Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsmittelfähigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Neben einer verbundenen Aufhebungs- und Leistungsklage ist eine Feststellungsklage unzulässig, mit der nur eine selbständige Feststellung zur Vorfrage des Leistungsstreits begehrt wird.

Sie ist als vorbeugende Feststellungsklage insoweit zulässig, als eine über den Leistungsstreit hinausgreifende Feststellung beantragt wird und ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung besteht.

 

Leitsatz (redaktionell)

Zur Frage der Rechtsmittelfähigkeit:

1. Bei einer zugelassenen Revision ist die Zulässigkeit der Berufung von Amts wegen zu prüfen.

2. Bei mehreren voneinander unabhängigen prozessualen Ansprüchen ist die Frage der Rechtsmittelfähigkeit für jeden Anspruch gesondert zu prüfen.

3. Wird neben einer Leistungsklage die Feststellung begehrt, daß der Versicherungsträger verpflichtet ist, die beantragte Leistung auch in Zukunft zu gewähren (Feststellungsklage), so müssen an das Feststellungsinteresse besonders hohe Anforderungen iS einer ernstlichen Wiederholungsgefahr gestellt werden.

 

Normenkette

SGG § 55 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 8. Dezember 1970, wie folgt, geändert: Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 3. Juni 1969 aufgehoben, soweit es die gesonderte Feststellung der Nichtanrechenbarkeit der beamtenrechtlichen Beihilfe betrifft und insoweit die Klage als unzulässig abgewiesen; im übrigen wird die Berufung als unzulässig verworfen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten sämtlicher Rechtszüge zur Hälfte zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger, Beamter, ist freiwilliges Mitglied der Beklagten. Im Februar 1968 beantragte er, seiner Ehefrau Krankenpflege für eine Kur in einem Heilbad zu gewähren. Die Beklagte bewilligte ihm mit Bescheid vom 23. April 1968 unter Hinweis auf § 18 Nr. 7 ihrer Versicherungsbedingungen (VB) für eine Kur seiner Ehefrau in einem Sanatorium einen Zuschuß bis zum Betrag von täglich 32,- DM für die Dauer von 4 Wochen. Der Bescheid besagt, daß der Zuschuß nur bis zur Höhe der Selbstkosten gewährt und dabei die aus öffentlichen Mitteln gewährte Beihilfe einer Dienststelle angerechnet wird. Der Kläger forderte mit dem Widerspruch ohne Erfolg, die Beihilfe seines Dienstherrn bei der Berechnung der Selbstkosten für die Kur außer Ansatz zu lassen.

Gegen den Widerspruchsbescheid hat der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) für das Saarland Klage erhoben. Er hat sich weiterhin dagegen gewandt, daß die Beklagte die ihm als Beamten gewährte Beihilfe auf den Zuschuß anrechnet. Sie entspringe der Fürsorgepflicht des Dienstherrn und habe keinerlei Bezug zu seinem Versicherungsverhältnis. Leistungen anderer Arbeitgeber rechne die Beklagte auch nicht an. Nachdem der Kläger zunächst nur gefordert hatte, die angefochtenen Verwaltungsakte abzuändern und die Beklagte zur Zahlung eines Zuschusses für die Kur von täglich 32,- DM zu verurteilen, hat er in der mündlichen Verhandlung außerdem beantragt festzustellen, daß die Beklagte nicht berechtigt sei, eine erhaltene Beihilfe auf ihre Leistungen zur Anrechnung zu bringen. Eine Begründung für die ergänzte Antragstellung hat der Kläger nicht gegeben.

Die Beklagte ist demgegenüber bei ihrer Auffassung verblieben, daß die erhaltene Beihilfe anzurechnen sei. Das SG hat in dem Urteil vom 3. Juni 1969 unter Ziff. I die angefochtenen Bescheide dahin geändert, daß die Beklagte die satzungsgemäßen Leistungen in Höhe bis zu 32,- DM täglich für die genehmigte Kur zu zahlen habe, und unter Ziff. II festgestellt, daß die Beklagte nicht berechtigt ist, die erhaltene Beihilfe auf ihre Leistungen zur Anrechnung zu bringen. Es hat den Feststellungsantrag für zulässig gehalten, da dieser für den Kläger weitergehende Bedeutung als der übrige Klageantrag haben könne und für ihn insoweit ein Feststellungsinteresse gegeben sei. In der Sache ist es der Auffassung, der Kläger habe nach den VB der Beklagten davon ausgehen können, daß nur Versicherungsleistungen anrechenbar seien; die Beihilfe des Dienstherrn gehöre jedoch nicht dazu.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) für das Saarland das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 8. Dezember 1970). Es führt aus, daß nur die Feststellungsentscheidung zu Ziff. II des Urteils berufungsfähig sei, während gegen die Entscheidung über die Leistung die Berufung nicht stattfinden könne; es handele sich aber bei beiden Streitpunkten um ein einheitliches Begehren, nämlich um die Frage der Anrechenbarkeit der Beihilfe auf die Krankheitskosten. Da beide Ansprüche ihrer Natur nach eine einheitliche Entscheidung erforderten, sei es nicht vertretbar, sie hinsichtlich der Zulässigkeit der Berufung gesondert zu behandeln. In der Sache hält das LSG die Regelung des § 18 Nr. 7 der VB für eindeutig. Unter "Selbstkosten" sei der Betrag zu verstehen, der dem Betroffenen als Vermögenseinbuße verbleibe. Da die beamtenrechtliche Beihilfe den Ausgleich derartiger Verluste bezwecke, müsse der Kläger sie sich anrechnen lassen.

Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung beamtenrechtlicher Beihilfebestimmungen sowie der VB der Beklagten. Die Regelung in § 18 Nr. 7 der VB lasse nicht erkennen, was unter Selbstkosten zu verstehen sei. Unter Heranziehung des § 18 Nr. 8 der VB müsse jedoch davon ausgegangen werden, daß nur eine soziale Leistung, nicht aber die beamtenrechtliche Beihilfe, bei der Ermittlung der Selbstkosten anrechenbar sei.

Der Kläger beantragt,

1.

unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts vom 8. Dezember 1970 und entsprechender Änderung des Bescheides vom 23. April 1968 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 1968 festzustellen, daß die Beklagte nicht berechtigt ist, die gewährte Beihilfe auf ihre Leistungen zur Anrechnung zu bringen,

2.

der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend und verweist auf eine vergleichbare Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen.

II

Die Revision ist kraft Zulassung statthaft. Sie ist zum Teil auch begründet.

Zu Unrecht hat das LSG in dem angefochtenen Urteil die Berufung in vollem Umfang für zulässig gehalten und über die Ansprüche sachlich entschieden. Bei einer zugelassenen Revision ist die Zulässigkeit der Berufung von Amts wegen zu prüfen (BSG 2, 225, 227). Für diese Frage kommt es zunächst darauf an, ob die Ansprüche, die Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens sind, unter die Berufungsausschließungsgründe der §§ 144 bis 149 SGG fallen. Wenn auch die Anträge des Klägers seine Ansprüche nicht ganz zweifelsfrei deutlich machen, sind SG und LSG doch zutreffend davon ausgegangen, daß der Kläger zwei prozessuale Ansprüche erhebt. Mit der neben der Anfechtung der Verwaltungsakte erhobenen Leistungsklage fordert er die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung des vollen Zuschusses für die inzwischen bereits durchgeführte Kur seiner Ehefrau, mit der Feststellungsklage begehrt er die Feststellung der Nichtanrechenbarkeit seiner beamtenrechtlichen Beihilfe auf den Kurzuschuß.

Es kann nicht angenommen werden, daß der Kläger die Feststellung nur auf die Berechnungsweise des Zuschusses hätte beschränken wollen, der ihm für die durchgeführte Kur bewilligt war, da darüber bereits als Vorfrage der Leistungsklage zu entscheiden war und demgemäß insoweit eine selbständige Feststellungsklage wegen deren subsidiären Charakters nicht zulässig gewesen wäre (vgl. § 43 Abs. 2 VwGO; so auch Peters-Sautter-Wolff, Komm. zur SGb, 4. Aufl. § 55 SGG Anm. 8; Brackmann Handbuch der Sozialversicherung 1. bis 7. Aufl. S. 240 k; Rohwer-Kahlmann SGG 4. Aufl. § 55 Anm. 3). Dieser Antrag des Klägers ist mithin so zu verstehen, daß er die Feststellung über die Berechnungsweise des zuerkannten Zuschusses hinaus auch auf sonstige (künftige) Fälle der Zuschußgewährung erstreckt haben will. Das SG hat auch, wie seine Ausführungen über die weitergehende Bedeutung des Feststellungsantrags erkennen lassen, den prozessualen Anspruch des Klägers so aufgefaßt. Ist somit davon auszugehen, daß der Kläger im Rechtsstreit die Zahlung des vollen Zuschusses sowie eine darüberhinausgehende Feststellung fordert, so macht er zwei selbständige prozessuale Ansprüche geltend, über deren Bestehen oder Nichtbestehen unabhängig voneinander entschieden werden kann.

Entgegen der Auffassung des LSG ist jedoch bei selbständigen prozessualen Ansprüchen die Frage ihrer Rechtsmittelfähigkeit gesondert zu prüfen (BSG in SozR, ZPO § 521 Nr. 12). Die bloße Gleichartigkeit des mit beiden Ansprüchen erstrebten Erfolges oder ihre Ableitung aus demselben Rechtsverhältnis genügt noch nicht, um für sie die Zulässigkeit der Berufung einheitlich beurteilen zu können. Die Leistungsklage betrifft einen Anspruch auf wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu 13 Wochen, für den nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG die Berufung nicht zulässig ist. Bei solchen wiederkehrenden Leistungen, ebenso wie bei den anderen nach §§ 144 bis 149 SGG von der Berufung ausgeschlossenen Ansprüchen, läßt sich das Klageziel in der Regel mit der Leistungsklage oder der Feststellungsklage erreichen, häufig auch mit beiden Klagen, so wie das im vorliegenden Fall geschehen ist. Würde allein die Gleichartigkeit des erstrebten Erfolges oder die Identität des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses schon ausreichen, um die Rechtsmittelfähigkeit der Ansprüche einheitlich zu beurteilen, so würden infolge der Berufungsfähigkeit des Feststellungsanspruchs die Unzulässigkeitsvoraussetzungen der §§ 144 bis 149 SGG ihre Bedeutung verlieren. Zumindest in den Fällen, in denen beide Klagen erhoben werden können, wäre es dem freien Belieben der Prozeßbeteiligten überlassen, durch entsprechende Gestaltung ihrer prozessualen Ansprüche die vom Gesetz vorgesehenen Schranken der Berufung zu umgehen. Aus Sinn und Zweck der Rechtsmittel ergibt sich jedoch, daß der Gesetzgeber in § 150 SGG erschöpfend bestimmt hat, unter welchen Voraussetzungen für Ansprüche der in §§ 144 bis 149 SGG bestimmten Art die Berufung zulässig sein soll und daß dies jedenfalls nicht in der freien Entscheidung der Prozeßbeteiligten steht. Die Feststellungsklage kann nicht dazu dienen, die besonderen und unterschiedlichen Voraussetzungen anderer Klagearten zu umgehen (Peters-Sautter-Wolff aaO § 55 Anm. 8; vgl. LVG Urteil vom 18. November 1949 in MDR 1950 S. 309), die Zulässigkeit der Berufung ist somit für die beiden prozessualen Ansprüche des Klägers gesondert zu prüfen.

Da für den Leistungsanspruch die Berufung nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG nicht zulässig ist, das SG sie nicht im Urteil zugelassen (§ 150 Nr. 1 SGG) und das LSG auch keine wesentlichen Verfahrensmängel festgestellt hat (§ 150 Nr. 2 SGG), war dem LSG die sachliche Nachprüfung dieses Anspruchs verwehrt. Es hätte nicht zum Nachteil des Klägers darüber sachlich entscheiden dürfen. Dessen Revision mußte demgemäß Erfolg haben, soweit er in diesem Umfang die Änderung des angefochtenen Urteils beantragt. Die Berufung der Beklagten war als unzulässig zu verwerfen, soweit sie den Leistungsanspruch des Klägers betrifft; die Zahlungsverpflichtung der Beklagten aus dem sozialgerichtlichen Urteil für eine wiederkehrende Leistung von weniger als 13 Wochen erwächst damit in Rechtskraft.

Der Feststellungsanspruch des Klägers ist der Berufung zugängig. Das LSG konnte ihn nachprüfen, es hat jedoch - ohne Angabe von Gründen - zu Unrecht ein berechtigtes Interesse des Klägers an der baldigen Feststellung bejaht. Auf ein berechtigtes Interesse der Beklagten kann es in diesem Zusammenhang nicht ankommen, zumal sie weder eine Feststellungs- (Wider-) Klage erhoben noch das SG - ungeachtet der Frage ihrer Zulässigkeit - etwa durch Klageabweisung darüber erkannt hätte. Da die Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG, wie bereits erörtert, über die erhobene Leistungsklage hinausgeht, muß der Kläger dartun, daß er insoweit ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Das Begehren des Klägers betrifft inhaltlich eine vorbeugende Feststellung, bei der, wie der 6. Senat des BSG bereits entschieden hat (Beschluß vom 7. Dezember 1970 in SozR, SGG § 55 Nr. 50), an das Feststellungsinteresse hohe Anforderungen i. S. einer ernstlichen Wiederholungsgefahr gestellt werden müssen. Der Kläger hat indes über die zur Begründung seiner Leistungsklage dienenden Tatsachen hinaus nichts dargelegt, woraus sich ein berechtigtes Interesse an der alsbaldigen Feststellung ergäbe. Das SG und das LSG haben darüber keine Ausführungen gemacht, und auch sonst lassen sich aus dem Streitstoff keine Tatsachen dazu entnehmen. Insbesondere hat der Kläger nicht vorgetragen, daß er für eine weitere Kur einen Zuschuß schon beantragt habe oder doch alsbald einen Antrag zu stellen beabsichtige und daß darüber mit der Beklagten neuerlich ein Streit entstehen könne. Die bloße Möglichkeit, daß in einem zukünftigen - ungewissen - Zeitpunkt die dem Feststellungsbegehren zugrunde liegende Frage in gleicher oder ähnlicher Art, vielleicht sogar zwischen der Beklagten und anderen Versicherten, zum Streit führen könnte, vermag ein berechtigtes Interesse des Klägers an der baldigen Feststellung nicht zu begründen. Da es der Feststellungsklage an einer Zulässigkeitsvoraussetzung ermangelt, ist das angefochtene Urteil dahin zu ändern, daß sie anstatt als unbegründet als unzulässig abzuweisen ist. Insoweit bleibt die Revision des Klägers ohne Erfolg, durch die Änderung wird er nicht beschwert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

MDR 1973, 441

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