Orientierungssatz
Eine Heiratsabfindung nach RVO § 1302 nF steht der Witwe nur bei ihrer ersten Wiederverheiratung zu.
Normenkette
RVO § 1302 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Urteile des Sozialgerichts Kassel vom 9. November 1960 und des Hessischen Landessozialgerichts vom 7. November 1961 werden aufgehoben.
Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 30. November 1959 wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin bezog nach dem Tode ihres ersten Mannes aus dessen Angestelltenversicherung eine Witwenrente, die mit der zweiten Eheschließung der Klägerin im Jahre 1948 wegfiel und nach der Scheidung dieser Ehe ab August 1958 wieder auflebte. Nachdem die Klägerin im Juli 1959 zum dritten Male geheiratet hatte, beantragte sie im folgenden Monat die Abfindung der wiederaufgelebten Witwenrente. Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 30. November 1959), weil § 81 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) eine Abfindung von wiederaufgelebten Witwenrenten nicht zulasse. Das Sozialgericht (SG) Kassel verurteilte die Beklagte, die begehrte Abfindung zu gewähren. Die zugelassene Berufung wies das Hessische Landessozialgericht (LSG) zurück. Das Berufungsgericht hielt die Voraussetzungen des § 81 Abs. 1 AVG für erfüllt, weil die Klägerin nach der zweiten Heirat die Witwe ihres ersten Mannes (des Versicherten) geblieben sei; auch § 68 Abs. 2 AVG bezeichne Witwen von Versicherten nach ihrer Wiederheirat weiterhin als "Witwen"; der Sinn der Abfindung, die Eingehung neuer Ehen zu erleichtern und den sog. Rentenkonkubinaten entgegenzuwirken, treffe auf ursprüngliche und wiederaufgelebte Witwenrenten gleichermaßen zu.
Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt mit dem Antrag,
die Klage unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile abzuweisen.
Sie rügt eine Verletzung des § 81 Abs. 1 AVG. Nach ihrer Ansicht ist die Klägerin seit ihrer zweiten Eheschließung keine Witwe des Versicherten mehr; die Bezeichnungen "Witwe" und "Witwenrente" in § 68 Abs. 2 AVG für Zeiten nach der zweiten Eheschließung seien nur damit zu erklären, daß der Familienstand von Empfängern wiederaufgelebter Witwenrenten schwer zu umschreiben sei und der Gesetzgeber deshalb eine möglichst einfache Formulierung gewählt habe; entgegen der Meinung des LSG könne es nicht im Sinn des Gesetzes liegen, Abfindungen zu wiederholten Malen zu gewähren.
Die Klägerin hat die Zurückweisung der Revision beantragt.
II
Die Revision der Beklagten ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) und auch begründet. Entgegen der Ansicht des LSG steht der Klägerin kein Anspruch auf Abfindung der "wieder aufgelebten" Witwenrente nach § 81 Abs. 1 AVG zu.
Nach Art. 2 § 26 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) gilt § 81 AVG nur, wenn die "neue Ehe" nach dem Inkrafttreten des AnVNG geschlossen ist. Die Klägerin hat zwar ihre dritte Ehe erst nach Inkrafttreten dieses Gesetzes geschlossen; schon nach Art. 2 § 26 AnVNG erhebt sich aber die Frage, ob unter einer "neuen Ehe" im Sinne dieser Übergangsvorschrift jede weitere Ehe oder nur die zweite Ehe nach Auflösung der ersten Ehe anzusehen ist. Wäre das letztere der Fall, so könnte der Anspruch auf Abfindung der "wiederaufgelebten" Witwenrente im vorliegenden Fall nicht auf § 81 AVG gestützt werden; er wäre zu verneinen, weil sich aus dem früheren Recht, dem eine "wiederaufgelebte" Witwenrente nach Auflösung der zweiten Ehe nicht bekannt gewesen ist, ein Abfindungsanspruch nicht herleiten ließe. Dies kann jedoch offen bleiben. Der Anspruch auf Abfindung der "wiederaufgelebten" Witwenrente ist auch dann zu verneinen, wenn § 81 AVG im vorliegenden Fall deshalb anzuwenden ist, weil auch die dritte Ehe, die die Klägerin nach dem Inkrafttreten des AnVNG eingegangen ist, eine "neue Ehe" im Sinne von Art. 2 § 26 AnVNG gewesen ist. Der erkennende Senat hat bereits zu § 44 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) in der Fassung des Ersten Neuordnungsgesetzes vom 27. Juni 1960 - nF - entschieden, daß der Witwe nur bei ihrer ersten Wiederheirat eine Abfindung des Anspruchs auf Rente zusteht (Urteil vom 19. Juni 1962, BSG 17, 120 ff mit Hinweisen auf die hiermit übereinstimmende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - zu § 44 Abs. 1 BVG aF); die Rechtslage, die hiernach im Bereich der Kriegsopferversorgung besteht, ist auch durch das 2. Neuordnungsgesetz vom 21. Februar 1964 nicht geändert worden. Zwar greifen nicht alle Erwägungen in jenem Urteil auch für das Recht der Rentenversicherung durch. Wie für § 44 Abs. 1 BVG ist aber auch im Recht der Rentenversicherung zunächst darauf abzuheben, daß der Anspruch auf Abfindung in den §§ 81 Abs. 1 AVG, 1302 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nur einer "Witwe", die "wieder heiratet" eingeräumt ist. Eine Witwe, die wieder heiratet, ist - anders, als dies das LSG angenommen hat - nach dem Gesetzeswortlaut und nach dem allgemeinen Sprachgebrauch die Frau, die nach dem Tod ihres ersten Ehemannes als seine Witwe eine neue (zweite) Ehe eingeht; nach Eingehung dieser Ehe ist die Frau nicht mehr "Witwe"; wird diese zweite Ehe geschieden und schließt die Frau eine dritte Ehe, so schließt sie diese Ehe nicht als die Witwe ihres ersten Ehemannes, sondern als die geschiedene Frau ihres zweiten Ehemannes (ebenso Elsholz-Theile, Die gesetzlichen Rentenversicherungen, Nr. 75 Anm. 2 d zu den §§ 1291 RVO, 68 AVG; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung 1961, Bd. III, 722); sie kann zwar, falls auch die zweite Ehe durch Tod des Ehemannes aufgelöst wird, wieder Witwe werden, sie ist aber in diesem Falle - entgegen der Meinung des LSG - Witwe des zweiten Ehemanns und nicht zugleich weiterhin Witwe des ersten Ehemannes. Die Klägerin kann also einen Anspruch auf Abfindung der "wiederaufgelebten" Witwenrente entgegen der Auffassung des LSG nicht aus dem Wortlaut des § 81 Abs. 1 AVG herleiten (a.A. Verbands-Komm., 6. Aufl., insbesondere Anm. 3 zu §§ 1261 RVO, 68 AVG; RVO-Gesamt-Komm. 1961, Anm. 4 zu § 1291 RVO; Lohmann in "Die Sozialversicherung" 1964, 9 ff, 14). Hieran ändert nichts, daß eine nach dem Tod des ersten Ehemanns wiederverheiratete Frau auch nach Auflösung der zweiten Ehe in § 68 Abs. 2 AVG weiterhin als "Witwe" des ersten Ehemanns bezeichnet wird; diese Bezeichnung erklärt sich daraus, daß sie den Anspruch auf die "wiederaufgelebte" Witwenrente nur hat, weil sie die Witwe des versicherten ersten Ehemannes gewesen ist, aus dieser Bezeichnung ergibt sich nicht, daß sie dies auch nach Eingehung der zweiten Ehe geblieben ist. Hätte der Abfindungsanspruch sich auch auf die "wiederaufgelebte" Witwenrente erstrecken sollen, so hätte dies im Anschluß an § 81 Abs. 1 AVG, § 1302 Abs. 1 RVO ebenso ausdrücklich gesagt werden müssen, wie dies in Abs. 2 dieser Vorschriften für den Anspruch auf Abfindung der Bezieher einer "Geschiedenenrente" (§§ 42, 43 Abs. 2 AVG; 1265, 1266 Abs. 2 RVO) geschehen ist; das hätte um so näher gelegen, als die vor 1957 gültigen Vorschriften über die Kapitalabfindung (§§ 1287 RVO aF, 41 AVG aF) eindeutig nur bei der ersten Wiederheirat eine Kapitalabfindung vorgesehen und unter der "Witwe", die "wieder heiratet", immer nur die erstmals wiederheiratende Witwe verstanden haben.
Ein Abfindungsanspruch für die Bezieher einer "wiederaufgelebten" Witwenrente entspricht aber nach der Überzeugung des Senats auch nicht dem Sinn und Zweck des Gesetzes. Durch den Anspruch auf Abfindung soll - wie durch die Witwenrente selbst - aus dem Versicherungsverhältnis des verstorbenen ersten Ehemannes die gegenwärtige und künftige wirtschaftliche Lebensstellung der Witwe gesichert werden, die Abfindung ist eine Art Kapitalisierung der laufenden Witwenrentenbezüge, die mit der Wiederheirat wegfallen (vgl. §§ 68 Abs. 1 AVG, 1291 Abs. 1 RVO), sie soll gewissermaßen als "Starthilfe" die Errichtung und Aufrechterhaltung eines neuen Hausstandes ermöglichen oder wenigstens erleichtern (vgl. BSG 15, 157 ff, 160). Dem Sicherungsbedürfnis der Witwe, die zum zweiten Mal heiratet, dient auch der erst durch die Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze geschaffene Anspruch auf "wiederaufgelebte" Witwenrente für den Fall der unverschuldeten Auflösung der zweiten Ehe, auch dieser Anspruch soll die Scheu vor einer Wiederheirat, die für die Dauer der zweiten Ehe zum Verlust der Rente und damit der wirtschaftlichen Sicherung durch die Rente führt, beseitigen und "den unerwünschten Rentenkonkubinaten (Onkelehen) entgegenwirken" (vgl. Begründung zu § 1305 des Regierungsentwurfs, Bundestagsdrucks. 2437, 2. Wahlperiode, S. 79/80). Der Anspruch auf Abfindung des Witwenrentenanspruchs steht also nach seiner Zweckbestimmung ebenso wie der Anspruch auf die "wiederaufgelebte" Witwenrente in einem inneren Zusammenhang mit dem "Witwendasein" und dem damit verbundenen Bedürfnis nach wirtschaftlicher Sicherung. Der Entschluß, sich aus dem Stand der Witwe durch eine neue Heirat zu lösen, soll der Witwe wirtschaftlich durch den Anspruch auf Abfindung der Witwenrente und dadurch erleichtert werden, daß ihr, falls die zweite Ehe ohne ihr Verschulden aufgelöst oder diese Ehe für nichtig erklärt wird, der Anspruch auf die vor der zweiten Eheschließung gewährte Witwenrente jedenfalls dem Grunde nach gewährleistet bleibt. Diese Sicherungen hat aber das Gesetz offenbar als ausreichend und erschöpfend angesehen. Dem Gesetz ist nach dem Wortlaut des § 81 Abs. 1 AVG und nach dem Sinn und Zweck der Abfindung nicht zu entnehmen, daß der Witwe, die sich durch eine zweite Heirat aus dem Stand einer Witwe des Versicherten gelöst hat, nach Auflösung oder Nichtigerklärung dieser zweiten Ehe auch das Eingehen einer dritten Ehe oder auch weiterer Ehen durch die Gewährung von Leistungen aus der Versicherung des ersten Ehemannes erleichtert werden soll. Ebenso wie die "Versorgungskette" mit der Gewährung der nach Auflösung der zweiten Ehe "wiederaufgelebten" Witwenrente endet (vgl. Urteil des BSG vom 19. Juni 1962 aaO), endet auch der Schutz aus der Versicherung des ersten Ehemannes mit der dritten Heirat; das wirtschaftliche Risiko, das die Frau mit Abschluß der dritten Ehe eingeht, geht sie auch dann, wenn sie vor dieser Eheschließung die "wiederaufgelebte" Witwenrente bezogen hat, nicht mehr als die "Witwe" des ersten Ehemannes ein. Sie kann deshalb bei Abschluß dieser dritten Ehe weder eine Abfindung der "wiederaufgelebten" Witwenrente beanspruchen, noch lebt - aus den gleichen Erwägungen - nach Auflösung oder Nichtigerklärung der dritten Ehe die Witwenrente aus der Versicherung des ersten Ehemannes wieder auf. Für diese Auslegung spricht auch, daß nach den §§ 68 Abs. 2 Satz 1 AVG, 2. Halbsatz, 1291 Abs. 2 Satz 1 RVO, 2. Halbsatz, die Höhe des Anspruchs auf die "wiederaufgelebte" Witwenrente gemindert wird um Versorgungs-, Unterhalts- oder Rentenansprüche, die die Witwe infolge Auflösung der zweiten Ehe erworben hat; auch die Höhe der Abfindung wird davon beeinflußt; in vielen Fällen würde darum nur noch eine Witwenrente minderer Höhe kapitalisiert werden können; damit ließe sich aber das Ziel des Gesetzes, das mit der Abfindung eine "Starthilfe" für die Eingehung einer neuen Ehe geben will, häufig nur noch unvollkommen erreichen; dies müßte auch für den Anspruch auf eine zum zweiten Mal oder weitere Male auflebende Witwenrente gelten. Der Anspruch auf die nach Auflösung einer dritten Ehe (oder weiterer Ehen) "wiederauflebende" Witwenrente wäre nach der Auslegung des LSG von den wechselnden Ansprüchen aus mehreren früheren Ehen abhängig und vom Versicherungsträger nur schwer zu ermitteln; auch deshalb ist nicht anzunehmen, daß das Gesetz den der Witwe eingeräumten Versicherungsschutz über den Anspruch auf die nach Auflösung der zweiten Ehe "wiederaufgelebte" Witwenrente hinaus noch hat fortsetzen wollen.
Dies ist schließlich auch deshalb nicht anzunehmen, weil die gesetzliche Sicherung der früheren Ehefrau eines Versicherten zwar im Laufe der Jahre verbessert worden ist, aber doch nur vorsichtig und "schrittweise" (vgl. hierzu Lohman aaO, insbesondere 10). Nach §§ 3 Abs. 3, 21 Abs. 6 des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes vom 17. Juni 1949 und später § 1287 Satz 2 RVO aF, § 41 Abs. 2 AVG aF hat die Witwe - von der früheren gesetzlichen Regelung des Abfindungsanspruchs hier abgesehen - bis 31. Dezember 1956 Anspruch auf Abfindung ihrer Witwenrente nur gehabt, wenn sie nach dem 31. Mai 1949 wieder geheiratet hat; nach § 1302 Abs. 1 RVO nF, § 81 Abs. 1 AVG nF besteht der Abfindungsanspruch nur, wenn die neue Ehe nach dem 1. Januar 1957 geschlossen ist (vgl. Art. 2 § 27 ArVNG, Art. 2 § 26 AnVNG). Die Ehefrau, deren Ehe geschieden oder für nichtig erklärt und aufgehoben ist, hat unter den sonstigen einschränkenden Voraussetzungen des § 1256 Abs. 4 RVO aF, auf den § 28 Abs. 3 Satz 2 AVG aF verwiesen hat, nach dem Tode des versicherten Ehemannes Witwenrente nur als Kannleistung erhalten; ein Rechtsanspruch auf die "Geschiedenenwitwenrente" ist erst durch § 1265 RVO nF, 42 AVG nF begründet worden; auch dieser Anspruch wird nur abgefunden, wenn die neue Ehe nach dem 1. Januar 1957 geschlossen ist (§ 1302 Abs. 2 RVO nF, § 81 Abs. 2 AVG nF in Verbindung mit den oben genannten Übergangsvorschriften). Der Anspruch auf die nach Auflösung der neuen Ehe "wiederaufgelebte Witwenrente" besteht erst seit dem Inkrafttreten der Neuregelungsgesetze (§ 1291 Abs. 2 RVO nF, § 68 Abs. 2 AVG nF), jedoch nur dann, wenn die neue Ehe nach dem 1. Januar 1957 aufgelöst oder für nichtig erklärt ist (vgl. Art. 2 § 26 Abs. 1 ArVNG, Art. 2 § 25 Abs. 1 AnVNG). Auch diese zögernde und jeweils mit Einschränkungen versehene Entwicklung spricht dagegen, daß das Gesetz in seiner derzeit geltenden Fassung über den Wortlaut der §§ 1302 RVO, 81 AVG hinaus eine noch weitergehende Sicherung der früheren Ehefrau durch die Gewährung eines Anspruchs auf Abfindung auch der "wiederaufgelebten" Witwenrente bei Abschluß einer dritten (oder weiteren) Ehe und - was gleich zu beurteilen wäre - eines Anspruchs auf "Wiederaufleben" der Witwenrente nach Auflösung einer dritten (oder weiteren) Ehe gewähren will.
Die Klägerin hat sonach anläßlich ihrer dritten Eheschließung keinen Anspruch auf Abfindung der "wiederaufgelebten" Witwenrente. Auf die Revision der Beklagten sind daher die Urteile des SG und des LSG aufzuheben. Die Klage ist abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen