Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Verwirkung der Befugnis einer KK, den Wegfall der Kürzung des Grundlohns (vgl RVO § 381 Abs 2) zu beantragen (KVdRG Art 2 § 6).
Leitsatz (redaktionell)
Wegfall oder Herabsetzung der Grundlohnkürzung nach KVdRG Art 2 § 6 für die Zeit vor dem 1968-01-01:
1. Der bloße Zeitablauf kann den Rechtsverlust durch Verwirkung allein nicht herbeiführen. Es müssen vielmehr weitere Umstände hinzutreten, welche die spätere Geltendmachung des Rechts mit der Wahrung von Treu und Glauben als nicht vereinbar und dem Rechtspartner gegenüber wegen des illoyalen Verhaltens des Berechtigten nicht mehr als zumutbar erscheinen lassen.
2. Der Antrag einer KK auf Wegfall oder Herabsetzung der Grundlohnkürzung nach KVdRG Art 2 § 6 kann daher auch noch nach 2 Jahren nach Ablauf des Geschäftsjahres, für das der Wegfall oder die Herabsetzung der Grundlohnkürzung angestrebt wird, gestellt werden.
3. Wortlaut und Sinn des KVdRG Art 2 § 6 ließen es nicht zu, neben der auf dem Rentneranteil beruhenden wirtschaftlichen Belastung auch sonstige, die wirtschaftliche Lage einer KK betreffenden Umstände wie etwa einen Überschuß der Reineinnahmen über die Reinausgaben, zu berücksichtigen. Nur die Relation von Rentenanteil, Gesamtmitgliederzahl und Ausgabedefizit in der Krankenversicherung der Rentner bildet die Grundlage für die Entscheidung über einen nachträglichen Wegfall oder eine Minderung der Grundlohnkürzung, nicht aber der wirtschaftliche Gesamtstatus der Kasse am Ende des betreffenden Geschäftsjahres.
Normenkette
RVO § 381 Abs. 2 Fassung: 1956-06-12; KVdRG Art. 2 § 6 Fassung: 1956-06-12; BGB § 242
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 9. Dezember 1969 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Die Klägerin beanspruchte mit den am 27. Juni 1966 bei der Beklagten eingegangenen Anträgen vom 23. Mai 1966 den Wegfall der Kürzung des Grundlohns (vgl. § 381 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) nach Art. 2 § 6 des Gesetzes über Krankenversicherung der Rentner (KVdR) vom 12. Juni 1956 (BGBl I 500) für die Jahre 1964 und 1965. Die Beklagte lehnte beide Anträge durch Bescheid vom 2. November 1966 mit der Begründung ab, die Klägerin werde durch die Fehlbeträge in der KVdR in den Jahren 1964 und 1965, die innerhalb der sog. "Interessenquote" lägen, wirtschaftlich nicht unangemessen belastet. Für das Jahr 1964 sei der Antrag im übrigen verspätet gestellt worden. Würde man nämlich die Herabsetzung der Grundlohnkürzung für dieses Jahr zulassen, so könne eine daraus folgende Beitragsnachforderung von den Rentenversicherungsträgern und sonstigen Beitragsschuldnern im Hinblick auf den Zeitablauf abgelehnt werden, da sie sich inzwischen auf den bestehenden Zustand eingerichtet hätten und nicht mehr mit einer Änderung der gezahlten Beiträge zu ihren Ungunsten zu rechnen brauchten.
Auf die gegen diesen Bescheid erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) nach Beiladung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (Beigeladene zu 1) und der Landesversicherungsanstalt Hannover (Beigeladene zu 2) durch Urteil vom 19. März 1968 den Bescheid der Beklagten vom 2. November 1966 insoweit aufgehoben, als er das Geschäftsjahr 1965 betrifft, und die Beklagte verpflichtet, die Klägerin insoweit neu zu bescheiden. Im übrigen - nämlich soweit der Bescheid das Geschäftsjahr 1964 betrifft - hat es die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil des SG haben zunächst sämtliche Beteiligten Berufung eingelegt. Nachdem die Beklagte aber eine Ermäßigung der Grundlohnkürzung für das Jahr 1965 auf 12 v.H. zugelassen hatte, hat die Klägerin den Rechtsstreit, soweit er die für das Geschäftsjahr 1965 geltend gemachten Ansprüche betrifft, für erledigt erklärt.
Die nunmehr noch anhängige Berufung der Klägerin hinsichtlich des Wegfalls der Grundlohnkürzung für das Geschäftsjahr 1964 hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen: In Art. 2 § 6 KVdR sei nicht bestimmt gewesen, bis wann ein Antrag auf Wegfall oder Herabsetzung der Grundlohnkürzung gestellt sein müsse, wann ein solcher Anspruch verjähre oder der Antragsteller mit ihm ausgeschlossen sei. Daraus könne jedoch nicht entnommen werden, daß der Antrag und die Zulassung einer Änderung der Grundlohnkürzung zeitlich unbefristet möglich seien. Die Zulassung einer Änderung der Grundlohnkürzung führe zwangsläufig zu einer rückwirkenden Beitragserhöhung und somit auch Beitragsnachforderung gegenüber den Trägern der Rentenversicherung und den Rentenantragstellern, dies sei aber aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nur solange vertretbar, wie die Beitragsschuldner damit rechnen müßten. Mit einer Beitragserhöhung und Beitragsnachforderung für das Geschäftsjahr 1964 hätten die Beitragsschuldner im Jahre 1965 noch rechnen müssen. Unter Berücksichtigung ausreichender Bearbeitungszeiträume habe der Antrag auf Wegfall der Grundlohnkürzung - er erfordere nur wenige der Jahresrechnung zu entnehmende Angaben - noch im Mai 1965 gestellt und über ihn von der Beklagten mindestens noch im Laufe des Jahres 1965 entschieden werden können.
Die Klägerin habe den Antrag für das Geschäftsjahr 1963 bereits im April 1964 und die Anträge für 1965 und 1966 jeweils im Mai des darauffolgenden Jahres gestellt. Warum die Klägerin den Antrag für das Geschäftsjahr 1964 nicht ebenfalls schon im Mai 1965 gestellt habe, sei von ihr nicht erläutert worden. Gründe der Gerechtigkeit oder überwiegende öffentliche Interessen, die eine Antragstellung erst im zweiten Jahr nach Ablauf des Geschäftsjahres, für das der Wegfall der Grundlohnkürzung wirksam werden solle, rechtfertigen könnten, seien nicht geltend gemacht worden und auch nicht ersichtlich. Um der Rechtsstaatlichkeit willen habe die Beklagte im Rahmen ihres Ermessens die Zulassung einer Änderung des Grundlohnes daher versagen können.
Mit der zugelassenen Revision wendet sich die Klägerin gegen diese Rechtsauffassung des LSG: Es gehe in seiner Begründung daran vorbei, daß in der Hauptsache Rentenversicherungsträger, also Körperschaften des öffentlichen Rechts, die Beitragsschuldner seien. Es treffe zwar zu, daß belastenden Gesetzen nur unter bestimmten Voraussetzungen Rückwirkung beigelegt werden dürfte, nämlich zB. dann, wenn der Adressat mit der Belastung rechnen könne. Dieser Grundsatz beziehe sich jedoch auf das Verhältnis zwischen dem Staat und dem seiner Hoheitsgewalt unterstellten Bürger und sei Ausdruck des Prinzips der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Ob er gleichermaßen zwischen den Körperschaften des öffentlichen Rechts angewendet werden könne, sei schon fraglich. Wesentlich sei vielmehr, daß die für die Beitragsschuldner geltende Belastung als solche dem Grunde nach bereits im Gesetz enthalten sei und der belastende Verwaltungsakt lediglich im Zuge des Gesetzes ergehe. Diese Situation sei auch deshalb wieder von besonderer Bedeutung, weil es sich in der Hauptsache um Beitragsforderungen gegen Körperschaften des öffentlichen Rechts handele, bei denen eine intensive Rechtskenntnis vorauszusetzen sei. Bei der Beurteilung des Rechtsstreits müsse nicht zuletzt gewürdigt werden, daß die Anwendung des Art. 2 § 6 des Gesetzes über KVdR bis zur Klärung durch das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 27. August 1968 - 3 RK 24/65 - strittig gewesen sei. Bei dieser Sachlage könne sich aber bei den Beitragsschuldnern keine schutzwürdige Vertrauensbasis im Hinblick darauf entwickelt haben, zu einer späteren Zeit nicht doch noch mit Beitragsforderungen in Anspruch genommen zu werden. Es sei auch keine Verwirkung des Anspruchs der Klägerin eingetreten, da dies neben einem illoyalen Verhalten gegenüber den Beigeladenen voraussetze, daß die verspätete Verwirklichung des Rechts den Verpflichteten einen unbilligen zusätzlichen Nachteil zufüge. Beide Voraussetzungen seien jedoch im vorliegenden Fall nicht gegeben.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 2. November 1966 und das Urteil des SG Hildesheim vom 19. März 1968, soweit sie das Geschäftsjahr 1964 betreffen, sowie das Urteil des LSG Niedersachsen vom 9. Dezember 1969 aufzuheben und
die Beklagte zu verurteilen, eine Beschränkung der Grundlohnkürzung gemäß dem Urteil des BSG vom 27. August 1968 - 3 RK 24/65 - zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladene zu 1) stellt keinen Antrag.
Die Beigeladene zu 2) beantragt,
die Revision gegen das Urteil des LSG Niedersachsen vom 9. Dezember 1969 zurückzuweisen.
Sie hält ebenfalls das Urteil des LSG für zutreffend.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
II
Die Revision ist begründet.
Nach § 381 Abs. 2, § 385 Abs. 2 RVO idF, die vom 1. August 1956 bis zum Inkrafttreten des Finanzänderungsgesetzes (FinÄndG) 1967 vom 21. Dezember 1967 galt, wurden die von den Rentenversicherungsträgern zu leistenden KVdR-Beiträge nach einem um 15 v.H. gekürzten Durchschnittsgrundlohn des betreffenden Landes bemessen. Ziel dieser Regelung war, wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 27. August 1968 (SozR Nr. 2 zu Art. 2 § 6 KVdR) mit eingehender Begründung dargelegt hat, die Krankenkassen, d.h. die Gesamtheit ihrer Mitglieder, mit einer bestimmten "Interessenquote" an den Aufwendungen für die Rentner-Krankenversicherung zu beteiligen, die Beitragslast also zwischen den Trägern der Rentenversicherung und den "aktiven" Mitgliedern der Krankenkassen aufzuteilen. In den Gesetzesberatungen wurde dabei eine Quote von 8 bis 10 v.H. als angemessen angesehen und demgemäß die Kürzung des durchschnittlichen Grundlohnes auf 15 v.H. festgelegt. Da diese Regelung sich für die einzelnen Krankenkassen wegen ihrer stark voneinander abweichenden Rentneranteile wirtschaftlich sehr verschieden ausgewirkt hätte und eine gleichmäßigere Verteilung der Rentner aufgrund der KVdR erst in einigen Jahren erwartet wurde, enthielt Art. 2 § 6 KVdR eine Übergangsregelung für Krankenkassen mit besonders hohen Rentneranteilen. Nach dieser schließlich bis zum 31. Dezember 1967 geltenden Übergangsvorschrift konnte das Bundesversicherungsamt als die vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung bestimmte Stelle auf Antrag einer Krankenkasse zulassen, daß die Grundlohnkürzung für eine bestimmte Zeit ganz oder teilweise unterblieb, wenn die Zahl der pflichtversicherten Rentner mehr als ein Drittel der gesamten Mitgliederzahl betrug und die Kasse dadurch wirtschaftlich unangemessen belastet wurde. Eine Frist für einen solchen Antrag enthielt Art. 2 § 6 KVdR jedoch nicht. Ebenso wenig ist anderweitig eine Regelung über Ausschlußfristen erkennbar, die auf die Anträge nach Art. 2 § 6 KVdR Anwendung finden könnte. Das hat auch die Beklagte nicht verkannt.
Zu Unrecht meint sie jedoch, auf die Grundsätze über die Verwirkung von Rechten in diesem Fall zurückgreifen zu können. Der Rechtssatz, daß eine Treu und Glauben widersprechende Rechtsausübung mit dem Einwand der unzulässigen Rechtsausübung abgewehrt werden kann, ist zum Bestandteil der Rechtsprechung auf allen Rechtsgebieten geworden. Im öffentlichen Recht allerdings hat der Verwirkungsgedanke als Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen der besonderen Eigenart und Strenge dieses Rechtsgebiets nur zögernd und mit Einschränkungen Eingang gefunden (vgl. BSG 7, 199, 200 ff), und er ist deshalb auch nur mit diesem Vorbehalt im Verhältnis von gleichrangigen Trägern öffentlicher Aufgaben zueinander, wie hier von Krankenkassen zu Rentenversicherungsträgern, anzuwenden. Die Verwirkung unterscheidet sich vom Ausschluß von Rechten durch bloßen Zeitablauf wegen Verjährung oder Versäumung von Ausschlußfristen dadurch, daß es sich bei ihr stets um Fälle des Rechtsmißbrauchs handelt, die auf einer illoyalen Verspätung der Rechtsausübung beruhen. Das bedeutet, daß der bloße Zeitablauf den Rechtsverlust durch Verwirkung allein nicht herbeiführen kann, daß vielmehr weitere Umstände hinzutreten müssen, welche die späte Geltendmachung des Rechts mit der Wahrung von Treu und Glauben als nicht vereinbar und dem Rechtspartner gegenüber wegen des illoyalen Verhaltens des Berechtigten nicht mehr als zumutbar erscheinen lassen. Daher ist neben der Untätigkeit des Berechtigten zur Annahme einer Verwirkung weiterhin erforderlich, daß die andere Seite aus dieser Untätigkeit geschlossen haben muß, der Berechtigte werde von seinem Recht keinen Gebrauch mehr machen, und daß sie sich im Vertrauen hierauf in ihren Vorkehrungen und Maßnahmen entsprechend eingerichtet hat, d.h. ihr ein unbilliger zusätzlicher Nachteil zugefügt würde, wenn der Berechtigte nachträglich auf sein Recht zurückgreifen dürfte (BSG aaO, 201; ferner BSG 2, 284, 288 und 16, 79, 83). Die Tatsache, daß ein etwaiger Wegfall oder eine Minderung der Grundlohnkürzung in ihren Auswirkungen nicht die Beklagte, sondern letztlich die Beigeladenen treffen würde, steht dabei einer Anwendung des Verwirkungstatbestandes im Verhältnis auch zur Beklagten grundsätzlich nicht entgegen, da sie im Rahmen ihrer Entscheidungsbefugnis sämtliche rechtlichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen und zu prüfen hat, die einem Anspruch der Klägerin widersprechen könnten.
LSG, Beklagte und die Beigeladene zu 2) haben den Klageanspruch als verwirkt angesehen, weil die Zulassung einer Änderung der Grundlohnkürzung zwangsläufig zu einer rückwirkenden Beitragserhöhung und somit auch zu einer Beitragsnachforderung gegenüber den Trägern der Rentenversicherung und den Rentenantragstellern führe, dies aber aus rechtsstaatlichen Gründen nicht vertretbar sei, da die Beitragsschuldner im Jahre 1966 mit einer solchen Maßnahme nicht mehr hätten zu rechnen brauchen. Ein solches Argument könnte einiges Gewicht haben, wenn eine viele Jahre hindurch gleichförmig geübte Praxis in der Wahrnehmung einer Antragsbefugnis vorläge. Aus der Tatsache, daß die Klägerin den Antrag auf Wegfall der Grundlohnkürzung für das Geschäftsjahr 1963 bereits im April des Folgejahres gestellt hatte, konnte jedoch keineswegs auf eine feststehende Übung dieser Art geschlossen werden. Im übrigen hatte die in Art. 2 § 6 KVdR enthaltene Ausgleichsregelung zwischen den Krankenkassen und den Rentenversicherungsträgern - unabhängig vom Zeitpunkt der Antragstellung - nach ihrer rechtlichen Konstruktion in jedem Fall rückwirkenden Charakter, da ein späterer Wegfall oder eine Minderung der Grundlohnkürzung für ein bereits abgelaufenes Geschäftsjahr immer auch zu einer rückwirkenden Beitragserhöhung und zu Beitragsnachforderungen für dieses Jahr führen mußte. Die Beigeladenen hatten sich deshalb - ähnlich wie bei sonstigen Beitragsstreitigkeiten oder noch schwebenden Gerichtsverfahren - ohnehin bis zu einer definitiven Entscheidung über die Höhe der Grundlohnkürzung auf etwaige Nachentrichtungen an die Klägerin einzurichten, die dann aus den laufenden Einnahmen zu decken waren. Abgesehen von der relativ geringen Belastung, die den Beigeladenen durch eine solche Nachentrichtung von Beiträgen an die Klägerin für das Jahr 1964 entstehen würde, hatten sich die Beigeladenen mithin nicht darauf eingestellt, daß die Klägerin von ihrer. Rechten keinen Gebrauch mehr machen werde.
Dem steht nicht entgegen, daß eine nachträgliche Minderung oder ein Wegfall der Grundlohnkürzung unter Umständen zu einer rückwirkenden Beitragserhöhung für 1964 bei solchen, gemäß § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO versicherungspflichtigen Rentenantragstellern führen könnte, deren Antrag entweder überhaupt abschlägig beschieden oder denen die Rente erst von einem nach der Zustellung des positiven Rentenbescheides liegenden Zeitpunkt an gewährt worden ist. Sie nämlich hätten die Krankenversicherungsbeiträge gemäß § 381 Abs. 3 Satz 2 iVm Satz 1 RVO insgesamt oder bis zum Beginn der Rente allein zu tragen (BSG 23, 293; 27, 206, 207). Inwieweit wegen dieser Folgen aus rechtsstaatlichen Gründen Bedenken erhoben werden könnten - auch im Hinblick darauf, daß grundlohnabhängige Leistungen wie Sterbegeld (vgl. § 201 Abs. 1 Satz 2 RVO) aus bereits abgeschlossenen Versicherungsfällen neu festgesetzt werden müßten -, brauchte der Senat im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits nicht abschließend zu entscheiden, da Gegenstand des Verfahrens allein der Ausgleichsanspruch der Klägerin gegen die Beigeladenen ist. Nach alledem erweist sich der Klageanspruch nicht als verwirkt.
Für die materiell-rechtliche Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Antrag der Klägerin auf Wegfall oder Minderung der Grundlohnkürzung für das Geschäftsjahr 1964 begründet ist, hat der Senat die maßgeblichen Prüfungskriterien in seinem bereits genannten Urteil vom 27. August 1968 unter Hinweis auf den Wortlaut, den Sinnzusammenhang und die Entstehungsgeschichte des Art. 2 § 6 KVdR dahingehend präzisiert, daß der Gesetzgeber einerseits die Krankenkassen mit einem - durch Beiträge der Rentenversicherungsträger nicht gedeckten, also aus dem allgemeinen Beitragsaufkommen zu finanzierenden - Defizit von 8 bis 10 v.H. der Ausgaben für die KVdR belasten wollte, andererseits aber eine solche Belastung grundsätzlich nicht für vertretbar hielt, solange der Rentneranteil ein Drittel der Gesamtmitgliederzahl der Kasse (= ein Rentner auf zwei Nichtrentner) nicht überstieg. Das gesetzlich vorgesehene Defizit von 8 bis 10 v.H. der Ausgaben für den einzelnen versicherten Rentner sollte mithin jeweils von mindestens zwei Nichtrentnermitgliedern getragen werden; oder anders ausgedrückt: auf jeden Nichtrentner sollte höchstens die Hälfte des Defizits (4 bis 5 v.H.) entfallen. Diese Belastungsgrenze würde überschritten, wenn bei einer Krankenkasse der Fehlbetrag der KVdR 8 bis 10 v.H. (oder mehr) betrug und der Rentenanteil höher als ein Drittel war. Die Belastungsgrenze konnte jedoch auch schon dann überschritten werden, wenn zwar das Rentnerdefizit bei einer Krankenkasse die genannte Zahl von 8 bis 10 v.H. nicht erreichte, diese mindere Belastung der Krankenkassen aber durch einen Rentneranteil, der wesentlich über einem Drittel lag, ausgeglichen wurde, so daß die betreffende Kasse im wirtschaftlichen Ergebnis nicht weniger oder sogar noch stärker belastet war als eine Krankenkasse mit einem Rentnerdefizit von 8 bis 10 v.H., aber einem nur knapp über der Drittelgrenze liegenden Rentneranteil.
Wortlaut und Sinn von Art. 2 § 6 KVdR ließen es dabei - entgegen der Ansicht der Beklagten und des LSG - nicht zu, neben der auf dem Rentneranteil beruhenden wirtschaftlichen Belastung auch sonstige, die wirtschaftliche Lage einer Kasse betreffenden Umstände, wie etwa einen Überschuß der Reineinnahmen über die Reinausgaben, zu berücksichtigen. Gegenstand der Regelung war allein der Ausgleich von unangemessenen Belastungen der Krankenkassen durch einen mehr als ein Drittel der gesamten Mitgliederzahl umfassenden Rentneranteil. Nur diese Relation von Rentneranteil, Gesamtmitgliederzahl und Ausgabendefizit in der Krankenversicherung der Rentner bildete die Grundlage für die Entscheidung über einen nachträglichen Wegfall oder eine Minderung der Grundlohnkürzung, nicht aber der wirtschaftliche Gesamtstatus der Kasse am Ende des betreffenden Wirtschaftsjahres.
Entscheidende Bedeutung bei der abschließenden Anwendung dieser Prüfungskriterien kommt somit dem Zahlenmaterial über den Anteil der bei der Klägerin im Jahre 1964 versicherten Rentner an der Gesamtmitgliederzahl und über die Höhe des Ausgabendefizits in der Rentnerkrankenversicherung zu. Entsprechende Feststellungen sind vom LSG bisher nicht getroffen worden. Der Rechtsstreit war daher an das LSG zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Sollten die Ermittlungen des LSG die von der Klägerin in ihrem Antrag für 1964 genannten Zahlen - Rentneranteil 40,22 v.H., Ausgabendefizit in der KVdR 9,1 v.H. - bestätigen, so würde sich hieraus eine Belastung der Klägerin im Bereich der KVdR ergeben, die allerdings über der "Interessenquote" des § 381 Abs. 2, § 385 Abs. 2 RVO lag.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil des LSG vorbehalten.
Fundstellen