Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufgabe des Inlandsaufenthalts nach Eintritt des Versicherungsfalles
Leitsatz (amtlich)
1. Ist ein Bescheid angefochten, mit dem die Verletztenrente für eine begrenzte Zeit versagt wurde, so wird der während des Verfahrens ergehende Bescheid, der die Verletztenrente für die anschließende Zeit weiterhin versagt, Gegenstand des Verfahrens.
2. Hat die BG wegen der unbegründeten Verweigerung einer zumutbaren Operation die Verletztenrente versagt, so macht die nach Rückkehr des Verletzten in die italienische Heimat erklärte Bereitschaft, sich dort operieren zu lassen, die Rentenversagung jedenfalls so lange nicht unrechtmäßig, wie die BG dem Wohnortwechsel nicht "zugestimmt" hat.
3. Hat die BG die Verletztenrente auf Zeit versagt, so darf sie im Anschluß daran eine weitere Versagung nur aussprechen, wenn sie die Heilmaßnahme erneut angeordnet und den Verletzten auf die Folgen der weiteren Weigerung hingewiesen hat.
Leitsatz (redaktionell)
Ein bereits im Inland entstandener Anspruch auf Naturalleistungen ist in Italien nur dann zu erfüllen, wenn der zuständige deutsche Versicherungsträger dem Wohnortwechsel zugestimmt hat; diese - sowohl nach dem Abk Italien SV wie auch nach EWG-V 3 vorgesehene - Zustimmung liegt im Ermessen des Versicherungsträgers.
Normenkette
SGG § 96 Fassung: 1953-09-03; RVO § 624 Abs. 2 Fassung: 1963-04-30; EWGV 3 Art. 29 Abs. 2 Fassung: 1958-09-25; SVAbk ITA Art. 12 Fassung: 1953-05-05, Art. 19 Fassung: 1953-05-05, Art. 9 Fassung: 1953-05-05
Tenor
Unter Zurückweisung der Revision des Klägers im übrigen wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. März 1970 wie folgt geändert:
Der Bescheid der Beklagten vom 4. März 1969 wird aufgehoben.
Die Beklagte hat dem Kläger die im Berufungs- und Revisionsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten je zur Hälfte zu erstatten. Im übrigen haben die Beteiligten außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger die festgestellte Verletztenrente versagen durfte.
Der Kläger ist italienischer Staatsangehöriger. Er erlitt am 10. Juni 1964 bei seiner Arbeit im deutschen Bergbau einen Unfall. Nachdem die Beklagte ihm wegen der Folgen dieses Unfalls - Zustand nach Entfernung der Milz - zunächst eine vorläufige Teilrente von zuletzt 30 v. H. der Vollrente gewährt hatte, stellte sie mit Bescheid vom 20. April 1966 für die Zeit vom 1. Juni 1966 an eine Dauerrente von 20 v. H. der Vollrente fest. Diesen Bescheid hat der Kläger mit der Klage beim Sozialgericht (SG) Duisburg angefochten, mit der er eine höhere Dauerrente erstrebte.
In seinem Gutachten vom 6. April 1966 hatte sich Dr. E - wie schon am 28. Februar 1966 - dahin geäußert, daß der vorhandene Narbenbruch der operativen Behandlung bedürfe. Nachdem der Kläger sich auf Anfragen der Beklagten, ob er zu einer Operation bereit sei, wechselnd geäußert und insbesondere auf eine schwere Herzerkrankung hingewiesen hatte, holte die Beklagte von Dr. G Befundberichte ein und hörte danach ihren Vertrauensarzt Dr. E der unter Berücksichtigung der eingeholten Befundberichte am 31. Oktober 1966 zu dem Ergebnis kam, bei dem geringen Umfang des Narbenbruchs sei ein Eingriff duldungspflichtig. Mit einer wesentlichen Besserung des Zustandes um 10 v. H. sei zu rechnen. Auf erneute Anfrage der Beklagten erklärte sich der Kläger am 17. Oktober 1966 mit einer Operation einverstanden. Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 9. November 1966 Heilanstaltspflege in der Chirurgischen Klinik der berufsgenossenschaftlichen Krankenanstalten B in B zur operativen Beseitigung des Bauchnarbenbruchs vom 14. November 1966 an. Sie wies den Kläger gleichzeitig darauf hin, daß die Leistungen für die Folgen des Arbeitsunfalls nach § 624 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ganz oder teilweise versagt werden könnten, wenn sich der Kläger ohne triftigen Grund der angeordneten Maßnahme der Heilbehandlung entziehen sollte. Der Kläger erschien zwar am 14. November 1966 in den Krankenanstalten B in B, verweigerte jedoch die operative Behandlung. Die Beklagte versagte dem Kläger mit Bescheid vom 23. Dezember 1966 die Leistungen für die Folgen des Arbeitsunfalls in voller Höhe für die Dauer von zwei Jahren, beginnend mit dem 1. Februar 1967. Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte von den Ärzten Dr. K und Dr. H ein Gutachten vom 9. März 1967 ein. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Bescheid vom 19. April 1967 zurückgewiesen.
Nachdem der Kläger auch diese Bescheide der Klage beim SG Duisburg angefochten hatte, verband das SG mit Beschluß vom 27. Juni 1967 die anhängigen Rechtsstreite zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung. Das SG hat mit Urteil vom 13. Dezember 1967 die Klagen abgewiesen.
Der Kläger kehrte während des Berufungsverfahrens am 31. März 1968 in seine Heimat nach Italien zurück, nachdem die Schachtanlage, auf der er beschäftigt war, stillgelegt worden war. Er erklärte sich mit Schriftsatz vom 16. April 1968 bereit, sich in Italien operieren zu lassen, sobald eine entsprechende Anordnung der Beklagten ergehe. Die Beklagte versagte dem Kläger mit Bescheid vom 4. März 1969 weiterhin die Leistungen für die Folgen des Arbeitsunfalls in voller Höhe gemäß § 624 RVO. Der frühere Prozeßbevollmächtigte des Klägers, dem dieser Bescheid zuging, fühlte sich zum Empfang des Bescheides nicht bevollmächtigt. Daraufhin verfügte die Beklagte am 18. April 1969 die öffentliche Zustellung des Bescheides durch Aushang. Außerdem wurde der Bescheid dem Kläger am 25. August 1969 über die INAIL gegen Empfangsbekenntnis ausgehändigt. Der Kläger reichte eine Bescheinigung des Dr. d N vom 28. September 1968 darüber ein, daß er an hohem Blutdruck mit Herzjagen und einem Ruhepuls von 120 infolge nervöser Störungen leide. Das Landessozialgericht (LSG) hörte im Termin vom 19. März 1970 den Facharzt für Chirurgie Dr. W. In der Berufungsinstanz hat der Kläger beantragt, die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Bescheides zu verurteilen, die Dauerrente von 20 v. H. über den 31. Januar 1967 hinaus zu zahlen.
Das LSG hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 19. März 1970 zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen des § 624 RVO für die Versagung der Unfallrente seien gegeben. Bei der vorgesehenen Operation handele es sich um einen gefahrlosen Eingriff, der nicht mit übermäßigen Schmerzen verbunden sei. Es sei zu erwarten, daß sich durch die Operation die Erwerbsfähigkeit des Klägers wesentlich bessere. Die Operation sei daher duldungspflichtig. Der Kläger hat keine triftigen Gründe, sich der Operation zu entziehen. Das gelte auch für die Zeit nach der Rückkehr des Klägers nach Italien. Mit seiner Bereiterklärung, sich in Italien operieren zu lassen, komme der Kläger nicht der von der Beklagten angeordneten Heilanstaltspflege nach. Die Beklagte handele auch nicht rechtswidrig, wenn sie weiterhin auf Durchführung der Heilbehandlung in Deutschland bestehe. Der Verpflichtung der Beklagten, alle Maßnahmen zu treffen, durch die eine sachgemäße Heilbehandlung gewährleistet werde, entspreche das Recht der Beklagten, Umfang und Verfahren der Heilmaßnahmen zu bestimmen und diese insbesondere zu überwachen. Eine solche direkte Kontroll- und Einwirkungsmöglichkeit habe die Beklagte aber nicht, wenn das Heilverfahren in Italien durchgeführt werde. Da der § 624 RVO nF die zeitliche Begrenzung des § 606 RVO aF nicht übernommen habe, könne es keinen Bedenken begegnen, wenn die Beklagte die Rente in dem Bescheid vom 4. März 1969 ohne Endtermin versagt habe.
Dieses Urteil hat der Kläger mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Er ist der Ansicht, die Beklagte dürfe die Leistungen wegen der Unfallfolgen nicht versagen. Wegen des Gleichbehandlungsgrundsatzes, der sich aus Art. 2 iVm Art. 9 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik über Sozialversicherung vom 5. Mai 1953 (BGBl II 1956 S. 2) ergebe, folge, daß der Kläger Leistungen jeglicher Art nach Italien erbitten könne, wozu auch die Heilbehandlung gehöre. Zwar sei nach Art. 9 die Zustimmung des Versicherungsträgers zur Verlegung des Aufenthalts erforderlich, jedoch habe der Kläger seinen Fortgang nach Italien mitgeteilt und damit die Zustimmung beantragt. Im übrigen könne die Zustimmung auch nachträglich erteilt werden. Die Vorschriften des deutschitalienischen Sozialversicherungsabkommens seien auch nach Inkrafttreten der Verordnungen Nr. 3 und 4 der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG-VOen) weiterhin anzuwenden, denn die Verordnungen seien gegenüber dem deutsch-italienischen Sozialversicherungsabkommen weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem Inhalt leges spezialis. Die Operation könne in Italien ebenso gut wie in Deutschland ausgeführt werden. Sein Wunsch, in Italien operiert zu werden, sei auch deshalb verständlich, weil bei jeder Operation Wert darauf gelegt werde, daß der Patient im Krankenhaus von seinen Angehörigen betreut werde.
Der Kläger beantragt,
das mit der Revision angegriffene Urteil des LSG in Essen aufzuheben und die Beklagte und Revisionsbeklagte zu verurteilen, an den Kläger und Revisionskläger ab 1 . Februar 1967 eine Unfallrente in Höhe von mindestens 20 v. H. der Vollrente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Revision für unbegründet und das angefochtene Urteil sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung für richtig. Sie trägt darüber hinaus vor, die Art. 2 und 9 des deutsch-italienischen Sozialversicherungsabkommens seien nach Inkrafttreten der EWG-VOen Nr. 3 und 4 nicht mehr anzuwenden. Das ergebe sich aus den Art. 5 und 6 Abs. 2 iVm Anhang D der EWG-VO Nr. 3. Nach Art. 3 der EWG-VO 3 iVm dem Anhang D seien für die Beurteilung der Rechtslage die Vorschriften der RVO anzuwenden, also auch der §§ 624 RVO. Nach dieser Vorschrift habe die Beklagte nur dann die Leistungen nicht versagen dürfen, wenn der Kläger sich aus einem triftigen Grund geweigert hätte, die angeordnete Heilmaßnahme durchführen zu lassen. Die wünschenswerte Betreuung durch Familienangehörige während der stationären Behandlung sei aber kein triftiger Grund in diesem Sinne, denn im Vordergrund stehe die Besserung der Erwerbsfähigkeit.
II
Die zulässige Revision des Klägers hat teilweise Erfolg. Das LSG hat die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des SG mit Recht zurückgewiesen, soweit sie die zeitlich begrenzte Versagung der Verletztenrente durch den Bescheid vom 23. Dezember 1966 betrifft. Im übrigen - soweit der zeitlich unbegrenzte Versagungsbescheid vom 4. März 1969 angefochten ist - ist das Begehren des Klägers begründet.
Der Senat brauchte nicht über die Frage zu entscheiden, ob die Dauerrente des Klägers in der richtigen Höhe festgestellt worden ist. Der Kläger hat das erstinstanzliche Urteil insoweit nicht angefochten, und sich mit seinem Antrag in der Berufungsinstanz ausdrücklich mit einer Dauerrente von 20 v. H. zufriedengegeben. Zwar könnte darin, daß der Kläger in der Revisionsinstanz die Verurteilung zur Zahlung der Unfallrente in Höhe von "mindestens" 20 v. H. der Vollrente beantragt hat, das Begehren gesehen werden, auch über die Rentenhöhe zu entscheiden. Abgesehen davon, daß das erstinstanzliche Urteil durch die Beschränkung des Berufungsantrags rechtskräftig geworden ist, soweit es sich um die Höhe der Dauerrente handelt, läge in dem nunmehrigen Begehren, auch über die Höhe der Rente zu entscheiden, eine nach § 168 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) unzulässige Klageänderung.
Das LSG ist im Ergebnis mit Recht davon ausgegangen, daß außer dem Anspruch des Klägers auf Aufhebung des Versagungsbescheides vom 23. Dezember 1966 auch der Anspruch des Klägers auf Aufhebung des während des Berufungsverfahrens erlassenen Versagungsbescheides vom 4. März 1969 Gegenstand des Rechtsstreits geworden ist. Man kann zwar daran zweifeln, ob § 153 Abs. 1 des SGG iVm § 96 SGG unmittelbar anzuwenden sind. Man könnte den Standpunkt vertreten, daß der zweite Versagungsbescheid den ersten Versagungsbescheid in seinem Bestand völlig unberührt läßt und ihn daher weder abändert noch ersetzt. Dem könnte jedoch entgegengehalten werden, daß der zweite Versagungsbescheid die im ersten Bescheid enthaltene zeitliche Beschränkung der Versagung beseitigt und insoweit den ersten Versagungsbescheid abändert. Selbst wenn man diese Ansicht nicht teilt, so wird man doch zu dem Ergebnis kommen müssen, daß § 96 SGG jedenfalls entsprechend anzuwenden ist. Bei der nach dem Zweck und der Entstehungsgeschichte gebotenen weiten Auslegung des § 96 SGG erscheint es geboten, die dem Vertrauensschutz und der Prozeßökonomie dienende Vorschrift auch auf neue Verwaltungsakte auszudehnen, die sich zwar nicht auf den Streitgegenstand im engeren Sinne beziehen, die aber im Rahmen eines Dauerrechtsverhältnisses ergehen und ein streitiges Rechtsverhältnis für einen weiteren Zeitraum regeln, der sich an den von dem angefochtenen Verwaltungsakt erfaßten Zeitraum anschließt (vgl. BSG in SozR Nr. 14 zu § 96 SGG). Der Anspruch auf Aufhebung des Bescheides vom 4. März 1969 ist also nach § 153 Abs. 1 SGG iVm § 96 SGG erstinstanzlich Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden (vgl. BSG in SozR Nr. 17 zu § 96 SGG). Der Anwendung des § 96 SGG steht nicht entgegen, daß der neue Verwaltungsakt nicht in einem Vorverfahren nachgeprüft worden ist (vgl. BSG in SozR Nr. 16 zu § 96 SGG).
Das LSG ist zutreffend von der Rechtmäßigkeit des Versagungsbescheides vom 23. Dezember 1966 ausgegangen. Die Beklagte durfte dem Kläger für die Dauer von zwei Jahren die Leistungen wegen der Unfallfolgen versagen. Der Umstand, daß der Kläger italienischer Staatsangehöriger ist, verhindert nicht, daß auf ihn die Vorschriften der RVO anzuwenden sind. Nach § 624 Abs. 1 RVO können die Leistungen aus der Unfallversicherung ganz oder teilweise versagt werden, wenn sich ein Verletzter ohne triftigen Grund einer zumutbaren Maßnahme der Heilbehandlung entzieht und er auf die Folgen vorher schriftlich hingewiesen worden ist. Nicht zumutbar ist eine Maßnahme der Heilbehandlung nach § 624 Abs. 2 RVO dann, wenn sie mit einer Gefahr für Leben oder Gesundheit des Verletzten verbunden ist, eine Operation auch dann, wenn sie einen erheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit bedeutet. Nach den vom Kläger nicht angegriffenen Feststellungen des LSG, an die der Senat nach § 163 SGG gebunden ist, handelt es sich bei der vorgesehenen Operation um einen gefahrlosen Eingriff, der nicht mit übermäßigen Schmerzen verbunden ist und eine wesentliche Besserung der Erwerbsfähigkeit erwarten läßt. Unter diesen Umständen ist die von der Beklagten angeordnete Operation zumutbar im Sinne des § 624 Abs. 2 RVO.
Die Weigerung des Klägers, sich in den berufsgenossenschaftlichen Krankenanstalten B in B operieren zu lassen, beruht nicht auf einem triftigen Grund. Insbesondere kann der Kläger nicht verlangen, daß die Operation in einem italienischen Krankenhaus durchgeführt wird. Das gilt zunächst einmal für die Zeit, in der sich der Kläger in Deutschland aufgehalten hat. Es mag dahingestellt bleiben, ob die Bindungswirkung des Bescheides vom 9. November 1966, mit dem die Heilanstaltspflege zur Durchführung der Operation angeordnet worden war, zur Folge hat, daß der Kläger die Heilanstaltspflege in keinem anderen Krankenhaus verlangen kann. Jedenfalls konnte der Kläger während seines Aufenthalts in Deutschland nicht die Durchführung der Heilanstaltspflege in Italien verlangen. Grundsätzlich wird die Heilanstaltspflege nach § 559 RVO in deutschen Krankenhäusern durchgeführt, wobei insbesondere die eigenen Krankenhäuser der Berufsgenossenschaften und die ihnen vertraglich verbundenen Krankenhäuser in Frage kommen. Da eine Vorschrift darüber fehlt, in welchen Krankenhäusern die Heilanstaltspflege durchzuführen ist, steht es im Ermessen der Berufsgenossenschaft, das Krankenhaus zu bestimmen. Dabei wird die Berufsgenossenschaft nach Möglichkeit auf die Wünsche des Verletzten Rücksicht nehmen. Im Vordergrund steht aber der sich aus § 557 Abs. 2 RVO ergebende Grundsatz, daß die Berufsgenossenschaft das Krankenhaus auszuwählen hat, das nach seiner personellen Besetzung und seiner sachlichen Ausrüstung am besten geeignet ist, die Folgen des Unfalls zu beseitigen oder zu mindern. Selbst wenn aber der Verletzte die freie Wahl unter den Krankenhäusern hätte, so könnte er doch nur die Heilanstaltspflege in einem deutschen Krankenhaus verlangen, solange er sich in Deutschland aufhält. Davon gehen sowohl das deutsch-italienische Sozialversicherungsabkommen, als auch die EWG-VOen Nr. 3 und 4 aus. Es mag dahingestellt bleiben, ob Art. 12 iVm Art. 9 des deutsch-italienischen Sozialversicherungsabkommens noch geltendes Recht sind, denn sowohl nach diesen Vorschriften als auch nach Art. 29 der EWG-VO Nr. 3 sind Sachleistungen unter bestimmten Voraussetzungen nur dann ins Ausland zu erbringen, wenn sich der Verletzte im Gebiet eines anderen Vertrags- bzw. EWG-Staates aufhält. Daraus folgt, daß der Kläger für die Zeit seines Aufenthaltes in Deutschland die Durchführung der Heilanstaltspflege in Italien nicht verlangen konnte. Der Kläger hat auch keinen sonstigen triftigen Grund, die Durchführung der Heilanstaltspflege in den berufsgenossenschaftlichen Krankenanstalten B in B zu verweigern. Zwar mag es wünschenswert erscheinen, daß ein Patient während der stationären Krankenhausbehandlung durch seine Angehörigen besucht und betreut wird. Die fehlende Besuchsmöglichkeit durch die Angehörigen ist jedoch jedenfalls bei einem so geringfügigen Eingriff kein triftiger Grund dafür, die Durchführung der Heilanstaltspflege in Deutschland zu verweigern.
Die Rückkehr des Klägers nach Italien hat nicht dazu geführt, daß der Kläger nunmehr die angeordnete Operation in den berufsgenossenschaftlichen Krankenanstalten B in B verweigern darf. Insbesondere kann der Kläger nicht verlangen, daß die Beklagte die Heilanstaltspflege nach Italien erbringt. Es mag dahingestellt bleiben, ob die Art. 12 und 19 des deutsch-italienischen Sozialversicherungsabkommens über das Inkrafttreten der EWG-VO Nr. 3 und 4 hinaus gelten, denn sowohl nach diesen Vorschriften als auch nach Art. 29 Abs. 2 der EWG-VO Nr. 3 hat der Unfallversicherungsträger den bereits vorher im Inland entstandenen Anspruch auf Sachleistungen - zu denen auch die Heilanstaltspflege gehört - nur dann im Ausland zu erfüllen, wenn er dem Wohnortwechsel "zugestimmt" hat. Die sowohl nach dem deutsch-italienischen Sozialversicherungsabkommen als auch nach der EWG-VO erforderliche "Zustimmung", in der die Bereiterklärung des Unfallversicherungsträgers liegt, die Leistung ins Ausland zu erbringen, liegt im Ermessen des Unfallversicherungsträgers. Der Kläger hat zwar spätestens mit Schriftsatz vom 16. April 1968 die "Zustimmung" der Beklagten beantragt. Die Beklagte hat die erbetene "Zustimmung" bisher aber weder erteilt noch verweigert. Zwar könnte man darin, daß die Beklagte weiterhin auf einer Operation in den Krankenanstalten Bergmannsheil in B besteht, eine Verweigerung der "Zustimmung" sehen. Die Beklagte geht aber davon aus, daß der Kläger die erforderliche "Zustimmung" bisher nicht beantragt hat. Sie also auch noch nicht darüber entscheiden wollen. Der Senat kann die im Ermessen der Beklagten stehende "Zustimmung" nicht ersetzen. Solange die Beklagte eine nach § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG nachprüfbare Entscheidung noch nicht getroffen hat, könnte der Kläger allenfalls über den Weg der Untätigkeitsklage nach § 54 Abs. 1 SGG iVm § 88 Abs. 1 SGG darauf hinwirken, daß die Beklagte von dem ihr zustehenden Ermessen Gebrauch macht und über die Frage der "Zustimmung" zum Wohnortswechsel entscheidet. Solange die Beklagte aber die "Zustimmung" nicht erklärt hat, kann der Kläger nicht verlangen, daß die Beklagte die Sachleistung in Form der Heilanstaltspflege nach Italien erbringt. Hat der Kläger aber keinen Anspruch auf Durchführung der Heilanstaltspflege in Italien, so hat er sich der von der Beklagten angeordneten Heilanstaltspflege in Deutschland zu unterziehen. Die Weigerung des Klägers entbehrt auch nach seiner Rückkehr nach Italien eines triftigen Grundes.
Die Versagung der Verletztenrente in voller Höhe für die Dauer von 2 Jahren wäre nur dann unrechtmäßig, wenn die Beklagte die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer von dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hätte. Das ist jedoch nicht der Fall. Es sind keine Umstände vom Kläger vorgetragen worden oder sonst erkennbar, die den Bescheid der Beklagten als ermessensfehlerhaft erscheinen lassen könnten. Insbesondere widerspricht es nicht dem der Beklagten eingeräumten Ermessen, daß sie die Rente in voller Höhe versagt hat. Dabei ist zu berücksichtigen, daß durch die verweigerte Operation die Erwerbsfähigkeit des Klägers wahrscheinlich wesentlich gebessert worden wäre, so daß die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) unter 20 v. H. herabgesunken wäre. Die Operation hätte also wahrscheinlich die Entziehung der Rente zur Folge gehabt. Unter diesen Umständen ist es gerechtfertigt, die Verletztenrenten wegen der Weigerung des Klägers in voller Höhe zu versagen.
Dagegen ist die Klage - entgegen der Ansicht des LSG - insoweit begründet, als sie auf Aufhebung des während des Berufungsverfahrens ergangenen Bescheides vom 4. März 1969 gerichtet ist. Dieser Bescheid ist - unabhängig von der Frage, wann er wirksam zugestellt worden ist - unrechtmäßig. Zwar hätte die Beklagte die Verletztenrente nach § 624 RVO von vornherein zeitlich unbegrenzt versagen dürfen. Das hat sie jedoch nicht getan, sondern die ausgesprochene Versagung auf die Dauer von zwei Jahren begrenzt. Einer erneuten Versagung hätte eine neue Anordnung der Heilanstaltspflege und ein neuer Hinweis auf die Folgen der Weigerung vorausgehen müssen. Der § 624 RVO sagt nichts darüber, ob und unter welchen Voraussetzungen eine zeitlich begrenzte Versagung der Verletztenrente wiederholt werden darf. Bis zum Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) gab es nach § 606 RVO aF nur die Möglichkeit der zeitlich begrenzten Versagung. Aus § 603 RVO aF wurde geschlossen, daß das vom Verletzten verweigerte Heilverfahren erneut angeordnet werden durfte, mit der Folge, daß bei weiterer Weigerung die Verletztenrente erneut auf Zeit versagt werden konnte (vgl. EuM 14, 179). Nun gibt es zwar seit dem Inkrafttreten des UVNG eine dem § 603 RVO aF entsprechende Vorschrift nicht mehr. Gleichwohl muß aus § 557 Abs. 2, § 559 RVO nF geschlossen werden, daß der Unfallversicherungsträger auch nach neuem Recht berechtigt ist, jederzeit ein neues Heilverfahren anzuordnen, wenn zu erwarten ist, daß es die Erwerbsfähigkeit des Verletzten erhöht. Immerhin bedarf es aber der erneuten Anordnung der Heilanstaltspflege. Die frühere Anordnung, deren Nichtbefolgung bereits zur Versagung der Rente geführt hat, kann nicht Grundlage einer erneuten Versagung sein. Das gilt insbesondere dann, wenn - wie hier - die Heilanstaltspflege für eine bestimmte Zeit angeordnet worden ist, so daß sie schon wegen des Überschreitens dieser Zeit nicht mehr befolgt werden kann. Im übrigen wird man aber auch deshalb eine neue Anordnung der Heilanstaltspflege fordern müssen, weil der Unfallversicherungsträger sich vorher davon zu überzeugen hat, ob die Voraussetzungen für die Heilanstaltspflege noch vorliegen oder ob infolge einer Änderung der Verhältnisse die Heilanstaltspflege überflüssig oder unzweckmäßig geworden ist. Es mag dahingestellt bleiben, ob in dem weiteren Verlangen der Beklagten, der Kläger möge sich der Operation in den, Krankenanstalten Bergmannsheil in B unterziehen, eine neue Anordnung der Heilanstaltspflege zu sehen ist. Selbst wenn man das unterstellt, so durfte die Beklagte die Verletztenrente nicht für die Zeit nach dem 1. Februar 1969 versagen, weil sie den Kläger nicht - wie dies in § 624 RVO vorgeschrieben ist - auf die Folgen der weiteren Weigerung hingewiesen hat. Der schriftliche Hinweis auf die Folgen der Verweigerung der Operation in dem Bescheid vom 9. November 1966 bezieht sich auf die Folgen der Verweigerung der in diesem Bescheid angeordneten Heilanstaltspflege, nicht aber auf die Folgen der Verweigerung einer erneut angeordneten stationären Behandlung. Ist eine zeitlich begrenzte Versagung ausgesprochen worden, so kann der Verletzte davon ausgehen, daß sich die angedrohte Erzwingungsmaßnahme darin erschöpft, es sei denn, daß eine erneute Heilanstaltspflege angeordnet worden ist und der Verletzte auf die Folgen der weiteren Weigerung hingewiesen worden ist. Fehlt aber der in § 624 RVO vorgeschriebene schriftliche Hinweis auf die Folgen der Weigerung, so darf der Unfallversicherungsträger die Verletztenrente nicht versagen. Der Bescheid der Beklagten vom 4. März 1969 ist also nicht rechtmäßig und muß aufgehoben werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 707788 |
BSGE, 255 |