Verfahrensgang
SG Köln (Urteil vom 20.11.1989) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 20. November 1989 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der Kläger wendet sich gegen die Einstufung von Beitragsforderungen als Masseschulden durch die Beklagte.
Über den Nachlaß des am 14. April 1985 verstorbenen Immobilienkaufmanns und Steuerberaters G. K. wurde aufgrund eines im Rahmen der Nachlaßverwaltung gestellten Konkursantrages am 24. Januar 1986 das Konkursverfahren eröffnet und der Kläger zum Konkursverwalter bestellt. Mit Bescheid vom 16. Juli 1987, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 4. April 1988, teilte die Beklagte dem Kläger eine Beitragsschuld (Gesamtsozialversicherungsbeiträge, Säumniszuschläge, Mahngebühren und Vollstreckungskosten) von 280.990,05 DM für die Zeit zwischen Juli 1985 und Januar 1986 mit und forderte den Kläger zur Zahlung von 140.260,86 DM auf, bei denen es sich um Masseschulden iS des § 59 Abs 1 Nr 3 Buchst e Konkursordnung (KO) handele; 140.729,19 DM seien vom Arbeitsamt im Rahmen der Konkursausfallgeldversicherung gezahlt worden.
Das Sozialgericht (SG) hat die Träger der Renten- und der Arbeitslosenversicherung beigeladen und die (Feststellungs-) Klage als unbegründet abgewiesen (Urteil vom 20. November 1989): Die rückständigen Beiträge aus der Zeit nach dem Tod des Beitragsschuldners bis zur Eröffnung des Nachlaßkonkurses seien analog § 59 Abs 1 Nr 2 KO als Masseschulden einzustufen. Dies zeige ein Vergleich der Situation der Löhne, von denen die Sozialversicherungsbeiträge ein Teil seien, im „normalen” Konkurs einerseits und im Nachlaßkonkurs andererseits und werde durch Sinn und Zweck, Systematik und Entstehungsgeschichte der Konkursordnung bestätigt.
Der Kläger begründet die zugelassene Sprungrevision mit einer Verletzung des § 59 Abs 1 Nr 2 KO, dessen Anwendung auch durch die abschließende Regelung des § 224 KO ausgeschlossen sei. Zu Recht habe das SG entschieden, daß die fraglichen Beiträge nicht dem in § 59 Abs 1 Nr 3 KO genannten Zeitraum „vor der Eröffnung des Verfahrens oder dem Ableben des Gemeinschuldners” zuzuordnen seien.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil und den Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. April 1988 aufzuheben sowie festzustellen, daß die darin geforderten Sozialversicherungsbeiträge nicht als Masseschulden einzustufen sind.
Die Beklagte und die beigeladene Bundesanstalt für Arbeit beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten – wie die anderen Beigeladenen auch – das angefochtene Urteil im Ergebnis für richtig, verweisen aber auf die abweichende Begründung im Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 4. April 1990 – 5 AZR 288/89 – BAGE 64, 303.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision des Klägers führt zur Zurückverweisung, weil die tatsächlichen Feststellungen des SG für die abschließende Entscheidung nicht ausreichen.
Gegenstand der Klage ist der „Leistungsbescheid” der Beklagten vom 16. Juli 1987, mit dem eine Beitragsschuld des Arbeitgebers von insgesamt 280.990,05 DM einschließlich Säumniszuschlägen, Mahngebühren und Vollstrekungskosten für die Monate Juli 1985 bis Januar 1986 festgestellt, um einen vom Arbeitsamt gezahlten Betrag von 140.729,19 DM vermindert und im übrigen gegen den Kläger als Masseschuld geltend gemacht wird. Die von der Beitragsforderung betroffenen Arbeitnehmer sind im Bescheid nicht genannt. Selbst wenn dieser Bescheid entgegen seiner Überschrift, seines Aufbaues und der Tatsache, daß die Beitragsfestsetzung für einen konkreten Zeitraum ein notwendiges Element der Erklärung zur Masseschuld darstellt, in zwei Verfügungssätze – einerseits die Feststellung der Beitragsschuld, andererseits diejenige des Vorrangs im Konkurs – aufgespalten werden könnte, hält es der Senat nicht für möglich, die vom SG mitgeteilte Erklärung des Klägers, er greife die Beitragsforderung der Beklagten nicht der Höhe nach an, als ausdrückliche Beschränkung der Anfechtungsklage auf die konkursrechtliche Einstufung der streitigen Beitragsforderung auszulegen. Denn eine derartige Begrenzung eines Rechtsbehelfs – mit der Folge, daß der nicht angefochtene Teil des Bescheids bestandskräftig würde -kann nur angenommen werden, wenn am diesbezüglichen Willen des Rechtsuchenden kein Zweifel besteht; insofern ist die Situation der Rücknahme eines Rechtsbehelfs vergleichbar (vgl dazu Meyer-Ladewig, 4. Aufl, 1991, § 102 Rz 7; BSG SozR Nr 8 zu § 102 SGG; BGH NJW 1989, 170). Deshalb kann hier dahinstehen, ob eine Teilanfechtung überhaupt zulässig wäre.
Der angefochtene Beitragsbescheid läßt keinen Bezug zu den von der Beitragspflicht betroffenen Arbeitnehmern erkennen. Nach der Rechtsprechung des Senats (BSG SozR 1300 § 33 Nr 1 mwN) würde bereits dieser Umstand zur Rechtswidrigkeit und damit zum Erfolg der Klage führen – es sei denn, es lägen die Voraussetzungen für einen sogenannten „Lohnsummenbescheid” vor (dazu BSG USK 8616; BSGE 59, 235 = SozR 2200 § 1395 Nr 16; BSGE 41, 297 = SozR 2200 § 1399 Nr 4; nunmehr in § 28f Abs 2 SGB IV auch gesetzlich geregelt) – oder eine genauere Bezeichnung der versicherten Arbeitnehmer wäre aus anderen Gründen entbehrlich. Das Urteil des SG enthält keine Anhaltspunkte dafür, daß der angefochtene Bescheid als Lohnsummenbescheid rechtmäßig sein könnte, weil die betroffenen Versicherten nicht mehr ermittelt werden können oder der Arbeitgeber seiner Aufzeichnungspflicht nicht nachgekommen ist; da dem Senat diesbezügliche Tatsachenfeststellungen verwehrt sind, kann er die Frage jedoch nicht abschließend beurteilen.
Der Senat kann auch nicht entscheiden, ob aus anderen Gründen davon abgesehen werden konnte, im Bescheid auf die Versicherten ausdrücklich Bezug zu nehmen. Nach der bisherigen Rechtsprechung muß ein Beitragsbescheid trotz fehlender Bestimmtheit nicht aufgehoben werden, wenn bereits ein personenbezogener Beitragsbescheid vorliegt (BSG USK 83137) oder wenn im Verwaltungsverfahren ausreichend geklärt ist, welche Arbeitnehmer für welchen Zeitraum von der Beitragspflicht betroffen sind (BSG SozR 1500 § 75 Nr 72). In der zuletzt genannten Entscheidung hat der Senat überdies offengelassen, ob ein ausdrücklich personenbezogener Beitragsbescheid auch dann verlangt werden kann, wenn die Beitragsforderung auf Beitragsnachweisungen, Lohnlisten oder Beitragsberechnungen beruht, welche der Arbeitgeber selbst eingereicht hat (vgl dazu auch § 28f Abs 3 Satz 3 SGB IV). Dem angefochtenen Urteil ist nicht zu entnehmen, ob im vorliegenden Fall einer der geschilderten Sachverhalte oder eine ihnen rechtlich vergleichbare Variante gegeben ist. In den Verwaltungsakten der Beklagten sind (zuletzt anscheinend auf den Seiten 342 bis 344) zwar Aufstellungen der betroffenen Arbeitnehmer enthalten, aber der Zusammenhang zwischen diesen Aufstellungen und den im angefochtenen Bescheid geforderten Beträgen oder dem in § 59 Abs 1 Nr 3 und Abs 2 Satz 2 KO festgelegten Drei-Monats-Zeitraum ist nicht einmal andeutungsweise erkennbar. Erst die Feststellung dieser Zusammenhänge, die den Tatsacheninstanzen obliegt, erlaubt die Klärung, auf welche materiell-rechtliche Fragen es in dem zur Entscheidung gestellten Fall wirklich ankommt.
Von den noch zu treffenden Feststellungen hängt außerdem ab, ob die im fraglichen Zeitraum beschäftigten Arbeitnehmer notwendig beizuladen sind. Wenn die Tatsachenfeststellungen ergeben sollten, daß der angefochtene Bescheid wie eine personenbezogene Beitragsfestsetzung zu behandeln ist, sind die davon betroffenen Arbeitnehmer notwendig beizuladen, weil über den ihnen zustehenden Beitragsabführungsanspruch im Verhältnis zwischen Einzugsstelle und Arbeitgeber (bzw dem für die Abführung der Beiträge Haftenden) nur einheitlich entschieden werden kann (BSG USK 8618; SozR 1500 § 75 Nr 41). Liegt demgegenüber kein hinreichend bestimmter Bescheid vor und sind auch die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise personenunabhängige Beitragsfestsetzung nicht gegeben, dann wäre der angefochtene Bescheid schon mangels Personenbezogenheit als rechtswidrig aufzuheben; eine Beiladung der Versicherten käme nicht in Betracht. Je nach dem Ergebnis der rechtlichen Beurteilung wird außerdem zu prüfen sein, auf welcher Rechtsgrundlage die Beklagte Mahngebühren und Vollstreckungskosten erhoben und ob sie bezüglich der Säumniszuschläge das ihr in § 24 SGB IV eingeräumte Ermessen (BSGE 56, 55 = SozR 7910 § 59 Nr 15; BSG ZIP 1988, 984) erkannt und ausgeübt hat. Dabei müßte auch festgestellt werden, auf welchen Zeitraum sich die Beiträge beziehen, für welche Nebenkosten geltend gemacht werden.
Der Senat macht gemäß § 170 Abs 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von der Möglichkeit der Zurückverweisung an das zuständige Landessozialgericht Gebrauch.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen