilnehmen. Sowohl die Mitarbeit bei einer Berufsorganisation als auch der Besuch einer ihrer Veranstaltungen kann im inneren Zusammenhang zu der versicherten Tätigkeit stehen, wenn sie dem Unternehmen dienen, in dem der Teilnehmer als Versicherter tätig ist (vgl BSGE 30, 282, 283; 30, 284, 286; BSG SozR Nr 23 zu § 548 RVO; BSGE 42, 36, 37; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, Band II, S 482g und 482h mwN). Wie bei der Vermittlung betriebsfördernder Kenntnisse auf solchen Veranstaltungen genügt es, daß die Vorgänge nicht nur einen einzelnen Betrieb, sondern die Interessen einer ganzen Betriebsgruppe betreffen und daß sie geeignet sind, sich wenigstens später auf die betriebliche Tätigkeit nützlich auszuwirken (vgl BSGE 30, 284, 286). Bei einem versicherten Unternehmer wie dem Kläger ist in diesem Zusammenhang die betriebsfördernde Bedeutung der Mitarbeit in dem Berufsverband für die Führung des eigenen Unternehmens maßgebend. Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 29. März 1963 (2 RU 9/61 in SozEntsch BSG 4 § 542 (a) Nr 48) zu erkennen gegeben, daß die Mitarbeit eines Unternehmers in einem Berufsverband - auch als Vorsitzender - eine um so stärkere innere Beziehung zum eigenen Unternehmen haben kann, wenn sie in der Ortsgruppe einer kleineren Gemeinde und nicht auf überörtlicher Verbandsebene erfolgt. Diese Bedeutung der Verbandsarbeit für den eigenen Betrieb wirkt ungeschmälert, wenn die Arbeit - wie im vorliegenden Falle - von jedem einfachen Vereinsmitglied verrichtet werden könnte und nicht nur von dem Vereinsvorsitzenden. Darin liegt der Unterschied zu dem vom BSG in SozR Nr 23 zu § 539 RVO entschiedenen Fall, der die Teilnahme eines Obmannes an einer reinen Obmännerversammlung des Bayerischen Bauernverbandes betraf.
Da der Klageanspruch bereits aus § 548 Abs 1 iVm § 539 Abs 1 Nr 5, § 776 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO begründet ist, kann es dahingestellt bleiben, ob der Kläger seinerzeit auch nach § 539 Abs 1 Nr 5, § 776 Abs 1 Satz 1 Nr 4 RVO versichert war, nämlich als ein in einem Unternehmen zum Schutze und zur Förderung der Landwirtschaft Tätiger, wie es das SG vertreten hat. Auch im letzteren Fall wäre die Beigeladene zu 1) der zuständige Versicherungsträger.
Schon § 537 Nr 8 und § 915 Abs 1 Buchstabe c RVO aF, mit denen diese Regelung ursprünglich eingeführt wurde, sollten die Versicherung von Tätigkeiten nach anderen Vorschriften der gesetzlichen Unfallversicherung nicht berühren (vgl die Bestimmungen des Reichsarbeitsministers über die Unfallversicherung bei Tätigkeiten iS des § 915 Abs 1 c RVO - Schutz und Förderung der Landwirtschaft- vom 17. August 1940, Nr 2 und Nr 3, - AN 1940 S 312 - und die amtliche Begründung dazu - aaO S 313). Daran hat sich auch nach der amtlichen Begründung zum Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz (UVNG) durch die Neufassung des § 539 Abs 1 Nr 5 RVO nichts geändert (vgl BT-Drucks IV/120). Vorrangig ist danach die Versicherung nach § 539 Abs 1 Nr 5 RVO als landwirtschaftlicher Unternehmer iS des § 776 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO. Die Rechtsauffassung des Senats nimmt auch dem Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 5 iVm § 776 Abs 1 Satz 1 Nr 4 RVO nicht die beabsichtigte Bedeutung. Er bleibt für alle Tätigkeiten bestehen, die wesentlich mit dem Unternehmen zum Schutz und zur Förderung der Landwirtschaft einschließlich der landwirtschaftlichen Selbstverwaltung und ihrer Verbände, nicht aber unmittelbar auch im inneren Zusammenhang mit dem landwirtschaftlichen Unternehmen des Versicherten stehen.
Demgegenüber scheiden Verpflichtungen des beigeladenen GUV und der beklagten Verwaltungs-Berufsgenossenschaft aus. Zum einen stand die Teilnahme des Klägers am "Kerwe-Umzug" so stark im inneren Zusammenhang mit seinem eigenen landwirtschaftlichen Betrieb, daß das gemeindliche Interesse daran als unwesentlich in den Hintergrund gedrängt wurde. Zum anderen schließt auch die Mitgliedschaft der Pfälzischen Bauern- und Winzerschaft e.V. bei der beigeladenen landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft als Unternehmen zum Schutze und zur Förderung der Landwirtschaft die Zuständigkeit der Beklagten für Tätige in diesem Verein aus.
Danach war das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beigeladenen zu 1) gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen