Leitsatz (redaktionell)
Bemessung des Unterhaltsgeldes bei rückwirkend wirksam gewordener tarifvertraglicher Lohnerhöhung.
Normenkette
AFG § 44 Abs. 2 Fassung: 1969-12-22, § 112 Abs. 2 Fassung: 1969-06-25, Abs. 3 Fassung: 1969-06-25
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 14.05.1976; Aktenzeichen L 1 Ar 47/75) |
SG Kiel (Entscheidung vom 03.04.1975; Aktenzeichen S 5 Ar 123/74) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 14. Mai 1976 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger war bis zum 31. März 1974 als Angestellter bei der H in K beschäftigt. Er erhielt im März 1974 bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden ein Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 1.586,- DM, zuzüglich 303,61 DM für 25 Mehrarbeitsstunden. Vom 1. April 1974 bis zum 31. März 1975 nahm der Kläger an einer Fortbildungsmaßnahme teil. Das Arbeitsamt K bewilligte ihm dafür mit Bescheid vom 31. Mai 1974 Unterhaltsgeld (Uhg), das es nach einem Einheitslohn von 380,- DM errechnete. Mit dem Widerspruch verlangte der Kläger, das Uhg unter Berücksichtigung der im Tarifvertrag für die Metallindustrie vom 3. April 1974 rückwirkend ab 1. Januar 1974 vereinbarten Gehaltserhöhung höher festzusetzen. Am 28. Oktober 1974 wies der Direktor des Arbeitsamts den Widerspruch mit der Begründung zurück, der letzte am Tage des Ausscheidens des Klägers aus dem Arbeitsverhältnis abgerechnete Lohnabrechnungszeitraum sei der Monat März 1974; die Tariflohnerhöhung sei hingegen am Tage des Ausscheidens noch nicht abgerechnet gewesen. Nach Klageerhebung berechnete das Arbeitsamt K mit Bescheiden vom 5. Dezember 1974 und 22. Januar 1975 das Uhg ab 22. November 1974 und 14. Januar 1975 bis zum 31. März 1975 neu, und zwar wiederum nach einem Einheitslohn von 380,- DM.
Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 3. April 1975 die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Mit Urteil vom 14. Mai 1976 hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Für die Berechnung des Uhg sei nach § 44 Abs 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) iVm § 112 Abs 2 und 3 AFG vom Arbeitsentgelt in den letzten, am Tage des Ausscheidens des Arbeitnehmers aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Lohnabrechnungszeitraum auszugehen. Beim Kläger könne daher nur das am 31. März 1974 abgerechnete Arbeitsentgelt zugrundegelegt werden, und zwar das bis zum Tage des Ausscheidens wirklich bezogene Arbeitsentgelt. Die Sozialversicherung müsse mit klaren Verhältnissen rechnen; rückwirkende Änderungen des Versicherungsstandes könnten frühestens vom Zeitpunkt des Abschlusses an einen Einfluß auf die versicherungsrechtliche Stellung haben. Die Regelbemessung nach § 112 Abs 2 und 3 AFG sei auch nicht im Sinne des § 112 Abs 7 AFG unbillig hart, denn sie sei vom Gesetz bezweckt. Schließlich verstoße die in § 112 AFG getroffene gesetzliche Regelung nicht gegen das Grundgesetz (GG).
Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, der letzte am Tage des Ausscheidens aus seinem Arbeitsverhältnis abgerechnete Lohnabrechnungszeitraum sei der Monat März 1974 gewesen. In diesem Monat habe er ein Gehalt einschließlich der Tariflohnerhöhung erzielt. Der Gesetzgeber habe nicht den Arbeitnehmer darunter leiden lassen wollen, daß sich die Tarifpartner erst im April 1974 über die Lohnerhöhung geeinigt haben. Nach der Auslegung des LSG dürfe bei einem Arbeitnehmer, dem die Lohnbuchhaltung seines Betriebes versehentlich ein zu geringes Arbeitsentgelt gezahlt hat, ebenfalls nur das bis zum Ausscheiden tatsächlich abgerechnete zu geringe Arbeitsentgelt berücksichtigt werden, auch wenn der Arbeitnehmer später eine Nachzahlung erhalte. Wenn nach Meinung des LSG eine von einer nachträglichen Vereinbarung abhängige Ungewißheit für Versicherungsträger und Versicherte untragbar sei, so könne dazu nur gesagt werden, daß es noch weitaus untragbarer sei, würde die Verwaltungsvereinfachung vor die Gerechtigkeit für den Arbeitnehmer gehen. Im Gegensatz zur Auffassung des LSG spiele die Tatsache, daß von der rückwirkenden Lohnerhöhung als beitragspflichtigem Arbeitseinkommen Beiträge zur Arbeitslosenversicherung abgeführt werden mußten, eine wesentliche Rolle. Ein Arbeitnehmer, der Beiträge rückwirkend zahle, müsse Ansprüche für die Zeit haben, für die er diese abführe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig-Holstein vom 14. Mai 1976 sowie das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 3. April 1975, die Bescheide des Arbeitsamts K vom 31. Mai und 5. Dezember 1974 sowie 22. Januar 1975 und den Widerspruchsbescheid vom 20. (gemeint 28.) Oktober 1974 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger vom 1. April 1974 bis zum 31. März 1975 ein höheres Unterhaltsgeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist gemäß § 160 Abs 1 SGG zulässig, aber nicht begründet.
Das LSG hat zu Recht entschieden, daß für die Berechnung des dem Kläger zustehenden Uhg nach § 44 Abs 2 Satz 3 AFG in der bis 31. Dezember 1975 geltenden Fassung iVm § 112 AFG rückwirkende tarifliche Lohnerhöhungen, die erst nach Ablauf des letzten abgerechneten Lohnzahlungszeitraumes vereinbart werden, nicht zu berücksichtigen sind. Dies entspricht der gefestigten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (BSG SozR 4100 § 112 Nr 1, Nr 3; Urteil des erkennenden Senats vom 21. Juli 1977 - 7 RAr 102/76). Dazu hat der 12. Senat des BSG ausgeführt (SozR 4100 § 112 Nr 3): "Nach § 112 Abs 2 und 3 AFG, der auch im Rahmen des § 44 Abs 2 AFG anzuwenden ist, ist das Arbeitsentgelt zugrunde zu legen, das in den letzten am Tage des Ausscheidens des Arbeitnehmers aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Lohnabrechnungszeiträumen, die mindestens 20 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt umfassen müssen, erzielt wurde. Hierbei ist nur das Arbeitsentgelt zu berücksichtigen, das dem Kläger nach dem vor seinem Ausscheiden bestehenden Gehaltsanspruch zu zahlen war. Nach dem Wortlaut des Gesetzes wird auf die "abgerechneten" Lohnabrechnungszeiträume abgestellt. Der Berechnung kann daher nur dasjenige Arbeitsentgelt zugrunde gelegt werden, das überhaupt abgerechnet werden konnte. Der Einwand des Klägers, daß sich dann auch ein Berechnungsfehler negativ für den Arbeitnehmer auswirken würde, vermag diese Auslegung nicht zu beeinflussen, weil auch das fehlerhaft berechnete Arbeitsentgelt jedenfalls bis zum Ende des Abrechnungszeitraums verdient war und abgerechnet werden konnte. Dies ist bei Tariflohnerhöhungen, die erst nach Ablauf des Abrechnungszeitraums rückwirkend vereinbart werden, nicht der Fall.
Eine solche Auslegung widerspricht ... nicht Sinn und Zweck der Vorschrift. Durch die Regelung des § 112 AFG soll ersichtlich von den vor Beginn der Maßnahme oder der Arbeitslosigkeit bestehenden Einkommensverhältnissen ausgegangen werden und die Beibehaltung des bisherigen Lebensstandards in einem gewissen näher bestimmten Umfang gesichert werden. Hierbei ist Einkommen unbeachtlich, das in dieser Zeit tatsächlich noch nicht zur Verfügung stehen konnte. Mit Recht hat das LSG außerdem darauf hingewiesen, daß die Gesetzesfassung dazu dienen soll, klare Verhältnisse für die Berechnung der Leistungen zu sichern, damit eine raschere Feststellung der zu gewährenden Leistungen ermöglicht wird. Dies ergibt sich auch aus den Motiven, die der Eingrenzung auf "abgerechnete" Lohnabrechnungszeiträume durch das 7. Änderungsgesetz zum Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) vom 10. März 1967 (BGBl I 266) zugrunde lagen (BT-Drucks zu Drs V/1420, II, 1, g, S. 3). Im übrigen entspricht es einem feststehenden Grundsatz auch des Sozialversicherungsrechts, daß aus Gründen der Übersichtlichkeit und der Zügigkeit der Abwicklung von Ansprüchen rückwirkende Lohnveränderungen frühestens von dem Zeitpunkt an berücksichtigt werden können, in dem sie vereinbart worden sind. Das gilt ... für das Leistungsrecht sowohl im Bereich der Krankenversicherung (BSGE 36, 59 = SozR Nr 60 zu § 182 RVO) als auch für die Gewährung von Kurzarbeitergeld (BSGE 28, 231 = SozR Nr 1 zu § 121 AVAVG) und die Gewährung von Arbeitslosengeld (RVA AN 1930, 48; EuM 20, 432; BSGE 12, 55 = BSG SozR Nr 2 zu § 90 AVAVG; BSG SozR Nr 3 zu § 90 AVAVG)." Auch im Rahmen des § 112 AFG gilt dieser Grundsatz für den Bereich der Berechnung von Arbeitslosengeld und Uhg (BSG SozR 4100 § 112 Nrn 1 und 3). Es besteht keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.
Zu Unrecht geht der Kläger davon aus, er müsse Beiträge für die Gehaltserhöhung rückwirkend zahlen. Beitragsrechtlich konnte für den Monat März 1974 nicht nachträglich von dem höheren Gehalt ausgegangen werden. Eine Lohnnachzahlung ist zwar bei der Beitragsbemessung zu berücksichtigen, aber sie ist dem Entgelt in dem Zeitabschnitt zuzurechnen, in dem sie dem Versicherten zugeflossen ist (BSGE 22 S. 167).
Nach allem ist die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen