Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuständige Krankenkasse für Bauunternehmer ("Bauhöfe") mit zentraler Lohnabrechnung
Leitsatz (amtlich)
Betriebssitz iS des Erlasses des Reichsarbeitsministers vom 18.2.1942 ist bei Baubetrieben mit mehreren Niederlassungen (Bauhöfen) der Ort, an dem sich die Betriebsleitung mit zentraler Lohnabrechnung befindet.
Orientierungssatz
1. Sinn und Zweck des Erlasses des früheren RAM vom 18.2.1942 - II a 2098/42 - (AN 1942 II S 148 - "Die Beiträge" 1982, 84 -) ist es, den zahlreichen Baubetrieben, die eine zentrale Lohnabrechnung und Baustellen in Bezirken verschiedener Ortskrankenkassen haben, die Berechnung der Beiträge zur Krankenversicherung und die Beitragsentrichtung zu erleichtern. Deshalb ermöglicht es der Erlaß auf Antrag des "Betriebsführers" die Krankenversicherung der versicherungspflichtig Beschäftigten von Baubetrieben unter der Voraussetzung von der für den Betriebssitz zuständigen AOK durchführen zu lassen.
2. Es kommt dabei nicht darauf an, ob ein Baubetrieb etwa handelsrechtlich (§ 106 HGB) oder gewerberechtlich (§§ 14 ff der GewO) mehrere Betriebssitze hat. Selbst wenn dies der Fall ist, soll nach der mit dem genannten Erlaß angestrebten Verwaltungsvereinfachung auf Antrag des "Betriebsführers", also der zentralen Betriebsleitung, die der zentralen Lohnabrechnung sachlich entspricht, die Krankenversicherung nur von einer AOK durchgeführt wird.
Normenkette
RAMErl 1942-02-18; SGB 4 § 9 Fassung: 1976-12-23; HGB § 106; GewO § 14
Verfahrensgang
SG Itzehoe (Entscheidung vom 18.02.1982; Aktenzeichen S 5 Kr 28/81) |
Tatbestand
Die Beigeladene zu 1) betreibt in der Rechtsform einer GmbH & Co KG ein Straßen- und Tiefbauunternehmen mit handelsrechtlichem Firmensitz in I (I.). Dort befindet sich auch der Teil des Betriebes, der die kaufmännischen Entscheidungen fällt und die Löhne zentral abrechnet. In I., H (H.) und H (He.) bestehen Bauhöfe mit technischem Personal. Dem Antrag der Beigeladenen zu 1) entsprechend führt die Beklagte, gestützt auf den Erlaß des Reichsarbeitsministers (RAM) vom 18. Februar 1942 (Amtliche Nachrichten für Reichsversicherung -AN- II 1942 S 148), die gesetzliche Krankenversicherung für alle pflichtversicherten Arbeitnehmer der Beigeladenen zu 1) durch. Die Klägerin beansprucht demgegenüber die Zuständigkeit für die zur Niederlassung He. gehörigen 120 Mitarbeiter der Beigeladenen zu 1), zu denen die Beigeladenen zu 2) bis 4) gehören, weil für diese Niederlassung ein Gewerbe angemeldet und damit ein eigener Betriebssitz im Sinne des RAM-Erlasses begründet worden sei.
Das Sozialgericht (SG) I. hat durch Urteil vom 18. Februar 1982 die Klage auf Feststellung der Zuständigkeit der Klägerin für die in der Niederlassung He. der Beigeladenen zu 1) beschäftigten Beigeladenen zu 2) bis 4) abgewiesen: Betriebssitz im Sinne des genannten RAM-Erlasses sei der Hauptsitz der Beigeladenen zu 1) in I.; die Niederlassung in He. sei kein völlig selbständiger Betriebsteil. Mit zu zugelassenen und mit Zustimmung der Beklagten eingelegten Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des Erlasses des RAM vom 18. Februar 1942, die sie in der Verkennung des Begriffes "Betriebssitz" erblickt. Die Beigeladene zu 1) habe nämlich auch in He. einen Betriebssitz, weil sie dort seit 1962 ein Gewerbe angemeldet habe, von dort aus Stellenanzeigen aufgebe, Arbeiten und Verkäufe mit eigener Bankverbindung völlig selbständig durchführe und nur mit diesem Betriebssitz an auf den Kreis D (D.) begrenzten Ausschreibungen teilnehme.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom
18. Februar 1982 aufzuheben und festzustellen,
daß für die Durchführung der Versicherung nach
§ 165 Abs 1 Nr 1 Reichsversicherungsordnung (RVO)
der Beigeladenen zu 2) bis 4) die Klägerin zuständig ist.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladenen haben sich zur Revision nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Zur Zulässigkeit der Feststellungsklage und zur Fortgeltung des Erlasses des RAM vom 18. Februar 1942 wird auf das Urteil des erkennenden Senats vom 16. Februar 1982 - 8/8a RK 16/80 - (SozR 2200 § 234 Nr 4 = USK 8212) Bezug genommen.
Nach dem genannten Erlaß wird auf Antrag des Betriebsführers abweichend von den allgemeinen Vorschriften der RVO die Krankenversicherung der versicherungspflichtig Beschäftigten von Baubetrieben mit zentraler Lohnabrechnung von der für den Betriebssitz zuständigen Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) durchgeführt. Diese Voraussetzungen der Zuständigkeit der Beklagten hält die Klägerin insoweit nicht für erfüllt, als die Beigeladene zu 1) auch in ihrem Bezirk, nämlich in He., einen Betriebssitz habe. Dem vermag der Senat jedoch nicht zuzustimmen.
Sinn des genannten Erlasses ist es, wie aus seiner Einleitung hervorgeht, den zahlreichen Baubetrieben, die eine zentrale Lohnabrechnung und Baustellen in den Bezirken verschiedener Ortskrankenkassen haben, die Berechnung der Beiträge zur Krankenversicherung und die Beitragsabführung zu erleichtern. Deshalb ermöglicht es der Erlaß, auf Antrag "des Betriebsführers" die Krankenversicherung der versicherungspflichtig Beschäftigten von Baubetrieben unter der Voraussetzung von der für den Betriebssitz zuständigen AOK durchführen zu lassen, daß der Betrieb die Lohnabrechnung zentral durchführt. Es kommt demnach nicht darauf an, ob ein Baubetrieb etwa handelsrechtlich (§ 106 des Handelsgesetzbuches) oder gewerberechtlich (§§ 14 ff der Gewerbeordnung) mehrere Betriebssitze hat. Selbst wenn dies der Fall ist, soll nach der mit dem Erlaß des RAM beabsichtigten Verwaltungsvereinfachung auf Antrag "des Betriebsführers", also der zentralen Betriebsleitung, die der zentralen Lohnabrechnung sachlich entspricht, die Krankenversicherung nur von einer AOK durchgeführt werden. Welche dies ist, richtet sich nach dem mit dem Begriff "Betriebssitz" gemeinten Sitz der die zentrale Lohnabrechnung betreibenden Unternehmensleitung. Denn nur so ist der bei zentraler Lohnabrechnung mögliche und vom Erlaß beabsichtigte Zweck der Verwaltungsvereinfachung für Betrieb und Versicherungsträger erreichbar. Betriebssitz in diesem Sinne ist hier, wie das SG zutreffend entschieden hat, I.. Die für diesen Ort zuständige Beklagte führt deshalb zu Recht die Krankenversicherung der Beigeladenen zu 2) bis 4) und der übrigen versicherungspflichtig Beschäftigten der Beigeladenen zu 1) auf deren Antrag hin durch.
Wollte man mit der Klägerin bei weitgehend selbständig handelnden Niederlassungen ungeachtet der in der Betriebszentrale erfolgenden zentralen Lohnabrechnung vom Begriff des Betriebssitzes her die Krankenversicherung der in den einzelnen Niederlassungen versicherungspflichtig Beschäftigten den für diese zuständigen verschiedenen Ortskrankenkassen übertragen, würde zwar eine größere Ortsnähe in der Betreuung der Versicherten erreicht. Es würde dann aber der an die zentrale Lohnabrechnung von Baubetrieben anknüpfende Verwaltungsvereinfachungseffekt des RAM-Erlasses vom 18. Februar 1942 gerade in den Fällen vereitelt, in denen er wegen der diesen Betrieben vom Gegenstand ihres Unternehmens her eigentümlichen, von der Belegenheit der einzelnen Baustellen bestimmten schwerpunktmäßigen Verteilung ihrer Betriebsteile und -gruppen auf größere Gebiete unter Berücksichtigung der in der Bauwirtschaft ohnehin starken Fluktuation von Arbeitskräften in besonderem Maße angebracht und beabsichtigt ist.
Für die an den Bedürfnissen der Praxis orientierte Auslegung spricht schließlich auch die Erwägung, daß der Gedanke der Konzentration und Vereinfachung der Versicherungszuständigkeit in der Krankenversicherung bei aller örtlichen Gliederung durchaus geläufig ist. Denn von einer Zahl von vierhundertfünfzig Versicherungspflichtigen an kann jeder Arbeitgeber für jeden Betrieb eine Betriebskrankenkasse errichten (§ 245 RVO). Angesichts dieser generellen Berücksichtigung kostensparender Konzentrations- und Vereinfachungsmöglichkeiten erscheint es nicht vertretbar, im Wege der Auslegung gerade dort zur Zersplitterung der Zuständigkeit zu gelangen, wo von den Gegebenheiten der Betriebe im Baugewerbe her und aus der innerbetrieblichen Organisation in Form der zentralen Lohnabrechnung in besonderem Maße der Bedarf und die Voraussetzungen für die einheitliche Durchführung der Versicherung aller Betriebsangehörigen bei einer AOK gegeben sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen