Leitsatz (redaktionell)
Ruhen der Leistung nach § 625 RVO:
1. Die Anwendung des § 625 Abs 1 RVO ist nicht durch das auch von Jordanien in Kraft gesetzte "Übereinkommen Nr 118 der Internationalen Arbeitsorganisation über die Gleichbehandlung von Inländern und Ausländern in der Sozialen Sicherheit vom 28.7.1962" ausgeschlossen. Denn das Übereinkommen erfaßt nur Arbeitsunfälle (Berufskrankheiten), die nach seinem Inkrafttreten für die Bundesrepublik Deutschland (19. März 1972) eingetreten sind.
2. § 625 Abs 1 Nr 1 RVO ist nicht verfassungswidrig. Denn einmal sieht auch das BVerfG eine differenzierte gesetzliche Regelung zwischen Ausländern und Deutschen als grundsätzlich zulässig an. Ferner wird, anders als im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung, in der Unfallversicherung die Rentenleistung nicht durch eigene Beiträge des Rentenberechtigten mitfinanziert; somit steht bei einer freiwilligen Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts ins Ausland nicht der Verlust einer durch eigene Beitragsleistung erworbenen Rechtsposition in Frage.
3. Verlegt ein Ausländer trotz fortbestehender Aufenthaltserlaubnis seinen Aufenthalt ins Ausland, so hält er sich grundsätzlich freiwillig gewöhnlich im Ausland auf (§ 625 Abs 1 Nr 1). Auch das spätere Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis macht den Verbleib im Ausland nicht automatisch unfreiwillig. Vielmehr ist eine Feststellung darüber erforderlich, ob der freie Wille darauf gerichtet ist, den gewöhnlichen Aufenthalt wieder in der Bundesrepublik Deutschland zu nehmen. Der Rückkehrwille bedarf des Nachweises durch objektive äußere Umstände. Dieser Nachweis ist nicht erbracht, wenn der sich in der Bundesrepublik besuchsweise aufhaltende Ausländer keinerlei Schritte unternimmt, um seinen gewöhnlichen Aufenthalt wieder in der Bundesrepublik Deutschland zu nehmen (zB Antrag auf erneute Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis).
4. Das Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis darf mit der daraus resultierenden Ausreisepflicht einer Ausweisung, die im Rahmen von § 625 Abs 1 Nr 2 RVO Bedeutung erlangen kann, nicht gleichgesetzt werden.
Normenkette
RVO § 625 Abs. 1 Nrn. 1-2; IAOÜbk 19 Fassung: 1925-06-05; IAOÜbk 118 Fassung: 1962-06-28; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die dem Kläger zustehende Verletztenrente seit 1. Dezember 1976 nach § 625 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) ruht.
Der 1944 geborene Kläger ist jordanischer Staatsangehöriger. Er war im Jahre 1964 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Am 26. Juli 1966 erlitt er einen Arbeitsunfall. Die Beklagte bewilligte dem Kläger wegen der Unfallfolgen mit Bescheid vom 14. Juni 1968 eine Dauerrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um zunächst 30 % und ab 30. März 1968 nach einer MdE um 20 %.
Nachdem der Arbeitgeber das - auch nach dem Arbeitsunfall weiter bestehende - Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 28. Februar 1975 gekündigt hatte, lebte der Kläger seinen Angaben zufolge von der Unfallrente und Ersparnissen; eine Meldung beim Arbeitsamt erfolgte nicht. Nach einer von der Beklagten eingeholten Auskunft des Arbeitsamtes L. vom 4. Juli 1979 wäre dem Kläger eine weitere Arbeitserlaubnis im Hinblick auf die bisherige Aufenthalts- und Beschäftigungsdauer in Deutschland unbefristet erteilt worden.
Ende November 1976 gab der Kläger seine Unterkunft in K. auf und kehrte in seine Heimat zurück. Die nach dem Ausländergesetz (AuslG) erforderliche Aufenthaltserlaubnis war zuletzt im Juli 1976 bis Juli 1978 verlängert worden. Das Ausländeramt der Stadt L. erklärte die Aufenthaltserlaubnis am 2. März 1978 gem § 9 Abs 1 Nr 3 AuslG für ungültig; ausweislich einer entsprechenden Eintragung in dem Reisepaß des Klägers war dieser bis zum 16. März 1978 zur Ausreise verpflichtet. Zu dieser Zeit befand sich der Kläger zu Besuch in Deutschland; er hatte sich hierin ab 1977 zwar wiederholt, aber jeweils nur vorübergehend begeben. Als die Beklagte von diesem Sachverhalt erfuhr, stellte sie mit Ablauf des Monats Oktober 1978 die Rentenzahlungen ein. Mit Bescheid vom 25. September 1979 teilte sie dem Kläger mit, daß seine Rente seit 1. Dezember 1976 ruhe.
Die dagegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) Mainz abgewiesen (Urteil vom 18. September 1980) abgewiesen: Der Kläger habe freiwillig den Geltungsbereich des Grundgesetzes (GG) verlassen; es lägen auch keinerlei objektive Nachweise dafür vor, daß er sich nach seiner Rückkehr nach Jordanien ernsthaft bemüht habe, in der Bundesrepublik Deutschland wieder Arbeit zu finden. Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland- Pfalz unter Änderung des Urteils erster Instanz den Bescheid der Beklagten vom 25. September 1979 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Verletztenrente aus dem Unfall vom 26. Juli 1966 über Oktober 1978 hinaus auch während des gewöhnlichen Aufenthalts des Klägers im Königreich Jordanien auszuzahlen (Urteil vom 4. November 1981). Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Gesetzesmerkmale des § 625 RVO seien nicht erfüllt. Daher könne dahingestellt bleiben, ob die Vorschrift wegen des nahezu gleichen Gesetzeswortlauts und gleichen Gesetzeszwecks mit § 1315 Abs 1 Nr 1 RVO verfassungswidrig sei. Desgleichen könne dahinstehen, ob § 625 RVO im Hinblick auf das Übereinkommen Nr 118 der Internationalen Arbeitsorganisation über die Gleichbehandlung von Inländern und Ausländern in der Sozialen Sicherheit vom 28. Juni 1962 (Übereinkommen Nr 118) obsolet geworden sei. Es fehle jedenfalls sowohl an einer Freiwilligkeit des Auslandsaufenthalts als auch an einem - der Freiwilligkeit gleichgestellten - Aufenthaltsverbot für das Inland. Die Ausreiseverpflichtung nach § 12 AuslG iVm der Beendigung der Aufenthaltserlaubnis nach § 9 Abs 1 AuslG könne nicht als Aufenthaltsverbot gem § 625 Abs 1 Nr 2 RVO angesehen werden. Abzustellen sei deshalb auf § 625 Abs 1 Nr 1 RVO. Das Bundessozialgericht (BSG) habe den Begriff der Freiwilligkeit in einer Weise bestimmt, die nicht dazu nötige, möglichst viele Unfallverletzte im Ausland zur Rückkehr nach Deutschland zu bewegen, um hier bisher ruhende Verletztenrenten und ggf zusätzlich andere deutsche öffentliche Mittel, insbesondere Sozialhilfe, in Anspruch zu nehmen. Insoweit nimmt das LSG die Entscheidung des BSG vom 30. Mai 1969 - 2 RU 282/68 - (SozR § 625 RVO Nr 1) in Bezug. Danach verlasse auch der nicht ausgewiesene Ausländer die Bundesrepublik Deutschland nicht freiwillig, wenn er der Ausreisepflicht nachkomme. Die Ausreise und der dadurch herbeigeführte Auslandsaufenthalt beruhten dann nicht auf dem freien Entschluß des Versicherten, sondern auf der Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht. Darüber hinaus - so führt das LSG unter Berufung auf das Urteil des BSG vom 3. März 1960 - 4 RJ 186/57 - (SozR § 1283 RVO Nr 1) im weiteren aus - könnten auch andere Zwangslagen dem jeweiligen Aufenthalt die Freiwilligkeit nehmen, zB wenn schon der Versuch einer Rückkehr nach Deutschland als "durchaus unvernünftig" erscheine. Der Kläger verhalte sich vernünftig, wenn er lieber in seiner Heimat auf Arbeit warte, als in Deutschland die noch ansteigende Zahl der Arbeitslosen zu vermehren -. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Sie rügt sinngemäß einen Verstoß gegen die Ruhensvorschrift des § 625 Abs 1 Nr 1 RVO. Das LSG habe es - so trägt sie vor - nicht für notwendig gehalten zu prüfen, ob der Kläger nach der Kündigung seines Arbeitsverhältnisses überhaupt noch ernsthaft an der Wiederaufnahme einer Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland interessiert gewesen sei. Es spreche alles für eine Freiwilligkeit des klägerischen Aufenthalts in Jordanien.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 4. November 1981 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 18. September 1980 zurückzuweisen, hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 4. November 1981 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er meint, das LSG habe unangreifbar festgestellt, daß er sich nicht freiwillig außerhalb der Bundesrepublik aufhalte. Ob er sich "vernünftig" verhalte, sei unerheblich. Er könne aber ganz einfach deshalb nicht in die Bundesrepublik Deutschland zurückkehren, weil er als jordanischer Staatsangehöriger keine Aufenthaltserlaubnis erhalte, geschweige denn eine Arbeitserlaubnis. Die Ausweisung hätte von ihm mit Sicherheit erfolgreich angefochten werden können, da seine Aufenthaltserlaubnis erst am 1. Juli 1978 abgelaufen wäre und die Ausreiseverpflichtung auf einen davor liegenden Zeitpunkt festgesetzt worden sei. Er hätte zumindest im Verwaltungsrechtsweg erreichen können, daß er bis zum eigentlichen Ablauf seiner Aufenthaltserlaubnis in der Bundesrepublik hätte bleiben können.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 25. September 1979 ist rechtmäßig. Entgegen der vom LSG vertretenen Auffassung ruht die dem Kläger zustehende Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung seit 1. Dezember 1976 gem §§ 625 Abs 1 Nr 1, 631 RVO.
Nach § 625 Abs 1 RVO ruht die Rentenleistung, solange der Rentenberechtigte weder Deutscher iS des Art 116 Abs 1 GG noch früherer deutscher Staatsangehöriger iS des Art 116 Abs 2 GG ist und sich freiwillig gewöhnlich außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes aufhält (Nr 1) oder gegen ihn ein Aufenthaltsverbot für den Geltungsbereich des Grundgesetzes verhängt ist (Nr 2).
Die Anwendung des § 625 Abs 1 RVO ist nicht durch entgegenstehende Rechtsvorschriften ausgeschlossen. In dem Übereinkommen Nr 19 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über die Gleichbehandlung einheimischer und ausländischer Arbeitnehmer bei Entschädigung aus Anlaß von Betriebsunfällen (Übereinkommen Nr 19) vom 5. Juni 1925 (RGBl 1928 II S 509; Ratifikationsbekanntmachung vom 27. Dezember 1928 - RGBl 1929 II S 13) ist zwar die Gleichbehandlung der Staatsangehörigen ohne Rücksicht auf den Wohnsitz vorgesehen; die aus diesem Übereinkommen erwachsenen Verpflichtungen sind für die Bundesrepublik Deutschland verbindlich (vgl BSGE 30, 226, 227 und den Erlaß des Bundesministers für Arbeit - BMA - vom 8. August 1951 - BABl 1951, 389f). Voraussetzung für die in dem Übereinkommen Nr 19 vereinbarte, von den Mitgliedstaaten der IAO im Gegenseitigkeitsverhältnis vorzunehmende Gleichbehandlung der Staatsangehörigen ist aber, daß das Übereinkommen Nr 19 auch von demjenigen Mitgliedstaat ratifiziert worden ist, dessen Staatsangehörigkeit der Leistungsberechtigte besitzt (Art 1 Abs 1 Übereinkommen Nr 19). Da Jordanien das Übereinkommen Nr 19 nicht ratifiziert hat (vgl Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Auflage, § 625 RdNr 54; vgl auch BABl 1951, 389), kann sich die darin völkervertraglich festgelegte Begünstigung nicht zu Gunsten des Klägers auswirken.
Das weitere in Betracht zu ziehende Übereinkommen Nr 118 über die Gleichbehandlung von Inländern und Ausländern in der Sozialen Sicherheit vom 28. Juni 1962 (BGBl II 1970 S 803) ist hingegen sowohl von der Bundesrepublik Deutschland als auch von Jordanien ratifiziert worden. Das Übereinkommen Nr 118 ist für die Bundesrepublik Deutschland seit dem 19. März 1972 geltendes Recht (Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Übereinkommens Nr 118 vom 18. Juni 1971 - BGBl II S 950 -). Das Übereinkommen Nr 118 ist für Jordanien am 25. April 1964 in Kraft getreten; Jordanien hat ebenso wie die Bundesrepublik Deutschland und damit im Gegenseitigkeitsverhältnis die sich aus Art 2 Abs 1 Buchst g) ergebenden Verpflichtungen (= Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten) übernommen (vgl die Bekanntmachung aaO).
Gem Art 2 Nr 2 des Zustimmungsgesetzes vom 21. August 1970 (BGBl II S 802) ist § 625 RVO auf Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten der Internationalen Arbeitsorganisation, welche die Verpflichtungen aus dem Übereinkommen in dem Zweig der Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten übernommen haben, vom Tage des Inkrafttretens des Übereinkommens für die Bundesrepublik Deutschland nicht mehr anzuwenden. Diese in dem Vertragsgesetz normierte Nichtanwendung des § 625 RVO betrifft allerdings nur Arbeitsunfälle, die sich nachdem Inkrafttreten des Übereinkommens Nr 118 für die Bundesrepublik Deutschland ereignet haben (so auch BMA vom 15. Oktober 1973 VI/666430-Übereinkommen Nr 118, mitgeteilt in Rundschreiben des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften VB 217/73, abgedruckt in Lauterbach-Kartei Nr 9154 zum Stichwort "Ausland, Ausländerübereinkommen 118"). Nach Art 12 Abs 1 Übereinkommen Nr 118 wird das Übereinkommen nicht angewendet auf Leistungen, die zu gewähren waren, bevor die Bestimmungen des Übereinkommens für das betreffende Mitglied in bezug auf den Zweig der sozialen Sicherheit, in dem die Leistungen zu gewähren sind, in Kraft getreten sind. In Abs 2 des Art 12 ist bestimmt, daß Regelungen darüber, inwieweit das Übereinkommen auf Leistungen Anwendung findet, die aufgrund von Ereignissen zu gewähren sind, die sich vor seinem Inkrafttreten ereignet haben, mehrseitigen oder zweiseitigen Übereinkünften oder, in deren Ermangelung, der jeweiligen nationalen Gesetzgebung überlassen bleiben. Im Unterschied zu der Anwendung der Ruhensvorschrift des § 625 RVO, die nach der Übergangsregelung des Art 4 § 2 Abs 1 Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz (UVNG) auch für Arbeitsunfälle vor dem Inkrafttreten des UVNG vom 30. April 1963 (BGBl I S 241) gilt, fehlt es aber für die in Art 2 Nr 2 des Vertragsgesetzes im Hinblick auf Art 5 Abs 1 Übereinkommen Nr 118 ausdrücklich normierte Verpflichtung zur Nichtanwendung des § 625 RVO an einer entsprechenden Übergangsregelung. Rentenberechtigte Ausländer, die Rentenleistungen aufgrund von Versicherungsfällen erhalten, die sich vor dem 19. März 1972 ereignet haben, bleiben damit von der völkervertraglichen Begünstigung ausgenommen. Auch bei dem Übereinkommen Nr 19 hat das BSG für die zeitliche Abgrenzung auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalles abgehoben (BSGE 30, 226, 228f).
Die Entscheidung über das Ruhen der Rentenleistung bestimmt sich demgemäß allein nach § 625 Abs 1 RVO. Entgegen der vom LSG vertretenen Auffassung liegen die in der Nr 1 der Vorschrift normierten Voraussetzungen für das Ruhen der Rentenleistung vor.
§ 625 Abs 1 Nr 1 RVO ist nach Auffassung des Senats nicht verfassungswidrig. Zwar stimmt der Wortlaut der Ruhensvorschrift mit der vormals in § 1315 Abs 1 Nr 1 RVO aF (= § 94 Abs 1 Nr 1 Angestelltenversicherungsgesetz -AVG- aF) für die gesetzliche Rentenversicherung getroffenen Ruhensregelung im wesentlichen überein. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 20. März 1979 (BVerfGE 51, 1 ff = SozR 2200 § 1315 Nr 5) war § 94 Abs 1 Nr 1 AVG aF mit Art 3 Abs 1 GG unvereinbar; diese Unvereinbarkeit ist aber darauf zurückzuführen, daß dem Berechtigten in der Regelung auch kein Anspruch auf eine angemessene Erstattung der Beiträge eingeräumt war (vgl BSG, Urteil vom 9. September 1982 - 5b RJ 40/81 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Die gesetzliche Differenzierung zwischen Ausländern und Deutschen hingegen ist vom BVerfG auch im Rahmen des § 94 Abs 1 Nr 1 AVG für grundsätzlich zulässig erachtet worden (BVerfG aaO S 24). Anders als im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung wird die Rentenleistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung jedoch nicht durch eigene Beiträge des Rentenberechtigten mitfinanziert. Damit steht bei einer freiwilligen Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts des Leistungsberechtigten, der eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung bezieht, nicht der Verlust einer durch eigene Beitragsleistung erworbenen Rechtsposition in Frage. Der Differenzierungsgesichtspunkt, ausländische Staaten zu Sozialversicherungsabkommen mit der Bundesrepublik zu veranlassen, um so auch Deutschen die Realisierung ihrer Ansprüche gegen ausländische Staaten zu ermöglichen, gibt daher zu verfassungsrechtlichen Bedenken keinen Anlaß.
Bei der Prüfung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale des § 625 Abs 1 Nr 1 RVO ist das LSG zunächst zutreffend davon ausgegangen, daß der Kläger Ende November 1976 seinen gewöhnlichen Aufenthalt nach Jordanien verlegt hatte. Nach den nicht angegriffenen und damit für den Senat bindenden Tatsachenfeststellungen (§ 163 SGG) war der Kläger Ende November 1976 in seine Heimat zurückgekehrt und hatte sich danach zwar noch wiederholt, aber jeweils nur besuchsweise vorübergehend in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten. Daß der Kläger, wie er vorträgt, im Hinblick auf die zu dieser Zeit fortbestehende Aufenthaltserlaubnis die rechtliche Möglichkeit gehabt hätte, in der Bundesrepublik Deutschland zu bleiben, und zwar unter Umständen, dh im Falle einer erfolgreichen Klage vor dem Verwaltungsgericht, sogar bis mindestens Juli 1978, spielt für die Beurteilung des gewöhnlichen Aufenthalts keine Rolle; dieser bestimmt sich vielmehr allein nach den tatsächlichen Verhältnissen. Die rechtliche Möglichkeit für den Kläger als Ausländer, sich in der Bundesrepublik Deutschland aufzuhalten, wird erst im Rahmen der Freiwilligkeit der Aufenthaltsbestimmung entscheidungserheblich. Der Verlust der Aufenthaltserlaubnis vermag dann eine Zwangslage zu begründen, die den Auslandsaufenthalt zu einem unfreiwilligen machen kann (BSG SozR § 625 RVO Nr 1).
Das LSG beruft sich allerdings, indem es den Auslandsaufenthalt des Klägers als unfreiwillig erachtet, zu Unrecht auf diese Entscheidung des BSG. Denn der Verlust der Aufenthaltserlaubnis konnte erst ab 17. März 1978 zu einer derartigen Zwangslage führen. Für die Zeit vom 1. Dezember 1976 bis einschließlich 16. März 1978 hingegen ist eine wie auch immer geartete Zwangslage weder aus den vom LSG angeführten Gründen gegeben noch sonst ersichtlich. Dabei kann dahinstehen, ob es schon Ende des Jahres 1976 im Hinblick auf einen "unerwünscht hohen Arbeitslosenanteil in Deutschland" vernünftig gewesen wäre, auszureisen bzw "durchaus unvernünftig", in der Bundesrepublik Deutschland zu bleiben. Auch im Wege der Auslegung vermag die Qualifizierung des Verhaltens des Ausländers als "vernünftig" für § 625 Abs 1 Nr 1 RVO keine rechtliche Bedeutung zu erlangen. Denn die Vorschrift stellt nach dem klaren Gesetzeswortlaut allein auf das Merkmal der Freiwilligkeit ab. Der freie Wille wird aber immer erst im Rahmen einer individuellen Zwangslage tangiert, bei der das Beharren auf dem freien Willen nur unter Vernachlässigung oder Aufgabe wesentlicher rechtsgeschützter Güter des Rentenberechtigten möglich und daher unvernünftig wäre (so schon RVA AN 1926 S 205; ebenso BSG, Urteil vom 3. März 1960 - 4 RJ 186/57 - SozR § 1283 RVO Nr 1 und Urteil vom 29.September 1980 - 4 RJ 99/78 - SozSich 1981, 223; vgl auch Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Auflage, S 593e mwN). Es kommt danach ausschließlich auf die konkrete Lebenssituation des Rentenberechtigten und die seinem freien Willen entgegenstehende individuelle Zwangslage an.
Anhaltspunkte dafür, daß eine derartige, wie auch immer geartete, tatsächliche Zwangslage den Kläger dazu bestimmt haben könnte, trotz der fortbestehenden Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland seinen gewöhnlichen Aufenthalt wieder in Jordanien zu nehmen, sind nicht ersichtlich. Daß es dem Kläger nach seinen Angaben nicht gelungen ist, eine neue Arbeitsstelle zu finden, vermag eine Zwangslage schon deshalb nicht zu begründen, weil er nicht alle Möglichkeiten, vor allem nicht die nächstliegende, sich beim Arbeitsamt zu melden, ausgeschöpft hat. Selbst wenn der Kläger es aus Unkenntnis unterlassen haben sollte, die tatsächlich und rechtlich gegebenen Möglichkeiten wahrzunehmen, seinen weiteren Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland sicherzustellen, so brachte er sich dadurch allenfalls in eine vermeintliche Zwangslage. Eine vermeintliche Zwangslage reicht jedoch nicht aus, um den Auslandsaufenthalt zu einem unfreiwilligen zu machen; erforderlich ist vielmehr eine objektive Zwangslage, die geeignet ist, den Ausländer bei verständiger Würdigung der Sachlage zur Aufenthaltnahme im Ausland zu bestimmen (RVA AN 1926 S 205).
Fehlt es aber an einer Zwangslage, die geeignet sein könnte, auf den freien Willen des Leistungsberechtigten einzuwirken, dann ist davon auszugehen, daß der Ausländer freiwillig seinen gewöhnlichen Aufenthalt in sein Heimatland zurückverlegt. Die bloße Behauptung, die Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland sei unfreiwillig erfolgt, ist ohnehin nicht als ausreichend zu erachten. Für eine Feststellung der Unfreiwilligkeit bedarf es vielmehr konkreter Anhaltspunkte, die auf die erforderliche Zwangslage schließen lassen. Daran fehlt es aber gerade im vorliegenden Falle.
Das LSG hat auch nicht - wie der Kläger meint - für das Revisionsgericht nach § 163 SGG bindende Tatsachenfeststellungen zur Unfreiwilligkeit des Auslandsaufenthalts des Klägers getroffen. Die "Feststellung" der Unfreiwilligkeit beruht vielmehr ausschließlich auf der im Revisionsverfahren nachprüfbaren fehlerhaften rechtlichen Bewertung des Merkmals der Freiwilligkeit in § 625 Abs 1 Nr 1 RVO.
Für die Zeit ab dem 17. März 1978 bestand allerdings wegen des Erlöschens der Aufenthaltserlaubnis eine objektive Zwangslage, die den Kläger hinderte, entsprechend einem etwaigen darauf gerichteten freien Willen den gewöhnlichen Aufenthalt wieder in der Bundesrepublik Deutschland zu nehmen. Gleichwohl stellt sich der Auslandsaufenthalt des Klägers auch von dieser Zeit an nicht als ein unfreiwilliger dar, der eine Wiederaufnahme der Rentenauszahlung geböte (vgl den Gesetzeswortlaut des § 625 Abs 1 RVO "solange"). Denn aus dem Verlust der Aufenthaltserlaubnis allein folgt nicht schon die Unfreiwilligkeit des weiteren Verbleibs im Ausland. Das Fehlen einer Aufenthaltserlaubnis macht die nach §625 Abs 1 Nr 1 RVO erforderliche Feststellung, ob der freie Wille darauf gerichtet ist, den gewöhnlichen Aufenthalt wieder in der Bundesrepublik Deutschland zu nehmen, nicht entbehrlich. Vielmehr bleibt der gewöhnliche Aufenthalt des Rentenberechtigten im Ausland auch dann ein freiwilliger, wenn ihm zwar die Rückkehr unmöglich geworden ist, der Wille zur Rückkehr aber fehlt (so bereits RVA AN 1914 S 703; ständige Rechtsprechung des BSG zu § 1315 Abs 1 Nr 1 RVO aF: zB Urteil vom 24. November 1967 - 12 RJ 420/66 - MittRuhrKn 1969, 114; Urteil vom 28. Januar 1970 -12 RJ 552/65- Nachr LVA Hessen 1972, 20; Urteil vom 27. Juli 1972 - 1 RA 281/71 - DRV 1972, 412). In allen Fällen muß daher zuvor geklärt werden, ob der Leistungsberechtigte überhaupt rückkehrwillig ist oder ohne das Vorliegen einer Zwangslage überhaupt sein würde (BSG SozR § 1283 RVO Nr 1).
Die vom LSG angeführte Entscheidung des BSG vom 30. Mai 1969 (SozR § 625 RVO Nr 1) steht dem nicht entgegen. Es handelte sich dort um eine Fallgestaltung, bei der der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland beibehalten hatte und eine Rückkehr nach Jordanien erst wegen des Ablaufs der nicht mehr verlängerten Aufenthaltserlaubnis zu erwarten stand. Es kam damit nicht auf den Rückkehrwillen des Ausländers, sondern auf den freien Willen an, in der Bundesrepublik Deutschland zu bleiben.
Die an den Rückkehrwillen zu stellenden Anforderungen sind aber strengere, insbesondere bei einem Ausländer, der freiwillig in seine Heimat zurückgekehrt ist und bei dem nunmehr eine Willensänderung insofern in Betracht kommt, als ein ursprünglich freiwilliger Auslandsaufenthalt sich in einen unfreiwilligen gewandelt haben soll (BSG, Urteil vom 29. September 1980 - 4 RJ 99/78 - SozSich 1981, 223). Der Rückkehrwille bedarf dann des Nachweises durch objektive äußere Umstände; das gilt unabhängig davon, welche Zwangslage besteht (BSG, Urteil vom 18.August 1971 - 4 RJ 25/71 - BSGE 33, 107, 108).
Daß eine Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland nach dem 16. März 1978 noch beabsichtigt war, ist von dem Kläger zu keiner Zeit, und zwar auch nicht in Kenntnis des sozialgerichtlichen Urteils, behauptet worden. Für eine derartige Behauptung bedürfte es zudem konkreter Anhaltspunkte, aus denen sich das ernsthafte Bemühen des Klägers ergäbe, den gewöhnlichen Aufenthalt in die Bundesrepublik Deutschland zurückzuverlegen. Es fehlt aber nicht nur jeglicher Anhalt für ein derartiges Bestreben; aufgrund der vorliegenden Umstände ist vielmehr davon auszugehen, daß der Kläger nicht den Willen hatte, in die Bundesrepublik Deutschland - nicht nur vorübergehend - zurückzukehren. Ausweislich der - vom LSG im Tatbestand des angefochtenen Urteils in Bezug genommenen - Verwaltungsakte der Beklagten und nach den damit übereinstimmenden eigenen Angaben des Klägers im Klagevorbringen hielt sich der Kläger auch noch nach dem Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis mehrfach besuchsweise in der Bundesrepublik Deutschland auf. Er unternahm dabei verschiedentlich Behördengänge, zB zum Sozialamt und um Erkundigungen über die Auszahlung der Verletztenrente einzuholen, jedoch keinerlei Schritte, seinen gewöhnlichen Aufenthalt wieder in der Bundesrepublik Deutschland zu nehmen. Der Kläger unterließ es aber nicht nur, einen etwaigen Rückkehrwillen - was erforderlich gewesen wäre - durch entsprechende rechtliche Schritte, zB einen erneuten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, zu dokumentieren. Der Umstand, daß der Kläger schon im Mai 1978 bei der zuständigen Landesversicherungsanstalt einen Antrag auf Erstattung der Rentenversicherungsbeiträge gestellt hatte, verdeutlicht vielmehr noch zusätzlich, daß ein Wille, wieder in der Bundesrepublik Deutschland zu leben und zu arbeiten, gar nicht mehr bestand.
Da bereits der Ruhenstatbestand des § 625 Abs 1 Nr 1 RVO eingreift, kann dahinstehen, ob für die Zeit ab dem 17. März 1978 - gleichzeitig - auch die Voraussetzungen der Nr 2 des § 625 Abs 1 RVO vorliegen. Beizupflichten ist dem LSG jedenfalls darin, daß das Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis wegen fehlenden gewöhnlichen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland mit der daraus resultierenden Ausreisepflicht einer Ausweisung, die im Rahmen des § 625 Abs 1 Nr 2 RVO Bedeutung erlangen kann (vgl § 52 AuslG), nicht gleichgesetzt werden darf (BSG SozR § 625 RVO Nr 1).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen