Entscheidungsstichwort (Thema)

Bemessung des Arbeitslosengeldes. tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit

 

Leitsatz (amtlich)

Zum Begriff der "tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit" iS des AFG § 112 Abs 2 S 1.

 

Orientierungssatz

1. Es verstößt nicht gegen das Gleichheitsgebot oder das Sozialstaatsgebot, daß sich die Bemessungsgrundlagen der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung nicht mit denen des Arbeitslosengeldes decken (vgl BSG 1977-10-06 7 RAr 82/76 = SozR 4100 § 112 Nr 6 und BVerfG 1979-04-03 1 BvL 30/76 = SozR 4100 § 112 Nr 10).

2. Für das Vorliegen einer tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit iS des § 112 Abs 2 S 1 AFG ist es nicht ausreichend, daß eine bestimmte Arbeitszeit - und sei es nur in Ausnahmefällen - nach dem maßgeblichen Tarifvertrag überhaupt möglich und in diesem Sinne "tariflich" ist. Vielmehr muß die maßgebliche Arbeitszeit sowohl die von dem Arbeitslosen tatsächlich regelmäßig geleistete Arbeitszeit als auch eine nach dem Tarifvertrag regelmäßige Arbeitszeit sein.

 

Normenkette

AFG § 112 Abs 2 S 1 Fassung: 1974-12-21; ArbZO § 3 Fassung: 1975-03-10, § 7 Fassung: 1975-03-10; GG Art 3 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 20 Abs 1 Fassung: 1949-05-23

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 10.10.1979; Aktenzeichen L 12 Ar 121/78)

SG Dortmund (Entscheidung vom 03.05.1978; Aktenzeichen S 26 Ar 115/77)

 

Tatbestand

Im Streit ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes (Alg) des Klägers eine Wochenarbeitszeit von 56 Stunden als tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit gem § 112 Abs 2 Satz 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) zugrunde zu legen.

Der Kläger, der vom 25. Februar 1971 bis zum 21. Januar 1977 in einem Beschäftigungsverhältnis stand, meldete sich am 27. Januar 1977 arbeitslos und beantragte Alg. Er hat nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) in den Jahren 1975 bis 1977 ständig 56 Stunden wöchentlich gearbeitet. Seinem Arbeitsverhältnis lag der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen vom 23. Januar 1975 (MTV) zugrunde. § 2 des MTV lautet ua:

"Regelmäßige Arbeitszeit

1. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit darf 40 Stunden

nicht überschreiten.

2. Die regelmäßige kalendertägliche Arbeitszeit darf die

Dauer von 8 Stunden nicht überschreiten ..."

In § 4 des MTV heißt es ua:

"Mehr-, Spät-, Nacht-, Sonntag- und Feiertagsarbeit;

Rufbereitschaft

1. Mehrarbeit sind die über die nach den §§ 2 und 3 festgelegte

regelmäßige tägliche Arbeitszeit hinaus geleisteten

Arbeitsstunden ...

5. Notwendige Mehr-, Spät-, Nacht-, Sonntag- und Feiertagsarbeit

ist zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat festzulegen und ist zu

leisten, wobei berechtigte Wünsche der Arbeitnehmer nach

Möglichkeit berücksichtigt werden ...

6. Im Rahmen der Ziffer 5 kann die Arbeitszeit bis zu 10

Stunden werktäglich nach Maßgabe des § 7 AZO ausgedehnt

werden, jedoch auf nicht mehr als 56 Stunden in der Woche ..."

Nach Betriebsvereinbarungen vom Oktober und Dezember 1976 zwischen dem Arbeitgeber des Klägers und dem Betriebsrat wurden in den Monaten November/Dezember 1976 und Januar 1977 wegen anstehender Terminaufträge täglich zwei und samstags sechs Überstunden geleistet.

Mit Bescheid vom 28. Februar 1977 gewährte das Arbeitsamt dem Kläger Alg, bei dessen Bemessung es von einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden ausging. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 1977 zurückgewiesen. Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 3. Mai 1978 die Beklagte verurteilt bei der Bemessung des Alg von einer wöchentlichen Arbeitszeit von 56 Stunden auszugehen. Es hat die Berufung zugelassen.

Das LSG hat mit Urteil vom 10. Oktober 1979 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe zwar in den Jahren 1975 bis 1977 tatsächlich ständig 56 Stunden pro Woche gearbeitet. Diese Arbeitszeit überschreite jedoch den Rahmen des Tarifvertrages. Tariflich sei eine Arbeitszeit, die durch einen Tarifvertrag oder innerhalb des Tarifvertrages zulässig durch Betriebsvereinbarung oder Einzelarbeitsvertrag festgesetzt sei. Nach dem einschlägigen MTV betrage die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 40 Stunden. Die Ausnahme bilde demgegenüber die Mehrarbeit, die von der Zustimmung des Betriebsrats und vor allem von dem Merkmal der Notwendigkeit abhängig sei. Mit diesem Verhältnis von Regel und Ausnahme sei es nicht vereinbar, daß durch Betriebsvereinbarung eine Arbeitszeit von 56 Stunden pro Woche zur regelmäßigen Arbeitszeit werde.

Mit der Revision rügt der Kläger, das LSG habe den Rechtsbegriff "tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit" unrichtig ausgelegt. Die Mehrarbeit des Klägers sei ständig notwendig iS des § 4 Nr 5 MTV gewesen. Damit seien die Tatbestandsmerkmale "tariflich" und "regelmäßig" iS des § 112 Abs 2 Satz 1 AFG entsprechend der Auslegung durch den Senat (SozR 4100 § 112 Nr 2 und 69 Nr 2) erfüllt. Darüber hinaus müsse berücksichtigt werden, daß das Alg als Lohnersatzleistung in gewissem Umfange den bisherigen Lebensstandard des Arbeitslosen erhalten solle. Mit diesem Zweck wäre es unvereinbar, wenn beim Kläger bei der Bemessung des Alg nur 40 Wochenstunden zugrunde gelegt würden, obwohl er über Jahre hinweg wöchentlich 56 Stunden lang habe arbeiten müssen. Diese Mehrarbeit sei im übrigen vom Betriebsrat stets gebilligt worden, so daß sich der Kläger ihr habe nicht entziehen können.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts für das Land

Nordrhein-Westfalen vom 10. Oktober 1979 aufzuheben

und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des

Sozialgerichts Dortmund vom 3. Mai 1978 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und wendet gegenüber der Revision ein, die Mehrarbeit iS des § 4 MTV könne nicht auf Dauer festgelegt werden. Durch diese Tarifnorm sei nur eine zeitlich absehbare und aufgrund unvorhergesehener Bedarfsfälle erforderliche Mehrarbeit abgedeckt, nicht aber Mehrarbeit für eine unbestimmte Zeit, wie sie der Senat in der Entscheidung vom 30. September 1975 (SozR 4100 S 69 Nr 2) gefordert habe. Im vorliegenden Falle seien die Mehrarbeitsstunden jeweils nur für begrenzte Zeiträume vereinbart worden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet.

Die tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Klägers betrug, wie das LSG richtig erkannt hat, im Bemessungszeitraum 40 Stunden. Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 30. September 1975, SozR 4100 § 69 Nr 2 und Urteil vom 27. Januar 1977, SozR 4100 § 112 Nr 2) ist tariflich die Arbeitszeit, die durch Betriebsvereinbarungen oder Einzelarbeitsvertrag festgelegt worden ist, wenn ein Tarifvertrag den Abschluß von Betriebsvereinbarungen oder Einzelarbeitsverträgen ausdrücklich vorsieht, und sich die Betriebsvereinbarung oder der Einzelarbeitsvertrag in dem vom Tarifvertrag bestimmten Rahmen hält. Entgegen der Ansicht des Klägers hat der Senat damit aber bislang noch nicht entschieden, was unter dem Begriff der "tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit" iS des § 112 Abs 2 Satz 1 AFG zu verstehen ist. Nach Auffassung des Senats ist es nach dieser Vorschrift nicht ausreichend, daß eine bestimmte Arbeitszeit - und sei es nur in Ausnahmefällen - nach dem maßgeblichen Tarifvertrag überhaupt möglich und in diesem Sinne "tariflich" ist. Vielmehr muß die maßgebliche Arbeitszeit sowohl die von dem Arbeitslosen tatsächlich regelmäßig geleistete Arbeitszeit als auch eine nach dem Tarifvertrag regelmäßige Arbeitszeit sein (Schönefelder/Kranz/Wanka, Komm zum AFG, 1. Lieferung, § 112 Rdz 21; Hennig/Kühl/Heuer, Komm zum AFG, § 112, Anm 3; aA Eckert in Gemeinschaftskommentar -GK- - AFG, § 112 RdNrn 30 f).

Nach dem Wortlaut des § 112 Abs 2 Satz 1 AFG bildet der Begriff "tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit" eine Einheit in dem Sinne, daß darunter eine Wochenarbeitszeit zu verstehen ist, die nach dem Tarifvertrag eine regelmäßige sein kann. Der Wortlaut der Vorschrift kann zwar auch so ausgelegt werden, daß das Wort "regelmäßig" lediglich ein Merkmal der Arbeitszeit der Beschäftigungsverhältnisse ist, daß also die Wochenarbeitszeit, mit der vervielfacht werden soll, keine aus der Reihe fallende sein darf (so LSG Schleswig, ABA 1962, 235, 237 mit zustimmender Anmerkung von Hennig zu § 90 Abs 1 AVAVG). Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß die Worte "tariflich" und "regelmäßig" durch ein Komma getrennt worden wären, wenn der Gesetzgeber die beiden Worte als voneinander unabhängige Merkmale des Begriffs "wöchentliche Arbeitszeit" hätte kennzeichnen wollen (so Buchwitz ABA 1963, 39 zu § 90 Abs 1 AVAVG).

Außerdem wird die vorstehende Auffassung des Senats durch die in § 112 Abs 4 Nr 1 und 3 AFG getroffenen Regelungen bestätigt. Aus der Fassung des § 112 Abs 4 Nr 1 AFG ergibt sich eindeutig, daß das Gesetz nicht auf die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Beschäftigungsverhältnisses abstellt, sondern auf die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit, die der Tarifvertrag vorsieht. Abgesehen davon wäre der Gebrauch des Wortes "regelmäßigen" in § 112 Abs 4 Nr 3 AFG ohne einen Sinn, wenn hierdurch lediglich die tatsächlich eingehaltene Arbeitszeit bezeichnet werden sollte. Nach dieser Vorschrift soll die tarifliche (oder übliche) regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit die Maßeinheit bilden, bei deren nicht nur vorübergehender Unterschreitung die im individuellen Arbeitsverhältnis vereinbarte Arbeitszeit zugrunde gelegt werden soll. Als Maßeinheit kann aber nicht eine je nach der Gestaltung des Beschäftigungsverhältnisses unterschiedliche Arbeitszeit herangezogen werden, sondern nur eine Arbeitszeit, die durch den einschlägigen Tarifvertrag festgelegt ist.

Schließlich zeigen auch die Bestimmungen der Arbeitszeitordnung (AZO) idF vom 10. März 1975 (BGBl I 685), daß § 112 Abs 2 Satz 1 AFG mit dem Begriff der "tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit" nicht die Mehrarbeit meint, die nach einem Tarifvertrag (gerade noch) zulässig ist, sondern nur diejenige Arbeitszeit, die als "regelmäßige Arbeitszeit" vereinbart werden kann. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 21. März 1978 (SozR 4100 § 112 Nr 7) ausgeführt hat, verknüpft das AFG mit der Begrenzung auf die tarifliche Arbeitszeit die Bemessung des Alg mit den Bestimmungen der AZO. Nach § 7 Abs 1 AZO kann die regelmäßige werktägliche Arbeitszeit von 8 Stunden (§ 3 AZO) durch Tarifvertrag auf bis zu 10 Stunden täglich verlängert werden. Damit räumt das Gesetz den Tarifpartnern das Recht ein, die Grenze der Höchstarbeitszeit nach der gesetzlichen Arbeitsschutznorm hinauszuschieben und bestätigt damit den Vorrang des Tarifvertrages vor staatlichem Recht (Denecke/Neumann, Komm zur AZO, 9. Aufl 1976, § 7 RdNr 5). Von diesem Recht haben aber im vorliegenden Fall die Tarifvertragsparteien gerade keinen Gebrauch gemacht.

Dem Arbeitsverhältnis des Klägers lagen die Bestimmungen des MTV für die Arbeitnehmer in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 23. Januar 1975 zugrunde. Dessen Geltungsbereich erstreckt sich zwar nach seinem § 1 räumlich nur auf das Land Nordrhein-Westfalen. Dennoch ist der Senat nicht gem § 162 SGG gehindert, die hier in Betracht kommenden Vorschriften über die regelmäßige Arbeitszeit und Mehrarbeit auszulegen. Es handelt sich um revisibles Recht. Inhaltlich gleiche Bestimmungen, deren Übereinstimmung nicht nur rein zufällig ist, enthält ua für das Tarifgebiet Nordwestliches Niedersachsen - Cuxhaven - der MTV für Arbeiter vom 12. August 1970 idF vom 31. Januar 1979 zwischen der Industriegewerkschaft Metall und dem zuständigen Arbeitgeberverband. Somit handelt es sich um Vorschriften, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt (BSGE 1, 98, 100 f; 3, 77, 80; 6, 41, 43; 8, 142, 144; 13, 189, 191 f; Urteil des Senats vom 21. Mai 1980 - 7 RAr 81/79 -).

Der MTV unterscheidet zwischen der "regelmäßigen Arbeitszeit" des § 2, die gem Nr 1 dieser Vorschrift 40 Stunden in der Woche nicht überschreiten darf, und der "Mehrheit" des § 4 MTV. Mehrarbeit sind nach § 4 Nr 1 MTV die über die nach den §§ 2 und 3 festgelegte regelmäßige tägliche Arbeitszeit hinaus geleisteten Arbeitsstunden. Wie das LSG mit zutreffenden Gründen ausgeführt hat, widerspricht eine regelmäßige Arbeitszeit von mehr als 40 Wochenstunden dem im MTV enthaltenen Regel-Ausnahme-Verhältnis. Eine entsprechende Regelungsbefugnis ist nach dem Willen der Tarifvertragsparteien dem Betriebsrat und der Betriebsleitung über die nach § 4 MTV möglichen Betriebsvereinbarungen nicht gegeben. Es erscheint schon äußerst fraglich, ob auf der Grundlage des MTV durch ständig erneuerte Betriebsvereinbarungen zeitlich unbegrenzt eine Mehrarbeit bis zur Grenze von 56 Wochenstunden festgelegt werden kann. Jedenfalls kann durch Betriebsvereinbarung die regelmäßige Arbeitszeit iS von § 7 AZO nicht verlängert werden (Denecke/Neumann, aaO § 7 RdNr 3). Ebensowenig wird durch einen solchen "Dauerausnahmezustand" die Arbeitszeit von wöchentlich 56 Stunden zu einer regelmäßigen tariflichen Arbeitszeit iS des § 112 Abs 2 Satz 1 AFG. Sie stellt zwar möglicherweise nach einer gewissen betrieblichen Übung eine übliche Arbeitszeit dar. Auf die Üblichkeit kommt es - anders als im Rahmen der Bemessung des Kurzarbeitergeldes (Kug) nach § 69 1. Halbs AFG - nach § 112 Abs 2 Satz 1 AFG nicht an. Die übliche Arbeitszeit ist gem § 112 Abs 4 Nr 2 AFG nur dann maßgebend, wenn weder für die Beschäftigung noch für eine gleiche oder ähnliche Beschäftigung eine tarifliche Regelung bestand.

Der Senat hat zwar in seinem Urteil vom 30. September 1975 (SozR 4100 § 69 Nr 2) die 44 bzw 48 Stunden, die Maschinisten bzw Kraftfahrer nach dem (insoweit mit dem hier zugrundeliegenden MTV vergleichbaren) Bundesrahmentarifvertrag für das Bauwesen vom 1. April 1971 (BRTV Bau 1971) regelmäßig aufgrund Betriebsvereinbarung oder Einzelarbeitsvertrag arbeiten konnten, als regelmäßige tarifliche Arbeitszeit angesehen. Er hat damit aber nur die Berücksichtigung einer regelmäßig anfallenden längeren Arbeitszeit, die ua auch dem Ausgleich eines geringen Stundenlohns dient, bei der Bemessung des Arbeitsentgelts mit dem Sinn der Bemessungsvorschrift des § 69 AFG für vereinbar gehalten. Diese war außerdem durch die Regelungen des betreffenden Tarifvertrages gedeckt, was hier gerade nicht der Fall ist.

Es widerspricht der Lohnersatzfunktion des Alg nicht, wenn es sich nicht in jedem Falle vollständig nach der im Bemessungszeitraum tatsächlich geleisteten Wochenarbeitszeit richtet. Unabhängig davon, ob nach § 112 AFG von den vor Beginn der Arbeitslosigkeit bestehenden Einkommensverhältnissen deshalb ausgegangen wird, weil damit die Beibehaltung des bisherigen Lebensstandards in einem gewissen näher bestimmten Umfang gesichert werden soll (so der Senat in seinem Urteil vom 23. Februar 1977, SozR 4100 § 112 Nr 3; Schönefelder/Kranz/Wanka aaO § 112 RdNr 1), oder aber, weil im Regelfall davon auszugehen ist, daß die Entlohnung in der Vergangenheit ein Indiz für den künftigen Lohn ist (so Werdermann, ABA 1959, 172, 174), ist die Anknüpfung an die tarifliche Wochenarbeitszeit nicht zu beanstanden. Bei der Bemessung von Lohnersatzleistungen darf der Gesetzgeber eine gewisse Typisierung vornehmen (BVerfG SozR 4100 § 112 Nr 10).

Das Gesetz berücksichtigt somit bewußt nur diejenige Arbeitszeit, die nach der AZO und den Tarifverträgen dauerhaft vereinbart werden kann. Damit fügt sich das AFG bei der Bemessung der Lohnersatzleistung in die Rechtsordnung im Arbeitsleben ein. Auf die tariflichen Bedingungen des Arbeitsverhältnisses ist im AFG auch in anderen Fällen abzustellen, so zB bei der Auslegung der Begriffe "zumutbare Beschäftigung" in § 103 Abs 1 AFG und "wichtiger Grund für das Verhalten des Arbeitslosen" in § 119 Abs 1 (vgl auch § 7 der Zumutbarkeits-Anordnung vom 3. Oktober 1979 - ANBA 1979, 1387). Entgegen der Ansicht des Klägers stellt es keinen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot oder das Sozialstaatsgebot dar, daß sich die Bemessungsgrundlagen der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung nicht mit denen des Alg decken. Sowohl das Bundessozialgericht -BSG- (SozR 4100 § 112 Nr 6) als auch das Bundesverfassungsgericht (SozR 4100 § 112 Nr 10) gehen davon aus, daß im Bereich der Arbeitslosenversicherung zulässigerweise eine individuelle Äquivalenz in dem Sinne nicht besteht, daß sich die Leistungen bei Arbeitslosigkeit nach versicherungsmathematischen Grundsätzen aus den geleisteten Beiträgen herleiten lassen. Verfassungsrechtlich ist es daher nicht geboten, daß sich die in ihrer absoluten und relativen Höhe nicht sehr beträchtlichen Beitragsanteile, die auf höhere Arbeitsentgelte entfallen, leistungssteigernd auswirken (BVerfG aaO; vgl auch Schwertfeger, Die Sozialgerichtsbarkeit 1975, 349, 353; Werdermann, ABA 1959, 172, 173 f). Dem Sozialstaatsgebot des Art 20 Abs 1 GG entspricht die Vorschrift des § 112 AFG bereits dadurch, daß sie dem Arbeitslosen angemessenen Ersatz für den Ausfall leistet, den dieser dadurch erleidet, daß er gegenwärtig keinen tariflich bezahlten Arbeitsplatz findet (BVerfG aaO).

Zutreffend hat nach alledem das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Daher kann die Revision keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Breith. 1981, 627

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge