Leitsatz (amtlich)

Der Versicherte hat keinen Anspruch auf das vorzeitige Altersruhegeld wegen Arbeitslosigkeit, wenn er während des nach AVG § 25 Abs 2 (= RVO § 1248 Abs 2) maßgeblichen Jahres mehr als 3 Monate krank und arbeitsunfähig gewesen ist (Anschluß BSG 1966-08-30 1 RA 323/64 = SozR Nr 43 zu RVO § 1248).

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Nachweis einer einjährigen Nichtvermittlung oder Nichtvermittelbarkeit kann den Nachweis einer echten Arbeitslosigkeit nicht setzen.

 

Normenkette

RVO § 1248 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; AVG § 25 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 12. November 1965 und des Sozialgerichts Hildesheim vom 26. Mai 1965 aufgehoben, soweit die Beklagte zur Gewährung von vorzeitigem Altersruhegeld für Zeiten vor Dezember 1965 verurteilt worden ist. Die Klage wird insoweit abgewiesen.

2. Kosten sind im gesamten Rechtsstreit nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Kläger beantragte am 30. Oktober 1964 das vorzeitige Altersruhegeld nach § 25 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) wegen Arbeitslosigkeit. Er war aus dem letzten Arbeitsverhältnis am 30. September 1963 ausgeschieden und hatte sich am 3. Oktober 1963 beim Arbeitsamt als arbeitslos gemeldet. Vom 2. bis 22. Juni und vom 17. Juli bis 3. Dezember 1964 war er krank und arbeitsunfähig. Die Beklagte lehnte deshalb den Antrag ab (Bescheid vom 16. Dezember 1964), weil der Kläger nicht ein Jahr ununterbrochen arbeitslos gewesen sei.

Die Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) Hildesheim verurteilte die Beklagte zur Gewährung des vorzeitigen Altersruhegeldes ab 4. Dezember 1964; das Landessozialgericht (LSG) schränkte die Verurteilung auf die Zeit ab 1. Januar 1965 ein. Nach der Ansicht des LSG erfüllt der Kläger die Voraussetzungen des § 25 Abs. 2 AVG. Er sei am 3. Oktober 1964 ein Jahr ununterbrochen arbeitslos gewesen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) - z. Z. des Berufungsurteils - sei eine Unterbrechung der Arbeitslosigkeit durch eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von drei Monaten unerheblich. Diese Frist sei jedoch keine absolute Grenze, in besonderen Fällen schade auch eine längere Arbeitsunfähigkeit nicht. Es komme entscheidend darauf an, ob "die Zeit, in der sich der Versicherte um einen neuen Arbeitsplatz nicht bemühen konnte, im Verhältnis zu dem einen Jahr und damit für den Nachweis, daß ein Arbeitsplatz infolge des hohen Alters nicht mehr zu erhalten ist, praktisch bedeutungslos ist". Die Frist sei bis zum 2. Oktober 1964 nur um 6 Tage überschritten worden. Diese Überschreitung sei geringfügig und unerheblich, weil "der Nachweis, daß ein Arbeitsplatz im Laufe eines Jahres nicht beschafft werden konnte, dadurch nicht beeinträchtigt" werde. Bedeutsam sei, daß der Kläger nicht fortlaufend erkrankt sei, vielmehr zwischen beiden Krankheitszeiten wieder dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestanden habe, ohne daß ihm eine auch nur vorübergehende Arbeitsstelle hätte nachgewiesen werden können. Hieraus und aus der weiteren Arbeitslosigkeit sei zu schließen, daß auch in der Zeit vom 17. Juli bis 3. Oktober 1964 keine Arbeitsstelle hätte vermittelt werden können. Der Versicherungsfall sei deshalb am 3. Oktober 1964 eingetreten.

Die Beklagte hat dem Kläger im Laufe des Revisionsverfahrens mit Bescheid vom 28. Januar 1966 das vorzeitige Altersruhegeld ab 1. Dezember 1965 bewilligt. Mit der zugelassenen Revision beantragte sie,

für die vorhergehende Zeit die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Sie rügte eine Verletzung des § 25 Abs. 2 AVG. Die Unterbrechung der Arbeitslosigkeit sei hier nicht mehr geringfügig; es sei unerheblich, ob in der Zeit der Arbeitsunfähigkeit eine Arbeitsstelle hätte vermittelt werden können.

Der Kläger beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

Er wies darauf hin, daß das Arbeitsamt die Vermittlungsbemühungen während der Krankheitszeiten fortgesetzt habe; er selbst habe sich vom Krankenhaus ebenfalls durch Bewerbungsschreiben weiter um einen Arbeitsplatz bemüht.

Beide Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§§ 124, 153, 165 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

II.

Die Revision ist zulässig und begründet. Der Kläger hat für die Zeit vor Dezember 1965 keinen Anspruch auf vorzeitiges Altersruhegeld nach § 25 Abs. 2 AVG, weil er in dieser Zeit nicht "seit mindestens einem Jahr ununterbrochen arbeitslos" gewesen ist. Der Ansicht des LSG, diese gesetzliche Anspruchsvoraussetzung sei schon am 3. Oktober 1964 erfüllt gewesen, kann der Senat nicht folgen.

Mit Recht hat das LSG angenommen, daß zum Begriff der Arbeitslosigkeit im Sinne des § 25 Abs. 2 AVG die Arbeitsfähigkeit (§ 76 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung - AVAVG -) gehört und daß eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit infolgedessen eine Arbeitslosigkeit ausschließt, bzw. unterbricht. Das ist nunmehr ständige Rechtsprechung des BSG. Desgleichen ist aber auch anerkannt, daß nicht jede Unterbrechung der Arbeitslosigkeit die Entstehung eines Anspruchs auf das vorzeitige Altersruhegeld verhindert. Der erkennende Senat hat in seiner bisherigen Rechtsprechung die zeitliche Grenze der noch unschädlichen Unterbrechung offen lassen können (vgl. BSG 21, 24). Inzwischen hat der 1. Senat in seinem Urteil vom 30. August 1966 (SozR Nr. 43 zu § 1248 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) entschieden, daß Unterbrechungen der Arbeitslosigkeit durch Arbeitsunfähigkeit und (oder) Erwerbstätigkeit dann nicht mehr unschädlich sind, wenn sie in ihrer Gesamtdauer die in § 25 Abs. 2 Satz 4 AVG in Verbindung mit § 4 Abs. 2 Buchst. a AVG gekennzeichneten zeitlichen Grenzen - 3 Monate oder 75 Arbeitstage - übersteigen. Dem schließt sich der erkennende Senat an.

Insoweit spielen die zum Teil unterschiedlichen Auffassungen in der Rechtsprechung des BSG zum Begriff der Arbeitslosigkeit beim vorzeitigen Altersruhegeld (vgl. die zahlreichen Entscheidungen, die im SozR zu § 1248 RVO abgedruckt sind) keine Rolle. Es besteht jedenfalls Übereinstimmung darüber, daß die Arbeitsunfähigkeit nicht anders behandelt werden darf wie eine unter § 25 Abs. 2 Satz 4 AVG fallende Erwerbstätigkeit (gelegentliche Aushilfe). Wenn das Gesetz eine solche Erwerbstätigkeit bis zur Dauer von 3 Monaten "außer Betracht" läßt, dann kann nach dem Sinn und Zweck des vorzeitigen Altersruhegeldes für eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nichts anderes gelten; auch eine Arbeitsunfähigkeit kann deshalb bis zu dieser Dauer dem Anspruch auf das vorzeitige Altersruhegeld nicht im Wege stehen. Die in der Rechtsprechung hier für angeführten Gründe rechtfertigen es aber nicht, in Sonderfällen Unterbrechungen der Arbeitslosigkeit über 3 Monate hinaus noch für unschädlich zu halten.

Dagegen sprechen einmal die Praktikabilität und die Rechtssicherheit, denen eine klare zeitliche Grenze ungeachtet der besonderen Umstände des Einzelfalles am besten Rechnung trägt. Weiter darf der Ausnahmecharakter des vorzeitigen Altersruhegeldes gegenüber dem normalen Altersruhegeld nicht außer acht gelassen werden; die Auslegung des § 25 Abs. 2 AVG muß ihn nach Möglichkeit wahren. Schließlich aber ist die Überschreitung der 3-Monatsgrenze mit Wortlaut, Sinn und Zweck der Vorschriften über das vorzeitige Altersruhegeld wegen Arbeitslosigkeit nicht mehr vereinbar. Es genügt nicht darauf hinzuweisen, daß das vorzeitige Altersruhegeld älteren, arbeitslosen Versicherten zugute kommen soll, denen ein Arbeitsplatz von Dauer nicht mehr vermittelt werden kann. Das Gesetz verlangt für diese "Vermutung" eine feste Grundlage; der Versicherte muß grundsätzlich ein Jahr ununterbrochen arbeitslos gewesen sein. Es muß also eine echte Arbeitslosigkeit bestanden haben; der Nachweis einer einjährigen Nichtvermittlung oder Nichtvermittelbarkeit kann diesen Nachweis nicht ersetzen. Die Grundlage der einjährigen Arbeitslosigkeit darf nur angetastet werden, soweit es das Gesetz erkennbar zuläßt. Das Gesetz läßt aber äußerstenfalls eine Unterbrechung der Arbeitslosigkeit von 3 Monaten zu, wie in der Rechtsprechung des BSG dargelegt ist; es bietet keinen Anhalt dafür, allgemein oder in bestimmten Fällen weitere Unterbrechungen der Arbeitslosigkeit noch für unschädlich zu halten.

Deshalb ist es unerheblich, ob die Bemühungen des Arbeitsamtes und des Versicherten um einen festen Arbeitsplatz während der Krankheitszeiten fortgedauert haben und daß der Versicherte auch in diesen Zeiten nicht in einen festen Arbeitsplatz hätte vermittelt werden können. Ebensowenig ist es von Bedeutung, daß die Krankheit nicht fortlaufend bestanden hat. Die Krankheitszeiten sind zusammenzuzählen. Sie haben bei der Rückrechnung vom 3. Oktober 1964 für das vorhergehende Jahr 3 Monate überschritten. Entgegen der Ansicht des LSG ist der Kläger deshalb nicht - wie es das Gesetz verlangt - am 3. Oktober 1964 mindestens ein Jahr arbeitslos gewesen. Diese Voraussetzung hat er auch in der Folgezeit bis zum November 1965 nicht erfüllt; in der Zeit bis zum 3. September 1965 ist er stets im vorangehenden Jahr mehr als 3 Monate arbeitsunfähig krank gewesen. Ab dem 4. September 1965 ist im vorangehenden Jahr die Dreimonatsgrenze zwar mehr und mehr unterschritten worden; insoweit ist aber zu berücksichtigen, daß die Arbeitsunfähigkeit dann in den Anfang des vorangehenden Jahres fällt; nach der Rechtsprechung des BSG kann das Jahr der Arbeitslosigkeit aber nicht mit einer Arbeitsunfähigkeit beginnen (BSG 25, 105).

Die Revision der Beklagten muß daher Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380225

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