Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 25.02.1970)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 25. Februar 1970 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beklagte verurteilt wird, dem Kläger die für die Zeit vom 11. Juli bis zum 30. September 1961 entrichteten Arbeitnehmerbeitragsanteile zur knappschaftlichen Rentenversicherung zu erstatten.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Unter den Beteiligten ist im Revisionsverfahren noch streitig, ob der Kläger von der Beklagten die von ihm von seinem Arbeitgeber für die Zeit vom 11. Juli bis zum 30. September 1961 eingezogenen und an die Beklagte abgeführten Arbeitnehmerbeitragsanteile zur knappschaftlichen Rentenversicherung (knRV) zurückfordern kann.

Der Kläger war vom 1. Oktober 1960 ab bei den Vereinigten Kaliwerken Salzdetfurth AG beschäftigt und in der knappschaftlichen Renten- und Krankenversicherung versicherungspflichtig (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 und § 16 des Reichsknappschaftsgesetzes –RKG– i. V. m. § 19 Buchst. b der damaligen Satzung der Hannoverschen Knappschaft). In der Krankenversicherung hatte er jedoch keinen Anspruch auf Kranken- und Hausgeld (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 der Satzung der Hannoverschen Knappschaft). Vom 30. Mai 1961 bis zum 31. Januar 1962 war er arbeitsunfähig krank. Sein Gehalt bezog er weiter bis zum 10. Juli 1961. Ab 11. Juli 1961 erhielt er von der Hannoverschen Knappschaft einen Zuschuß zur Krankenpflege in Höhe des Kranken- bzw. des Hausgeldes (§ 34 Abs. 2 i. V. m. § 29 der Satzung der Hannoverschen Knappschaft). Der Arbeitgeber zahlte danach dem Kläger noch einen Zuschuß bis zur Hohe des bisherigen Nettogehaltes. Für die Zeit ab 1. Oktober 1961 wurden von diesem Zuschuß Beiträge zur knRV und zur Krankenversicherung einbehalten. Die Beiträge für die streitige Zeit vom 11. Juli bis zum 30. September 1961 wurden vom Arbeitgeber erst nachträglich im Januar 1963 an die Hannoversche Knappschaft abgeführt und der Arbeitnehmeranteil vom Kläger eingezogen. Die im November 1965 vom Kläger beantragte Rückzahlung seiner Beitragsanteile lehnte die Hannoversche Knappschaft mit Bescheid vom 17. Februar 1967 ab. Der Widerspruch wurde zurückgewiesen.

Das Sozialgericht (SG) Hannover hat die Beklagte mit Urteil vom 9. Oktober 1968 verurteilt, dem Kläger die Beiträge zurückzuzahlen und die Zeiten als Ausfallzeiten anzuerkennen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen mit Urteil vom 25. Februar 1970 – zugestellt am 18. März 1970 – das Urteil des SG geändert und die Beklagte nur verurteilt, dem Kläger die für die Zeit vom 11. Juli bis zum 30. September 1961 entrichteten Beiträge zur knRV zu erstatten. Hinsichtlich der übrigen Rentenversicherungsbeiträge sei die Rückforderungsfrist von zwei Jahren verstrichen. Ein Rückforderungsanspruch auf Beiträge zur Krankenversicherung bestehe nicht, einen solchen Anspruch könne – wenn überhaupt – nur der Arbeitgeber bei der Beklagten geltend machen. Hinsichtlich der begehrten Feststellung, die streitigen Zeiten als Ausfallzeiten anzuerkennen, sei die Klage unzulässig. Für diese Feststellung fehle es an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Über diese Frage sei erst zu entscheiden, wenn der Versicherungsfall eingetreten sei. Gegen das Urteil hat das LSG die Revision zugelassen.

Die Beklagte rügt mit der von ihr eingelegten Revision eine unrichtige Anwendung des § 160 Abs. 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Sie ist der Ansicht, daß der dem Kläger von seinem Arbeitgeber in der Zeit vom 11. Juli bis zum 30. September 1961 gezahlte Zuschuß eine Beitragspflicht in der knRV bedingt habe. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Krankengeld gehabt. Der ihm von der Beklagten gezahlte Zuschuß zur Krankenpflege sei auch rechtlich kein Krankengeld i. S. von § 20 RKG i. V. m. § 182 Abs. 1 Nr. 2 RVO gewesen. Kein steuerpflichtiger Arbeitslohn seien aber nur vom Arbeitgeber gezahlte Zuschüsse zum Krankengeld, wenn sie 90% des Nettoarbeitsentgelts nicht überstiegen. Andere Zuschüsse seien Arbeitslohn und daher gemäß § 1 der Lohnsteuerdurchführungsverordnung (LStDV) lohnsteuerpflichtig gewesen. Damit hätten sie aber auch der Beitragspflicht in der knRV unterlegen. Die streitigen Beiträge seien infolgedessen rechtmäßig eingezogen worden und könnten daher nicht erstattet werden.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 9. Oktober 1968 aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, dem Kläger die für die Zeit vom 11. Juli bis 30. September 1961 entrichteten Beiträge zur knappschaftlichen Rentenversicherung zu erstatten.

Der Kläger ist im Verfahren vor dem Bundessozialgericht nicht vertreten. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Nach § 138 Abs. 1 RKG können Beiträge, die zu Unrecht entrichtet sind, binnen zwei Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres der Entrichtung zurückgefordert werden. Die Zweijahresfrist ist hinsichtlich der im Revisionsverfahren noch streitigen Beiträge eingehalten worden. Der Rückforderungsanspruch steht auch dem Versicherten selbst zu, soweit er die Beiträge selbst getragen hat (§ 138 Abs. 4 RKG).

Die streitigen Beiträge sind zu Unrecht entrichtet. Der Kläger war nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 RKG versicherungspflichtig in der knRV. Nach § 116 RKG sind bei Arbeitsunfähigkeit für volle Monate, für die Krankenhilfe gewährt wird, keine Beiträge zu entrichten, wenn nicht Anspruch auf Lohn oder Gehalt auch während der Krankheit besteht.

§ 116 RKG, der sowohl für Beiträge zur knappschaftlichen Krankenversicherung wie auch für Beiträge zur knRV gilt, ist ebenso wie die entsprechende Vorschrift des Rechts der Krankenversicherung, des § 383 Abs. 1 RVO, auszulegen. Auch nach § 383 Abs. 1 RVO sind bei Arbeitsunfähigkeit für die Dauer der Krankenhilfe keine Beiträge zu entrichten, wenn und solange der Versicherte während der Krankheit kein Arbeitsentgelt erhält. Hierzu verweist § 383 Abs. 1 in einem Klammerzusatz auf § 189 RVO. Zwar enthält § 116 RKG diesen Klammerzusatz nicht. Doch kann es sich hierbei nur um ein Versehen des Gesetzgebers gehandelt haben, da die Interessenlage mit der dem § 383 Abs. 1 RVO zugrundeliegenden Interessenlage übereinstimmt. Nach § 189 Abs. 1 Satz 2 RVO gelten Zuschüsse des Arbeitgebers zum Krankengeld ohne Rücksicht auf ihre Höhe nicht als Arbeitsentgelt. Der derzeitige Satz 2 des § 189 Abs. 1 ist durch § 8 Nr. 3 des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfall vom 26. Juni 1957 (BGBl I 649 ff) neu gefaßt und mit dem Zusatz „ohne Rücksicht auf ihre Höhe” versehen worden. § 1 desselben Gesetzes verpflichtete die Arbeitgeber zur Zahlung eines Zuschusses zum Krankengeld nur in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen dem Krankengeld und neunzig vom Hundert des Nettoarbeitsentgelts. Es kann kein Zweifel sein, daß der Gesetzgeber damit sicherstellen wollte, daß auch von höheren Zuschüssen keine Beiträge zur Krankenversicherung zu entrichten waren. Dasselbe muß dann aber auch für § 116 RKG gelten.

Zwar war die Barleistung, die die Hannoversche Knappschaft als Träger der Krankenversicherung dem Kläger gewährt hat, nach den Bestimmungen ihrer Satzung kein Krankengeld, sondern ein Zuschuß zur Krankenpflege in Höhe des Krankengeldes. Für die dem § 189 Abs. 1 Satz 2 RVO zugrunde liegende Interessenlage ist es aber gleichgültig, ob einem Versicherten von einer Krankenkasse ein Krankengeld oder ein Zuschuß zur Krankenpflege in Höhe des Krankengeldes gezahlt wird, für den nach der Satzung die Regelung über das Krankengeld entsprechend anwendbar ist (vgl. § 34 Abs. 2 i. V. m. § 29 der damaligen Satzung der Hann. Knappschaft). Wenn einem Arbeitnehmer während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit ein Krankengeld oder eine Barleistung, die zwar anders bezeichnet wird, aber genau dem Krankengeld entspricht, gezahlt wird und der Arbeitgeber hierzu einen Zuschuß zahlt, dann soll § 189 Abs. 1 Satz 2 RVO sicherstellen, daß für einen solchen Zuschuß keine Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung zu entrichten sind. Der Senat hat auch bereits in einem Urteil vom 25. März 1971 – 5 RKn 26/70 – darauf hingewiesen, daß es sich bei einem solchen Zuschuß der Krankenkasse um eine besondere Form des Krankengeldes für bestimmte Versichertengruppen handelt, die keinen Anspruch auf echtes Krankengeld haben, auf das aber die Vorschriften über das echte Krankengeld entsprechend anzuwenden sind.

Es ist richtig, daß nach § 19 Abs. 2 der Zweiten Lohnabzugs- Verordnung vom 24. April 1942 (RGBl I 252 ff) i. V. m. dem Erlaß über die weitere Vereinfachung des Lohnabzugs vom 10. September 1944 (AN II 281) die Beiträge zur Sozialversicherung grundsätzlich von dem Beitrag zu errechnen sind, der für die Berechnung der Lohnsteuer maßgebend ist (vgl. BSG 6, 47, 51), dennoch kann hier dahingestellt bleiben, ob für den Zuschuß des Arbeitgebers Lohnsteuer zu zahlen wäre. § 116 RKG und § 383 Abs. 1 RVO i. V. m. § 189 RVO stellen nämlich der allgemeinen Regelung vorgehende Spezialregelungen für die beitragsrechtliche Behandlung von Zuschüssen des Arbeitgebers zum Krankengeld dar, so daß für diese Zuschüsse selbst dann keine Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten sind, wenn sie steuerrechtlich zum steuerpflichtigen Lohn gehören. Daß der Gesetzgeber die genannten Bestimmungen als Spezialregelungen ansieht, beweist die Verbesserung des § 189 RVO zugunsten der Arbeitnehmer durch das Gesetz zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle, denn diese Verbesserung wäre ohne Sinn, wenn die Beiträge für derartige Zuschüsse des Arbeitgebers ohnehin davon abhängig wären, ob es sich um steuerpflichtigen Arbeitslohn handelt oder nicht.

Wenn die Zuschüsse des Arbeitgebers aber beitragsrechtlich kraft ausdrücklicher Regelung nicht als Lohn oder Gehalt (Arbeitsentgelt) anzusehen sind, dann sind die vom Kläger eingezogenen Arbeitnehmerbeitragsanteile im Januar 1963 zu Unrecht an die Hannoversche Knappschaft abgeführt worden, so daß deren Rückforderung durch den Kläger begründet ist. Daher war die Revision der Beklagten zurückzuweisen. Die Neufassung des zweiten Absatzes der Urteilsformel des LSG erfolgte zur Klarstellung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Der Senat konnte nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten übereinstimmend damit einverstanden erklärt haben.

 

Unterschriften

Dr. Dapprich, May, Schröder

 

Fundstellen

Dokument-Index HI928068

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