Orientierungssatz
Zur Frage, ob trotz des Abk Österreich SV die Vorschriften des FAG SV dann anzuwenden sind, wenn im Einzelfall in Österreich nach den dortigen Vorschriften (insbesondere infolge der fehlenden Wartezeitfiktion) kein Rentenanspruch besteht.
Normenkette
SVAbk AUT Art. 24 Fassung: 1951-04-21, Art. 39 Fassung: 1951-04-21; SVFAG § 1 Fassung: 1953-08-27
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 24. Juni 1960 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Der 1912 in Rumänien geborene Ehemann der Klägerin war vom Jahre 1927 bis zum Jahre 1937 gegen die Gewährung freien Unterhalts auf dem Hof seiner Eltern tätig und übernahm diesen dann als selbständiger Landwirt. Im Wege der Umsiedlung kam er im Oktober 1940 zunächst nach Österreich, wo er als invalidenversicherungspflichtiger Hilfsarbeiter bis zum 6. November 1941 tätig war; während dieser Zeit wurden für ihn mindestens 28 Wochenbeiträge bei der Landesversicherungsanstalt (LVA) L entrichtet.
Der Ehemann der Klägerin wurde dann im Frühjahr 1942 wieder als selbständiger Landwirt in Westpreußen angesiedelt, 1943 zum Wehrdienst eingezogen und ist seit Januar 1945 verschollen. Beiträge zur Invalidenversicherung hat er während dieser Zeit nicht mehr entrichtet.
Der von der Klägerin am 24. Oktober 1955 gestellte Witwenrentenantrag wurde von der Beklagten durch Bescheid vom 9. September 1958 abgelehnt; nach deutschem Recht sei kein Beitrag anrechnungsfähig; die an die LVA Linz entrichteten Beiträge seien nach dem Deutsch-österreichischen Abkommen über Sozialversicherung vom 21. April 1951 auf den österreichischen Versicherungsträger übergegangen und auch nach dem Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz (FAG) vom 27. August 1953 nicht zu berücksichtigen.
Zwischenzeitlich war ein durch Vermittlung der Beigeladenen bei dem österreichischen Versicherungsträger gestellter Antrag auf Gewährung von Witwenrente durch - rechtskräftig gewordenen - Bescheid vom 20. Mai 1957 abgelehnt worden, weil nach österreichischem Recht die Wartezeit mit 28 Beitrags- und 72 Kriegsdienstwochen nicht erfüllt sei.
Die von der Klägerin nunmehr vor dem Sozialgericht (SG) Oldenburg erhobene Klage wurde durch Urteil vom 17. Dezember 1959 abgewiesen; das SG teilte die Auffassung der Beklagten.
Im Berufungsverfahren lud das Landessozialgericht (LSG) Celle die LVA Oberbayern bei. Es wies die Berufung durch Urteil vom 24. Juni 1960 zurück, da der Klägerin weder gegen die Beklagte noch gegen die Beigeladene ein Witwenrentenanspruch zustehe.
Auch nach der Auffassung des LSG ist kein einziger Wochenbeitrag des verschollenen Ehemannes der Klägerin nach deutschem Recht anrechnungsfähig, so daß es an der nach §§ 1262 a Abs. 1 Nr. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF, 1252 Nr. 2 RVO nF bzw. § 4 der Umsiedlerverordnung erforderlichen Mindestvoraussetzung mangele. Nach den Artikeln 24 und 39 des Deutsch-österreichischen Abkommens habe der österreichische Versicherungsträger alle Verpflichtungen aus den an ihn entrichteten Beiträgen übernommen; durch diese Übernahme sei eine Schuldbefreiung des deutschen Versicherungsträgers generell, also auch für den Fall eingetreten, daß im Einzelfall nach den österreichischen Gesetzen keine Leistung zu gewähren sei. Wenn § 1 Abs. 1 FAG bestimme, daß also Vorschriften "unbeschadet zwischenstaatlicher Abkommen" gelten sollten, so bedeute dies, daß die zwischenstaatlich getroffene Regelung (für die Schuldübernahme) durch das FAG nicht berührt werde.
Auch durch das Inkrafttreten des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) seien insofern keine Änderungen in dieser Rechtslehre eingetreten, als auch danach zwischenstaatliche Abkommen unberührt blieben.
Die von dem Ehemann der Klägerin 1927 bis 1937 auf dem elterlichen Hof verrichtete Tätigkeit wäre mangels Entgelts nach dem seit dem 1. März 1957 geltenden deutschen Recht (§ 1228 Abs. 1 Nr. 2 RVO) versicherungsfrei gewesen; sie könne daher auch nicht über § 16 des Fremdrentengesetzes (FRG) als gleichgestellte Versicherungszeit zu einer Berücksichtigung führen.
Gegen das am 11. Juli 1960 zugestellte Urteil, in dem die Revision zugelassen ist, hat die Klägerin am 15. Juli 1960 unter Antragstellung Revision eingelegt und diese am 31. August 1960 begründet.
Die Klägerin rügt eine unrichtige Anwendung des § 1 FAG i. V. m. § 1263 a RVO aF. Nach ihrer Auffassung besagen die Wörter "unbeschadetes zwischenstaatliches Abkommen" in § 1 FAG nur, daß jene Abkommen zwar den Vorrang vor den Vorschriften des FAG haben sollten, daß jedoch das FAG immer dann anzuwenden sei, wenn dieses Gesetz den Versicherten weitgehend (insbesondere, wenn nur durch dieses Gesetz dem Versicherten) Ansprüche eingeräumt würden. Die Klägerin glaubt, diese Auffassung aus dem Zweck des FAG ableiten zu können und beruft sich weiter auf den Verbandskommentar und den Kommentar von Hoernigk/Jahn/Wickenhagen.
Die Klägerin beantragt unter Aufhebung der Urteile des LSG und des SG sowie des angefochtenen Bescheides die Beklagte, hilfsweise jedoch die Beigeladene, kostenpflichtig zur Zahlung der Witwenrente vom 1. November 1955 an zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt demgegenüber Zurückweisung der Revision.
Sie hält die Auffassung des LSG, das Wort "unbeschadet" schließe jede Anwendung des FAG in derartigen Fällen aus, für zutreffend. Auch der Kommentar von Hoernigk/Jahn/Wickenhagen habe inzwischen seine entgegenstehende Auffassung aufgegeben.
Nach dem FANG bestehe gleichfalls kein Rentenanspruch. § 2 des FRG schließe die Gültigkeit dieses Gesetzes für Versicherungszeiten, die nach zwischenstaatlichen Abkommen in der Rentenversicherung eines anderen Landes anrechnungsfähig seien, ausdrücklich aus, ohne Rücksicht darauf, ob sie im Einzelfall zu einer Leistung führten. Rumänische Beschäftigungszeiten, die angerechnet werden könnten, seien nicht vorhanden.
Die Beigeladene hat keine Stellungnahme abgegeben.
Die Parteien und die Beigeladene haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist frist- und formgerecht unter Antragstellung eingelegt und begründet worden. Sie ist vom LSG zugelassen und somit statthaft. Sie ist jedoch nicht begründet.
Entscheidend ist allein die Frage, ob trotz des Deutschösterreichischen Sozialversicherungsabkommens die Vorschriften des FAG dann anzuwenden sind, wenn im Einzelfall in Österreich nach den dortigen Vorschriften (insbesondere infolge der fehlenden Wartezeitfiktion) kein Rentenanspruch besteht. Es ist zuzugeben, daß diese Frage, ausgelöst durch den nicht sehr glücklichen Wortlaut des § 1 FAG ("unbeschadet ..."), zunächst recht umstritten war. Zwischenzeitlich dürfte sich als herrschende Ansicht die von der Beklagten vertretene Auffassung ergeben haben. Diese ist auch zutreffend.
Der Sinn aller zwischenstaatlichen Regelungen dieser Art geht dahin, zwischen den beteiligten Ländern und ihren Sozialversicherungsträgern Klarheit darüber zu schaffen, in wessen Bereich die früher abgeleisteten Versicherungszeiten (dies Wort im weitesten Sinne gebraucht) fallen und wer dann für sie einzustehen hat, wenn infolge Verschiebung der Staatsgrenzen ein Wechsel der Staatshoheit und damit auch der gesetzlichen Grundlagen eingetreten ist. Hierbei kann sinnvoll immer nur darauf abgestellt werden, daß Zeiten, die durch das Abkommen dem einen Land zugewiesen werden, dann auch ausschließlich und definitiv (auch rückschauend betrachtet) als Zeiten jenes Landes anzusehen sind und völlig aus dem Bereich des anderen Vertragspartners ausscheiden. Daß diese Zeiten sich dadurch bei der Verschiedenheit der Sozialversicherungsvorschriften sehr häufig nach dem neu anzuwendenden anderen Recht im Ergebnis für den Versicherten günstiger oder ungünstiger auswirken als dies bei einem Verbleib im alten Rechtsgebiet der Fall gewesen wäre, ist eine unumgängliche Folge derartiger Regelungen. Der Versuch, diesem für den Versicherten zweifelsfrei zuweilen ungünstigen Ergebnis dadurch auszuweichen, daß man einen - subsidiären - Anspruch gegen den an sich befreiten Versicherungsträger dann zuläßt, wenn bzw. soweit der Versicherte (oder seine Hinterbliebenen) nach dem jetzt für ihn geltenden Recht gar keine oder geringere Leistungen erhält, scheitert an seiner mit dem Sinn jener zwischenstaatlichen Regelung unvereinbaren Systemwidrigkeit.
Auf die Frage, ob entgegen der Auffassung des LSG die Anrechnung rumänischer Vergütungszeiten nicht ebenfalls durch § 2 FRG ohnehin ausgeschlossen ist, braucht nicht eingegangen zu werden; nach dem notwendigen, nicht angefochtenen und daher für das Bundessozialgericht bindenden Feststellungen des LSG liegen im vorliegenden Fall solche Zeiten nicht vor.
Die Revision war daher zurückzuweisen, wobei klarstellend darauf hinzuweisen ist, daß das aufrechterhaltene Urteil des LSG nach seinen Gründen auch über die Nichtgewährung des Anspruchs gegen die Beigeladene entscheiden wollte und entschieden hat.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Fundstellen