Entscheidungsstichwort (Thema)
Erwerbsunfähigkeitsrente. versicherungsrechtliche Voraussetzungen. türkischer Staatsangehöriger. Aufschubzeit. freiwillige Beitragsnachentrichtung. Berechtigung zur Entrichtung freiwilliger Beiträge. Nachentrichtungsfrist. Fristhemmung. Beitragserstattungsantrag
Orientierungssatz
1. Der Bezug einer ausländischen Rente stellt keine Rentenbezugszeit iS von § 1246 Abs 2a S 2 Nr 3 RVO, Art 2 § 6 Abs 2 S 1 Nr 2 ArVNG dar, es sei denn, daß eine diesbezügliche Gleichstellung mit deutschen Renten durch ein zwischenstaatliches Abkommen vereinbart ist (vgl BSG vom 23.3.1994 - 5 RJ 24/93).
2. Ein türkischer Staatsangehöriger wäre in der hier maßgeblichen Zeit vom 1.1.1984 - 31.12.1986 nach den §§ 26, 52 SozSichAbk TUR nur zur Entrichtung und somit auch zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge berechtigt gewesen, wenn er vor seiner Rückkehr in die Türkei bereits in der Bundesrepublik Deutschland wenigstens einen freiwilligen Beitrag entrichtet hätte.
3. Ein Beitragserstattungsverfahren zählt nicht zu den in § 1420 Abs 2 RVO genannten Verfahren.
Ein erst nach der Rückkehr ins Ausland eingeleitetes Rentenverfahren kann eine Fristhemmung iS § 1420 Abs 2 RVO nicht mehr herbeiführen, wenn - wie hier ab diesem Zeitpunkt das Recht zur freiwilligen Versicherung verloren war und deshalb eine Beitragsnachentrichtung nicht mehr in Betracht kam.
Normenkette
ArVNG Art 2 § 6 Abs 2 S 1 Nr 2; SozSichAbk TUR §§ 26, 52; RVO § 1247 Abs 2a, § 1246 Abs 2a S 2 Nr 3, § 1420 Abs 2
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 25.08.1992; Aktenzeichen L 16 Ar 874/88) |
SG Bayreuth (Entscheidung vom 07.09.1988; Aktenzeichen S 9 Ar 95/87) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA) Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU).
Der 1945 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Von März 1972 bis Juni 1983 war er mit Unterbrechungen in Deutschland versicherungspflichtig beschäftig. Anschließend war er bis Juli 1984 arbeitslos oder arbeitsunfähig erkrankt. Im Juli 1984 beantragte er die Erstattung seiner Beiträge. Am 4. Oktober 1984 zog er in die Türkei. Am 22. Oktober 1984 stellte der Kläger einen Rentenantrag. Mit Schreiben vom 30. Oktober 1984, eingegangen bei der Beklagten am 5. November 1984, zog er seinen Erstattungsantrag zurück. In der Türkei bezieht der Kläger eine Rente aufgrund freiwilliger Nachentrichtung von Beiträgen. An Pflichtversicherungszeiten hat er in der Türkei drei Tage zurückgelegt. Die Beklagte lehnte den Rentenantrag des Klägers ab (Bescheid vom 14. Januar 1987).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 7. September 1988). Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Rente wegen EU ab 1. August 1987 zu gewähren, sobald er die zur Erhaltung der Anwartschaft erforderlichen Mindestbeiträge für die nicht mit Aufschubzeiten gemäß § 1246 Abs 2a Reichsversicherungsordnung (RVO) oder mit freiwilligen Beiträgen belegten Zeiten im Zeitraum vom 1. Januar 1984 bis 31. Dezember 1986 innerhalb von drei Monaten nach Rechtskraft des Berufungsurteils an die Beklagte geleistet hat. Es hat im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger sei seit Juli 1987 erwerbsunfähig. Der Kläger habe von den letzten 60 Monaten vor Eintritt der EU nicht 36 mit Pflichtbeiträgen belegt. Er habe auch seit 1984 keine freiwilligen Beiträge zur deutschen Rentenversicherung entrichtet. Doch habe er noch die Möglichkeit, freiwillige Beiträge zu zahlen. Die Frist zur Entrichtung freiwilliger Beiträge sei durch die zwischenzeitlich laufenden Verfahren gehemmt. Der Kläger habe nach dem deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommen das Recht gehabt, sich durch eine Beitragszahlung in der deutschen Rentenversicherung das Recht zur freiwilligen Versicherung in der deutschen Rentenversicherung zu sichern. Die Frist für die Entrichtung dieser Zahlung sei gehemmt gewesen (Urteil vom 25. August 1992).
Die Beklagte hat die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Sie trägt vor: Der Kläger habe zuerst den Antrag auf Beitragserstattung gestellt und erst nach seiner Rückkehr in die Türkei den Rentenantrag. Eine Hemmung der Frist zur Entrichtung freiwilliger Beiträge habe schon deshalb nicht eintreten können.
Sie beantragt sinngemäß,
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das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen |
das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 7. September 1988 |
zurückzuweisen. |
Der Kläger beantragt,
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die Revision der Beklagten zurückzuweisen. |
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rente.
Am 1. Januar 1992 hat das Sechste Buch des Sozialgesetzbuches (SGB VI) die bis dahin geltenden Vorschriften des Rentenrechts ersetzt. Doch ist auf den Anspruch des Klägers noch das bis dahin geltende Recht anzuwenden, da der Kläger seinen Anspruch, der aufgrund der 1987 eingetretenen EU, also vor dem 1. Januar 1992, bestehen soll, vor dem 31. März 1992 geltend gemacht hat (§ 300 Abs 2 SGB VI).
Der Anspruch des Klägers scheitert daran, daß dem Kläger die rentenrechtlichen Voraussetzungen der §§ 1246 Abs 2a, 1247 Abs 2a RVO fehlen. Nach den Feststellungen des LSG, an die das Revisionsgericht gebunden ist (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)), ist der Kläger im Juli 1987 erwerbsunfähig geworden. Von den letzten 60 Monaten vor Eintritt der EU sind nicht 36 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt. Ende Juni 1982 begannen die 60 Monate, auf die es ankommt. Der Kläger war jedoch nur bis Juni 1983 beschäftigt, so daß keine 36 Monate mehr zusammenkommen konnten.
Nach Art 2 § 6 Abs 2 Nr 2 Arbeiterrentenversicherungs- Neuregelungsgesetz (ArVNG) würde es auch ausreichen, wenn der Kläger jeden Kalendermonat vor Eintritt des Versicherungsfalles mit Beiträgen oder "den bei Ermittlung der 60 Kalendermonate nach § 1246 Abs 2 RVO nicht mitzuzählenden Zeiten", den sog Aufschubzeiten, belegt hätte. Auch das ist nicht der Fall. Beiträge hat der Kläger für diese Zeit nicht geleistet. Dafür, daß Zeiten vorliegen, die der Kläger als Aufschubzeiten geltend machen könnte, liegen keine Anhaltspunkte vor. Insbesondere kommt dafür nicht die Rentenzahlung in Betracht, die der Kläger in der Türkei erhält (vgl hierzu das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des erkennenden Senats vom heutigen Tage in der Sache 5 RJ 24/93).
Der Kläger kann bei der hier gegebenen Sach- und Rechtslage die für die Jahre 1984 bis 1986 noch erforderlichen Beiträge auch nicht nachentrichten. Zwar besteht nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats grundsätzlich ein Recht zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge, wenn der Versicherte vor dem 1. Januar 1984 eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt hat und der Versicherungsfall der EU erst später während eines anschließenden Renten- und Klageverfahrens eingetreten ist (Urteil des Senats vom 22. November 1988 in SozR 5750 Art 2 § 6 ArVNG Nr 4). Voraussetzung hierfür ist indes, daß der Versicherte im fraglichen Zeitraum überhaupt zur Entrichtung freiwilliger Beiträge berechtigt gewesen ist.
Daran fehlt es im Falle des Klägers, weil er als türkischer Staatsangehöriger gemäß den §§ 26 und 52 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei (deutsch-türkisches SozSichAbk) vom 30. April 1964 (BGBl II 1965 S 1170) in der hier maßgeblichen Zeit vom 1. Januar 1984 bis 31. Dezember 1986 ein Recht zur freiwilligen Versicherung in der deutschen Rentenversicherung nur gehabt hätte, wenn er vor seiner Rückkehr in die Türkei bereits in der Bundesrepublik Deutschland wenigstens einen freiwilligen Beitrag entrichtet hätte. Eine derartige Beitragsleistung ist aber nicht erfolgt. Zwar sind durch das Zusatzabkommen vom 2. November 1984 zum deutsch-türkischen SozSichAbk (BGBl II 1986 S 1038) die §§ 26 und 52 deutsch-türkisches SozSichAbk gestrichen worden. Das Zusatzabkommen ist jedoch erst am 1. April 1987 in Kraft getreten (Bekanntmachung vom 18. Februar 1987, BGBl II 1987 S 188) und kann deshalb für den hier maßgeblichen Zeitraum von 1984 bis 1986 ein Recht zur freiwilligen Versicherung zugunsten des Klägers nicht begründen.
Entgegen der - nicht näher begründeten - Auffassung des Berufungsgerichts ist die Frist für die sonach erforderliche Entrichtung eines freiwilligen Beitrages noch in der Bundesrepublik Deutschland durch den vom Kläger im Inland am 3. Juli 1984 gestellten Beitragserstattungsantrag nicht gehemmt worden. Eine Fristhemmung wäre nur bei den in § 1420 Abs 2 RVO genannten Verfahren eingetreten, zu denen ein Beitragserstattungsverfahren nicht zählt. Eine über den Wortlaut hinausgehende Interpretation dieser Vorschrift verbietet sich im vorliegenden Fall schon deswegen, weil Beitragserstattung und Beitragsnachentrichtung begrifflich einander grundsätzlich ausschließen. Das erst nach der Rückkehr des Klägers in die Türkei eingeleitete Rentenverfahren, konnte sodann eine Fristhemmung iS des § 1420 Abs 2 RVO nicht mehr herbeiführen, weil der Kläger - wie dargelegt - ab diesem Zeitpunkt das Recht zur freiwilligen Versicherung verloren hatte und deshalb eine - ein solches Recht voraussetzende - Beitragsnachentrichtung nicht mehr in Betracht kam.
Nach alledem war der Revision der Beklagten stattzugeben (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen