Entscheidungsstichwort (Thema)
Begriff "frühere Ehefrau". Wiederaufleben eines Hinterbliebenenrentenanspruchs
Leitsatz (redaktionell)
1. Maßgebend für die Eigenschaft "frühere Ehefrau" ist der Todeszeitpunkt des Versicherten. Eine geschiedene Ehefrau, die zu Lebzeiten des Versicherten wieder geheiratet hat, ist daher bei dem den Hinterbliebenenanspruch auslösenden Ereignis des Todes keine "frühere Ehefrau" iS des RVO § 1265.
2. Nur eine Frau, die zu Lebzeiten des Versicherten nicht wieder geheiratet hat, ist eine "frühere Ehefrau" des Versicherten iS des RVO § 1265.
Orientierungssatz
Die Lage einer Frau, die ihren gesicherten Hinterbliebenenrentenanspruch durch die Wiederheirat aufgegeben hat, ist nicht mit der Lage einer Frau zu vergleichen, die bei der Wiederheirat keinen Hinterbliebenenrentenanspruch hatte und somit keine durch eine Rente gesicherte Einkommenslage aufgegeben hat.
Normenkette
RVO § 1265 S. 1 Fassung: 1957-02-23, § 1291 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 25. Mai 1976 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Es ist umstritten, ob die Klägerin Anspruch auf Hinterbliebenenrente aus der Versicherung des W. hat (§§ 1265, 1291 Reichsversicherungsordnung - RVO -).
Die Klägerin war bis 1946 mit M. verheiratet; die Ehe wurde geschieden.
Im Februar 1949 heiratete die Klägerin den Versicherten W. Diese Ehe wurde im Dezember 1949 aus Verschulden des Versicherten geschieden. Der Versicherte ist am 2. September 1967 gestorben.
1954 heiratete die Klägerin den Z. Die Ehe wurde 1957 aus der Schuld der Klägerin geschieden.
1957 heiratete die Klägerin den E. Diese Ehe wurde im Januar 1969 aus der Schuld des Ehemannes geschieden.
Die früheren Ehegatten - außer W. - leben noch.
1972 beantragte die Klägerin Hinterbliebenenrente nach W. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 1. Februar 1973 ab: Nach § 1291 Abs 2 RVO müsse vor der Wiederheirat ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente bestanden haben. Ein solcher habe hier nicht bestanden; die Klägerin sei zu Lebzeiten des Versicherten eine neue Ehe eingegangen und zur Zeit des Todes des Versicherten sei sie mit E. verheiratet gewesen. Eine frühere Ehefrau iS des § 1265 RVO sei nur eine Frau, die zu Lebzeiten des Versicherten nicht wiedergeheiratet habe.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage der Klägerin abgewiesen (Urteil vom 10. April 1974). Das Landessozialgericht (LSG) hat ihre Berufung zurückgewiesen; die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 25. Mai 1976). Es hat im wesentlichen sinngemäß ausgeführt, die Klägerin habe zur Zeit des Todes des Versicherten keinen Hinterbliebenenrentenanspruch nach § 1265 RVO gehabt, denn sie sei nicht als "frühere Ehefrau" anzusehen, weil sie zu Lebzeiten des Versicherten wiedergeheiratet habe (Hinweis auf SozR Nr 30 zu § 1265 RVO). Sie habe auch keinen Anspruch auf eine wiederaufgelebte Hinterbliebenenrente nach § 1291 Abs 2 RVO. Diese Vorschrift setze voraus, daß eine Witwe wiedergeheiratet habe und daß ihr Witwenrentenanspruch aus diesem Grunde weggefallen sei. Witwe im Sinne dieser Vorschrift sei nur die Frau, die zur Zeit des Todes des Versicherten mit ihm verheiratet gewesen sei. Das sei hier nicht der Fall. Das LSG hat die Zulassung der Revision mit der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage, ob ein Anspruch in entsprechender Anwendung des § 1291 Abs 2 RVO bestehe, begründet.
Die Klägerin hat Revision eingelegt und - sinngemäß - beantragt,
die Urteile des LSG und des SG sowie den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr einen Bescheid über die Gewährung von Hinterbliebenenrente aus der Versicherung des W. zu erteilen.
Sie bringt vor, ihre Klage sei zu Unrecht abgewiesen worden. Ihr stehe in entsprechender Anwendung der Vorschrift des § 1291 Abs. 2 RVO ein Rentenanspruch zu.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Begründung und Entscheidung des LSG für zutreffend.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
II
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente.
Die Klägerin ist nicht die Witwe des Versicherten. Deshalb steht ihr Witwenrente nach § 1264 RVO nicht zu. Nach dieser Vorschrift erhält nach dem Tod des Versicherten seine Witwe eine Witwenrente. Zur Zeit des Todes des Versicherten (1967) war die Klägerin nicht "seine Witwe"; denn sie war 1949 vom Versicherten geschieden worden. Der Begriff "Witwe" ist in der RVO und anderen, von der Materie her vergleichbaren Gesetzen (Bundesbeamtengesetz, Bundesentschädigungsgesetz, Lastenausgleichsgesetz, Bundesversorgungsgesetz) nicht definiert. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist Witwe des Versicherten diejenige Frau, die zur Zeit seines Todes mit ihm in gültiger Ehe verheiratet war (vgl. SozR Nr. 4 zu § 1264 RVO). Dies ergeben die Worte "Ehemann" und "seine" Witwe in § 1264 RVO. "Seine" Witwe kann nur eine einzige Frau sein, während nach dem Wortlaut des § 1265 Satz 1 RVO "eine frühere Ehefrau des Versicherten" mehrere Frauen, die mit dem Versicherten verheiratet waren und geschieden wurden, "eine frühere Ehefrau" des Versicherten sein können.
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch nach § 1265 RVO. Nach Satz 1 dieser Vorschrift erwirbt eine frühere Ehefrau des Versicherten unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente. Maßgebend für die Eigenschaft "frühere Ehefrau" ist der Zeitpunkt des Todes des Versicherten; denn dies ist das einen Hinterbliebenenrentenanspruch auslösende Ereignis. Im Falle einer Wiederheirat vor dem Tod des Versicherten scheitert ein Hinterbliebenenrentenanspruch, der auf eine Unterhaltspflicht des Versicherten zur Zeit seines Todes nach den Vorschriften des Ehegesetzes (EheG) gestützt würde, an § 67 EheG; denn danach erlischt die Unterhaltspflicht mit der Wiederverheiratung des Berechtigten; ein solcher erloschener Unterhaltsanspruch lebt nicht mehr auf, wenn die neue Ehe aufgelöst wird (siehe Palandt, BGB, 34. Aufl., Anm 2 zu § 67 EheG). In der Entscheidung vom 5. März 1965 - 11 RA 12/64 (SozR Nr 30 zu § 1265 RVO) ist dazu ausgeführt, die vom Versicherten geschiedene "frühere Ehefrau" habe diese Stellung durch ihre Wiederverheiratung zu Lebzeiten des Versicherten verloren; es bestehe kein Grund, den Begriff "frühere Ehefrau" bei den übrigen Alternativen des § 1265 Satz 1 RVO anders auszulegen als bei der ersten Alternative. Dieser Auffassung folgt der Senat.
Die Auslegung des Begriffs "frühere Ehefrau" in § 1265 Satz 1 RVO ist nicht Gegenstand der Vorlagen des 12. Senats des BSG an den Großen Senat vom 18. Dezember 1975. Dort geht es nur um den Begriff "Witwe" im Zusammenhang mit der Gewährung einer Heiratsabfindung bei späteren Eheschließungen nach der ersten Wiederverheiratung nach dem Tod des Versicherten (§ 1302 Abs 1 RVO) und um das Wiederaufleben einer Witwenrente bei Auflösung der dritten und jeder weiteren Ehe (§ 1291 Abs 2 RVO); die Entscheidung SozR Nr 30 zu § 1265 RVO, der der Senat folgt, ist in den Vorlagebeschlüssen nicht zitiert.
Die Betrachtung der Regelungen im Personenstandsgesetz (PStG) und der Verordnung zur Ausführung des PStG idF vom 25. Februar 1977 (BGBl I 377) bestätigt die oben dargelegte Auffassung vom Begriff "frühere Ehefrau" in § 1265 Satz 1 RVO. Nach Pfeiffer-Strickert, Kommentar zum PStG, 1961, gehört zum "Personenstand", was nach dem PStG in die Personenstandsbücher, die Auskunft über den Stand einer Person geben sollen, aufgenommen werden muß, wie Geburt, Heirat und Tod eines Menschen, aber auch alle Tatsachen, die diese Ereignisse berühren, zB Scheidung (Anm 3 zu § 1 PStG). Nach § 14 PStG werden in das Familienbuch eingetragen ua der Tod des Ehegatten, die Aufhebung oder Scheidung der Ehe, die Wiederverheiratung. War ein Ehegatte bereits einmal verheiratet, so wird für ihn das Familienbuch der früheren Ehe nicht mehr fortgeführt; nur die Tatsache der Wiederverheiratung wird im Familienbuch der früheren Ehe vermerkt, und zwar wird nur die nächste Eheschließung, aber nicht auch noch die etwaige Eingehung weiterer Ehen eingetragen (aaO, Anm 7 zu § 14 PStG). Bei der Eintragung des Familienstandes in das Sterbebuch (§ 37 PStG) wird unterschieden, ob der Verstorbene ledig, verheiratet oder früher einmal verheiratet gewesen ist. War der Verstorbene verheiratet, wird der Name des Ehegatten eingetragen, bei mehrmals verheiratet gewesenen Personen nur der Name des letzten Ehegatten. Wenn der Ehegatte des Verstorbenen nicht mehr lebt, ist der Verstorbene als "Witwer (Witwe) von ..." zu bezeichnen. Falls die Ehe des Verstorbenen geschieden war, ist er als geschieden ohne Nennung des Namens des früheren Ehegatten aufzuführen (aaO, Anm 14 zu § 37 PStG). Auch diese Regelungen zeigen die Loslösung der Frau nach der Scheidung vom Versicherten bei Wiederheirat vor dessen Tod.
Die Auslegung der §§ 1264, 1265 RVO kann sich nicht an der Rechtslage für Hinterbliebenenbezüge nach dem Bundesbeamtengesetz (BBG) orientieren; denn dessen Vorschriften lauten anders: vgl § 124 a Abs 1 BBG, Verwaltungsvorschrift (VV) Nr 2 Abs. 1 und 2 zu § 124 a BBG (siehe Plog-Wiedow, Kommentar zum BBG, Randnr 20 zu § 164 BBG), Richtlinien Nr 12 zu § 125 BBG, § 166 Nr. 3 BBG iVm Unterabschnitt 8 (§§ 155 bis 166 BBG; Plog-Wiedow, aaO Anm 1 zu § 166 BBG und Fischbach, BBG, 2. Aufl, Anm II zu § 166 BBG).
Nach § 1291 Abs 2 RVO besteht kein Anspruch der Klägerin. Diese Vorschrift bestimmt: Hat eine Witwe sich wiederverheiratet und wird diese Ehe aufgelöst, so lebt der Anspruch auf Witwenrente ... wieder auf; für Bezieher einer Rente nach § 1265 RVO gilt dies entsprechend (Abs 3 des § 1291 RVO). Es genügt, daß ein Anspruch, dh das Stammrecht auf Hinterbliebenenrente, im Zeitpunkt der Wiederverheiratung bestanden hat; die Zahlung von Hinterbliebenenrente ist nicht erforderlich (SozR Nr 3, 16 zu § 1291 RVO).
Zum Begriff "Wiederaufleben" hat der Große Senat des BSG in dem Beschluß vom 9. Juni 1961 (BSGE 14, 238 = SozR Nr 2 zu § 1291 RVO) ausgesprochen, daß nur ein Anspruch, der einmal bestanden hat, wiederaufleben kann; ein Anspruch auf Rente kann nur nach vorherigem Wegfall wiederaufleben. Da die Klägerin keinen Hinterbliebenenrentenanspruch nach § 1264 oder § 1265 RVO erworben hat, konnte kein Anspruch wegfallen und somit konnte auch kein Anspruch wiederaufleben.
Auch in "entsprechender" Anwendung des § 1291 Abs 2 und 3 RVO - worauf das LSG bei der Revisionszulassung und die Klägerin in der Revisionsbegründung hingewiesen haben - ist kein Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente entstanden oder "wiederaufgelebt".
Die entsprechende Anwendung einer Vorschrift bedeutet die Übernahme eines für einen ähnlichen Tatbestand geschaffenen Rechtssatzes auf die gegebene Sachlage (BSGE 23, 147, 150), die ausdehnende Anwendung einer für einen bestimmten Tatbestand gegebenen Regel auf rechtsähnliche Tatbestände, sei es eines bestimmten Rechtssatzes (Gesetzesanalogie) oder eines gemeinsamen, aus mehreren Rechtssätzen abgeleiteten übergeordneten Prinzips (Rechtsanalogie; s. Palandt, BGB, 34. Aufl, Einleitung V 3 a vor § 1 BGB), die Anwendung einer nicht nach dem Wortlaut, wohl aber nach dem Grundgedanken passenden Rechtsnorm (Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl, 1973, 167). Der Große Senat hat sich in der oben genannten Entscheidung vom 9. Juni 1961 bereits mit einer analogen Anwendung des § 1291 Abs 2 RVO befaßt, diese aber auf Witwen ohne Rentenanspruch im Zeitpunkt der Wiederverheiratung verneint. Er hat aus Art 2 § 26 Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz, wonach sogar Witwen mit Anspruch auf Witwenrente aus der neuen Regelung des § 1291 Abs 2 RVO ausgenommen wurden, sowie aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes und aus dem Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) keine Anhaltspunkte dafür gefunden, daß es dem Sinn des Gesetzes entspräche, nicht nur Ansprüche von Witwen wiederaufleben zu lassen, sondern auch Witwen ohne Rentenanspruch bei Wiederverheiratung nun einen Rentenanspruch zuzubilligen.
Im vorliegenden Fall sind die angeführten Voraussetzungen der entsprechenden Anwendung einer Gesetzesvorschrift - hier des § 1291 Abs 2 RVO - nicht gegeben. Der Tatbestand, bei dem die Vergünstigung des Wiederauflebens der Hinterbliebenenrente gewährt wird, ist dem hier gegebenen Tatbestand nicht rechtsähnlich.
Durch eine Wiederverheiratung, bei der die Hinterbliebenenrente wegfällt, gibt die Witwe oder die frühere Ehefrau den wirtschaftlichen Wert einer gesicherten Versorgung zugunsten einer unsicheren Unterhaltslage gegenüber dem neuen Ehegatten auf (BSGE 14, 238, 244). Durch das Wiederaufleben des Hinterbliebenenrentenanspruchs soll der Sorge der Berechtigten vorgebeugt werden, sie könnte mit dem Eingehen einer neuen Ehe die gesicherte Versorgung unwiderbringlich verlieren (SozR Nr 4 zu § 1291 RVO mit Hinweis auf die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks II 2437 S. 79). Durch das Wiederaufleben des Anspruchs soll die Versorgung der Berechtigten bei Scheitern der neuen Ehe nicht schlechter werden als vorher (SozR Nr 7 zu § 1291 RVO). Die Frau hat dadurch eine gesetzlich garantierte Mindestversorgung (SozR Nr 9 zu § 1291 RVO). Mit dieser Sach- und Rechtslage einer Frau, die einen Anspruch auf Witwen- oder Geschiedenenwitwenrente hat und die Eingehung einer neuen Ehe mit Verlust dieses Anspruchs erwägt, ist die Lage einer geschiedenen Frau, die noch zu Lebzeiten ihres geschiedenen Ehemannes eine neue Ehe eingeht, nicht zu vergleichen. Diese Frau hat keine durch einen Hinterbliebenenrentenanspruch gewährleistete Versorgung. Sie weiß nicht, ob sie je einen solchen Hinterbliebenenrentenanspruch erwerben wird, wenn sie nicht wiederheiratet; denn auch bei Vorliegen der unterhaltsrechtlichen Voraussetzungen des § 1265 RVO ist ungewiß, ob der geschiedene Ehemann - der Versicherte - vor ihr stirbt. Sie wird in der Regel ihre Unterhalts- und Versorgungslage verbessern, wenn sie eine neue Ehe eingeht; denn der Unterhaltsanspruch von Ehegatten im Verhältnis zueinander ist nach dem Gesetz stärker als der eines geschiedenen Ehegatten gegen den anderen Geschiedenen. Von diesem Ziel und Zweck des Wiederauflebens eines Hinterbliebenenrentenanspruchs her gesehen kann § 1291 Abs 2 RVO hier nicht angewendet werden.
Die Revision der Klägerin ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen