Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherungsschutz bei Essenseinnahme in Werkskantine
Orientierungssatz
Die Essenseinnahme ist ausnahmsweise mitversichert, wenn besondere Umstände eine so enge Beziehung zu der betrieblichen Tätigkeit schaffen, daß das Moment der "Eigenwirtschaftlichkeit" als unwesentlich zurücktritt (vgl BSG 1976-06-22 8 RU 146/75 = SozR 2200 § 548 Nr 20). Der durch Pfirsichsaft verunreinigte Kantinenboden ist keine besondere betriebsspezifische Gefahrenquelle, die den Unfallversicherungsschutz begründen könnte.
Normenkette
RVO § 548 Abs 1 S 1
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 07.01.1981; Aktenzeichen L 6 U 347/80) |
SG Hannover (Entscheidung vom 11.08.1980; Aktenzeichen S 19 U 303/79) |
Tatbestand
Die Klägerin rutschte in der betriebseigenen Kantine auf verschüttetem Pfirsichsaft aus. Sie trug zum Unfallzeitpunkt mit beiden Händen ein Eßtablett, auf dem sich das Mittagessen befand. Die wegen der Unfallfolgen (ua Einbruch der Deckplatte des 7. Brustwirbels) eingeleitete stationäre berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung ließ die beklagte Berufsgenossenschaft (BG) abbrechen, als sie von der Unfallursache Kenntnis erhielt. Sie meinte, der Aufenthalt in der Betriebskantine sei dem persönlichen Lebensbereich zuzuordnen und daher unversichert. Mit dieser Begründung lehnte die Beklagte eine Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab (Bescheid vom 27. Juli 1979).
Das Sozialgericht (SG) hat die Barmer Ersatzkasse beigeladen, weil sie für die Klägerin Heilbehandlungskosten aufgewendet hatte und deshalb gegenüber der Beklagten Ersatzansprüche geltend macht. Klage und Berufung sind erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat ua ausgeführt: Die Nahrungsaufnahme in einer Betriebskantine sei nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung nicht geschützt. Der Unfall sei auch nicht durch besondere betriebliche Umstände, etwa durch eine objektiv gefährliche Betriebseinrichtung verursacht worden. Vielmehr habe es sich um eine dem Arbeitgeber nicht zurechenbare Gefahrenquelle gehandelt, mit welcher beim Essen allgemein zu rechnen sei.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beigeladene eine Verletzung des § 548 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO). Die Verschmutzung des Kantinenfußbodens sei - meint die Beigeladene - ein betrieblicher Umstand, der unabhängig davon, wer diesen Zustand verursacht habe, den Unfallversicherungsschutz auslöse. Der Arbeitgeber sei für den ordnungsgemäßen Zustand der Betriebs- und Büroräume wie auch für die Betriebskantine verantwortlich. Bei der Verletzung einer derartigen "Verkehrssicherungspflicht" komme es auf ein Verschulden des Arbeitgebers nicht an.
Die Beigeladene beantragt,
die Urteile des Sozialgerichts und Landessozialgerichts aufzuheben
und den Unfall der Klägerin als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Klägerin stellt keinen Antrag.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beigeladenen hat keinen Erfolg.
Die Beigeladene ist zur Einlegung der Revision befugt. Daran ändert nichts, daß sich die Klägerin bereits mit dem Klagabweisenden Urteil des SG abgefunden hatte. Die Beigeladene möchte der Beklagten gegenüber den Ersatz von Heilbehandlungskosten geltend machen, die sie für das versicherte Mitglied - die Klägerin - aufgewendet hatte (§ 1504 Abs 1 RVO). Voraussetzung für diesen Anspruch ist, daß eine Krankheit Folge des Arbeitsunfalles ist.
Die Vorinstanzen haben zutreffend die rechtlichen Voraussetzungen für einen Arbeitsunfall (§ 548 Abs 1 RVO) verneint. Die Klägerin erlitt den Unfall nicht "bei" einer nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO versicherten Tätigkeit. Allerdings ist der Klägerin der Versicherungsschutz nicht schon deswegen zu versagen, weil sie während der Mittagspause in der Betriebskantine verunglückt ist. Zwar ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) die Nahrungsaufnahme während einer Arbeitsschicht grundsätzlich dem persönlichen Lebensbereich des Arbeitnehmers zuzurechnen. Unfälle, die sich hierbei ereignen, unterliegen damit nicht dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung (BSG SozR 2200 § 548 Nr 20 mwN). Dies gilt selbst dann, wenn das Essen in der Werkskantine - eine betriebliche Einrichtung - eingenommen wird (BSG SozEntsch IV Nr 29 zu § 548 RVO). Insoweit wird den Interessen des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer die Einnahme einer Mahlzeit in der betriebseigenen Kantine zu ermöglichen, um damit eine Zeitersparnis, eine Schonung der Arbeitskraft wie auch eine sinnvolle Verwendung der Arbeitspause zu erreichen, nur eine untergeordnete Bedeutung beigemessen (Böhme, ZfS 1974, 302; Benz, BG 1981, 154, 156). Daran ändert nichts, daß in der Kantine des Unternehmers eine Gemeinschaftsverpflegung stattfindet. Auch sie ist dem eigenwirtschaftlichen Lebensbereich zuzuordnen. Die ursächliche Verknüpfung der Essenseinnahme mit der versicherten Tätigkeit ist nicht so wesentlich, daß ihr gegenüber die mit der Einnahme der Mahlzeit verbundenen persönlichen und privaten Zwecke in den Hintergrund zu treten hätten (BSG SozR Nr 52 zu § 542 RVO aF). In gleicher Weise sind auch die Wege innerhalb des Kantinenbereichs - so etwa der Weg zum Essensplatz - unversichert (BSG WzS 1976, 307).
Jedoch gilt dies nicht uneingeschränkt. Die Essenseinnahme ist nämlich ausnahmsweise mitversichert, wenn besondere Umstände eine so enge Beziehung zu der betrieblichen Tätigkeit schaffen, daß das Moment der "Eigenwirtschaftlichkeit" als unwesentlich zurücktritt (BSG SozR 2200 § 548 Nr 20 mwN). Diese Voraussetzungen hält die Beigeladene für gegeben, weil die von der Werkskantine ausgehende Gefahrenquelle - der durch verschütteten Saft verschmutzte Kantinenfußboden - der betrieblichen Sphäre zuzuordnen und der Unfall allein dadurch verursacht sei. Diese rechtliche Beurteilung ist nicht zutreffend.
Der Versichertentatbestand ergibt sich nicht aus der zeitlichen Verbindung zwischen der zuvor ausgeübten Betriebstätigkeit und dem Kantinenaufenthalt. Dafür ist außerdem nicht ausreichend, daß mit Zustimmung des Unternehmers eine betriebliche Einrichtung zu privaten Zwecken benutzt wird (BSGE 14, 295, 296 = SozR Nr 42 zu § 542 RVO). Das entspricht dem Grundsatz, daß es keinen Betriebsbann gibt (BSG SozR 2200 § 548 Nr 15 und 20; BSGE 41, 137, 139). Damit ist ausgesprochen, daß zwischen dem Aufenthalt in betrieblichen Räumen und einem sich darin ereignenden Unfall mehr als nur eine äußere - örtliche oder zeitliche - Verflechtung bestehen muß. Es muß dazu kommen, daß der Arbeitnehmer einer besonderen Betriebsgefahr ausgesetzt ist. Davon wird man regelmäßig ausgehen können, wenn sie typische Merkmale des Betriebes aufweist oder wegen ihrer Beschaffenheit als im besonderen Maße gefahrenträchtige Einrichtung gilt (BSG SozR 2200 § 548 Nr 20).
Aus dieser Sicht hat der 8. Senat des BSG in der vorgenannten Entscheidung eine Drehtür als besondere betriebliche Gefahrenquelle qualifiziert. Hingegen hat der 2. Senat bei einem vom Betrieb gestellten Eßbesteck, nämlich einem Messer, ein betriebseigentümliches Risiko verneint (BSG BB 1969, 408). Zu der gleichen Beurteilung kam der 2. Senat bei einem Unfall, der sich beim Verzehr einer Fleischroulade in der Kantine ereignet hatte (BSG Breithaupt 1969, 755, 757). Ein Arbeitsunfall wurde nicht etwa deshalb bejaht, weil die besondere Zubereitung des Fleisches - Zusammenhalten der Fleischstücke mit Holzspießchen - gewisse Schadensquelle darstellte. Vielmehr war entscheidend, daß der Betriebsangehörige aus dienstlichen Gründen genötigt war, das Mittagessen hastig zu sich zu nehmen. Mithin war hier ein Vorgang für den Unfall wesentlich mitursächlich, der in den versicherungsrechtlich geschützten Bereich fiel.
Nach diesem aufgezeigten Rechtsmaßstab ist der durch Pfirsichsaft verunreinigte Kantinenboden keine besondere betriebsspezifische Gefahrenquelle. Vielmehr waren für den Unfall der Klägerin Umstände maßgebend, mit denen bei Essensausgaben - zB auch in Gaststätten - ganz allgemein zu rechnen ist. Daß außerdem betriebsbedingte Umstände (etwa besondere Eile, Dienstbesprechung usw) den Unfall wesentlich mitverursacht haben, ist vom Berufungsgericht nicht festgestellt und wird auch weder von der Klägerin noch von der Beigeladenen behauptet. Auf Grund dessen liegt ein Arbeitsunfall nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen