Leitsatz (amtlich)
Die Regelung der Beitragszahlung für Ersatzkassenmitglieder in RVO § 520 betrifft nur die Beiträge zur Krankenversicherung, nicht aber die zur Rentenversicherung.
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Anschlußrevision muß in der Anschlußschrift begründet werden. Es genügt aber, wenn die Begründung noch bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist des Revisionsklägers beim Revisionsgericht eingeht. Wäre die Anschlußrevision auch als selbständige Revision zulässig, genügt es sogar, wenn die Begründung für die Anschlußrevision noch innerhalb der für einen Revisionskläger laufenden Frist (ZPO § 554) abgegeben wird.
2. Die Entrichtung der Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung an die Einzugsstelle obliegt auch bei Ersatzkassenmitgliedern dem Arbeitgeber. Die Berechtigung des Versicherten, anstelle des Arbeitgebers den vollen Beitrag (Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil) zur Rentenversicherung zu entrichten (AVG § 120, RVO § 1398), schließt die Verpflichtung des Arbeitgebers, die Beiträge zur Rentenversicherung an die Einzugsstelle abzuführen (AVG §§ 118, 121, RVO §§ 1396, 1399) grundsätzlich nicht aus.
Normenkette
SGG § 202 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 556 Fassung: 1950-09-12, § 553 Fassung: 1950-09-12; RVO § 520 Fassung: 1930-07-26; ZPO § 554 Fassung: 1950-09-12; AVG § 120 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1398 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. April 1964 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 4. April 1963 wird zurückgewiesen.
Die Anschlußrevision der Beigeladenen wird zurückgewiesen.
Die Beklagte und die Beigeladene haben dem Kläger die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahren zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger die Arbeitnehmeranteile zur Angestelltenversicherung (AV) für die Zeit vom 1. März 1957 bis August 1959 nachentrichten muß.
Der Kläger, Mitglied der beklagten Ersatzkasse, stand als kaufmännischer Angestellter bis Oktober 1960 in einem Beschäftigungsverhältnis. Er bezieht seit 1956 Versorgungsrente und seit 1. Januar 1957 Versichertenrente von der beigeladenen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA). Nachdem die Beigeladene der Beklagten im Juni und Juli 1957 den Bezug der Rente mitgeteilt hatte, überwies die Beklagte dem Kläger am 25. Juli 1957 die Arbeitnehmeranteile zur AV für die Zeit von Januar bis Mai 1957 zurück; als Begründung für die Rückzahlung ist angegeben, der Kläger sei seit 1. Januar 1957 beschäftigter Rentner.
Im Herbst 1959 stellte die Beklagte bei einer Überprüfung der Beitragskonten fest, daß der Kläger keine Arbeitnehmeranteile zur AV mehr entrichtet hatte (es waren lediglich die Arbeitgeberanteile unmittelbar vom Arbeitgeber gezahlt worden). Daraufhin verlangte sie vom Kläger gemäß § 520 der Reichsversicherungsordnung (RVO) die Zahlung der Arbeitnehmeranteile für die Zeit vom 1. März 1957 bis August 1959 in Höhe von 711,41 DM. Nachdem sie zunächst durch einen Mitarbeiter dem Kläger gegenüber mündlich die Forderung geltend gemacht hatte, legte sie die Forderung im einzelnen in ihrem Schreiben vom 26. Oktober 1959 dar; dabei wies sie auf die Verjährungsvorschriften hin und bat um Zahlungsvorschläge. Der Kläger weigerte sich jedoch wiederholt, eine Zahlung zu leisten und bat um einen widerspruchsfähigen Bescheid. Daraufhin erließ die Beklagte einen Widerspruchsbescheid unter dem 10. Februar 1960. Das Sozialgericht (SG) hat der Klage auf Aufhebung der Bescheide stattgegeben. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Bescheide insoweit aufgehoben, als darin die Beklagte Beiträge von März bis Mai 1957 gefordert hat. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger sei vom 1. März 1957 an nach § 2 Nr. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) versicherungspflichtig, da keine Versicherungsfreiheit nach den §§ 4 und 6 AVG vorliege. Demgemäß sei er auch nach § 520 RVO als Mitglied einer Ersatzkasse verpflichtet, von diesem Zeitpunkt an Beiträge an die Beklagte zu zahlen. Die Rücküberweisung vom 25. Juli 1957 stelle einen Verwaltungsakt dar, und zwar dahingehend, daß die Beiträge für März bis Mai 1957 zur AV des Klägers zurückgezahlt würden. Dieser Bescheid sei für die Beklagte nach § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bindend geworden und hindere die Beklagte, Beiträge für diese Zeit zu fordern. Dagegen sei der Kläger verpflichtet, von Juni 1957 bis August 1959 die Beiträge zu entrichten. Denn die Beklagte habe dieses Recht nicht verwirkt. Bei dem überwiegenden öffentlichen Interesse an der Beitragsentrichtung könne dem Kläger deshalb für die Zeit ab Juni 1957 der Einwand des Verstoßes gegen Treu und Glauben nicht zugebilligt werden, insbesondere, da der Arbeitgeber des Klägers die Arbeitnehmeranteile stets an ihn ausbezahlt habe. Dabei sei nicht beachtlich, daß der Kläger das Geld ausgegeben habe. Zur Zeit der Bescheiderteilung und Mahnung im Oktober und November 1959 sei die Forderung noch nicht verjährt gewesen (§ 142 AVG, § 29 Abs. 1 RVO). Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat gegen das Urteil Revision eingelegt.
Er trägt vor, die Handlungsweise der Beklagten verstoße unter Berücksichtigung der Gesamtheit der Umstände gegen Treu und Glauben. Denn die Rückzahlung der Arbeitnehmeranteile enthalte gleichzeitig die Entscheidung der Beklagten, daß Arbeitnehmeranteile zur AV nicht geschuldet werden. Dies sei dem Kläger auch mündlich bestätigt worden. Darüber hinaus habe die Beklagte auch immer wieder durch die Nichteinziehung dieser Beitragsteile eindeutig zu verstehen gegeben, daß sie an dieser Rechtsauffassung festhalte. Der Anspruch der Beklagten sei auch deshalb verwirkt, weil bezüglich der Beitragsforderung für Juni 1957 bis August 1959 nicht nur ein unmaßgeblicher Zeitablauf vorliege, sondern durch die Rückzahlung der Beiträge bis Mai 1957 bei dem Kläger der Eindruck erweckt worden sei, es bestehe auch für die Folgezeit keine Beitragspflicht.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 22. April 1964 insoweit abzuändern, als es der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Detmold vom 4. April 1963 stattgegeben hat und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Detmold vom 4. April 1963 in vollem Umfange zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen und das angefochtene Urteil dahingehend abzuändern, daß der Kläger seine Beitragsanteile zur AV schon vom 1. März 1957 an zu entrichten hat.
Sie trägt vor, in der Beitragsrückerstattung dürfte kein Verwaltungsakt des Inhalts gesehen werden, daß Versicherungsfreiheit zur AV vom 1. Juni 1957 an festgestellt worden sei; die Bindungswirkung des § 77 SGG gelte nur für Verwaltungsakte, nicht aber für sonstige Erklärungen des Versicherungsträgers.
Die beigeladene BfA beantragt im Wege der Anschlußrevision,
die Revision des Klägers zurückzuweisen und unter Abänderung des Urteils des LSG Nordrhein-Westfalen vom 15. Juni 1964 die Klage in vollem Umfange abzuweisen.
Sie trägt vor, es könne dahingestellt bleiben, ob die irrtümliche Rückzahlung der Beiträge einen Verwaltungsakt darstelle. Auf alle Fälle wäre er für die Beigeladene nicht bindend, weil sie erst durch die Beiladung im gegenwärtigen Verfahren hiervon Kenntnis erhalten und deshalb vorher keine Gelegenheit gehabt habe, ein Rechtsmittel einzulegen. Überdies trete eine Bindung des Versicherungsträgers nur bei begünstigenden Verwaltungsakten ein. Eine Verneinung der Versicherungspflicht und eine Rückzahlung von Beiträgen könne aber nicht als ein begünstigender Verwaltungsakt angesehen werden. Die Beitragsschuldner seien vor einer übermäßig langen rückwirkenden Inanspruchnahme durch die Verjährungsfrist des § 29 Abs. 1 RVO geschützt.
Der Kläger beantragt,
die Anschlußrevision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
II
Die Revision des Klägers ist zulässig. Desgleichen ist die Anschlußrevision der Beigeladenen zulässig, weil sie den Anforderungen des § 202 SGG i. V. m. §§ 556 und 553 der Zivilprozeßordnung (ZPO) entspricht.
Zwar enthält der Schriftsatz vom 7. Juli 1964 nur den Antrag, nicht aber die Begründung der Anschlußrevision, wie es § 556 ZPO fordert. Es ist aber als genügend anzusehen, daß die Begründung noch bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist des Revisionsklägers eingeht, wie es hier geschehen ist (vgl. hierzu RG, NJW 1936, S. 815 und Wieczorek ZPO § 556 Anm. B I a, ebenso Rosenberg, Lehrbuch des Zivilprozeßrechts § 140 VI, 2). Da hier die Anschlußrevision der Beklagten auch als selbständige Revision zulässig wäre, würde es sogar genügen, wenn die Begründung für die Anschlußrevision noch innerhalb der für die BfA als Revisionsklägerin laufenden Frist abgegeben worden wäre.
Aber nur das Rechtsmittel des Klägers ist begründet.
Für die Entscheidung kann zunächst dahinstehen, ob in den wiederholten Schreiben der Beklagten ein Verwaltungsakt zu erblicken wäre. Selbst, wenn man darin keinen Verwaltungsakt erblicken könnte, so wäre der Widerspruchsbescheid dennoch auf die Klage hin sachlich nachzuprüfen, weil dieser jedenfalls einen Verwaltungsakt darstellt und nicht an so wesentlichen und eindeutig erkennbaren Mängeln leidet, daß er als nicht vorhanden angesehen werden dürfte (vgl. Urteil des Senats vom 11. August 1966 - 3 RK 37/64 - und Urteil des Senats vom 30. November 1965, SozR SGG § 85 Nr. 7). Des weiteren ist es für die Entscheidung ohne Bedeutung, ob in der Rückzahlung der Arbeitnehmeranteile zur AV des Klägers durch die beklagte Ersatzkasse ein Verwaltungsakt des Inhaltes zu erblicken ist, daß nunmehr Versicherungsfreiheit des Klägers für die Zeit von Januar bis Mai 1957 festgestellt werden sollte. Denn auch wenn man einen solchen Verwaltungsakt annehmen wollte, so wäre er der beigeladenen BfA gegenüber nicht bindend geworden, da diese erst durch die Beiladung im sozialgerichtlichen Verfahren von der Rückzahlung Kenntnis erhalten hat (vgl. Urteil des Senats vom 25. Mai 1966 - 3 RK 37/62 -). Der Verwaltungsakt kann daher im sozialgerichtlichen Verfahren auf seine Rechtmäßigkeit hin nachgeprüft werden.
Die Beklagte kann von dem Kläger keine Beiträge zur Angestelltenversicherung fordern, weil die Beiträge zur Angestelltenversicherung nach § 118 Abs. 1 AVG von dem Arbeitgeber zu entrichten sind, soweit nicht in § 118 Abs. 2 AVG hier nicht in Betracht kommende Ausnahmen vorgesehen sind (so bei "mehrfach" und unständig Beschäftigten). Die Vorschrift des § 520 RVO, wonach Ersatzkassenmitglieder den Beitrag an die Ersatzkasse zu zahlen haben und der Arbeitgeber verpflichtet ist, den Beitragsanteil, den er ohne die Mitgliedschaft bei der Ersatzkasse als Arbeitgeberanteil an die gesetzliche Krankenkasse entrichten müßte, an das Ersatzkassenmitglied abzuführen hat, betrifft nur die Beiträge zur Krankenversicherung. Es handelt sich hierbei um eine alte Sondervorschrift für die Krankenversicherung, die auch nicht nach § 122 AVG (§ 1400 RVO) für die Rentenversicherung gilt; sie regelt nur An-, Um- und Abmeldung der Versicherten der Rentenversicherung, die Fälligkeit und Zahlung der Beiträge, ihren Einzug und die Erhebung von Versäumniszuschlägen, ferner die Beitragsberechnung und die Auferlegung von Säumniszuschlägen. § 122 AVG (§ 1400 RVO) betrifft also - abgesehen von der Beitragsberechnung - die verwaltungsmäßige Regelung der Beitragsentrichtung, nicht aber die Frage, wer gegenüber der Einzugsstelle zur Beitragszahlung verpflichtet ist. Hierfür gelten auch bei Ersatzkassenmitgliedern die allgemeinen Vorschriften der Rentenversicherung, wonach der Arbeitgeber den Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil der Beiträge an die Einzugsstelle abzuführen hat (§ 118 AVG, § 1396 RVO). Zwar ist nach § 120 AVG (§ 1398 RVO) der Versicherte berechtigt, an Stelle des Arbeitgebers die vollen Beiträge (Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile) zur Rentenversicherung zu entrichten, und auf Grund dieser Vorschrift kann ein Ersatzkassenmitglied die vollen Beiträge zur Rentenversicherung an seine Ersatzkasse abführen und dann von dem Arbeitgeber die Erstattung des Arbeitnehmeranteils beanspruchen (vgl. Jantz-Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, 1957, § 1398 Anm. Abs. 2, § 1399 Anm. II RVO). Indessen handelt es sich dabei nur um eine Berechtigung des Versicherten, durch welche die Verpflichtung des Arbeitgebers gegenüber der Einzugsstelle (gesetzliche Krankenkasse oder Ersatzkasse), die Beiträge zur Rentenversicherung nach §§ 118, 121 AVG (§§ 1396, 1399 RVO) zu entrichten - soweit sie nicht schon von dem Versicherten selbst abgeführt sind-, nicht berührt wird. Demgemäß hat auch der Arbeitgeber des Klägers laufend den Arbeitgeberanteil der Beiträge zur Angestelltenversicherung an die beklagte Ersatzkasse abgeführt. Diese kann nunmehr nicht den Arbeitnehmeranteil der Beiträge zur Rentenversicherung von dem Versicherten selbst fordern. Die beklagte Krankenkasse müßte sich daher wegen der streitigen Beiträge an den Arbeitgeber des Klägers halten, soweit der Anspruch nicht verjährt ist.
Auf die Revision des Klägers war daher das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das sozialgerichtliche Urteil zurückzuweisen. Die Anschlußrevision der Beigeladenen mußte aus den gleichen Gründen zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen