Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 14. Januar 1992 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozial-gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Streitig ist die Versicherungspflicht in der Krankenversicherung während der Ausbildung an einer Berufsfachschule.
Die Klägerin war bei der beklagten Ersatzkasse freiwillig für den Fall der Krankheit versichert. Nach einer Lehre und dem Besuch der Abendrealschule absolvierte sie von August 1987 bis Dezember 1990 eine Ausbildung zur staatlich geprüften Sportlehrerin an einer als Ersatzschule staatlich anerkannten privaten Berufsfachschule. Die Ausbildung wurde nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz gefördert. Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin auf Feststellung der Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 10 Halbs 2 des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) ab, weil die Ausbildung zur Sportlehrerin nicht unter den Begriff des „Zweiten Bildungswegs” falle (Bescheid vom 16. Februar 1989, Widerspruchsbescheid vom 21. August 1989). Dagegen hat die Klägerin Klage erhoben. Während das Sozialgericht (SG) im Urteil vom 13. Dezember 1990 der Auffassung der Klägerin gefolgt ist, hat das Landessozialgericht (LSG) die Entscheidung der Beklagten bestätigt. Das von den Richtern unterschriebene Urteil des LSG vom 14. Januar 1992 ist am 1. Dezember 1992 zur Geschäftsstelle gegeben und dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 21. Dezember 1992 zugestellt worden.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 551 Nr 7 der Zivilprozeßordnung (ZPO) iVm § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG vom 14. Januar 1992 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 13. Dezember 1990 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist iS der Zurückverweisung begründet. Denn das Urteil des LSG ist nicht mit Gründen versehen.
Nach § 134 Satz 2 SGG soll ein bei der Verkündung noch nicht schriftlich niedergelegtes Urteil binnen drei Tagen nach der Verkündung in vollständiger Abfassung der Geschäftsstelle übergeben werden. § 551 Nr 7 ZPO, der im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anzuwenden ist (§ 202 SGG), enthält die unwiderlegliche Vermutung, daß eine Entscheidung stets auf einer Verletzung des Gesetzes beruht, wenn sie nicht mit Gründen versehen ist. Dann liegt ein unbedingter oder absoluter Revisionsgrund vor. Zwar ist ein solcher nicht schon dann anzunehmen, wenn die Drei-Tages-Frist des § 134 Satz 2 SGG überschritten ist. Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes hat aber mit Beschluß vom 27. April 1993 (GmS-OGB 1/92 – ZIP 1993, 1341) einheitlich für alle Gerichtsbarkeiten entschieden, daß es einen absoluten Revisionsgrund darstellt, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe eines bei Verkündung noch nicht vollständig abgefaßten Urteils nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden sind. Auf eine diesbezügliche Rüge muß das Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen werden. Das gilt auch für Urteile, die bereits vor dem Beschluß des Gemeinsamen Senats verkündet waren. Denn auch der Gemeinsame Senat hat die von ihm entwickelten Grundsätze ohne Vorbehalt auf ein im Januar 1990 verkündetes Urteil angewandt. Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes stehen diesem Ergebnis nicht entgegen. Denn selbst wenn der Beschluß des Gemeinsamen Senats im Hinblick auf die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (≪BSG≫ SozR 3-1750 § 551 Nrn 2 und 3 mwN) wie eine Änderung des Prozeßrechts zu behandeln sein sollte, liegen die Voraussetzungen für eine Ausnahme von dem Grundsatz der sofortigen Geltung von Prozeßrechtsänderungen nicht vor. Die Erwartung der Beteiligten, aufgrund des LSG-Urteils eine sachliche Klärung der streitigen Rechtsfrage durch das Revisionsgericht zu erreichen, ist nämlich keine verfahrensrechtliche Position, die in ihrer Schutzwürdigkeit materiell-rechtlichen Gewährleistungen vergleichbar ist (vgl BVerfGE 63, 343, 359; anders für die Zulässigkeit eines bereits eingelegten Rechtsmittels BVerfG NJW 1993, 1123).
Zwischen der Verkündung des Urteils des LSG am 14. Januar 1992 und der Übergabe des unterschriebenen Urteils an die Geschäftsstelle am 1. Dezember 1992 liegen mehr als zehn Monate. Die Überschreitung der Fünf-Monats-Frist ist von der Klägerin innerhalb der Revisionsbegründungsfrist gerügt worden. Die Rechtsverletzung führt daher zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung, ohne daß der Senat die durch die Revision aufgeworfenen Rechtsfragen in der Sache zu prüfen hat. Auch für den Fall, daß der Rechtsstreit vom Revisionsgericht in der Sache entschieden werden könnte, ist eine Ausnahme vom Gebot der Zurückverweisung vom Gemeinsamen Senat nicht erwogen worden und auch nach der Rechtsprechung des BSG nicht zulässig; § 170 Abs 1 Satz 2 SGG gilt nicht bei absoluten Revisionsgründen (BSGE 63, 43, 45 = SozR 2200 § 368a Nr 21 mwN).
Die Kostenentscheidung bleibt dem den Rechtsstreit abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen
Haufe-Index 1173059 |
BB 1994, 1014 |