Leitsatz (amtlich)
Betreibt ein Ehepaar gemeinsam eine Rechtsanwaltspraxis, so ist jeder von ihnen auf Grund des KGG § 10 beitragspflichtig zur Familienausgleichskasse. Sie haften für die Beiträge als Gesamtschuldner.
Diese Regelung verstößt nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des GG Art 3.
Normenkette
RVO § 754 Fassung: 1924-12-15; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23; KGG § 10
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. November 1957 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Die Klägerin ist Rechtsanwältin. Sie betrieb bis Anfang 1956 ihre Praxis gemeinsam mit ihrem inzwischen ausgeschiedenen Ehemann. Die Beklagte nimmt sie für die Jahre 1955 und 1956 als beitragspflichtiges Mitglied in Anspruch, wobei sie für das Jahr 1955 Beiträge für zwei Unternehmer und für die Arbeitnehmer fordert. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Klage mit der Begründung, das Kindergeldgesetz (KGG) sei verfassungswidrig. Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab (Urteil vom 9.1.1957), das Landessozialgericht (LSG) die Berufung zurück (Urteil vom 26.11.1957). Revision wurde zugelassen.
Gegen das am 10. Januar 1958 zugestellte Urteil legte die Klägerin am 10. Februar 1958 Revision ein und begründete sie am 10. März 1958.
Sie trägt vor, die Regelung der Beitragspflicht in § 10 KGG verstoße gegen das Grundgesetz (GG). Es sei mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht zu vereinbaren, wenn bei gemeinsam freiberuflich tätigen Eheleuten beide zu Beiträgen herangezogen würden, ohne daß berücksichtigt werde, ob die Einkünfte dies tragbar erscheinen ließen. Die formalistische Heranziehung der Frau, die auch bei freiberuflicher Tätigkeit in überwiegendem Maße sich der Familie und dem Haushalt widmen müsse, verstoße gegen das Gerechtigkeitsgebot. Eheleute erhielten bei Vorliegen der Voraussetzungen nur einmal Kindergeld; es sei daher nicht mit dem GG zu vereinbaren, wenn zweimal Beiträge gefordert würden. Die Beitragspflicht sei in § 10 KGG willkürlich bestimmt worden; die Klägerin brauche auch für sich und ihren Ehemann keine Beiträge zur Berufsgenossenschaft zu zahlen. Willkürlich sei auch, die Mittel nach Kopfzahl aufzubringen. Schließlich sei es nicht gerechtfertigt, daß die Beklagte die Klägerin auch für die Beiträge ihres Ehemannes in Anspruch nehme.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 26. November 1957 und des SG Detmold vom 9. Januar 1957 sowie den Beitragsbescheid der Beklagten vom 7. August 1956 aufzuheben und festzustellen, daß die Beitragserhebung nichtig ist.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
II.
Die durch die Zulassung statthafte, auch form- und fristgerecht eingelegte Revision ist nicht begründet, weil die Inanspruchnahme der Klägerin zu Beiträgen nach dem KGG nicht verfassungswidrig ist.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seinem Urteil vom 10. Mai 1960 mit eingehender Begründung ausgeführt, das KGG sei mit dem GG zu vereinbaren: Der Bund habe nach Art. 74 Nr. 12 GG die Gesetzgebungsbefugnis für die Sozialversicherung; zu ihr gehöre auch die Kindergeldgesetzgebung. Das Gesetz verstoße nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, weil die Regelung der Beitragserhebung und der Berechtigung zum Bezug von Kindergeld nicht willkürlich sei. Desgleichen sei eine Verletzung der Art. 5, 6, 9, 12 und 14 GG zu verneinen. Schließlich schaffe das KGG auch keine mit dem GG nicht zu vereinbarende Mischverwaltung (vgl. Art. 87 Abs. 2 GG). Die gleiche Rechtsauffassung hat der Senat bereits in seinen beiden Urteilen vom 20. Dezember 1957 (BSG 6 S. 213 und 238) vertreten. Insoweit hat die Klägerin auch ihre Angriffe offenbar nicht mehr aufrechterhalten.
Sie meint jedoch, § 10 KGG sei deshalb verfassungswidrig, weil sie und ihr Ehemann zu Beiträgen herangezogen würden, weil Eheleute im Falle des Vorhandenseins von drei und mehr Kindern nur einmal Anspruch auf Kindergeld hätten und weil die Ehefrau auch bei freiberuflicher Tätigkeit sich in überwiegendem Maße der Familie und dem Haushalt widmen müsse. Damit ist jedoch kein Verstoß gegen die Art. 3 und 6 GG dargetan. Das BVerfG hat in dem Urteil vom 10. Mai 1960 ausgeführt, es sei unerheblich für die Beitragspflicht, ob der Betreffende selbst Kindergeld empfangen könne; denn der abgabenrechtliche Grundsatz, daß zu Beiträgen nur herangezogen werden dürfe, wer von einem bestimmten öffentlichen Unternehmen einen wirtschaftlichen Vorteil zu erwarten habe, gelte nicht für die Sozialversicherung; hier herrsche der Grundsatz des sozialen Ausgleichs, nicht der der Abgeltung eines individuellen Vorteils.
Es bedeutet auch keine Schlechterstellung von Ehegatten gegenüber anderen Personen, wenn sie bei Erfüllung der Voraussetzungen der Beitragspflicht je für die eigene Person zu Beiträgen herangezogen werden. Sie werden dadurch nicht ungünstiger als unverheiratete Personen behandelt. Aus dem Urteil des BVerfG vom 17. Januar 1957 (BVerfGE 6 S. 55) zur Frage der Verfassungswidrigkeit des § 26 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ist nichts zu entnehmen, was für die Ansicht der Klägerin sprechen könnte. Denn das BVerfG hat die Verfassungswidrigkeit des § 26 EStG (Zusammenveranlagung von Ehegatten zur Einkommensteuer) nur deshalb ausgesprochen, weil Eheleute durch die Zusammenlegung der beiderseitigen Einkünfte bei der Veranlagung infolge der Steuerprogression höhere Steuersätze zu entrichten hätten, als sie im Falle einer getrennten Veranlagung entrichten müßten. Diese Entscheidung setzt eine Steuerpflicht beider Ehegatten als selbstverständlich voraus und schließt nicht aus, daß Ehegatten jeweils für ihre Person zu Beiträgen nach dem KGG herangezogen werden, wenn sie in ihrer Person je gesondert die Voraussetzungen der Beitragspflicht erfüllen. Ein Verstoß gegen Art. 3 oder Art. 6 GG ist daher nicht ersichtlich.
Es ist auch rechtlich nicht zu beanstanden, wenn das LSG die Klägerin als beitragspflichtige Unternehmerin angesehen hat. Nach § 10 Abs. 1 KGG ist beitragspflichtig, wer für Arbeitnehmer, Selbständige oder mithelfende Familienangehörige Beiträge zu den Berufsgenossenschaften nach dem Dritten Buch der Reichsversicherungsordnung (RVO) aufzubringen hat oder aufzubringen hätte, wenn diese Personen versichert wären. Hierfür ist nicht, wie die Klägerin meint, erforderlich, daß sie und ihr Ehemann auch bei der zuständigen Berufsgenossenschaft, der Verwaltungsberufsgenossenschaft, pflichtversichert sind, es genügt vielmehr, wenn nach § 539 RVO die Möglichkeit einer freiwilligen Versicherung besteht. Die Klägerin ist in ihrer Eigenschaft als Rechtsanwältin auch Unternehmerin und nicht etwa nur beitragsfreie mithelfende Familienangehörige ihres Ehemannes, da sie selber zur Anwaltschaft zugelassen ist und diesen Beruf auch selbständig ausübt. Sie ist daher nach § 633 RVO als Unternehmerin anzusehen; denn Unternehmer eines Betriebes oder einer Tätigkeit ist derjenige, für dessen Rechnung der Betrieb oder die Tätigkeit geht. Ob sie ihre Zeit mehr der Anwaltstätigkeit oder der Betreuung der Familie widmet, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Denn auf die Einkommensverhältnisse wird in § 11 Abs. 2 KGG Rücksicht genommen; Selbständige sind hiernach für ihre Person von der Beitragspflicht befreit, wenn ihr Einkommen jährlich gewisse Grenzen nicht übersteigt. Die Beklagte hat daher die Klägerin zu Recht auch für das Jahr 1955 auf Zahlung von Beiträgen in Anspruch genommen.
Schließlich ist rechtlich nicht zu beanstanden, daß die Beklagte von der Klägerin nicht nur den eigenen, sondern auch den Beitrag ihres Ehemannes für das Jahr 1955 fordert. Dies ergibt sich aus § 754 RVO: Hiernach hat jeder Beitragspflichtige den Beitrag innerhalb einer gewissen Zeit bei Meidung der Zwangsvollstreckung zu entrichten. Vereinigen sich mehrere Unternehmer zur Führung eines Betriebes, der nicht eine besondere, rechtlich selbständige Persönlichkeit bildet, so ist jeder von ihnen Unternehmer und als solcher beitragspflichtig. Jeder haftet daher für den vollen Beitrag, und die Beklagte ist berechtigt, von jedem der Unternehmer die gesamte Summe der Beiträge einzuziehen. Dies hat das Reichsversicherungsamt (RVA) bereits in der Grundsätzlichen Entscheidung - GE Nr. 1206 - (AN. 1893 S. 154) für die Beiträge zu den Berufsgenossenschaften ausgesprochen. Diese gesamtschuldnerische Haftung beruht auf § 421 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB - (ebenso Reichsversicherungsordnung, herausgegeben von den Mitgliedern des RVA, Bd. 3 § 754 Anm. 2; Schraeder-Strich Die Deutsche Unfallversicherung, § 754 Anm. 2; Lauterbach, Unfallversicherung, § 754 Anm. 1). Die Beklagte hat daher zu Recht die Klägerin auch für den auf den Ehemann entfallenden Beitrag für das Jahr 1955 in Anspruch genommen.
Nach allem ist die Revision zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen