Entscheidungsstichwort (Thema)
Abspringen eines Soldaten von einem fahrenden Lkw
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei Unfällen während des Urlaubs und in der Freizeit übt der Soldat in der Regel keinen militärischen Dienst aus. Denn das Wesen von Urlaub und Freizeit ist gerade die Befreiung vom militärischen Dienst; die Ausgestaltung dieses außerdienstlichen Zeitraumes ist grundsätzlich allein dem Willen und Ermessen des Soldaten überlassen.
2. Auch wenn die Batterie des Verunglückten einsam lag und er deshalb seine Freizeit in den umliegenden Ortschaften verbrachte, durfte er auf dem Rückweg nicht eigenmächtig von dem fahrenden LKW abspringen. Dieses Abspringen - die wesentliche Bedingung für seinen Tod - war jedenfalls nicht wehrdiensteigentümlich.
Normenkette
BVG § 1 Abs. 1 Fassung: 1956-12-20
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 31. Juli 1958 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der Ehemann der Klägerin, U W, leistete Wehrdienst bei einer Marineflakbatterie in B bei V (Oldenburg). Am 7. Dezember 1943 ging er "an Land", d.h. er hatte Ausgang in der Umgebung des Batteriegeländes. Auf dem Rückweg zur Batterie ließ er sich von einem wehrmachtseigenen Lkw mitnehmen. An einer Straßenbiegung nahe der Batteriestellung sprang er, da der Fahrer zu halten vergessen hatte, von dem fahrenden Lkw ab und verunglückte dabei tödlich. Im April 1947 beantragte die Klägerin Witwenrente. Das Versorgungsamt Regensburg lehnte mit Bescheid vom 20. Mai 1952 den Antrag ab, weil der Tod des Ehemannes der Klägerin außerhalb des Dienstes durch Abspringen von einem fahrenden Lkw eingetreten und daher weder eine Schädigungsfolge im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) noch ein Leistungsgrund im Sinne des Bayerischen Gesetzes über Leistungen an Körperbeschädigte (KBLG) sei. Auf die Berufung der Klägerin verurteilte das Oberversicherungsamt L den Beklagten durch Urteil vom 31. Juli 1953, der Klägerin Witwenrente ab 1. Februar 1947 zu gewähren. Der Beklagte legte Rekurs bei dem ehemaligen Bayerischen Landesversicherungsamt ein. Der Rekurs ging am 1. Januar 1954 als Berufung auf das Bayerische Landessozialgericht (LSG.) über. Durch Urteil vom 31. Juli 1958 hob das LSG. das Urteil des Oberversicherungsamts Landshut vom 31. Juli 1953 auf und wies die Klage ab: Der tödliche Unfall sei nicht anläßlich oder während der Ausübung des militärischen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eingetreten; der Ehemann der Klägerin habe zur Zeit des Unfalles Urlaub gehabt; der Urlaub sei eine Befreiung vom militärischen Dienst, das gelte auch für die Fahrt nach und von einem außerhalb des Standortes gelegenen Urlaubsziel; eine Fahrt auf Befehl habe nicht vorgelegen, der Unfall sei auch nicht auf Umstände zurückzuführen, die dem Wehrdienst eigentümlich seien. Das LSG. ließ die Revision zu.
Das Urteil wurde der Klägerin am 8. Oktober 1958 zugestellt. Die Klägerin legte am 24. Oktober 1958 Revision ein und beantragte,
das Urteil des LSG. aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des Oberversicherungsamts L vom 31. Juli 1953 zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen.
Die Klägerin begründete die Revision - nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist - am 24. Dezember 1958: Das LSG. habe Art. 1 KBLG und § 1 BVG verletzt, es habe auch die Grenzen seines Rechts, die Beweise frei zu würdigen (§ 128 SGG), überschritten; der Unfall sei zwar nicht während der Ausübung militärischen Dienstes eingetreten, er sei aber auf wehrdiensteigentümliche Verhältnisse zurückzuführen; solche Verhältnisse seien die Art der Freizeitgestaltung und insbesondere die Art der Rückfahrt zur Batterie gewesen; das LSG. habe seiner Feststellung, daß "nach dem ermittelten Hergang des Unfalls" diensteigentümliche Verhältnisse nicht ursächlich für den Unfall gewesen seien, nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt; bei erschöpfender Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme hätte es zu einer anderen Entscheidung kommen müssen.
Der Beklagte beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision ist nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft; sie ist frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden, sie ist daher zulässig. Die Revision ist jedoch unbegründet.
Nach Art. 1 Abs. 1 KBLG erhalten Personen, die durch unmittelbare Kriegseinwirkungen oder anläßlich militärischen oder militärähnlichen Dienstes Gesundheitsschädigungen erlitten haben, wegen der Folgen dieser Schädigung Versorgung; nach § 1 Abs. 1 BVG erhält auf Antrag Versorgung, wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Art. 1 Abs. 1 KBLG stellt trotz seines abweichenden Wortlauts ("anläßlich ...") keine anderen Voraussetzungen für den Versorgungsanspruch auf als § 1 Abs. 1 BVG, beide Vorschriften bestimmen vielmehr inhaltlich das gleiche (BSG. 7 S. 19). Der Unfall des Ehemannes der Klägerin hat sich indes weder "anläßlich" militärischen Dienstes im Sinne von Art. 1 Abs. 1 KBLG noch "während" der Ausübung militärischen Dienstes im Sinne von § 1 Abs. 1 BVG ereignet.
Der Ehemann der Klägerin hat, wie zwischen den Parteien unstreitig ist, zur Zeit des Unfalles "Landgang" gehabt, der Landgang ist während der dienstfreien Zeit ohne Befehl, aber mit Erlaubnis der Truppe erfolgt. Nicht jeder Unfall, den ein Soldat während der Zugehörigkeit zur Wehrmacht erleidet, begründet wegen seiner gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen einen Anspruch auf Versorgung. Versorgungsbegründend nach dem KBLG und nach dem BVG - wie übrigens schon nach den vor diesen beiden Gesetzen geltenden versorgungsrechtlichen Vorschriften - sind vielmehr nur solche Unfälle, die eingetreten sind, während der Soldat militärischen Dienst "ausgeübt" hat. Bei Unfällen während des Urlaubs und während der Freizeit ist dies in der Regel nicht der Fall, denn das Wesen von Urlaub und Freizeit ist gerade die Befreiung vom militärischen Dienst, die Ausgestaltung dieses außerdienstlichen Zeitraumes ist grundsätzlich allein dem Willen und Ermessen des Soldaten überlassen (vgl. BSG. 7 S. 19; 7 S. 75). Für den "Landgang" - wie der Ausgang bei Marineeinheiten auch dann genannt wird, wenn sie nicht auf Schiffen stationiert sind - gilt nichts anderes; auch während des Landgangs übt der Soldat jedenfalls dann keinen Dienst aus, wenn der Landgang, wie hier, während der dienstfreien Zeit erfolgt und auf keinem dienstlichen Befehl beruht.
Ein Unfall, der sich nicht während der Ausübung des militärischen Dienstes ereignet hat, kann allerdings unter Umständen auf "die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse" zurückzuführen sein und aus diesem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Versorgung begründen. Aber auch dies ist hier nicht der Fall. Der Unfall des Ehemannes der Klägerin ist nicht allein deshalb durch die dem militärischen Dienst eigentümlichen Verhältnisse bedingt, weil er sich auf dem Rückweg von einem Urlaubsziel außerhalb der Ortsunterkunft ereignet hat. Zwar bestimmt die Verwaltungsvorschrift Nr. 5 zu § 1 BVG, daß "im Hinblick auf die besonders gearteten Verhältnisse des zweiten Weltkrieges alle auf dem Wege nach einem außerhalb des Standortes oder der Ortsunterkunft gelegenen Urlaubsziel oder auf dem Rückwege erlittenen Schädigungen als durch die dem militärischen oder militärähnlichen Dienst eigentümlichen Verhältnisse bedingt" gelten; insoweit steht die Verwaltungsvorschrift aber, wie das Bundessozialgericht bereits früher entschieden hat, im Widerspruch zu dem Gesetz, denn das Gesetz bietet für eine derart weitgehende Auslegung keinen Anhalt, ganz abgesehen davon, daß die Beschränkung dieser Auslegung auf Vorgänge des zweiten Weltkrieges einen sachlichen Grund nicht erkennen läßt (BSG. 7 S. 75). Vielmehr ist auch in den Fällen, die die Verwaltungsvorschrift Nr. 5 zu § 1 BVG generell geregelt wissen will, in jedem Einzelfall je nach den Umständen zu entscheiden, ob diensteigentümliche Verhältnisse für den Unfall ursächlich gewesen sind. Im vorliegenden Fall kann es jedoch dahingestellt bleiben, ob - wie die Revision meint - wehrdiensteigentümliche Verhältnisse darin zu erblicken sind, daß der Ehemann der Klägerin wegen der einsamen Lage der Batterie seine Freizeit in den umliegenden Ortschaften verbracht hat und insbesondere, daß er sich in Ermangelung einer anderen Verkehrsverbindung auf dem Rückweg in die Batterie von einem wehrmachtseigenen Lkw hat mitnehmen lassen, denn diese Verhältnisse sind jedenfalls nicht ursächlich (im Sinne des Versorgungsrechts) für den Tod des Ehemannes der Klägerin gewesen. Nach den Feststellungen des LSG., die insoweit von der Revision nicht angefochten und deshalb für das Bundessozialgericht bindend sind (§ 163 SGG), ist der Ehemann der Klägerin von dem fahrenden Lkw abgesprungen, da der Fahrer in der Nähe der Batterie zu halten vergessen hat. Damit hat der Ehemann der Klägerin durch sein eigenes Verhalten eine besondere Gefahrenquelle geschaffen, diese Gefahrenquelle ist ursächlich für seinen Tod gewesen. Das Abspringen von einem fahrenden Fahrzeug ist eine Gefahrenquelle, die das Leben auch sonst mit sich bringt, ihr haftet an sich nichts Wehrdiensteigentümliches an. Der Ehemann der Klägerin hat keine berechtigte Veranlassung gehabt, von dem fahrenden Lkw abzuspringen, denn es ist ihm zuzumuten gewesen, solange auf dem Lkw zu verbleiben, bis der Fahrer angehalten hätte. Der Umstand allein, daß der Ehemann der Klägerin gegebenenfalls einen weiten Weg hätte zurücklegen müssen, um in seine Unterkunft zu gelangen, kann das Abspringen während der Fahrt nicht rechtfertigen. Ob das Abspringen von einem fahrenden Fahrzeug unter besonderen Voraussetzungen, etwa wenn Kampfhandlungen vorgelegen oder unmittelbar bevorgestanden hätten, eine andere Beurteilung erfahren müßte, kann auf sich beruhen, denn für die Annahme, daß solche besonderen Umstände vorgelegen haben, bietet der festgestellte Sachverhalt keinen Anlaß. Das Abspringen kann deshalb im vorliegenden Fall auch nicht aus besonderen Gründen den Verhältnissen, die dem Wehrdienst eigentümlich sind, zugerechnet werden. Zwar sind Einzelbedingungen für den Tod auch darin zu erblicken, daß der Ehemann der Klägerin seine Freizeit außerhalb der Unterkunft verbracht hat und daß er sich auf dem Rückweg von einem Lkw hat mitnehmen lassen. Ursache im Sinne des Versorgungsrechts ist jedoch nur diejenige Einzelbedingung, die infolge ihrer besonderen Beziehung zu dem Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (BSG. 1 S. 150). Die wesentliche Bedingung für den Tod ist hier allein das eigenmächtige Abspringen von dem fahrenden Lkw gewesen, demgegenüber treten die übrigen Bedingungen an Bedeutung zurück. Das Urteil des LSG. wird hiernach jedenfalls im Ergebnis durch die getroffenen Feststellungen getragen; unter diesen Umständen ist auch die Revisionsrüge, das LSG. habe seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt, unbegründet.
Die Revision ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen