Leitsatz (redaktionell)
Die Nachfrage nach Beitragsmarken bei der Post ist nicht als Bereiterklärung zur Nachentrichtung von Beiträgen iS des RVO § 1420 Abs 1 Nr 2 anzusehen.
Normenkette
RVO § 1420 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. Juni 1961 und des Sozialgerichts Dortmund vom 20. Mai 1960 aufgehoben. Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 16. Dezember 1959 wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die der Klägerin vom 1. Januar 1959 ab gewährte Rente wegen Berufsunfähigkeit berechnete die Beklagte nach den vom 1. Januar 1957 ab geltenden Vorschriften mit monatlich 11,90 DM, lehnte es aber ab, die Rente nach dem vor dem 1. Januar 1957 geltenden Recht zu berechnen, da in der Zeit vom 1. Januar 1949 bis 31. Dezember 1956 nicht die zur Erhaltung der Anwartschaft in jedem Kalenderjahr erforderlichen 26 Wochenbeiträge oder Ersatzzeiten nachgewiesen seien; Halbdeckung liege auch nicht vor (Bescheid vom 16. Dezember 1959).
Für die Klägerin waren in den Versicherungskarten Nr. 1 bis 7 235 Wochenbeiträge entrichtet worden, davon 90 aus der Zeit nach dem 1. Januar 1924. Alsdann hatte die Klägerin ihre Versicherung freiwillig fortgesetzt (Versicherungskarten 8 bis 11) und für die Jahre 1949 bis 1954 je 26 Wochenbeiträge, für die Jahre 1955 und 1956 je 52 Wochenbeiträge der Klasse II und für die Jahre 1957 und 1958 je 12 Monatsbeiträge der Klasse A entrichtet. Von den für 1955 entwerteten Beitragsmarken tragen 6 den Jahresaufdruck "54", 20 den Jahresaufdruck "55" und 26 den Jahresaufdruck "57", von den für 1956 entwerteten Beitragsmarken 16 den Jahresaufdruck "56" und 36 den Jahresaufdruck "57".
Zur Begründung ihrer gegen den Rentenbescheid erhobenen Klage berief sich die Klägerin auf eine Bescheinigung des Posthalters W aus B, im Dezember 1956 seien beim Postamt B nur 16 Invalidenversicherungsmarken vorrätig gewesen. Sie habe daher erst 1957 die Beitragsleistung entsprechend den Anwartschaftsvorschriften ergänzen können. Der vom Sozialgericht (SG) als Zeuge vernommene Posthalter W bestätigte die Angaben der Klägerin und bekundete ferner, die Klägerin habe die fehlenden 10 Marken, die er ihr nicht mehr habe verkaufen können, noch im Dezember 1956 ausdrücklich vorbestellt, was er sich auf einem Zettel notiert habe.
Durch Urteil vom 20. Mai 1960 änderte das SG den angefochtenen Bescheid ab und verurteilte die Beklagte, die Vergleichsberechnung gemäß Art. 2 § 42 des Arbeiterrenten-Versicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) vorzunehmen und der Klägerin die höhere Rente ab 1. Januar 1959 zu zahlen. Durch die Anfang 1957 für 1956 entrichteten Beiträge sei die Anwartschaft gemäß Art. 2 § 42 ArVNG erhalten, weil die Klägerin Ende 1956 wirksam gegenüber dem Posthalter W ihre Bereitschaft erklärt habe, die zur Anwartschaftserhaltung noch notwendigen Beiträge zu erbringen, die sie dann auch in angemessener Frist - am 5. oder 6. Januar 1957 - nachentrichtet habe.
Die gegen dieses Urteil von der Beklagten eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß es die Beklagte für verpflichtet erklärt hat, der Klägerin einen neuen Bescheid über die Berechnung ihrer Rente nach dem bis zum 31. Dezember 1956 geltenden Recht zuzüglich des Sonderzuschusses des Art. 2 § 36 ArVNG aus den für die Zeit bis zum 31. Dezember 1956 entrichteten 495 Wochenbeiträgen zu erteilen. Wenn auch die Bereiterklärung gegenüber dem Posthalter rechtlich unwirksam sei, da dieser zur Entgegennahme der Bereiterklärung nicht berufen sei, so hat das LSG ausgeführt, komme es auf das Vorliegen einer wirksamen Bereiterklärung nicht an, weil die Klägerin ohnedies auf Grund der erbrachten Beiträge Anspruch auf die sogenannte Vergleichsrente habe. Der Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit der Klägerin sei, wie dies Art. 2 § 42 ArVNG fordere, in der Zeit vom 1. Januar 1957 bis 31. Dezember 1961, nämlich 1959, eingetreten. Auch die in Art. 2 § 42 Satz 2 ArVNG aufgestellte Voraussetzung, wonach "aus den vor dem 1. Januar 1957 entrichteten Beiträgen die Anwartschaft zu diesem Zeitpunkt nach den bis dahin geltenden Vorschriften erhalten" gewesen sein muß, hat das LSG für erfüllt angesehen. Dabei hat es sich gegen die vom Bundessozialgericht (BSG Urteil vom 1. Juli 1959 - 4 RJ 249/58 - BSG 10, 139 = SozR ArVNG Art. 2 § 42 Nr. 1) vertretene Auffassung gewandt, nur vor dem 1. Januar 1957 tatsächlich entrichtete Beiträge könnten die Anwartschaft erhalten. Das LSG hat die Auffassung vertreten, weder Wortlaut, Sinn und Zweck noch die Systematik der Übergangsregelung zwängen zu der Annahme, der Gesetzgeber habe den Versicherten hier bewußt Nachteile deshalb zufügen wollen, weil sie die seit Jahrzehnten bestehende Befugnis in Anspruch genommen hätten, Beiträge noch nach Schluß des Kalenderjahres, für das sie gelten sollen, zu entrichten (§ 1442 der Reichsversicherungsordnung - RVO - aF; § 1418 RVO nF). Die Klägerin habe auch die dritte in Art. 2 § 42 ArVNG geforderte Voraussetzung erfüllt, denn sie habe für die Jahre ab 1957 bis zum Jahr des Eintritts des Versicherungsfalles je 9 Monatsbeiträge entrichtet.
Das LSG hat die Revision zugelassen, weil es von der genannten Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) abgewichen ist.
Die Beklagte hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt. Sie verweist auf das genannte Urteil des BSG und hält deshalb eine sogenannte Vergleichsberechnung nach Art. 2 § 42 ArVNG nicht für möglich.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 14. Juni 1961 und des SG Dortmund vom 20. Mai 1960 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 16. Dezember 1959 abzuweisen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte hat der Klägerin mit Wirkung ab 1. Juli 1965 auf Grund der Bestimmungen des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) einen weiteren Bescheid erteilt, wonach unter Berücksichtigung der Rentenanpassungen die Monatsrente der Klägerin ab 1. Juli 1965 104,50 DM beträgt.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 SGG).
II
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Die Klägerin hätte für die Zeit bis zum 30. Juni 1965 (Art. 5 § 6 RVÄndG) Anspruch auf die für sie günstigere Berechnung ihrer Rente auf Grund der Übergangsvorschrift des Art. 2 § 42 ArVNG nach den vor dem 1. Januar 1957 geltenden Vorschriften, wenn die von ihr im Januar 1957 entrichteten freiwilligen Beiträge für die Erhaltung der Anwartschaft berücksichtigt werden könnten. Das BSG hat indes in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß Anfang Januar 1957 für die Zeit vor dem 1. Januar 1957 entrichtete freiwillige Beiträge bei der Prüfung der Frage, ob die Anwartschaft aus früheren Beiträgen zum 1. Januar 1957 erhalten war, unberücksichtigt bleiben müssen (BSG 10, 139 = SozR ArVNG Art. 2 § 42 Nr. 1; 12/4 RJ 122/60 vom 19. Oktober 1961 - nicht veröffentlicht, aber erwähnt in SozR RVO § 1444 aF Nr. 5; BSG 15, 271 = SozR ArVNG Art. 2 § 42 Nr. 4; SozR ArVNG Art. 2 § 42 Nr. 6; BSG 18, 1 = SozR aaO Nr. 8; SozR aaO Nr. 9).
Das LSG hat zwar geglaubt, auf Grund des Wortlauts, des Sinns und Zwecks sowie der Systematik der Übergangsregelung des Art. 2 § 42 ArVNG diese Vorschrift nicht so auslegen zu können, wie sie das BSG zu Beginn seiner Rechtsprechung zu dieser Vorschrift in dem Urteil des 4. Senats vom 1. Juli 1959 - 4 RJ 249/58 - (BSG 10, 139 = SozR ArVNG Art. 2 § 42 Nr. 1) ausgelegt hat. Dem LSG kann jedoch nach Überprüfung der erwähnten ständigen Rechtsprechung des BSG nicht gefolgt werden, so daß die von der Klägerin Anfang Januar 1957 entrichteten freiwilligen Beiträge für die Erhaltung der Anwartschaft bis zum 31. Dezember 1956 nicht in Betracht kommen.
Allerdings hätte eine Vergleichsberechnung auch unter den Voraussetzungen des § 1444 RVO aF und des § 1420 RVO nF vorgenommen werden können. Nach § 1444 RVO aF stand und nach § 1420 RVO nF steht nämlich der Entrichtung der Beiträge im Sinne der §§ 1442 und 1443 RVO aF und des § 1418 RVO nF gleich
1. die von einer zuständigen Stelle an den Arbeitgeber gerichtete Mahnung,
2. die Bereiterklärung des Arbeitgebers oder des Versicherten zur Nachentrichtung gegenüber einer solchen Stelle,
wenn demnächst die Beiträge in einer angemessenen Frist entrichtet werden. Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 23. November 1961 - 12/3 RJ 136/60 - (BSG 15,267, 269 f = SozR RVO § 1444 aF Nr. 5) ausgesprochen hat, liegt jedoch in der vergeblichen Nachfrage nach Beitragsmarken bei der Post keine Bereiterklärung, Beiträge nachzuentrichten (vgl. ferner: BSG 19, 133 = SozR ArVNG Art. 2 § 42 Nr. 13; SozR aaO Nr. 18). Die Post ist nämlich - abgesehen von dem Sonderfall, daß sie als Ausgabestelle für die bei ihr Beschäftigten tätig wird (RAM-Erlaß vom 17. April 1939, EuM 44, 465) - nur mit dem Verkauf der Beitragsmarken beauftragt (§ 1412 RVO aF, § 1410 Abs. 2 RVO nF) und keine für den Empfang einer Bereiterklärung zuständige Stelle (BSG 15, 267, 270). Der Senat hält auch an dieser Rechtsprechung fest. Mit Recht hat es daher das LSG abgelehnt, in der vergeblichen Nachfrage der Klägerin nach Beitragsmarken im Dezember 1956 bei dem Posthalter W in B eine Bereiterklärung zu Entrichtung von Beiträgen zu erblicken.
Eine der Klägerin günstigere Vergleichsberechnung ihrer Rente wegen Berufsunfähigkeit scheidet daher aus.
Über den Anspruch der Klägerin auf Vergleichsberechnung ab 1. Juli 1965 auf Grund der durch Art. 2 § 1 Nr. 9 RVÄndG geänderten Fassung des Art. 2 § 42 Satz 2 ArVNG hatte der Senat nicht zu entscheiden. Denn die Beklagte hat der Klägerin hierüber den Bescheid vom 27. April 1966 erteilt, wonach die Klägerin ab 1. Juli 1965 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit von monatlich 104,50 DM erhält. Diesen Bescheid hätte die Klägerin aber, falls sie sich beschwert fühlte, nur beim SG mit der Klage anfechten können (§ 171 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen