Entscheidungsstichwort (Thema)
Übergangsgeld zwischen zwei berufsfördernden Maßnahmen
Leitsatz (amtlich)
1. Ist nach Beendigung einer Berufsfindung und Arbeitserprobung, während der der Betreute Übergangsgeld erhielt, eine weitere berufsfördernde Maßnahme erforderlich, so ist AVG § 18e Abs 1 (= RVO § 1241e Abs 1) entsprechend anzuwenden (Fortführung und Fortentwicklung von BSG 1978-09-12 5 RJ 8/78 = BSGE 47, 53, 54 und BSG 1979-08-30 4 RJ 109/78 = BSGE 49, 10).
2. Die gesetzliche Voraussetzung, daß dem Betreuten in der Zwischenzeit eine zumutbare Beschäftigung nicht vermittelt werden kann, hängt nicht zusätzlich davon ab, ob zwischen Rehabilitation und Arbeitslosigkeit ein innerer Zusammenhang etwa deshalb besteht, weil sich der Betreute "zur Verfügung" des Versicherungsträgers halten muß.
Orientierungssatz
Ein Anspruch auf Zwischenübergangsgeld entsprechend AVG § 18e Abs 1 (= RVO § 1241e Abs 1) besteht auch für den Fall, daß nach rechtskräftiger Verurteilung des Rentenversicherungsträgers nicht dieser, sondern die BA in eigener Zuständigkeit die erste berufsfördernde Maßnahme durchführt und währenddem Übergangsgeld zahlt.
Normenkette
AVG § 18e Abs 1 Fassung: 1974-08-07; RVO § 1241e Abs 1 Fassung: 1974-08-07; AFG § 56
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 15.07.1980; Aktenzeichen L 6 An 1220/79) |
SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 11.05.1979; Aktenzeichen S 9 An 944/77) |
Tatbestand
Streitig ist, ob die Beklagte dem Kläger für eine Zeit zwischen einer von der Bundesanstalt für Arbeit (BA) veranlaßten Berufsfindung und Arbeitserprobung und einer von der Beklagten übernommenen beruflichen Vorförderung Übergangsgeld in entsprechender Anwendung des § 18e Abs 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) zu zahlen hat.
Der 1937 geborene Kläger beantragte 1974 erfolglos bei der Beklagten eine Umschulung. Im Klageverfahren lud das Sozialgericht (SG) die BA bei und verurteilte die Beklagte am 22. Juni 1976 rechtskräftig, dem Kläger berufsfördernde Maßnahmen zu gewähren. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, es sei "zunächst eine Berufsfindung und Arbeitserprobung im Berufsförderungswerk H von der Beklagten durchzuführen". Das Arbeitsamt Freiburg meldete unter Kostenübernahme den mit Arbeitslosengeld bereits ausgesteuerten Kläger im Juli 1976 hierzu an, benachrichtigte die Beklagte und kündigte ihr einen Eingliederungsvorschlag an. Die Berufsfindung und Arbeitserprobung fand vom 29. September bis 29. Oktober 1976 statt; die im November schriftlich mitgeteilten Ergebnisse hat die Arbeitsverwaltung am 20. Dezember 1976 mit dem Kläger besprochen. Alsdann schlug sie eine Vorförderung und Umschulung des Klägers zum Feinwerkmechaniker vor; dafür übernahm die Beklagte die Kosten. Die Vorförderung dauerte vom 14. März bis zum 30. Juni 1977, die Hauptförderung begann am 24. August 1977.
Das Begehren des Klägers, ihm Übergangsgeld ua für die Zeit vom 30. Oktober 1976 bis 13. März 1977 zu gewähren, hatte nach Ablehnung durch die Beklagte (Bescheid vom 21. Oktober 1976, Widerspruchsbescheid vom 24. April 1977) vor dem SG Erfolg. Auf die zugelassene Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) die Verurteilung auf die Zeit ab dem 20. Dezember 1976 beschränkt (Urteil vom 15. Juli 1980). Seiner Ansicht nach kann der Kläger in entsprechender Anwendung des § 18e Abs 1 AVG Übergangsgeld erst ab dem 20. Dezember 1976 beanspruchen. Die durchgeführte Berufsfindung und Arbeitserprobung stehe als berufsfördernde Maßnahme in § 18e Abs 1 AVG einer medizinischen Maßnahme gleich. Die Beklagte dürfe sich angesichts ihrer früheren Verurteilung nach Treu und Glauben nicht auf deren Durchführung durch die Arbeitsverwaltung berufen. Die Maßnahme sei Teil einer Gesamtrehabilitation gewesen, bei der es der Kläger nicht zu vertreten habe, daß die Vorförderung sich nicht unmittelbar angeschlossen habe; auch sei ihm vom 30. Oktober 1976 bis 13. März 1977 keine Arbeit vermittelt worden. Jedoch bestehe zwischen der Arbeitslosigkeit und der Rehabilitation ein innerer Zusammenhang erst seit der Festlegung der Vorförderung am 20. Dezember 1976, weil sich der Kläger erst von da an zur Verfügung des Arbeitsamtes habe halten müssen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision beantragt der Kläger (sinngemäß),
das Urteil des LSG zu ändern und die Berufung der Beklagten
auch hinsichtlich der Zeit vom 30. Oktober bis 19. Dezember
zurückzuweisen.
Er rügt, daß LSG habe den 20. Dezember 1976 als einen zufälligen Zeitpunkt gewählt. Die Vorförderung sei von vornherein zu erwarten gewesen. Bis zu ihrer Festlegung dürfe er nicht anders behandelt werden als danach.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist von Erfolg; der Kläger kann Übergangsgeld auch für die Zeit vom 30. Oktober bis 19. Dezember 1976 verlangen.
Sind nach Abschluß medizinischer Maßnahmen zur Rehabilitation berufsfördernde Maßnahmen erforderlich und können diese aus Gründen, die der Betreute nicht zu vertreten hat, nicht unmittelbar anschließend durchgeführt werden, so ist nach § 18e Abs 1 AVG das Übergangsgeld "für diese Zeit", gemeint die Zwischenzeit, ua dann weiterzugewähren, wenn dem Betreuten eine zumutbare Beschäftigung nicht vermittelt werden kann. Diese Vorschrift halten der 5. Senat (BSGE 47, 53, 54) und ihm folgend der 4. Senat des Bundessozialgerichts -BSG- (SozR 2200 § 1241e Nr 8) für entsprechend anwendbar, wenn nach Abschluß einer berufsfördernden Maßnahme weitere berufsfördernde Maßnahmen erforderlich sind. Dem schließt sich der erkennende Senat an (noch offengelassen in SozR aaO Nr 10). Der 4. Senat hat dabei allerdings nicht jede "Berufsfindung und Arbeitserprobung" einer einleitenden medizinischen Maßnahme gleichstellen wollen. Es genüge nicht, daß das Gesetz die Berufsfindung und Arbeitserprobung als eine berufsfördernde "Leistung" zur Rehabilitation ansehe (§ 14a Abs 1 Satz 1 Nr 2 AVG); sie müsse vielmehr in einem engeren Sinne eine berufsfördernde "Maßnahme" gewesen sein. Das treffe zu, wenn sie mit einer gewissen Dauer in einer dafür vorgesehenen Einrichtung mit Lehrgangscharakter erfolgt und auf eine spätere Umschulung gerichtet gewesen sei. Die Unterscheidung zwischen "Leistungen" und "Maßnahmen" zur Rehabilitation hat der 4. Senat aus der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 1 Abs 1 des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes -RehaAnglG- (BT-Drucks 7/1237 S 54) entnommen; sie verstehe unter Maßnahmen die Veranstaltungen, an denen der Behinderte auf Veranlassung und auf Kosten des Rehabilitationsträgers teilnehme, und unter Leistungen alle im einzelnen gewährten Hilfen. Der erkennende Senat hat bei Durchsicht der §§ 13 ff AVG Zweifel, ob der Gesetzgeber im Gesetzestext eine derartige begriffliche Trennung durchgehalten hat. Er hält es aber auch nicht für notwendig, die entsprechende Anwendung des § 18e Abs 1 AVG von einer solchen Differenzierung abhängig zu machen. Da die Vorschrift die Gewährung von Übergangsgeld während der ersten Maßnahme voraussetzt, muß es zur entsprechenden Anwendung nach einer einleitenden "Berufsfindung und Arbeitserprobung" genügen, daß während ihrer Durchführung Übergangsgeld gewährt worden ist, das ggf "weitergewährt" werden kann. Da die hier durchgeführte Berufsfindung und Arbeitserprobung indes auch die vom 4. Senat verlangten Kriterien erfüllt, weicht der erkennende Senat damit nicht iS des § 42 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) vom 4. Senat ab.
Zu Recht hat das LSG die entsprechende Anwendung des § 18e Abs 1 AVG ferner im vorliegenden Falle nicht von vornherein daran scheitern lassen, daß hier während der Berufsfindung und Arbeitserprobung die Beigeladene und nicht die Beklagte das Übergangsgeld gewährt hat. Der Senat hat zwar bereits entschieden (SozR 2200 § 1241e Nr 10), die Weitergewährung von Übergangsgeld nach § 18e Abs 1 AVG setze voraus, daß die erste der beiden Maßnahmen vom Rentenversicherungsträger gewährt worden sei. Hieran hält der Senat fest. Der vorliegende Fall weist jedoch Besonderheiten auf, die eine Ausnahme von dem genannten Grundsatz rechtfertigen. Die Beklagte war vom SG Freiburg rechtskräftig verurteilt worden, dem Kläger berufsfördernde Maßnahmen zu gewähren; nach den Entscheidungsgründen war dies dahin zu verstehen, daß sie zunächst eine Berufsfindung und Arbeitserprobung im Berufsförderungswerk H durchzuführen hatte . Diese Verpflichtung hat ihr die Beigeladene in eigener Zuständigkeit abgenommen. Könnte sich die Beklagte nun darauf berufen, daß sie auf diese Weise auch von Folgeleistungen freigekommen sei, so wäre damit eine wesentliche Schlechterstellung des Klägers verbunden. Denn nach dem Arbeitsförderungsgesetz -AFG- (§§ 56 ff) wird ein Übergangsgeld zwar während der Teilnahme an einer Berufsfindung und Arbeitserprobung, nicht jedoch in der Zeit zwischen zwei berufsfördernden Maßnahmen gewährt. Diesen Nachteil auf sich zu nehmen, kann dem Kläger im Hinblick auf den gegen die Beklagte erlangten rechtskräftigen gerichtlichen Titel nicht zugemutet werden. Die Beklagte handelt hier zudem widersprüchlich, wenn sie gegen die vom LSG bestätigte Verurteilung für die Zeit nach dem 19. Dezember 1976 keine Revision eingelegt hat, für die Zeit vorher eine Weitergewährung des Übergangsgeldes aber weiterhin wegen der Erstgewährung durch die Beigeladene ablehnen will.
Zutreffend ist das LSG im weiteren davon ausgegangen, daß "nach Abschluß" der am 29. Oktober 1976 beendeten Berufsfindung und Arbeitserprobung in H weitere berufsfördernde Maßnahmen "erforderlich" waren. Die Berufsfindung und Arbeitserprobung war beim Kläger erfolgreich gewesen. Dieses positive Ergebnis mußte dazu führen, eine Umschulungsförderung für den gefundenen Beruf anzuschließen. Diese erwies sich somit schon unmittelbar nach dem Abschluß der Berufsfindung und Arbeitserprobung objektiv als erforderlich. Das genügt nach dem Gesetz (so der Senat schon in SozR 2200 § 1241e Nr 10). Es kommt nicht darauf an, ob die weiteren Maßnahmen Teil eines Gesamtplanes sind (BSGE 46, 295; 47, 176; SozR 2200 § 1241e Nrn 7 und 11); auch der in BSGE 46, 295, 298 hervorgehobenen Notwendigkeit eines zeitlichen, sachlichen bzw inneren Zusammenhangs der Maßnahmen kann der Senat insoweit keine entscheidende Bedeutung zumessen. § 18e Abs 1 AVG stellt allein auf die Erforderlichkeit von weiteren Maßnahmen nach Abschluß der vorhergehenden Maßnahme ab. Deshalb ist es ferner unerheblich, wann der Rentenversicherungsträger die Erforderlichkeit erkennt und die weiteren Maßnahmen in die Wege leitet. Der Umstand, daß die schriftliche Benachrichtigung der Beklagten über das Ergebnis der Berufsfindung und Arbeitserprobung hier erst etwa acht Wochen danach erfolgte, hat an dem objektiv schon bei Abschluß gegebenen Erfordernis weiterer berufsfördernder Maßnahmen nichts geändert (vgl auch SozR 2200 § 1241e Nr 11).
Daß der Kläger es nicht zu vertreten hatte, wenn die weiteren Maßnahmen nicht unmittelbar an die Berufsfindung und Arbeitserprobung anschließend durchgeführt werden konnten, steht nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt außer Frage. Entgegen der Ansicht des LSG ist aber auch in der Zeit vom 30. Oktober bis 19. Dezember 1976 die letzte notwendige Voraussetzung erfüllt, daß dem damals arbeitslosen Kläger eine zumutbare Beschäftigung nicht vermittelt werden konnte. Das LSG hat hier nicht zusätzlich einen inneren Zusammenhang der Arbeitslosigkeit mit der Rehabilitation fordern dürfen, der nicht bestanden habe, weil der Kläger sich erst ab dem 20. Dezember 1976 zur Verfügung des Arbeitsamtes habe halten müssen. In Entscheidungen des BSG ist zwar bei der Frage nach dem Sinn des Zwischenübergangsgeldes nicht allein auf die Schließung einer unverschuldeten Versorgungslücke bei nicht unmittelbar einander folgenden Maßnahmen (SozR 2200 § 1240 Nr 1 unter Bezug auf BT-Drucks 7/1237 S 60), sondern auch darauf hingewiesen worden, der Betreute müsse sich in dieser Zeit zur Verfügung des Rentenversicherungsträgers halten und sei dadurch an anderen Dispositionen gehindert (BSGE 47, 51, 53 mit Hinweis auf 46, 295). Das Gesetz fordert jedoch lediglich, daß der Betreute in der Zwischenzeit entweder arbeitsunfähig ohne Anspruch auf Krankengeld ist oder daß ihm (trotz Arbeitsfähigkeit) eine zumutbare Beschäftigung nicht vermittelt werden kann. Letzteres mag insbesondere zutreffen, wenn Maßnahmen des Versicherungsträgers den Versicherten an einer in der Zwischenzeit an sich grundsätzlich zumutbaren (BT-Drucks aaO) Arbeitsaufnahme hindern. Auf solche Fälle darf die Anwendung des § 18e Abs 1 AVG jedoch nicht eingeengt werden; die Vorschrift greift nach ihrem Wortlaut und Sinn vielmehr stets dann ein, wenn in der Zwischenzeit eine durch Arbeitsvermittlung nicht zu behebende Arbeitslosigkeit besteht; diese muß sich nicht zusätzlich auf den Rentenversicherungsträger und dessen Maßnahmen zurückführen lassen. Es ist deshalb unerheblich, ab wann sich der Kläger nach dem 29. Oktober 1976 "zur Verfügung" der Beklagten oder der Beigeladenen halten mußte, gleichgültig, was darunter im einzelnen zu verstehen wäre.
Hiernach war das Urteil des LSG in dem die Klage abweisenden Teil aufzuheben und die Berufung der Beklagten insgesamt zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen