Leitsatz (amtlich)
Auf einer Dienstreise besteht Versicherungsschutz auf dem Weg zur Einnahme einer Mahlzeit auch dann, wenn nicht das Hotelrestaurant, sondern eine nicht unverhältnismäßig weit entfernte Gaststätte aufgesucht wird.
Normenkette
RVO § 548 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 10. November 1976 aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 4. Juni 1975 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger war bei der Deutschen L AG als Flugkapitän tätig. Am 27. August 1974 landete er um 1.00 Uhr in A. Der nächste Einsatz war für die folgende Nacht um 4.55 Uhr vorgesehen. In der Zwischenzeit war der Kläger mit seiner Besatzung in einem Hotel in der Nähe von A untergebracht. Gegen 19.00 Uhr begab er sich mit den übrigen Mitgliedern der Besatzung vom Hotel aus zu einem fünf Gehminuten entfernten Restaurant. Auf dem Rückweg vom Abendessen kehrte er um, weil er seinen Tabaksbeutel vergessen hatte. Nachdem er die Umkehrstelle bereits wieder überschritten hatte, wurde er am bürgersteiglosen Straßenrand von einem Pkw erfaßt und so schwer verletzt, daß er seinen Dienst bei der Deutschen L AG aufgeben mußte.
Die Beklagte lehnte Entschädigungsleistungen ab, da der Kläger bei einer privaten Interessen dienenden eigenwirtschaftlichen Tätigkeit verunglückt sei.
Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 4. Juni 1975 die Beklagte verurteilt, den Kläger wegen der Folgen seines Unfalles vom 27. August 1974 zu entschädigen, da der Kläger in dem Restaurant habe essen müssen, um nicht zu kurz vor dem Einschlafen eine warme Mahlzeit einzunehmen.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 10. November 1976 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat u. a. ausgeführt: Es seien keine besonderen betrieblichen Umstände erkennbar, die den in der Freizeit zurückgelegten Weg von der Hotelunterkunft zu dem Restaurant und von dort zurück als versicherten Betriebsweg erscheinen ließen. Zwar habe der Kläger zur Aufrechterhaltung seiner Arbeitskraft bis zum Dienstantritt sowohl der Nahrung als auch des Schlafes bedurft. Aus mit seinem Arbeitsverhältnis zusammenhängenden Gründen sei ihm keine andere Möglichkeit verblieben, als sich ein Abendessen zu verschaffen. Unfallversicherungsschutz bestehe in einem solchen Fall aber nur insoweit, als hierfür die nächste geeignete Gelegenheit wahrgenommen werde. Da das Hotel, in dem der Kläger untergebracht gewesen sei, ein Restaurant gehabt habe, in dem ab 20.00 Uhr das Abendessen serviert worden sei, habe sich der Unfallversicherungsschutz grundsätzlich nur auf den Weg von seinem Hotelzimmer zu diesem Hotelrestaurant erstreckt. Etwas anderes könne nur gelten, wenn der Kläger wegen dienstlicher Belange bereits vorher ein warmes Abendessen hätte zu sich nehmen müssen, wie er behaupte. Hierfür sei jedoch nichts ersichtlich.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt.
Er trägt vor: Der Versicherungsschutz auf dem Weg zum Essen sei nicht dadurch verlorengegangen, daß er nicht im Hotel, sondern in dem nächstgelegenen Restaurant gegessen habe. Dies sei aus dienstlichen Gründen notwendig gewesen, weil er im Hotel ein warmes Abendessen erst zu einem Zeitpunkt hätte erhalten können, der im Hinblick auf den Flug in den frühen Morgenstunden und das entsprechend frühe Wecken zu spät gelegen habe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG vom 10. November 1976 aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des SG Darmstadt vom 4. Juni 1975 zurückzuweisen,
hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist begründet.
Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Kläger im Zeitpunkt des Unfalls nicht schon unter Versicherungsschutz stand, weil er sich aufgrund seiner versicherten Tätigkeit als Flugkapitän in einer fremden Stadt befand. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist auch bei Dienstreisen zu unterscheiden zwischen Betätigungen, die mit dem Beschäftigungsverhältnis rechtlich wesentlich zusammenhängen, und solchen Verrichtungen, die der privaten Sphäre des Reisenden angehören. Der Versicherungsschutz entfällt, wenn der Versicherte sich rein persönlichen von der Betriebstätigkeit nicht mehr beeinflußten Belangen widmet (vgl. u. a. BSGE 8, 48, 49 ff.; 39, 180, 181; BSG SozR 2200 § 548 Nr. 21; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-8. Aufl., S. 482 i und Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., § 548 Anm. 65 - jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Allerdings ist, wie von der Rechtsprechung des BSG von Anfang an nicht verkannt wurde, ein rechtlich wesentlicher ursächlicher Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis am Ort der auswärtigen Beschäftigung in der Regel eher anzunehmen als am Wohn- oder Betriebsort. Das Berufungsgericht hat nicht verkannt, daß der Weg zur Nahrungsaufnahme während einer Dienstreise zu den Verrichtungen gehört, die im ursächlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen, die den Versicherten in die fremde Stadt geführt hat (vgl. BSGE 8, 48, 52/53; BSG SozR Nr. 17 und Nr. 57 zu § 542 RVO aF). Auf diesem Weg besteht Versicherungsschutz gemäß § 548 Abs. 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Dies entspricht außerhalb einer Dienstreise dem Versicherungsschutz gemäß § 550 Abs. 1 RVO auf Wegen zur Nahrungsaufnahme vom Ort der Tätigkeit und zurück (s. BSGE 14, 197, 199; Brackmann aaO S. 486 o I).
Der Senat folgt jedoch nicht der Auffassung des LSG, der Kläger habe im Unfallzeitpunkt nicht unter Versicherungsschutz gestanden, weil er die Mahlzeit nicht im Hotel, sondern in einem nahegelegenen Restaurant eingenommen hat. Ebenso wie der Versicherungsschutz nach § 550 Abs. 1 RVO auf Wegen zur Nahrungsaufnahme von dem Ort der Tätigkeit und zurück nicht davon abhängig ist, daß im Betrieb keine Möglichkeit gegeben ist, eine warme Mahlzeit einzunehmen (Brackmann aaO S. 486 o I), ist auch auf Dienstreisen der Versicherungsschutz gemäß § 548 RVO auf Wegen nach und von der Nahrungsaufnahme nicht ausgeschlossen, weil der Versicherte auch in dem Hotel, in dem er wohnt, hätte essen können. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung und der hierfür erforderlichen Feststellungen, ob der Kläger im Hotel ebenfalls unter Berücksichtigung seines frühen Dienstbeginns noch rechtzeitig hätte zu Abend essen können. Selbst wenn das der Fall gewesen wäre, war es dem Kläger auch versicherungsrechtlich freigestellt, im Hotel oder in einem nicht unverhältnismäßig weit entfernten Restaurant zu essen. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG liegt das Restaurant, in dem der Kläger mit den übrigen Mitgliedern der Besatzung zu Abend aß, nur fünf Gehminuten entfernt, so daß keine unverhältnismäßig weite Entfernung zwischen dem Hotel und dem Ort der Essenseinnahme lag. Die gegenteilige Auffassung des LSG, ein Versicherungsschutz auf Wegen zur Nahrungsaufnahme und zurück sei auf Dienstreisen nur insoweit gegeben, als hierfür die nächstgelegene Gegebenheit wahrgenommen werde, kann sich auch nicht, wie das Berufungsgericht meint, auf die Entscheidung des Senats vom 30. Juni 1960 (2 RU 132/59 = BSGE 12, 247) stützen. Abgesehen davon, daß dieses Urteil nicht den Versicherungsschutz auf Wegen nach und von der Nahrungsaufnahme, sondern beim Essen selbst (vergiftete Speisen) betrifft, geht auch diese Entscheidung davon aus, daß trotz der Möglichkeit, in der Kantine des Betriebes zu essen, in dem sich der Versicherte aus dienstlichen Gründen aufhält, der Versicherungsschutz auch auf Wegen nach und von dem Ort seiner auswärtigen Tätigkeit zu einer Gaststätte in der Nähe besteht (s. BSGE aaO S. 250 und S. 251). Es bedarf demnach für die Entscheidung dieses Rechtsstreits keines Eingehens auf die mit Dienstreisen des fliegenden Personals der Fluggesellschaften ggf. verbundenen besonderen Verhältnisse.
Die Beklagte bezieht sich auch zu Unrecht auf die Entscheidung des Senats vom 26. April 1973 (2 RU 213/71). Diese Entscheidung betrifft insoweit die Frage, wann am Beschäftigungsort beim Aufsuchen der Kantine der Versicherungsschutz gemäß § 550 Abs. 1 RVO endet und wieder beginnt. Der Unfall ereignete sich in dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall in den Räumen der Kantine eines anderen Unternehmens.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen