Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermäßigung des Krankenversicherungsbeitrags
Beteiligte
…, Kläger und Revisionskläger |
Barmer Ersatzkasse,Wuppertal 2, Untere Lichtenplatzer Straße 100 - 102, Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
G r ü n d e :
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, den Krankenversicherungsbeitrag zu ermäßigen.
Der Kläger ist bei der Beklagten als freiwilliges Mitglied in der Beitragsklasse 611 (für Selbständige und Freiberufliche mit Krankengeldanspruch) krankenversichert. Er beantragte, für die Dauer seines dreiwöchigen Urlaubsaufenthalts in Australien in der Zeit vom 25. Februar bis zum 16. März 1989 seinen Krankenversicherungsbeitrag zu ermäßigen, da er während dieser Zeit keine Leistungen von der Beklagten erhalten könne. Die Beklagte lehnte die beantragte Beitragsermäßigung mit Bescheid vom 10. Juli 1989 ab. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 11. Dezember 1989).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 30. April 1991 abgewiesen. Die dagegen eingelegte Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 28. November 1991 zurückgewiesen und ausgeführt, eine Verpflichtung der Beklagten, den Beitrag des Klägers für die streitbefangene Zeit zu ermäßigen, könne weder der Satzung noch dem Gesetz entnommen werden.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 243 Abs 1 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V). Aus dieser Bestimmung lasse sich die begehrte Beitragsermäßigung als Individualanspruch herleiten.
Der Kläger beantragt,
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das Urteil des LSG vom 28. November 1991 und das Urteil des SG vom 30. April 1991 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 1989 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, seinen Krankenkassenbeitrag für die Zeit vom 25. Februar bis zum 16. März 1989 zu ermäßigen. |
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Die Beklagte beantragt,
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die Revision zurückzuweisen. |
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Sie hält die Entscheidung des LSG im Ergebnis für zutreffend.
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Das LSG hat zutreffend entschieden, daß der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Beitragsermäßigung. Er ist verpflichtet, während seines dreiwöchigen Urlaubsaufenthaltes in Australien in der Zeit vom 25. Februar bis zum 16. März 1989 den Krankenversicherungsbeitrag nach dem allgemeinen Beitragssatz gemäß § 241 SGB V zu zahlen.
Eine Beitragsermäßigung kann nur im Wege einer Beitragssatzermäßigung erfolgen. Der Beitragssatz ist gemäß § 243 Abs 1 SGB V zu ermäßigen, wenn kein Anspruch auf Krankengeld besteht oder die Krankenkasse aufgrund von Vorschriften dieses Buches für einzelne Mitgliedergruppen den Umfang der Leistungen beschränkt.
Ungeachtet der Frage, ob im Fall der hier allein in Betracht kommenden zweiten Alternative des § 243 Abs 1 SGB V die Beitragssatzermäßigung in der Satzung zu regeln wäre, sind schon ihre Voraussetzungen nicht gegeben. Nicht die Beklagte hat den Umfang der Leistungen für einzelne Mitgliedergruppen beschränkt. Vielmehr hat der Gesetzgeber selbst in § 16 Abs 1 Nr 1 SGB V bestimmt, daß der Anspruch auf Leistungen ruht, solange Versicherte sich außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzbuches aufhalten. Das gesetzlich angeordnete Ruhen bedeutet, daß der Leistungsanspruch dem Grunde nach unberührt bleibt, daß er aber von der Kasse nicht zu erfüllen ist. Das Ruhen des Anspruchs tritt kraft Gesetzes ein, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 16 Abs 1 Nr 1 SGB V erfüllt sind.
Die Motive, die den Gesetzgeber zu der Ruhensregelung bewogen haben, liegen in der Erwägung, daß die gesetzliche Krankenversicherung im Versicherungsfall im wesentlichen mit Sachleistungen einzutreten hat. Die Vorschriften des Vierten Kapitels des SGB V machen deutlich, daß das Sachleistungssystem auf den Geltungsbereich dieses Gesetzes zugeschnitten ist. Die Gewährung von Krankenschutz in Gebieten außerhalb des Geltungsbereiches wäre infolge der Bindung des Sachleistungssystems an das Territorialprinzip vielfach nicht oder nicht ordnungsgemäß durchführbar (vgl Begründung zu § 16 Abs 1 BT-Drucks 11/2237 = BR-Drucks 200/88, jeweils S 164 f).
Die gesetzlich normierte Leistungseinschränkung in Form des Ruhens bei einem Aufenthalt außerhalb des Geltungsbereiches des Gesetzes hat der Gesetzgeber nicht mit einer die Beitragssatzermäßigung regelnden Vorschrift ähnlich der §§ 244, 245 SGB V (ermäßigter Beitrag für Wehrdienstleistende und Zivildienstleistende sowie für Studenten und Praktikanten) gekoppelt. Dies ergibt sich auch aus der Entstehungsgeschichte des § 243 SGB V. Vor Inkrafttreten des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) zum 1. Januar 1989 bestimmte § 313 Abs 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO), daß mit Ausnahme des Sterbegeldes und der Familienhilfe die Leistungsansprüche freiwillig Versicherter ruhten, welche sich im Ausland aufhielten, und daß in solchen Fällen gemäß § 313 Abs 4 Satz 4 RVO der Beitrag ermäßigt werden durfte. Diese Vorschrift wurde nicht in das SGB V übernommen. Die mit Wirkung vom 1. Januar 1989 durch Art 1 GRG eingeführte Vorschrift des § 243 SGB V hat unverändert die Fassung des § 252 des Regierungsentwurfs - GRG - übernommen und ist dort begründet worden (BT-Drucks 11/2237 = BR-Drucks 200/88, jeweils S 225). Sie sieht Beitragssatzermäßigungen nur noch für Mitglieder vor, die keinen Anspruch auf Krankengeld haben oder bei denen die Krankenkasse den Leistungsumfang beschränkt hat; dies gilt insbesondere für die Teilkostenerstattung nach § 14 SGB V. Damit sind die Ermäßigungen des früheren Rechts deutlich eingeschränkt. Die fakultative Beitragsermäßigung nach altem Recht gemäß § 313 Abs 4 Satz 4 RVO findet sich nicht wieder. Vielmehr führt nach der Begründung im Regierungsentwurf zu § 252 (aaO) das Ruhen von Leistungsansprüchen ausdrücklich nicht zu einer Beitragssatzermäßigung, da die Ansprüche aus der Familienversicherung nach § 10 SGB V weiterbestehen. Soweit ausnahmsweise das Ruhen von Leistungsansprüchen eine Beitragssatzermäßigung zur Folge haben soll, ist dies gesondert geregelt (vgl zB § 16 Abs 1 Nr 2 und § 244 SGB V). Die vom Kläger begehrte Beitragssatzermäßigung gemäß § 243 Abs 1 2. Alternative SGB V läßt sich somit weder aus dem Wortlaut noch aus der Gesetzesbegründung dieser Vorschrift herleiten.
Auch die Satzung der Beklagten begründet - wie der Kläger selbst einräumt - keinen Anspruch auf Beitragssatzermäßigung. Die mit dem 21. Nachtrag der Satzung der Beklagten in ihrem Art 1 Nr 7 (gemäß Art 2 mit Wirkung vom 1. Januar 1989 in Kraft getreten) getroffene Regelung ist vorliegend nicht einschlägig. Ein Anspruch auf Änderung der Satzung, wie sie dem Kläger vorschwebt, entfällt, da - wie bereits dargelegt - es nicht nur an einer Ermächtigungsgrundlage fehlt, sondern sie nach dem Willen des Gesetzgebers ausdrücklich ausgeschlossen ist.
Dieses Ergebnis entspricht auch der Grundkonzeption des Beitragsrechts in der Krankenversicherung. In diesem Versicherungszweig ist die Gegenseitigkeit von Beitrag und Leistung iS einer Äquivalenz nur schwach ausgeprägt (vgl dazu Peters, Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand Januar 1993, § 220 RdNr 25). Dagegen hat der Grundsatz des sozialen Ausgleichs (Solidaritätsprinzip) erhebliche Bedeutung. Danach ist es Aufgabe der Solidargemeinschaft, die bei den verschiedenen Versicherten bestehenden ungleichen Risiken auszugleichen, wobei der Ausgleich der gesamten Solidargemeinschaft obliegt und nach sozialen Gesichtspunkten zu erfolgen hat. Individuelle Verschiedenheiten des leistungsrechtlichen Risikos bleiben bei der Beitragsgestaltung prinzipiell unberücksichtigt (vgl BSGE 56, 191, 195 = SozR 2200 § 385 Nr 6; BSGE 69, 72, 74 = SozR 3-2500 § 241 Nr 1). Deshalb darf der Beitrag der Mitglieder grundsätzlich auch nicht im Hinblick auf das gesetzlich angeordnete Ruhen des Leistungsanspruchs während eines Aufenthaltes außerhalb des Geltungsbereiches des SGB V, sondern nur nach der Leistungsfähigkeit des einzelnen differenziert werden (vgl § 3 Satz 2 SGB V). Wenn es schon den Krankenkassen verwehrt wird, für freiwillige Mitglieder den allgemeinen Beitragssatz für den Fall zu ermäßigen, daß der Krankengeldanspruch satzungsgemäß erst nach Ablauf eines Lohnfortzahlungsanspruchs für zwölf Wochen - gegenüber den allgemein üblichen sechs Wochen -entsteht, dann muß dies um so mehr gelten für einen Versicherten, dessen Leistungsanspruch wegen eines dreiwöchigen Auslandsaufenthaltes ruht (vgl BSGE 69 aaO). Dies folgt auch daraus, daß bei vorzeitiger Beendigung des Urlaubs wegen Arbeitsunfähigkeit oder wegen eines Unfalls der Leistungsanspruch unmittelbar nach Rückkehr in das Inland wieder auflebt und darüber hinaus die Familienversicherung nach § 10 SGB V im Inland durch den Auslandsaufenthalt des Versicherten nicht berührt wird. Im übrigen können möglicherweise Heil- und Hilfsmittel vor dem Urlaub beschafft und während des Urlaubs verwendet werden. Schließlich ist zu beachten, daß der Gesetzgeber dem Gedanken des Solidarprinzips auch insofern den Vorrang eingeräumt hat, als er in § 243 Abs 2 Satz 2 SGB V Beitragsabstufungen nach dem Familienstand oder der Zahl der Angehörigen, für die eine Versicherung nach § 10 SGB V besteht, für unzulässig erklärt hat.
Allerdings besteht auch in der Krankenversicherung trotz der im einzelnen fehlenden Äquivalenz zwischen Beitrags- und Leistungsseite eine gewisse wirtschaftliche und rechtliche Abhängigkeit. So hat auch das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, Versicherungsleistungen und Versicherungsbeiträge seien aufeinander bezogen und stünden in einem "Gegenleistungsverhältnis", soweit das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit keine Abweichungen erfordere (so BVerfGE 79, 223, 236 = SozR 2200 § 180 Nr 46 S 198). In diesem Sinn hatte der erkennende Senat bereits mit Urteil vom 17. Dezember 1980 (BSGE 51, 89, 97/98 = SozR 2200 § 381 Nr 44 mit Hinweis auf frühere Rechtsprechung) entschieden, eine Krankenkasse könne für die zurückliegende Zeit keine Beiträge fordern, wenn der Versicherte über seine mit dem Rentenantrag eingetretene Pflichtmitgliedschaft nicht ausreichend aufgeklärt war und deshalb ihm zustehende Leistungen nicht in Anspruch genommen hat. In Fortführung dieser Rechtsprechung hat der Senat mit Urteil vom 4. Juni 1991 (BSGE 69, 20 ff = SozR 3-2200 § 381 Nr 2 mwN) entschieden, daß kein Eigenanteil an den Beiträgen zur Krankenversicherung der Rentner für einen vergangenen Zeitraum zu entrichten ist, wenn weder ursprünglich Sachleistungen in Anspruch genommen werden konnten noch später Kostenerstattung verlangt worden ist. Der Fall des Klägers unterscheidet sich grundlegend von den vorstehend angeführten Sachverhalten. Während dort die Inanspruchnahme von Leistungen allein daran scheiterte, daß das Bestehen der Mitgliedschaft erst rückwirkend für die Vergangenheit festgestellt wurde und deshalb kein Beitrag der Versicherten zu entrichten war, steht vorliegend die Mitgliedschaft außer Frage; der Inanspruchnahme von Leistungen steht jedoch entgegen,daß - und nur solange - der Kläger sich außerhalb des Geltungsbereichs des SGB V aufhält. Deshalb kann auch diese Rechtsprechung den Anspruch des Klägers nicht stützen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen