Beteiligte
…, Kläger und Revisionskläger |
Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg, Regensburger Straße 104, Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
G r ü n d e :
I
Der Kläger begehrt von der beklagten Bundesanstalt für Arbeit (BA) die Rücknahme eines Sperrzeitbescheides.
Das Arbeitsamt (ArbA) bot dem arbeitslosen Kläger 1986 - ohne schriftliche Förderungszusage - die Teilnahme an einem Lehrgang zur Verbesserung der Vermittlungsaussichten an. Nachdem der Kläger die Teilnahme abgelehnt hatte, hob das ArbA die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 2. April bis 27. Mai 1986 auf, weil der Anspruch wegen einer Sperrzeit ruhe, und forderte für die Zeit vom 2. bis 3. April 1986 eine Überzahlung von 122,00 DM zurück (Bescheid vom 15. April 1986; Widerspruchsbescheid vom 7. August 1986). Die Klage war erfolglos; die Berufung nahm der Kläger am 22. Oktober 1990 in der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW L 12 Ar 195/88) zurück. Gleichzeitig beantragte er unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11. Januar 1990 (7 RAr 46/89, BSGE 66, 140 = SozR 3-4100 § 119 Nr 1) eine Überprüfung des Bescheides vom 15. April 1986 gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).
Mit Bescheid vom 12. März 1991 und Widerspruchsbescheid vom 25. September 1992 lehnte das ArbA die Rücknahme des Bescheides vom 15. April 1986 ab. Es räumte ein, daß eine Sperrzeit nach Maßgabe des Urteils des BSG vom 11. Januar 1990 (aaO) nicht eingetreten sei, weil keine schriftliche Förderungszusage erteilt worden sei; die Entscheidung werde indes nicht rückwirkend aufgehoben (§ 152 Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz in der bis zum 31. Dezember 1993 gültigen Fassung [AFG aF]). Nach Abwägung der für die Entscheidung beachtlichen Umstände, insbesondere des Verwaltungsaufwands einerseits und der persönlichen Verhältnisse des Klägers andererseits, könne das Ermessen nicht zu seinen Gunsten ausgeübt werden.
Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 16. September 1993 die Klage abgewiesen. Das LSG hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 26. Mai 1994 zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, die Entscheidung des ArbA, die Rücknahme des nach Abschluß des Vorprozesses bestandskräftigen Sperrzeitbescheides vom 15. April 1986 abzulehnen, sei rechtmäßig. Soweit der Kläger infolge der Sperrzeit keine Alhi erhalten habe, beurteile sich die Rücknahme des Bescheides vom 15. April 1986 nunmehr nach § 152 Abs 1 AFG idF des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) vom 21. Dezember 1993. Nach dieser am 1. Januar 1994 in Kraft getretenen Regelung stelle die Rücknahme eines bestandskräftigen rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes nunmehr auch für den Bereich des AFG eine gebundene Entscheidung dar und liege nicht mehr - wie nach § 152 Abs 1 Nr 1 AFG in der bis zum 31. Dezember 1993 gültigen Fassung (aF) - im Ermessen der Verwaltung. Lägen die in § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes vor, weil er auf einer Rechtsnorm beruhe, die nach Erlaß des Verwaltungsaktes in ständiger Rechtsprechung anders als durch die BA ausgelegt worden ist, so sei gemäß § 152 Abs 1 AFG nF der Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden sei, nur mit Wirkung für die Zeit nach dem Entstehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen. Die Voraussetzungen dieses Ausschlußtatbestandes seien hier gegeben. Entsprechend der Regelung des § 48 Abs 2 SGB X und aus Gründen der Rechtssicherheit sei § 152 Abs 1 AFG nF dahingehend zu verstehen, daß das Entstehen einer von der Verwaltungspraxis der Beklagten abweichenden ständigen Rechtsprechung allein durch Entscheidungen des BSG begründet werde. Da eine ständige Rechtsprechung des BSG zur Notwendigkeit einer schriftlichen Förderungszusage frühestens mit der Entscheidung des 7. Senats des BSG vom 11. Januar 1990 entstanden sei, sei die Rücknahme des bestandskräftigen Sperrzeitbescheides vom 15. April 1986 nicht möglich. Dies gelte im Ergebnis auch für die im Bescheid vom 15. April 1986 verfügte Rückforderung der Überzahlung von 122,00 DM und die an die Feststellung einer Sperrzeit geknüpfte Rechtswirkung als "Zählsperrzeit" für die zweite Sperrzeit nach § 119 Abs 3 AFG. Insoweit handele es sich zwar um keinen Fall der §§ 44 Abs 1 SGB X, 152 AFG, sondern der "übrigen" Fälle iS von § 44 Abs 2 SGB X. Die danach auch weiterhin in das Ermessen der Beklagten gestellte Rücknahme des Bescheides vom 15. April 1986 sei ermessensfehlerfrei abgelehnt worden.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 152 Abs 1 AFG nF. Er wendet sich gegen die vom LSG vertretene Auffassung, daß das Entstehen einer von der Verwaltungspraxis der Beklagten abweichenden ständigen Rechtsprechung allein durch Entscheidungen des BSG begründet werde. Vielmehr sei bereits die von der damaligen Praxis der Beklagten abweichende Rechtsprechung der Sozial- und Landessozialgerichte als "ständige Rechtsprechung" zu bezeichnen, da diese Rechtsprechung durch die Urteile des BSG vom 11. Januar und 16. Oktober 1990 bestätigt worden sei.
Der Kläger beantragt,
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die Urteile des Sozialgerichts Dortmund vom 16. September 1993 und des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. Mai 1994 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12. März 1991 idF des Widerspruchsbescheides vom 25. September 1992 zu verpflichten, den Bescheid vom 15. April 1986 idF des Widerspruchsbescheides vom 7. August 1986 zurückzunehmen. |
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Die Beklagte beantragt,
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die Revision zurückzuweisen. |
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Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Wie bereits die Vorinstanzen im Ergebnis zutreffend entschieden haben, ist der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 12. März 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. September 1992 rechtmäßig.
1. Der Senat kann offenlassen, ob im vorliegenden Fall § 152 Abs 1 AFG alter Fassung oder § 152 Abs 1 AFG neuer Fassung Anwendung findet. Denn die Entscheidung des ArbA, die sperrzeitbedingte Aufhebung der Alhi-Bewilligung nicht zurückzunehmen, ist nach beiden Fassungen rechtlich nicht zu beanstanden.
1.1 § 152 Abs 1 Nr 1 AFG aF, der auf das Achte Gesetz zur Änderung des AFG vom 14. Dezember 1987 (BGBl I 2602) zurückgeht, sah vor, daß die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes abweichend von § 44 Abs 1 SGB X nur mit Wirkung für die Zukunft eine gebundene Entscheidung darstellte; dagegen war der Verwaltung hinsichtlich der Rücknahme des Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Vergangenheit ein Ermessen eingeräumt. Die gesetzlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift, auf die die Beklagte ihre Entscheidung gestützt hat, liegen hier vor.
Wie sie selbst eingeräumt und das LSG in seiner Entscheidung zutreffend ausgeführt hat, war der Sperrzeitbescheid vom 15. April 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. August 1986, dessen Rücknahme der Kläger begehrt, rechtswidrig. Denn die Sperrzeit nach § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFG idF des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes (AFKG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497) tritt - wie der 7. Senat des BSG mit Urteil vom 11. Januar 1990 (BSGE 66, 140, 143 = SozR 3-4100 § 119 Nr 1) sowie im Anschluß daran der 11. Senat des BSG mit Urteil vom 16. Oktober 1990 (SozR 3-4100 § 119 Nr 4) entschieden haben - nur dann ein, wenn die Förderung der Bildungsmaßnahme schriftlich zugesagt worden ist. Dies war bei dem Kläger nicht der Fall. Infolgedessen war die auf den Eintritt einer Sperrzeit gestützte Aufhebung der Alhi-Bewilligung für die Zeit vom 2. April 1986 bis 27. Mai 1986 rechtswidrig. Die Rücknahme dieses rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes, der durch die vom Kläger am 22. Oktober 1990 erklärte Berufungsrücknahme bindend geworden ist (§ 77 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), war jedoch nach § 152 AFG aF - soweit es um die Vergangenheit geht - in das Ermessen der Verwaltung gestellt.
Von diesem Ermessen hat das ArbA Gebrauch gemacht und mit Bescheid vom 12. März 1991 in der - letztlich maßgebenden - Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. September 1992 (§ 95 SGG) eine Ermessenentscheidung getroffen. Die im Widerspruchsbescheid mitgeteilten Erwägungen lassen die Gesichtspunkte erkennen, von denen das ArbA bei der Ausübung seines Ermessens ausgegangen ist und genügen der für Ermessensentscheidungen vorgeschriebenen Begründungspflicht (§ 35 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB X). Ein Ermessensfehlgebrauch des ArbA ist nicht erkennbar und wurde im übrigen auch vom Kläger im Revisionsverfahren nicht mehr geltend gemacht. Das ArbA durfte bei seiner Ermessensentscheidung insbesondere auch auf den Verwaltungsaufwand abstellen, der bei einer nicht nur auf den Kläger beschränkten positiven Ermessensausübung für die Beklagte entstünde. Diese Überlegung entspricht der Intention des Gesetzgebers, der die Ermessens-Regelung des § 152 Abs 1 AFG aF für den Bereich des Arbeitsförderungsrechts speziell im Blick auf den Verwaltungsaufwand geschaffen hat, der der Beklagten insgesamt bei einer allgemeinen Rücknahmepflicht entstünde (vgl BT-Drucks 8/2034, S 37 zu § 152 AFG - Begründung des Regierungsentwurfs). Eine sog Ermessensreduzierung auf Null und damit eine Rücknahmepflicht der Beklagten für die Vergangenheit ist deshalb nach Ziel und Zweck des Gesetzes ausgeschlossen (BSGE 61, 189, 192 = SozR 1300 § 48 Nr 31; SozR 1300 § 35 Nr 4).
1.2 Eine für den Kläger im Ergebnis günstigere Entscheidung ergibt sich auch nicht, wenn - entsprechend der Rechtsauffassung des LSG - als Prüfungsmaßstab der zum 1. Januar 1994 in Kraft getretene, geänderte § 152 Abs 1 AFG nF angewandt wird.
§ 152 Abs 1 AFG idF des 1. SKWPG vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 2353) bestimmt, daß, wenn die in § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes vorliegen, weil er auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlaß des Verwaltungsaktes für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt oder - nur diese Alternative kommt hier in Betracht - in ständiger Rechtsprechung anders als durch die BA ausgelegt worden ist, der Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder nach dem Entstehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen ist.
Nach dieser Vorschrift kommt es also in zweifacher Hinsicht auf den Zeitpunkt des Entstehens einer "ständigen Rechtsprechung" an. Denn § 152 Abs 1 AFG nF setzt einerseits auf der Tatbestandsseite voraus, daß die Rechtsnorm, auf welcher der Verwaltungsakt beruht, erst "nach" Erlaß des Verwaltungsaktes in ständiger Rechtsprechung anders als durch die BA ausgelegt worden ist. Ist diese Voraussetzung erfüllt, ordnet die Vorschrift andererseits auf der Rechtsfolgenseite an, daß - abweichend von § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X - eine Rücknahme nur mit Wirkung für die Zeit nach dem Entstehen der ständigen Rechtsprechung zu erfolgen hat.
Wann von einer ständigen Rechtsprechung ausgegangen werden kann und was unter einer "ständigen Rechtsprechung" zu verstehen ist, wird in § 152 Abs 1 AFG nF nicht näher bestimmt. Die Gesetzesmaterialien sprechen jedoch eindeutig dafür, daß der Gesetzgeber für das Entstehen einer "ständigen Rechtsprechung" iS von § 152 Abs 1 AFG nF auf Entscheidungen des BSG als des für den Bereich des AFG zuständigen obersten Gerichtshofes abstellen wollte. So wurde im Regierungsentwurf zum 1. SKWPG bezüglich der (später unverändert in die Gesetzesfassung übernommenen) Tatbestandsvoraussetzung, daß die Rechtsnorm nach dem Erlaß des Verwaltungsaktes in ständiger Rechtsprechung anders ausgelegt worden ist, durch einen Klammerzusatz auf § 48 Abs 2 erster Halbsatz SGB X verwiesen (BT-Drucks 12/5502, S 37 zu Nr 43). § 48 Abs 2 erster Halbsatz SGB X, der die Aufhebung eines Verwaltungsaktes wegen einer wesentlichen Änderung betrifft, setzt ausdrücklich voraus, daß "der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlaß des Verwaltungsaktes". Dies legt nahe, daß der Gesetzgeber den in § 152 Abs 1 AFG nF verwendeten Begriff der "ständigen Rechtsprechung" in gleicher Weise verstanden wissen wollte wie bei der schon existierenden und hinsichtlich der hier interessierenden Tatbestandsmerkmale ansonsten praktisch identischen Vorschrift in § 48 Abs 2 erster Halbsatz SGB X.
Für diese Auslegung sprechen auch Gründe der Rechtssicherheit und der Praktikabilität. Könnten, wie der Kläger meint, bereits Entscheidungen der Sozial- und Landessozialgerichte eine "ständige Rechtsprechung" iS von § 152 Abs 1 AFG nF entstehen lassen, so ließe sich der Zeitpunkt des Entstehens einer solchen "ständigen Rechtsprechung" kaum je zuverlässig und allenfalls mit ganz erheblichem Ermittlungsaufwand bestimmen. Von einer "ständigen Rechtsprechung" der Instanzgerichte könnte nämlich nicht bereits aufgrund vereinzelter Entscheidungen ausgegangen werden, sondern allenfalls dann, wenn diese zu einer bestimmten Rechtsfrage nahezu einheitlich oder zumindest ganz überwiegend dieselbe Auffassung vertreten. Die Feststellung, von welchem konkreten Zeitpunkt an dies der Fall ist, würde aufgrund der Vielzahl von Sozial- oder Landessozialgerichten auf ganz erhebliche praktische Schwierigkeiten stoßen - nicht nur für die beklagte BA, sondern auch für den rechtssuchenden Bürger.
Dies zeigt im übrigen auch der vorliegende Rechtsstreit. Selbst wenn entsprechend der Argumentation des Klägers davon ausgegangen würde, daß unter der "ständigen Rechtsprechung" iS von § 152 Abs 1 AFG nF eine von der damaligen Praxis der Beklagten abweichende Rechtsprechung der Instanzgerichte zu verstehen sei, wäre hier keine eindeutige Bestimmung des maßgeblichen Zeitpunkts möglich. Denn die Annahme des Klägers, durch die Urteile des BSG vom 11. Januar 1990 und vom 16. Oktober 1990 sei jeweils eine entsprechende Rechtsauffassung der Vorinstanz zur Auslegung des § 119 AFG idF des AFKG bestätigt worden, geht fehl. In beiden Fällen hatte das jeweils zuvor mit der Sache befaßte LSG eine schriftliche Förderungszusage des ArbA entweder nicht für erforderlich gehalten oder dazu gar keine Feststellungen getroffen. Darüber hinaus ist weder vom Kläger dargetan noch ersichtlich, daß etwa schon vor dem Urteil des BSG vom 11. Januar 1990 (aaO) die dort entschiedene Rechtsfrage von den Instanzgerichten im Sinne einer "ständigen Rechtsprechung" ebenso beurteilt worden wäre.
Aufgrund der genannten Gesichtspunkte ist deshalb mit dem LSG davon auszugehen, daß eine "ständige Rechtsprechung" iS von § 152 Abs 1 AFG nF erst dann entstehen kann, wenn das BSG eine Rechtsfrage in einem bestimmten Sinn beantwortet hat (so auch Wagner in GemeinschaftsKomm-AFG zu § 152 Anm 15; Winkler, info also 1994, S 13).
Im vorliegenden Fall bedarf es keiner abschließenden Entscheidung, ob schon dann von einer ständigen Rechtsprechung ausgegangen werden kann, wenn nur eine einzige Entscheidung des Senats des BSG vorliegt, oder ob weitere Entscheidungen desselben oder eines anderen Senats hinzukommen müssen (vgl BSG SozR 2200 § 627 Nr 4 S 6 f; BSG Urteil vom 25. November 1977 - 2 RU 93/76 - = USK 77236). Denn selbst nach der erstgenannten Möglichkeit ist, soweit hier von Bedeutung, eine von der Rechtsauffassung der Beklagten zur Auslegung des § 119 AFG idF des AFKG abweichende "ständige Rechtsprechung" jedenfalls erst mit dem Urteil des 7. Senats des BSG vom 11. Januar 1990 (SozR 3-4100 § 119 Nr 1) entstanden, weil dadurch erstmals höchstrichterlich klargestellt wurde, daß die schriftliche Zusage einer Förderung der Bildungsmaßnahme trotz der Neufassung des § 119 AFG auch weiterhin erforderlich ist. Die Aufhebung der Alhi-Bewilligung aufgrund der fehlerhaften Annahme des Eintritts einer Sperrzeit betrifft aber die Zeit vom 2. April bis 27. Mai 1986 und damit einen Zeitraum, der in jedem Fall lange vor dem Entstehen einer "ständigen Rechtsprechung" iS von § 152 Abs 1 AFG nF lag. Eine Rücknahme des Bescheides vom 15. April 1986 kommt daher auch gemäß § 152 Abs 1 AFG nF nicht in Betracht, weil die Rücknahme auf die Zeit nach dem Entstehen der ständigen Rechtsprechung begrenzt ist.
Da sonach hier die Anwendung des § 152 Abs 1 AFG alter und neuer Fassung zu demselben Ergebnis führt, können die vom LSG in seiner Entscheidung aufgeworfenen Rechtsfragen, nämlich ob für die Beurteilung allein von § 152 Abs 1 AFG nF auszugehen ist und ob sich durch die Neufassung des § 152 Abs 1 AFG eine Verschlechterung oder Verbesserung der Rechtsposition des Arbeitslosen ergeben hat, dahingestellt bleiben.
2. Soweit allerdings das LSG in seiner Entscheidung die Rechtsansicht vertreten hat, die vom Kläger begehrte Rücknahme des Sperrzeitbescheides vom 15. April 1986 hinsichtlich der "Zählsperrzeit" und hinsichtlich der Rückforderung der Überzahlung von 122,00 DM richte sich nach § 44 Abs 2 SGB X, kann dieser Rechtsauffassung nicht gefolgt werden.
2.1 Es ist zwar zutreffend, daß der Sperrzeitbescheid vom 15. April 1986 einerseits den Verfügungssatz der Aufhebung der Alhi-Bewilligung für die Zeit vom 2. April bis 27. Mai 1986 enthält und andererseits den Verfügungssatz der Rückforderung der Überzahlung für die Zeit vom 2. bis 3. April 1986 in Höhe von 122,00 DM. Die Rechtmäßigkeit dieser Rückforderung beurteilt sich jedoch nicht nach § 44 SGB X, ihre Grundlage ist vielmehr § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Da hier durch den Sperrzeitbescheid vom 15. April 1986 die Leistungsbewilligung auch für die Zeit vom 2. und 3. April 1986 aufgehoben worden ist, waren die für diese Zeit bereits erbrachten Leistungen nach § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X vom Kläger zurückzuerstatten. An der Rechtmäßigkeit dieser Rückforderung hat sich auch nachträglich nichts geändert. Denn, wie oben ausgeführt, ist die Entscheidung des ArbA, die sperrzeitbedingte Aufhebung der Alhi-Bewilligung nicht zurückzunehmen, rechtlich nicht zu beanstanden; es bleibt somit bei der verfügten Aufhebung der Leistungsbewilligung, die Grundlage der Rückforderung war. Insoweit liegt hier eine andere Sachverhaltsgestaltung vor als in dem vom BSG in seinem Urteil vom 16. Januar 1986 (SozR 1300 § 44 Nr 22 mit Anm Kopp in SGb 1987, 121 f) entschiedenen Fall, bei dem es allein um die Entziehung einer Sozialleistung, nicht um deren Rückforderung ging; für diesen Fall wurde die Anwendung von § 44 Abs 2 SGB X bejaht (vgl jedoch BVerwGE 87, 103 = NVwZ 1991, 522 - zur analogen Anwendung des § 44 Abs 1 SGB X bei Rückforderung gewährter Förderungsleistungen).
2.2 Schließlich kommt eine Rücknahme des bestandskräftigen Sperrzeitbescheides vom 15. April 1986 auch nicht im Hinblick auf die vom LSG angesprochene Wirkung als "Zählsperrzeit" für den Erlöschenstatbestand nach § 119 Abs 3 AFG in Betracht.
Gemäß § 134 Abs 2 Satz 1 iVm § 119 Abs 3 AFG ist Voraussetzung für das Erlöschen des Alhi-Anspruchs, daß der Arbeitslose "nach der Entstehung des Anspruchs" bereits einmal Anlaß für den Eintritt einer Sperrzeit von acht Wochen gegeben, der Arbeitslose hierüber einen schriftlichen Bescheid erhalten oder er erneut Anlaß für den Eintritt einer Sperrzeit von acht Wochen gegeben hat. Mit den Worten "nach der Entstehung des Anspruchs" ist - wie dies der 7. Senat des BSG im Urteil vom 10. Oktober 1978 (BSGE 47, 101, 105 = SozR 4100 § 119 Nr 5) bereits klargestellt hat - gemeint "nach Entstehung der Anwartschaft". § 119 Abs 3 AFG ist also dahin zu verstehen, daß eine erneute Sperrzeit dann eingetreten ist, wenn seit der letzten Erfüllung einer Anwartschaftszeit ein weiteres Mal diejenigen Umstände verwirklicht sind, die zur Verhängung einer Sperrzeit berechtigen. Der Sperrzeitbescheid vom 15. April 1986 könnte somit eine Fernwirkung als "Zählsperrzeit" nur dann entfalten, wenn der Kläger nach Begründung ein und desselben konkreten Leistungsanspruchs eine zweite Sperrzeit verwirklicht hätte. Aus den vom LSG in Bezug genommenen Verwaltungsakten der Beklagten ergibt sich jedoch, daß er aufgrund einer durch Unterhaltsgeld-Bezug begründeten neuen Anwartschaft ab 7. Mai 1992 Arbeitslosengeld bezogen hat. Eine Sperrzeit konnte sich also nicht mehr nachteilig für den Kläger auswirken, so daß für eine Rücknahme der "Zählsperrzeit", falls sich das Überprüfungsbegehren des Klägers auch darauf beziehen sollte, ein Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die Feststellung einer Sperrzeit, die in aller Regel nur begründenden Charakter hat und nicht am Verfügungssatz teilnimmt (vgl BSGE 66, 94, 95 = SozR 4100 § 119 Nr 36) dann, wenn sie tatsächlich eine "Zählsperrzeit-Wirkung" entfaltet, ein Fall des § 44 Abs 2 SGB X sein kann, und inwieweit in diesem Fall - wie das LSG meint - eine in das Ermessen der Beklagten gestellte Rücknahme für die Vergangenheit nach Satz 2 der genannten Vorschrift in Betracht zu ziehen ist oder ein Fall des § 44 Abs 2 Satz 1 SGB X gegeben ist, dh eine Pflicht zur Rücknahme des Bescheides mit Wirkung für die Zukunft.
Da aus den dargelegten Gründen die Entscheidung des ArbA, den Antrag des Klägers auf Rücknahme des bestandskräftigen Bescheides vom 15. April 1986 abzulehnen, nicht aus Rechtsgründen zu beanstanden ist, ist die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen
Haufe-Index 517664 |
NZA 1996, 279 |
Breith. 1996, 337 |