Entscheidungsstichwort (Thema)
Selbständige Revision. Anschlußrevision
Leitsatz (amtlich)
Ein nicht in einer Beweisaufnahme des Prozeßgerichts erstattetes Gutachten, vor allem auch ein vom Versicherungsträger im Rahmen seiner Befugnisse eingeholtes Gutachten, darf im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden, wenn die Beteiligten mit der Verwertung des Gutachtens als Beweismittel einverstanden sind (vergleiche RG in JW 1924, 962; und BGH 1964-11-25 4 AZR 134/63 = NJW 1965, 1502; Heuer in NJW 1962, 1705; teilweise aA Glücklich in SGb 1954, 177).
Leitsatz (redaktionell)
Eine Revision des Klägers ist nicht schon deshalb eine Anschlußrevision, weil sie innerhalb der Revisionsfrist, aber später als die Revision des Beklagten eingelegt ist.
Normenkette
ZPO §§ 415-416, 556
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 8. August 1962 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin ein Viertel der Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten; sonstige Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die im Jahre 1917 geborene Klägerin war in ihrem Arbeitsleben in der Landwirtschaft, im Haushalt und in einer Weberei versicherungspflichtig beschäftigt. Im August 1956 beantragte sie Invalidenrente, weil sie an einer Nervenwurzelentzündung leide. Auf Grund eines Gutachtens des Niedersächsischen Landeskrankenhauses Wunstorf vom 4. Dezember 1956, in dem die Klägerin zweimal behandelt und beobachtet worden war, erteilte die Beklagte ihr am 2. August 1957 einen "Bescheid über Rente wegen Berufsunfähigkeit auf Zeit". Darin heißt es u. a.:
"Auf Ihren Antrag wird Ihnen aus der Rentenversicherung der Arbeiter Rente wegen Berufsunfähigkeit gewährt.
Der Rentenanspruch beginnt am 25.1.1957 sie wird längstens bis September 1957 gewährt. Die Rente, die monatlich 84,- DM beträgt, wird vom 1.10.1957 an laufend gezahlt.
Die Nachzahlung für die Zeit vom 25. Januar 1957 bis 30. September 1957 beträgt 56,60 DM" (8 Monate und 6 Tage mal 84,- DM = 688,80 DM abzügl. 632,20 DM an den Bezirksfürsorgeverband).
Mit Schreiben vom 22. August 1957 wies die Klägerin auf "einige Unklarheiten" des Bescheides hin. Sie gab ihrer Meinung Ausdruck, daß die Rente nicht erst vom 25. Januar 1957, sondern schon vom 25. August 1956 an gezahlt werden müsse, weil sie bereits damals den Antrag gestellt habe. Ferner bezeichnete sie es als widersprüchlich, daß einerseits die "Rente bis längstens September 1957 gewährt", andererseits aber "vom 1.10.1957 an laufend gezahlt" werde. Schließlich bat sie noch um Mitteilung, ob sie einen neuen Antrag auf weitere Berufsunfähigkeit stellen müsse.
Am 4. September 1957 klärte die Beklagte die Klägerin unter entsprechender Berichtigung der Ausfertigung des Rentenbescheides dahin auf, daß vorübergehende Berufsunfähigkeit angenommen und deshalb eine Zeitrente vom Beginn der 27. Woche (§ 1276 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) bis Ende September 1957 bewilligt worden sei. Gleichzeitig teilte sie mit, daß sie die Anfrage der Klägerin vom 22. August 1957 als Antrag auf Weiterzahlung der Rente ansehe und eine Nachuntersuchung veranlassen werde. Die Untersuchung nahm der Nervenarzt Doz. Dr. H vor. Er erstattete am 26. September 1957 ein Gutachten, in dem er zu folgendem Ergebnis kam: Bei der Klägerin sei zwar noch eine Steifigkeit des Affekts, des Gedankenablaufs und der Reaktionsweise vorhanden, auch fehlten die Reflexe an den Beinen nach wie vor, es seien jedoch keine Anzeichen einer akuten oder subakuten Nervenentzündung mehr nachzuweisen. Gegenüber dem Zeitpunkt der Antragstellung und dem Befund im Niedersächsischen Landeskrankenhaus Wunstorf sei eine wesentliche Besserung bei der Klägerin eingetreten. Es beständen nur noch eine mäßige Druckschmerzhaftigkeit einzelner Nervenpunkte und eine ganz geringfügige Gangbeeinträchtigung. Berufsunfähigkeit sei nicht anzunehmen; wenn eine solche einmal bestanden habe, dann sei sie vorübergehender Art gewesen. - Nachdem der Klägerin dieses Ergebnis mitgeteilt worden war, bestand sie mit Schreiben vom 5. Februar 1958 darauf, daß bei ihr "nicht Berufsunfähigkeit auf Zeit, sondern vorläufige Erwerbsunfähigkeit" anerkannt werde. - Vor Abgabe der Vorgänge an das Sozialgericht (SG) Hannover holte die Beklagte noch einen Befundbericht des Krankenhauses der Stadt Bassum vom 20. März 1958 ein; dort hatte sich die Klägerin im Dezember 1957 einer Gallenblasenoperation unterzogen. Schließlich lag der Beklagten noch eine Beurteilung des Universitätskrankenhauses E. (Doz. Dr. B/Dr. B) vom 18. Juli 1958 vor. Sie bezieht sich auf eine fünfwöchige stationäre Behandlung der Klägerin im April/Mai 1958 und besagt im wesentlichen: Man schließe sich der im Krankenhaus Wunstorf gestellten Diagnose einer chronischen Nervenwurzelentzündung an. Eine multiple Sklerose sei nicht erwiesen. Andererseits sei eine leichte hirnorganische Wesensänderung bei der Klägerin nicht auszuschließen. Die chronische, offensichtlich progrediente neurologische Erkrankung, deren Ätiologie einer Klärung nicht ohne weiteres zugänglich sei, rechtfertige die Invalidisierung.
Das SG hat ein neurologisches Gutachten mit elektroencephalographischem Zusatzgutachten vom Krankenhaus Nordstadt Hannover eingeholt (Prof. Dr. T/Dr. T). Das Gutachten vom 22. Juni 1960 enthält - zusammengefaßt - folgende Beurteilung: Eine organneurologische Erkrankung des Nervensystems liege nicht vor. Falls die Klägerin eine solche früher durchgemacht haben sollte, so sei es zu einer praktischen Heilung gekommen. Die derzeitigen Beschwerden seien Ausdruck einer schweren psychogenen Fehlhaltung, die inzwischen einen echten Krankheitswert erreicht habe. Es bedürfe einer stationären psychotherapeutischen Behandlung. Zur Zeit könnten leichte Frauenarbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr als halbtägig nicht mehr verrichtet werden.
Das SG hat durch Urteil vom 13. Januar 1961 den Bescheid der Beklagten vom 2. August 1957 aufgehoben und diese verpflichtet, der Klägerin für die Zeit vom 1. September bis 31. Dezember 1956 Invalidenrente und vom 1. Januar 1957 an Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren. Es hat vor allem auf Grund des Gutachtens des Krankenhauses Nordstadt als erwiesen angesehen, daß die Klägerin von der Antragstellung an nicht nur vorübergehend, sondern ununterbrochen nicht in der Lage gewesen sei, mehr als halbtägig leichte Frauenarbeiten zu verrichten.
Dieses Urteil hat die Beklagte mit der Berufung, die Klägerin mit der - unselbständigen - Anschlußberufung angefochten.
Die Beklagte hat ausgeführt: Sie hätte für die Zeit vom 25. Januar bis 30. September 1957 schon deshalb nicht zur Rentenzahlung verurteilt werden dürfen, weil die Klägerin für diese Zeit eine gleichgeartete Leistung bereits erhalten habe. Abgesehen davon, seien nach dem bisherigen Beweisergebnis sowohl Invalidität als auch Berufsunfähigkeit der Klägerin zu verneinen, weil diese noch zu halbtägiger Arbeitsleistung fähig sei.
Die Klägerin hat eine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung dahingehend beantragt, daß ihr vom 1. Januar 1957 an anstelle der ihr zuerkannten Rente wegen Berufsunfähigkeit eine solche wegen Erwerbsunfähigkeit gewährt werde. Sie hat ihren Antrag damit begründet, daß die ihr für diese Zeit zugesprochene Rente nach Art. 2 § 32 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) umzustellen sei und nach § 38 Abs. 2 ArVNG als Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gelte.
Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat von dem Facharzt für Nervenkrankheiten Dr. B ein Aktengutachten eingeholt. Dieser Sachverständige hält die Beurteilung in den Gutachten der Krankenhäuser Hamburg-Eppendorf und Nordstadt Hannover nicht für überzeugend. Er meint, es sprächen keine stichhaltigen Gründe gegen die Annahme, daß die Klägerin ihre psychogene (neurotische) Fehlhaltung unklarer Ursache korrigieren könne; denn sie sei weder schwachsinnig noch psychotisch, noch habe sie ein zentrales organisches Nervenleiden. Der Sachverständige hat die Leistungsfähigkeit der Klägerin wie folgt beurteilt: Sie könne seit dem 1. Januar 1957 leichte bis mittelschwere Arbeiten im Haushalt und in Gewerbe oder Industrie mehr als halbtags verrichten, wenn sie nicht schwer heben und tragen und nicht ständig in gebückter Haltung arbeiten müsse. - Vom 10. Januar bis 1. Februar 1962 hat die Beklagte eine tiefenpsychologische Beobachtung und Begutachtung der Klägerin im Niedersächsischen Landeskrankenhaus Tiefenbrunn durchführen lassen. Über das Ergebnis haben Med. Dir. Dr. K und Dr. Sch am 10. März 1962 ein Gutachten erstattet. Sie kommen zu dem Ergebnis, durch die psychogenen Störungen der Klägerin sei ihre Erwerbsfähigkeit nicht so weitgehend eingeschränkt, daß sie im Haushalt, im Gewerbe oder in der Industrie nicht noch leichte bis mittelschwere Arbeiten ganztägig mit gelegentlichen Unterbrechungen, ohne Heben und Tragen schwerer Lasten, nicht ständig in gebückter Haltung, bei nicht zu langem Anmarschweg verrichten könnte.
Das LSG Niedersachsen hat durch Urteil vom 8. August 1962 der Berufung der Beklagten im wesentlichen stattgegeben. Es hat die Klage, soweit sie auf Rentenleistungen für die Zeit vor dem 25. Januar 1957 und nach dem 30. September 1957 gerichtet ist, abgewiesen. Auf die Anschlußberufung der Klägerin hin hat es die Beklagte verurteilt, bei der für die Zeit vom 25. Januar 1957 bis 30. September 1957 gezahlten Rente noch eine Vergleichsberechnung nach Art. 2 §§ 31 ff. ArVNG durchzuführen und der Klägerin einen sich zu ihren Gunsten ergebenden Differenzbetrag nachzuzahlen.
Das LSG hat die Berichtigung des Bescheides vom 2. August 1957 (Streichung des Satzes: "Die Rente wird vom 1.10.1957 an laufend gezahlt") unter entsprechender Anwendung von Rechtsgedanken, die es aus sonstigen Vorschriften über die Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten (§ 138 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -, § 319 der Zivilprozeßordnung - ZPO -, § 118 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) hergeleitet hat, als zulässig angesehen. - In medizinischer Hinsicht hat es die Voraussetzungen für eine dauernde Invalidität bzw. dauernde Berufsunfähigkeit der Klägerin für die Vergangenheit und die Gegenwart verneint. Dabei hat es den Gutachten des Dr. H, des Dr. B und der Ärzte des Niedersächsischen Landeskrankenhauses Tiefenbrunn - unter näherer Begründung - einen höheren Beweiswert zugesprochen als den Gutachten der Universitäts-Nervenklinik Eppendorf und des Krankenhauses Nordstadt Hannover. Es hat festgestellt: Die Klägerin sei jedenfalls von Oktober 1957 an wieder imstande gewesen, in Gewerbe und Industrie sowie in der Hauswirtschaft ganztägig mit gelegentlichen Unterbrechungen mittelschwere Arbeiten ohne schweres Heben und Tragen und ohne ständiges Bücken zu verrichten. Mit dieser Einschränkung könne sie bei gehöriger Anspannung ihrer Willenskräfte als Weberin und Spulerin und auch als Packerin, Sortiererin, Stanzerin und dergleichen in Gewerbe- und Industriebetrieben sowie als Kartoffelschälerin und Gemüseputzerin in Krankenhäusern Gaststätten, Kantinen usw. erwerbstätig sein und mehr als die Hälfte des Lohnes einer vergleichbaren gesunden ungelernten Arbeiterin verdienen. - Demgemäß hat das LSG der Klägerin die mit der Klage erstrebte Rente wegen dauernder Invalidität bzw. Berufsunfähigkeit versagt.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Beide Beteiligten haben Revision eingelegt, jedoch hat die Beklagte ihre Revision wieder zurückgenommen.
Die Klägerin führt zur Begründung ihrer Revision aus: Ihr stehe schon deshalb eine laufende Rente über den 30. September 1957 hinaus zu, weil in dem Bescheid vom 2. August 1957 in seiner ursprünglichen Fassung eine solche Rentengewährung ausgesprochen sei. Der mit der Zustellung bindend gewordene Bescheid, der zwischen der Nachzahlung vom 25. Januar bis 30. September 1957 und der laufenden Rente vom 1. Oktober 1957 an unterscheide, hätte zuungunsten der Klägerin nicht mehr geändert werden dürfen. Er sei auch deswegen nicht "berichtigungsfähig" gewesen, weil § 138 SGG nur für Urteile, nicht aber für Bescheide gelte und überdies weder ein Rechenfehler noch eine sonstige offenbare Unrichtigkeit vorgelegen habe; es könne sich allenfalls um eine unrichtige Tatsachenwertung oder um einen Rechtsirrtum handeln, die aber beide nicht in entsprechender Anwendung des § 138 SGG berichtigt werden dürften. - Weiter vertritt die Klägerin die Auffassung, das LSG hätte nicht nur vorübergehende, sondern dauernde Invalidität von der Antragstellung an (August 1956) annehmen müssen. Sie bringt in bezug auf die vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen folgende, auf §§ 103, 106, 128 Abs. 1 SGG gestützte Mängelrügen vor:
Das LSG hätte dem Gutachten des Dr. H, das fast ausschließlich das angefochtene Urteil trage, keinen besonderen Beweiswert beilegen dürfen, weil es sich um eine Begutachtung im Auftrag der Beklagten handele. - Ebenso wenig beweiskräftig sei das Gutachten des Dr. B, weil es - ohne Untersuchung der Patientin - auf Grund der Akten erstattet worden sei. Keinesfalls aber hätte dieses Gutachten höher bewertet werden dürfen als die Gutachten der mit allen neuzeitlichen Hilfsmitteln und Erkenntnisquellen ausgestatteten "Fachgrößen" der Universitäts-Nervenklinik Hamburg-Eppendorf, des Landeskrankenhauses Wunstorf und des Krankenhauses Nordstadt in Hannover. - Wenn das LSG bei dem Vorliegen entgegengesetzter Meinungen derartiger Fachgrößen dennoch Zweifel gehabt habe, dann hätte es einen anerkannten Wissenschaftler als Obergutachter hören müssen. - Schließlich hätte das LSG der Äußerung des leitenden Arztes Dr. K vom Niedersächsischen Landeskrankenhaus Tiefenbrunn keinen besonderen Beweiswert zuerkennen dürfen, weil auch dieses Gutachten von der Beklagten veranlaßt worden sei und das Krankenhaus Tiefenbrunn von der beklagten LVA getragen werde.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen die Beklagte zu verurteilen, ihr vom 1. September 1956 an Invalidenrente und vom 1. Januar 1957 an eine - falls es für sie günstiger sei - nach altem Recht zu berechnende und nach Art. 2 § 31 ff ArVNG umzustellende. Versichertenrente unter Anrechnung der für die Zeit vom 25. Januar bis 30. September 1957 bereits gezahlten Rente zu gewähren.
Hilfsweise beantragt sie,
den Rechtsstreit unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Sie meint, auf die Berichtigungsfähigkeit des Bescheides vom 2. August 1957 komme es schon deshalb nicht an, weil der Bescheid, der in seiner ursprünglichen Fassung infolge eines Widerspruchs in vollem Umfang unverständlich gewesen sei, eine unmögliche Leistung festgesetzt habe und deshalb nichtig sei. Im übrigen tritt die Beklagte der Begründung des Berufungsurteils insoweit bei, als dieses die Anspruchsvoraussetzungen für eine über den angefochtenen Bescheid vom 2. August 1957 hinausgehende Rentenleistung verneint hat.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Revision der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet.
Der auf der Zulassung beruhenden Statthaftigkeit des Rechtsmittels (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) steht nicht entgegen, daß es wegen einer - die Rentenberechnung betreffenden - Rechtsfrage zugelassen worden ist, deretwegen allenfalls die Beklagte beschwert war und auch nur sie Berufung eingelegt hatte, und daß die Beklagte ihr Rechtsmittel wieder zurückgenommen hat. Das LSG hat das Rechtsmittel nicht auf eine bestimmte Rechtsfrage beschränkt und hätte dies auch nicht wirksam tun können (BSG SozR SGG § 162 Nr. 170). Deshalb waren zunächst beide Revisionen und ist jetzt - nach Rücknahme der Revision der Beklagten - die Revision der Klägerin in vollem Umfang statthaft.
Die Revision der Klägerin wäre allerdings nicht zulässig, wenn sie, wie die Beklagte meint, eine Anschlußrevision wäre; in diesem Falle hätte die Anschließung der Klägerin dadurch, daß die Beklagte ihr Rechtsmittel zurückgenommen hat, ihre Wirkung verloren (§§ 556, 522 Abs. 1 ZPO; § 202 SGG). Die Revision der Klägerin ist aber keine Anschlußrevision. Eine solche ist sie nicht schon deshalb, weil sie zwar innerhalb der Revisionsfrist, aber später als die Revision der Beklagten beim Bundessozialgericht eingegangen ist. Sie ist auch ihrem Inhalt nach keine "Anschließung", sondern von Anfang an ein selbständiges Rechtsmittel gewesen. Es braucht also nicht geprüft werden, ob eine selbständige oder eine unselbständige Anschließung vorliegt oder vorgelegen hat. Ebensowenig bedarf es der Prüfung, ob eine Anschlußrevision bereits in der Anschlußschrift oder jedenfalls noch innerhalb der für die Hauptrevision laufenden Begründungsfrist - ein Erfordernis, welches im vorliegenden Falle nicht erfüllt wäre - zu begründen ist (vgl. RGZ 65, 78, 79; Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 18. Aufl., § 556 Anm. V).
Die Auffassung der Klägerin, daß ihr ohne Rücksicht auf ihren Gesundheitszustand eine über den 30. September 1957 hinaus zu gewährende Rente schon deshalb zustehe, weil sie ihr durch den Bescheid vom 2. August 1957 bindend bewilligt worden sei, trifft nicht zu. Diesem allerdings unklar gefaßten Bescheid läßt sich im Wege der Auslegung mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, daß nur eine Zeitrente - bis zum 30. September 1957 - zugebilligt worden war. Dies ergibt sich schon aus der Überschrift "Bescheid über Rente wegen Berufsunfähigkeit auf Zeit", ferner aus dem Ausspruch "sie wird längstens bis September 1957 gewährt". Demnach traf das, was in den folgenden Sätzen des Bescheides über die Zahlungsweise der Rente gesagt war, insoweit ins Leere, als es sich auf die Zeit vom 1. Oktober 1957 an bezog; der Ausspruch über Zahlungen nach dem 30. September 1957 war gegenstandslos, weil für diese Zeit nach dem vorangegangenen Inhalt des Bescheides keine Rente bewilligt war. Aus dem Bescheid vom 2. August 1957 kann die Klägerin somit den Klageanspruch nicht herleiten. Einer formellen Berichtigung des Bescheides bedurfte es nicht; deshalb kann unerörtert bleiben, ob die Berichtigung nach den Grundsätzen über die Berichtigungsfähigkeit offenbarer Unrichtigkeiten zulässig war (vgl. BSG 15, 96; SozR SGG § 77 Nr. 36, RVO § 1268 Nr. 4 und ArVNG Art. 2 § 31 Nr. 4).
Das LSG hat seine klagabweisende Entscheidung damit begründet, daß die Klägerin allenfalls vorübergehend, nicht aber dauernd invalide bzw. berufsunfähig gewesen sei. Daß diese Rechtsfindung des LSG von Rechtsirrtümern in der Anwendung des materiellen Rechts beeinflußt wäre, ist nicht ersichtlich. Auch die Klägerin hat insoweit keine Beanstandungen erhoben; sie hat lediglich die vom LSG getroffenen und seine Rechtsanwendung tragenden tatsächlichen Feststellungen in mehreren Punkten mit der Rüge von Verfahrensmängeln angegriffen. Die gerügten Mängel liegen indes nicht vor.
Entgegen der Meinung der Revision ist es nicht zu beanstanden, daß das LSG sich bei der Feststellung des medizinischen Sachverhalts auch auf das Gutachten des Dr. H gestützt hat. Gutachten, die ein Versicherungsträger im Verwaltungsverfahren ordnungsmäßig beigezogen hat - dies trifft auf jenes Gutachten zu -, haben auch im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren Beweiswert (BSG SozR SGG § 128 Nr. 66).
Ohne Erfolg muß auch die Rüge bleiben, das allein auf Grund der Akten erstattete Gutachten des Dr. B hätte, sofern man es überhaupt als beweiskräftig ansehen könne, den Gutachten von "Fachgrößen" nicht vorgezogen werden dürfen. Es ist allgemein anerkannt, daß auch Gutachten von Ärzten, die den zu beurteilenden Patienten nicht selbst untersucht, vielmehr ihre Bekundungen auf den Inhalt der Akten, vor allem auf von anderen Ärzten erhobene Befunde gegründet haben, Beweiswert haben können. Weshalb dies im vorliegenden Falle nicht gelten soll, hat die Klägerin nicht näher erläutert. Es gibt auch keinen allgemeinen Beweisgrundsatz des Inhalts, daß Gutachten namhafter Hochschulärzte ohne weiteres und in jedem Falle gegenüber denjenigen von Privatärzten oder beamteten Ärzten den Vorzug verdienen. Das LSG war schließlich - entgegen der Meinung der Klägerin - nicht gehalten, allein deshalb einen "Obergutachter" zu hören, weil bereits vernommene Sachverständige in ihren Beurteilungen voneinander abwichen und das Gericht sich nicht in der Lage sah, der Auffassung derjenigen Sachverständigen zu folgen, welche die Klägerin als Fachgrößen bezeichnet hat. Es hätte - was nicht geschehen ist - näher erläutert werden müssen, inwiefern von der Vernehmung eines zusätzlichen Sachverständigen eine weitere Klärung des Sachverhalts zu erwarten gewesen wäre.
Soweit die gegen die Verwertung der gutachtlichen Äußerung des Dr. K gerichtete Rüge der Klägerin darauf gestützt ist, daß dieses Gutachten von der Beklagten "veranlaßt" worden sei, läßt sie die Zusammenhänge, die zu der Beurteilung geführt haben, nicht vollständig und deshalb nur unklar erkennen. Die Aufnahme der Klägerin in das Niedersächsische Landeskrankenhaus Tiefenbrunn ging auf eine Anregung im Gutachten des Krankenhauses Nordstadt Hannover vom 22. Juni 1960 zurück. Während des Berufungsverfahrens griff die Klägerin die Anregung mit Schriftsatz vom 12. September 1961 auf. Daraufhin fragte das LSG bei der Beklagten an, "ob der Klägerin von dort die von Prof. Dr. T/Dr. T ... vorgeschlagene stationäre psychotherapeutische Behandlung im Landeskrankenhaus Tiefenbrunn gewährt werden soll". Nachdem die Beklagte geantwortet hatte, sie werde den Versuch machen, übersandte das LSG - unter entsprechender Benachrichtigung der Klägerin - die Rentenakten an die Beklagte "zur Durchführung der psychotherapeutischen Behandlung der Klägerin"; es "setzte das Verfahren bis zum Vorliegen des Abschlußgutachtens des Niedersächsischen Landeskrankenhauses Tiefenbrunn aus". Die abschließende gutachtliche Äußerung wurde alsdann "auf Veranlassung der Landesversicherungsanstalt Hannover" erstattet. - Diese Vorgänge lassen zwar erkennen, daß die Ärzte Dr. K/Dr. Sch nicht vom LSG zu Sachverständigen bestellt worden waren und daß deshalb das von ihnen erstattete Gutachten kein Sachverständigenbeweis im Sinne der §§ 402 ff ZPO in Verbindung mit § 118 SGG ist. Daraus folgt aber weder, daß die Beklagte von einem Auftrag zur Begutachtung der Klägerin hätte absehen müssen, um Kollisionen zwischen ihrem Verwaltungshandeln und gerichtlichen Funktionen zu vermeiden, noch daß das LSG die das Ergebnis der psychotherapeutischen Behandlung mitteilende ärztliche Stellungnahme nicht hätte verwerten dürfen.
Zu der von der Klägerin ausdrücklich erbetenen Behandlung und Begutachtung in Tiefenbrunn war die Beklagte trotz des schwebenden gerichtlichen Verfahrens nach §§ 1236, 1237 Abs. 1 und 2 RVO berechtigt; denn die Maßnahme wollte der Erhaltung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin dienen. Das LSG und die Verfahrensbeteiligten gingen zudem von der Erwartung aus, daß die abschließende Begutachtung in Tiefenbrunn neue Erkenntnisse - jedenfalls begründetere als die bereits vorliegenden - für die Beurteilung der Berufsfähigkeit der Klägerin bringen werde. Deshalb ist in dem Antrag der Klägerin, die von Prof. Dr. T/Dr. T empfohlene Behandlung und Begutachtung in Tiefenbrunn durchzuführen, zugleich das Einverständnis mit der Verwertung dieses Gutachtens als Beweismittel in dem schwebenden gerichtlichen Verfahren zu sehen. Liegt ein solches Einverständnis vor, so darf ein nicht in einer Beweisaufnahme des Prozeßgerichts erstattetes Gutachten, vor allem auch ein vom Versicherungsträger im Rahmen seiner Befugnisse eingeholtes Gutachten, im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden (vgl. RG, JW 1924, 962 Nr. 5; BAG, NJW 1965, 1502; Heuer, NJW 1962, 1705; teilw. a. A. Glücklich, Die Sozialgerichtsbarkeit 1954, 177); dies gilt jedenfalls dann, wenn das nicht vom Prozeßgericht veranlaßte Gutachten - wie im vorliegenden Falle - lediglich zur weiteren Bekräftigung einer bereits aus anderen, als Sachverständigenbeweis verwertbaren Gutachten und sonstigen Beweisergebnissen gebildeten richterlichen Überzeugung herangezogen wird.
Ein Mangel im Verfahren des LSG läge allerdings vor, wenn das Gericht das in Rede stehende Gutachten unzutreffenderweise als Beweismittel im Sinne des Sachverständigenbeweises nach §§ 402 ff ZPO in Verbindung mit § 118 SGG gewertet hätte. Dies hat die Klägerin jedoch nicht gerügt; das angefochtene Urteil läßt auch keinen dahingehenden Schluß zu.
Die vorgebrachten Revisionsgründe vermögen somit die Feststellungen des LSG nicht zu erschüttern; das Bundessozialgericht ist an diese Feststellungen gebunden (§ 163 SGG).
Da die Subsumtion des Sachverhalts unter das Gesetz - wie bereits ausgeführt - keinen Rechtsirrtum zum Nachteil der Klägerin erkennen läßt, ist die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht in Anwendung des § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Fundstellen