Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Umstellung eines Versorgungsanspruchs auf das BVG nach EGBVG SL Art 1 § 3 S 1 vom 1961-08-16 iVm dem BVG idF des 2. NOG KOV ist BVG § 62 Abs 3 nicht anwendbar.
2. Wird bei einer solchen Umstellung der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit niedriger als vorher festgestellt, steht ein Ausgleich nach EGBVG SL Art 1 § 4 nicht zu.
Normenkette
BVG § 62 Abs. 3 Fassung: 1964-02-21; BVGSaarEG Art. 1 § 3 S. 1, § 4
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 22. Oktober 1968 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Kläger - geboren im Jahre 1901 - bezog nach saarländischem Recht Versorgung vom 1. Mai 1946 an wegen
1) Restfolgen nach Hirnerschütterung, Kopfschwartennarben,
2) Spondylosis deformans (Rheuma)
zu 1) als entstanden,
zu 2) als verschlimmert durch Einwirkungen des Wehrdienstes.
Die Rente war zunächst nach der Versehrtenstufe II, vom 1. Januar 1948 an nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 und vom 1. Mai 1948 an um 30 v. H. festgesetzt. Gestützt auf das Ergebnis einer Nachuntersuchung durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Z erteilte der Beklagte den Umanerkennungsbescheid vom 23. August 1965 gemäß dem EGBVG-Saar (Art. I § 3) in Verbindung mit dem Zweiten Neuordnungsgesetz (2. NOG). Er erkannte als Schädigungsfolgen für die Zeit vom 1. Juni 1960 bis 30. April 1965 mit einer MdE um 30 v. H. an:
Restfolgen nach Hirnerschütterung, Kopfschwartennarben - als entstanden -
und Spondylosis deformans (Rheuma)
- als verschlimmert durch Einwirkungen des Wehrdienstes -.
Im Zuge der Umanerkennung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) sei die früher vorgesehene Nachuntersuchung durchgeführt worden. Nach ihrem Ergebnis seien Folgen einer Gehirnerschütterung nicht mehr nachweisbar, insbesondere lasse sich eine traumatische Schädigung des zentralen Nervensystems nicht objektivieren; hierdurch werde die Erwerbsfähigkeit vom 1. Mai 1965 an nicht mehr herabgesetzt. Die Leidensbezeichnung laute nunmehr "reizlose Kopfschwartennarben nach Schnittwunde (Autounfall)". Die Versorgungsgebührnisse würden in der bisherigen Höhe bis zum 30. September 1965 gewährt. Als weitere Schädigungsfolge erkannte der Beklagte durch Vergleich vor dem Sozialgericht (SG) "Spondylosis deformans", als durch schädigende Einwirkungen im Sinne des BVG verschlimmert, mit einer MdE unter 25 v. H. an. Der Widerspruch, mit dem dauernde Kopfschmerzen und rheumatische Beschwerden geltend gemacht wurden, war nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 17. November 1966).
Mit der Klage hat der Kläger wiederholt, daß die Schädigungsfolgen seine Erwerbsfähigkeit minderten. Das SG hat nach Beweisaufnahme durch Einholung eines ärztlichen Gutachtens durch Urteil vom 5. Februar 1968 den Beklagten verurteilt, dem Kläger über den 30. April 1965 hinaus Rente nach einer MdE um 30 v. H. zu gewähren. Die Vorschrift des § 62 Abs. 3 BVG idF des 2. NOG müsse auf den Kläger angewandt werden, so daß er wegen seines Alters und des seit über 10 Jahren unverändert gebliebenen Rentenbezuges die Rente nicht verlieren könne.
Auf die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 22. Oktober 1968 die Entscheidung des SG aufgehoben, soweit dem Kläger über den 30. April 1965 hinaus Rente nach einer MdE um 30 v. H. zugesprochen worden war; es hat die Klage auch insoweit abgewiesen und die Revision zugelassen. Bei der Umstellung der Rentenbezüge nach dem BVG seien hinsichtlich der MdE die Verhältnisse zugrunde zu legen, die sich nach neuen ärztlichen Beurteilungen ergäben, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sich die Verhältnisse seit der letzten Feststellung nach saarländischem Recht wesentlich geändert hätten. Der Umanerkennungsbescheid sei rechtmäßig. Wenn auch der Kläger zur Zeit seines Erlasses bereits das 60. Lebensjahr vollendet gehabt habe, so sei die Vorschrift des § 62 Abs. 3 BVG nF nicht anzuwenden, weil sie sich nur auf die Rentenberechtigten erstrecke, deren Rente nach dem BVG festgesetzt worden sei. Dies treffe beim Kläger nicht zu.
Der Kläger hat Revision eingelegt und beantragt,
das Urteil des LSG für das Saarland vom 22. Oktober 1968 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG für das Saarland vom 5. Februar 1968 zurückzuweisen.
Er rügt mit näherer Begründung eine unrichtige Anwendung des § 62 Abs. 3 BVG nF und ist der Ansicht, der Schutzgedanke dieser Vorschrift müsse, wenn nicht unmittelbar, so doch zumindest entsprechend auch auf solche alten Kriegsbeschädigten anwendbar sein, welche nach bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften im Sinne des § 85 BVG bereits Beschädigtenrente nach einer 10 Jahre lang unveränderten MdE bezogen hätten.
Der Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers gegen das Urteil des LSG für das Saarland vom 22. Oktober 1968 zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Kläger hat die durch Zulassung statthafte Revision form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Sein zulässiges Rechtsmittel kann keinen Erfolg haben.
Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß nach dem Gutachten des Dr. Z keine Folgen einer Gehirnerschütterung mehr nachweisbar gewesen sind, so daß die Rentenentziehung vom 1. Mai 1965 an durch den Umanerkennungsbescheid nicht zu beanstanden sei. Diese tatsächliche Feststellung ist in der Revisionsinstanz nicht angegriffen worden. Sie bindet daher den Senat.
Streitig ist, ob der Kläger wegen seines Alters und wegen seines langjährigen Rentenbezuges seine frühere Rente nach einer MdE um 30 v. H. behalten müsse. § 62 Abs. 4 BVG idF seit dem 1. NOG (vom 2. NOG an § 62 Abs. 3 BVG) kann nach Auffassung des LSG und der Beteiligten keine unmittelbare Anwendung finden. Dies ist richtig.
Der Kläger bezog Versorgung nach saarländischem Recht - also nach dem Reichsversorgungsgesetz (RVG) mit den für das Saarland getroffenen Änderungen (zuletzt Amtsblatt des Saarlandes 1957, S. 825 ff). Im saarländischen Recht war eine dem § 62 Abs. 3 BVG nF entsprechende Regelung nicht enthalten. Infolgedessen stand dem Kläger ein derartiger gesetzlicher Schutz nicht zur Seite. Nach dem Gesetz zur Einführung des BVG im Saarland vom 16. August 1961 (BGBl Teil I S. 1292) ist das BVG mit Wirkung vom 1. Juni 1960 an im Saarland eingeführt worden. Mit dem gleichen Tage sind alle entgegenstehenden oder inhaltgleichen Rechtsvorschriften des Saarlandes außer Kraft getreten (Art. III § 1 aaO). Die nach den Rechtsvorschriften des Saarlandes festgestellten Versorgungsgebührnisse wurden bis zum Ablauf des Monats weitergezahlt, in welchem der Bescheid über die Umstellung der Versorgung auf das BVG erteilt wurde (Art. I § 3 aaO). Die früheren Entscheidungen wirkten nach Art. I § 2 Abs. 1 aaO insoweit noch fort, als nach den Rechtsvorschriften des Saarlandes über die Frage des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Ereignis im Sinne des § 1 BVG entschieden worden war. Nach der Rechtsprechung des BSG (BSG 25, S. 153 ff, SozR EGBVG-Saar Art. I § 2 Nr. 2) sind nur die Entscheidungen über den ursächlichen Zusammenhang weiter bindend, nicht aber die sonstigen Entscheidungen nach saarländischem Recht, insbesondere über die Versorgungsberechtigung. Insoweit bleibt es bei der Rechtsprechung des BSG zu der Umstellung der Versorgungsgebührnisse nach dem BVG und zu § 85 Satz 1 BVG aF (BSG 2, 113 ff, 114). Da hier schädigende Folgen der früher anerkannten Gehirnerschütterung nicht mehr nachzuweisen waren, konnte diese Schädigungsfolge nicht mehr anerkannt bleiben, so daß die Verwaltung zu Recht diese Gesundheitsstörung nicht mehr anerkannt und berentet hat.
Die Regelung des § 62 Abs. 3 BVG nF setzt nach ihrem eindeutigen Wortlaut eine Feststellung des Anspruchs auf Versorgung nach dem BVG voraus. Infolgedessen kann ein Rentenbezug nach saarländischem Recht, dem RVG, dieses Tatbestandsmerkmal nicht erfüllen. Mag auch das RVG das Modellgesetz des BVG gewesen sein, so ist es doch ein anderes Gesetz als das BVG. Es ist ja auch im Einführungsgesetz ausdrücklich als "inhaltsgleiche Rechtsvorschrift" außer Kraft gesetzt worden. Der Wortlaut des § 62 Abs. 3 BVG nF ist nicht nur eindeutig, sondern gibt auch die Absichten des Gesetzgebers vollständig und richtig wieder. Bei der Umanerkennung konnte der Kläger hinsichtlich der seit 1950 unterbliebenen Nachuntersuchung nicht besser gestellt werden, als er nach saarländischem Recht stand, zumal bei der Umanerkennung aus Anlaß der Einführung des BVG bei einer Übernahme des bis dahin anerkannten Grades der MdE gemäß § 86 Abs. 3 BVG aF die Nachuntersuchung innerhalb von vier Jahren nach Inkrafttreten des BVG nachgeholt werden konnte und dann zur Neufeststellung der Rente führte, auch wenn die Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 BVG nF nicht erfüllt waren. Infolgedessen hat das Berufungsgericht den § 62 Abs. 3 BVG aF zu Recht nicht angewendet.
Das Berufungsgericht hat zutreffend weiter entschieden, daß auch eine sinngemäße Anwendung des § 62 Abs. 3 BVG nF, welche der Kläger mit der Revision anstrebt, nicht in Betracht kommt. Eine sinngemäße Anwendung setzt voraus, daß das Gesetz eine Lücke enthielte, also einen Tatbestand der vorliegenden Art absichtlich oder aus Versehen oder deshalb nicht geregelt hat, weil solche Tatbestände erst nach dem Erlaß des Gesetzes sich ergeben haben; diese letzte Möglichkeit scheidet von vornherein aus. Eine Lücke in § 62 BVG ist ebenfalls nicht erkennbar, weil diese Vorschrift die Überleitung von Renten nach saarländischem Recht auf das BVG nicht erfaßt.
Es bleibt also weiter zu prüfen, ob die Übernahme des BVG auf das Saarland hinsichtlich der über 60 Jahre alten Beschädigten eine Lücke aufweist. Dies ist zu verneinen. Wie bereits dargelegt, hat das saarländische Recht eine dem § 62 Abs. 3 BVG nF entsprechende Regelung nicht enthalten. Es kann unerörtert bleiben, ob die saarländische Rechtsentwicklung eines Tages zu einer derartigen Vorschrift gekommen wäre, zumal sie die der Vorschrift des § 62 Abs. 3 BVG nF vorangehende Anordnung der Verwaltungsvorschriften (Nr. 1 Abs. 6 vom 3. September 1958), welche sich auf die Beschädigten des 1. Weltkrieges bezog, übernommen hat (vgl. Nr. 6 Abs. 1 der Ausführungsbestimmungen vom 30. November 1956 - Amtsblatt Saar 1956 S. 1577 ff). Denn hiermit ist die Rechtsentwicklung an der Saar stehen geblieben. Sie ist nicht auf die Beschädigten des letzten Krieges, auch nicht die betagten, und auch nicht bei langjährigem Rentenbezug ausgedehnt worden. Das Gesetz zur Einführung des BVG im Saarland setzt diese Rechtsentwicklung nicht fort. Es enthält zwar in Art. I § 4 eine Garantie des Besitzstandes, welche jedoch mit der des § 62 Abs. 3 BVG nF nicht verglichen werden kann. Nach dieser Vorschrift wird dann ein Ausgleich gewährt, wenn "der Gesamtbetrag der nach dem BVG ... zu zahlenden Versorgungsbezüge ... niedriger ist als der Gesamtbetrag, der bei Anwendung der Rechtsvorschriften des Saarlandes ... zu zahlen wäre". Diese Regelung setzt aber voraus, daß nach dem Bezug von Versorgung auf Grund des saarländischen Rechts weiter nach dem BVG Versorgung gewährt würde. In einem solchen Falle können die Leistungen nach dem BVG mit denen verglichen werden, welche wegen des gleichen Sachverhalts auf Grund des RVG zu zahlen wären. Im vorliegenden Fall stehen Leistungen nach dem BVG nicht mehr zu, weil die MdE unter 25 v. H. liegt; nach dem RVG stünden bei einer derartigen MdE ebenfalls keine Leistungen zu, so daß dem Kläger auf Grund des Art. I § 4 EGBVG auch kein Ausgleich zu gewähren ist. Es ist nicht angängig, der Versagung von Rente nach dem BVG die frühere Rente nach dem RVG gegenüberzustellen, weil dadurch - im Gegensatz zur Regelung in Art. I § 2 EGBVG - neben der Entscheidung über den ursächlichen Zusammenhang auch der früheren Feststellung der MdE weitere Wirkung eingeräumt würde (vgl. die o. a. Rechtsprechung -BSG 25, 153 ff). Infolgedessen ist es bedenkenfrei, daß das Berufungsgericht auf diese allenfalls mögliche Anspruchsgrundlage für den Kläger nicht eingegangen ist.
Da sonach die angefochtene Entscheidung der Sach- und Rechtslage entspricht, mußte die Revision des Klägers zurückgewiesen werden.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen