Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Lungenheilstätte ist ihrem Charakter nach ein Krankenhaus iS des RVO § 184, sofern sie auf die stationäre Behandlung krankenhauspflegebedürftiger Personen eingerichtet ist. Die Zweckbestimmung einer Heilanstalt, vorwiegend chronisch Erkrankter aufzunehmen, ist hierbei ohne Bedeutung.
Keine Prozeßzinsen im sozialgerichtlichen Verfahren.
2. Wenn nach RVO § 368d Abs 1 S 2 nicht zugelassene Ärzte nur in Notfällen in Anspruch genommen werden dürfen, so besagt das nicht, daß ein Krankenhausaufenthalt dann nicht erstattungsfähig ist, wenn eine ärztliche Notwendigkeit bestanden hat, die Einweisung aber von anderer Seite vorgenommen wurde.
3. Die Kosten der Krankenhauspflege sind auch dann von der KK zu übernehmen, wenn die Einweisung von einem Nicht-Kassenarzt veranlaßt wurde.
4. Die Krankenhauspflege iS des RVO § 184 ist eine "anderweitig gesetzlich sichergestellte" Heilbehandlung iS des früheren TbcG § 1 Abs 1 S 2.
Normenkette
RVO § 184 Fassung: 1924-12-15, § 368d Abs. 1 S. 2 Fassung: 1955-08-17; SGG § 197 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1953-09-03, § 202 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 104 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1957-07-26; TbcG § 1 Abs. 1 S. 2
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 25. Januar 1967 und des Sozialgerichts Kassel vom 26. Mai 1965 aufgehoben.
Die Beklagte wird dem Grunde nach verurteilt, dem Kläger die Kosten der Krankenhauspflege für die beigeladene L K in der Zeit vom 22. März bis zum 23. August 1960 zu erstatten.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Krankenkasse dem klagenden Sozialhilfeträger die Kosten ersetzen muß, die ihm durch eine Behandlung der Beigeladenen, Frau K, wegen Tuberkulose (Tbc) in der Lungenheilstätte O entstanden sind.
Die Beigeladene, Frau K, ist aufgrund der freiwilligen Krankenversicherung ihres Ehemannes bei der Beklagten als Familienmitglied mitversichert. Beide Eheleute sind nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert. Nachdem der Tbc-Fürsorgearzt beim Gesundheitsamt R am 4. März 1960 bei der Beigeladenen einen frischen Schub einer bisher nicht behandelten Tbc festgestellt hatte, beantragte das Gesundheitsamt am selben Tage bei dem Kläger ihre Einweisung in die Lungenheilstätte O. Die Beigeladene wurde am 22. März 1960 dort aufgenommen und verblieb bis zum 23. August 1960. Es wurde eine konservative Kur bei gleichzeitiger Behandlung mit Neoteben durchgeführt. Die Beklagte lehnte den Anspruch des Klägers auf Erstattung der ihm für den Aufenthalt der Beigeladenen entstandenen Kosten ab, weil es sich um keine Krankenhauspflege gehandelt habe.
Der Kläger hat daraufhin Klage auf Ersatz seiner Auslagen erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Aus § 1 des Tuberkulosehilfegesetzes (THG) ergebe sich, daß die in Form von Heilstättenbehandlung gewährte Tbc-Hilfe nur dann subsidiären Charakter besitze, wenn die erforderliche Hilfe anderweitig gesetzlich sichergestellt sei. Da die im Rahmen der Tbc-Hilfe zu gewährende Heilbehandlung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 THG stationäre Krankenhaus- und Heilstättenbehandlung einschließlich der Dauerbehandlung umfasse, hänge der Ersatzanspruch des Klägers davon ab, ob die Beigeladene gegen die Beklagte einen gesetzlichen Anspruch auf stationäre Behandlung in einer Heilstätte gehabt habe. Dies sei jedoch zu verneinen. Anders als im THG, das ausdrücklich zwischen stationärer Heilstättenbehandlung und stationärer Krankenhausbehandlung unterscheide, sei in der gesetzlichen Krankenversicherung nur die Krankenhauspflege vorgesehen. Zwischen Krankenhaus und Heilstätte bestehe aber ein Unterschied. Die Krankenhauspflege in der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei eine Ermessensleistung der Krankenkasse. Dagegen habe der Träger der Tbc-Fürsorge die Pflicht zur Einweisung in stationäre Krankenhaus- oder Heilstättenbehandlung, sofern die Voraussetzungen vorlägen.
Auch hätte die Einweisung in ein Krankenhaus nach § 368 Abs. 2 RVO durch die Kassenärzte erfolgen müssen, während im vorliegenden Fall nach § 25 THG das Gesundheitsamt den Antrag des Erkrankten zu prüfen und den Fürsorgeträger zur weiteren Veranlassung zuzuleiten hätte. Schließlich ergebe sich auch aus § 556 Abs. 2 RVO, daß die Heilstättenbehandlung grundsätzlich nicht einer Krankenhausbehandlung gleichstehe. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Er trägt vor: Eine Heilstätte sei nichts anderes als ein Krankenhaus, so daß § 184 RVO auch für die Heilstätte gelten müsse. Die Pflicht des Fürsorgeträgers zur Heilbehandlung sei nicht anders geregelt als bei der stationären Krankenhausbehandlung. Wenn im bezirklichen Bereich einer Krankenkasse eine Heilstätte liege, könne die Krankenkasse jedenfalls die Behandlung in einer solchen Heilstätte nicht ablehnen. Auch könne sich eine Krankenkasse nicht auf ihren bezirklichen Bereich beschränken, wenn eine Behandlung in einem Spezialkrankenhaus erforderlich sei, sich ein solches aber im bezirklichen Bereich nicht befinde. Entscheidend sei, ob im Einzelfall Krankheit oder Pflegebedürftigkeit vorgelegen habe und ob dementsprechend eine Krankenbehandlung oder lediglich Pflege stattgefunden habe. Bei echter Krankenbehandlung wegen Tbc müßten die Krankenkassen ebenso leisten wie bei anderen Krankheiten im Sinne der RVO.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Hessischen LSG vom 25. Januar 1967 und des SG Kassel vom 26. Mai 1965 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.091,43 DM nebst 4 % Zinsen seit Klageerhebung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
II
Die Revision ist mit Ausnahme des geltend gemachten Zinsanspruchs begründet.
Wie der Senat in seinem zur Veröffentlichung vorgesehenem Urteil vom 16. Oktober 1968 (3 RK 59/65) näher dargelegt hat, war die Krankenhauspflege durch einen Träger der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 184 RVO) eine "anderweitig gesetzlich sichergestellte" Heilbehandlung im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 THG. Dem steht nicht entgegen, daß die Gewährung von Krankenhauspflege im Ermessen der Krankenkasse liegt (§ 184 Abs. 1 Satz 1 RVO). Denn dieses Ermessen ist aufs äußerste eingeschränkt: Wenn Krankenhauspflege aus medizinischer Sicht geboten ist, so darf die Krankenkasse ihren Mitgliedern oder deren Angehörigen Krankenhauspflege nicht verweigern, ohne die Grenzen ihres Ermessens zu überschreiten (BSG 9, 112, 124). Unter diesen Voraussetzungen kann die verpflichtete Krankenkasse zur Leistung verurteilt werden (BSG 9, 232, 239; BSG, Urteil vom 21. November 1961 - 3 RK 33/67 - in SozR SGG § 150 Nr. 35). Demgemäß war die Tbc-Hilfe nach dem THG, die als Krankenhauspflege gewährt wurde, gegenüber der Verpflichtung eines Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung zur Krankenhauspflege subsidiär im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 THG. Soweit der Landesfürsorgeverband anstelle der vorrangig verpflichteten Krankenkasse aufgrund seiner Verpflichtung zur unverzüglichen Hilfeleistung (§ 1 Abs. 2 THG) Heilbehandlung gewährte, hat er im Rahmen des § 27 Abs. 1 Satz 3 und 4 THG und der §§ 1541, 1531, 1533 RVO gegenüber dem verpflichteten Träger der gesetzlichen Krankenversicherung Anspruch auf Kostenerstattung.
Zu Unrecht hat das LSG in dem angefochtenen Urteil die vom Kläger gewährte Heilstättenpflege nicht als "entsprechende Leistung der Krankenkasse" im Sinne des § 1533 Nr. 3 RVO angesehen. Der Versicherte K hatte für seine Ehefrau nach der Art ihres Leidens Anspruch auf Krankenhauspflege. Wie der Senat in der schon erwähnten Entscheidung vom 16. Oktober 1968 näher ausgeführt hat, verzichtet die gesetzliche Definition der Krankenhauspflege (§ 184 Abs. 1 Satz 1: "Kur und Verpflegung in einem Krankenhaus") auf jede Unterscheidung nach der Art der Krankheit (akutes oder chronisches Leiden) oder der medizinischen Behandlungsmethoden. Die genannten Merkmale haben zwar gerade bei Lungenkrankheiten zur Herausbildung besonderer Heilanstalten, nämlich der Heilstätten, geführt. Diese Spezialisierung nimmt ihnen aber nicht ihren Charakter als Krankenhaus, sofern sie nur den nach der Natur der Sache an ein Krankenhaus zu stellenden Anforderungen genügen, d. h. wenn sie auf die stationäre Behandlung krankenhausbedürftiger Personen eingerichtet sind. Wie der Senat in seinem Urteil vom 24. November 1967 (SozR RVO § 184 Nr. 19) dargelegt hat, kommt es für die Frage, ob die Anstalt ein Krankenhaus im Sinne von § 184 RVO ist, nicht auf die Bezeichnung, sondern darauf an, ob dort Personen, die an einer akuten Krankheit leiden, eine im Vordergrund stehende intensive ärztliche Behandlung und anstaltsmäßige Pflege zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit erfahren. Dabei erklärt sich die Beschränkung auf "akute Krankheiten" in dem genannten Urteil auf den damaligen Sachverhalt, der eine solche Beschränkung erlaubte. Wie bereits dargelegt, verändert die Zweckbestimmung einer Heilanstalt, vorwiegend chronisch Erkrankte aufzunehmen, ebensowenig ihren Charakter als Krankenhaus im Sinne des § 184 RVO wie das mehr oder weniger große Maß, in dem "natürliche" Heilmittel und Heilmethoden neben der Chemotherapie oder der Chirurgie bei der Behandlung der Krankenhauspatienten verwendet werden. Es kann daher offenbleiben, ob die Beigeladene K. während der gesamten Dauer ihrer Heilstättenbehandlung an einer akuten oder chronischen Krankheit gelitten hat. Denn entscheidend ist, daß die Art ihres Leidens Krankenhauspflege erforderte und daß sie diese erhalten hat.
Auf § 363 RVO, wonach die Mittel der Kasse nur zu den satzungsmäßigen Leistungen ... verwendet werden dürfen, kann sich die Beklagte nicht berufen. Denn die Bestreitung der Kosten eines Krankenhausaufenthalts gehört gerade zu den satzungsmäßigen Leistungen der Kasse, weil ihr Ermessen bei der Gewährung von Krankenhauspflege aufs äußerste eingeschränkt ist.
Auch die von der Beklagten noch weiter angezogenen §§ 368 d und 368 e RVO rechtfertigen keine andere Beurteilung. Wenn nach § 368 d Abs. 1 Satz 2 RVO nichtzugelassene Ärzte nur in Notfällen in Anspruch genommen werden dürfen, so besagt das nicht, daß ein Krankenhausaufenthalt dann nicht von der Beklagten zu erstatten ist, wenn eine ärztliche Notwendigkeit dafür bestanden hat, die Einweisung aber von anderer Stelle vorgenommen wurde. Nach § 368 e RVO hat der Versicherte Anspruch auf die ärztliche Versorgung, die zur Heilung oder Linderung nach den Regeln der ärztlichen Kunst zweckmäßig und ausreichend ist. Wenn dies aber der Fall ist bezüglich einer Einweisung in ein Krankenhaus bzw. in eine Heilstätte, dann muß auch die Krankenkasse für die entsprechenden Kosten aufkommen.
Das angefochtene Urteil muß daher aufgehoben werden. Da Feststellungen über die Höhe des geltend gemachten Anspruchs fehlen, hat der Senat die Beklagte dem Grunde nach verurteilt (§ 130 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), dem Kläger die geltend gemachten Kosten der Krankenhauspflege zu erstatten.
Dagegen ist die Revision unbegründet, soweit der Kläger Prozeßzinsen seit Klageerhebung verlangt. Denn auch der Sozialhilfeträger kann keine Prozeßzinsen verlangen, wie das Bundessozialgericht (BSG) wiederholt ausgesprochen hat (Urteile des 1. Senats vom 22. September 1963 in SozR RVO § 1531 Nr. 16 und des 2. Senats vom 27. Juni 1968 - 2 RU 73/65 -).
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.
Fundstellen