Leitsatz (amtlich)
Zur Berechtigung der aufgrund des ZG § 19 ZHG für bestimmte Behandlungsarten zugelassenen Zahnbehandler, in bestimmten Fällen Mundschleimhautbehandlungen durchzuführen, obwohl eine Zulassung zu Mundbehandlungen nicht vorliegt.
Normenkette
ZHG §§ 4, 19
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 21. Februar 1973, soweit es den Kläger betrifft, aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der Kläger, der zur kassenzahnärztlichen Praxis beschränkt für Füllungen, Extraktionen, Wurzelbehandlungen und Zahnersatz zugelassen ist (vgl. §§ 3 und 4 des Gesetzes über die Zulassung von nach § 19 des Zahnheilkundegesetzes berechtigten Personen zur Behandlung von Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung -ZG § 19 ZHG - vom 27. April 1970 - BGBl I 415 -), wendet sich dagegen, daß seine Abrechnungen für "lokale medikamentöse Behandlung von Schleimhauterkrankungen" (Nr. 105 des Bewertungsmaßstabes für kassenzahnärztliche Leistungen - Bema -) gestrichen wurden.
Der RVO-Prüfungsausschuß der beigeladenen Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) strich diese sowie die Zahnsteinentfernungen (Nr. 107 Bema) betreffenden Abrechnungen des Klägers für das III. und IV. Quartal 1970 (Entscheidung vom 19. April 1971). Außerdem wandelte er die Ansätze für "eingehende Untersuchung zur Feststellung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten" (Nr. 01 Bema) um in die geringer honorierte "Beratung eines Kranken" (Nr. Ä1 Bema). Der Widerspruch des Klägers hatte insoweit Erfolg, als der beklagte RVO-Beschwerdeausschuß den Ansatz für Zahnsteinentfernungen zuließ (Beschluß vom 26. August 1971).
Das Sozialgericht (SG) Hamburg hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben (Urteil vom 3. Mai 1972). Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg hat auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG teilweise aufgehoben und die Abrechnungen für die Schleimhautbehandlungen nicht für berechtigt gehalten: Aufgrund der Beschränkung der dem Kläger erlaubten Tätigkeiten sei ihm die Behandlung von Mundkrankheiten und damit auch die lokale medikamentöse Behandlung von Schleimhauterkrankungen nicht gestattet. Dieses Verbot schließe auch die medikamentöse Behandlung von Prothesendruckstellen und von Erkrankungen der Mundschleimhaut im Zusammenhang mit der Beseitigung von Zahnstein ein. Zwar sei der Kläger verpflichtet, bei der Eingliederung von Zahnersatz auch für dessen guten Sitz zu sorgen. Die somit erlaubte primär physikalische Behandlung von Prothesendruckstellen sei mit der Gebühr für prothetische Versorgung abgegolten (Urteil vom 21. Februar 1973, in dem zugleich über zwei verbundene Klagen anderer Kläger - insoweit rechtskräftig geworden - entschieden worden ist).
Der Kläger hat die zugelassene Revision eingelegt und beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Berufung des Beklagten in vollem Umfang zurückzuweisen.
Da in der Vergütung für Protheseneingliederungen auch das Honorar für die - erlaubten - Druckstellenbehandlungen innerhalb von drei Monaten enthalten sei, sei es sinnwidrig, ihm vergleichbare Behandlungen außerhalb dieses Zeitraums und im Zusammenhang mit anderen erlaubten Tätigkeiten wie Zahnsteinentfernungen zu versagen.
Die Beklagte und die beigeladene KZV beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Die Druckstellenbehandlung innerhalb von drei Monaten nach prothetischen Leistungen sei nur ein Teilbereich der umstrittenen Behandlungen, für den keine Gebühr festgesetzt sei. Bei langanhaltender Druckstellenwirkung und bei anderen Mundschleimhauterkrankungen müsse aber geprüft werden, ob für eine bösartige Gewebsveränderung Anhaltspunkte bestünden. Zu einer solchen Prüfung sei ein nicht wissenschaftlich ausgebildeter Zahnbehandler wie der Kläger nicht in der Lage. Die Druckstellenbeseitigung bei älteren Prothesen könne durch den Kläger allenfalls im Wege der "Beseitigung scharfer Zahnkanten oder ähnliches" (Nr. 106 Bema) vorgenommen werden. Auch bei der Zahnsteinentfernung sei der Kläger nur auf rein mechanische Behandlungsvorgänge beschränkt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist im Sinne der Zurückverweisung begründet. Die Feststellungen des LSG reichen nicht aus, um klären zu können, ob die umstrittenen lokalen medikamentösen Behandlungen von Schleimhauterkrankungen (Nr. 105 Bema) zu den Tätigkeiten zu rechnen sind, mit denen der Kläger zu der kassenzahnärztlichen Praxis zugelassen ist.
Die angefochtenen Verwaltungsakte, die diese Frage verneinen, sind nicht schon deshalb zu beanstanden, weil sie nicht von der KZV selbst, sondern von dem Prüfungs- und dem Beschwerdeausschuß erlassen worden sind, deren Aufgabengebiet sich nach der grundsätzlichen Regelung des § 368 n Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) auf die Überwachung der Wirtschaftlichkeit der kassenzahnärztlichen Versorgung beschränkt (vgl. BSG 26, 177 = SozR Nr. 8 zu § 368 f RVO und BSG 27, 146 = SozR Nr. 16 zu § 368 n RVO). Die Festlegung des Zuständigkeitsbereichs dieser Ausschüsse ist nach § 368 n Abs. 5 RVO im weiten Umfang der Vereinbarung der Vertragspartner überlassen, wenn - wie hier - die Gesamtvergütung nach Einzelleistungen berechnet wird (vgl. BSG 26, 16, 20 = SozR Nr. 12 zu § 368 n RVO). Nach § 5 Abs. 1 der Verfahrensordnung, die als Anlage 4 zum Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) vom 2. Mai 1962 vereinbart wurde (vgl. § 22 Abs. 6 BMV-Z), überprüfen die Prüfungseinrichtungen nicht nur die Frage der Wirtschaftlichkeit der kassenzahnärztlichen Leistungen und Verordnungen, sondern u. a. auch die Frage, "ob die berechneten Leistungen nach den gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen als abrechnungsfähig anzuerkennen sind". Diese Zuständigkeitsbestimmung entspricht der Ermächtigung des § 368 n Abs. 5 RVO; denn indem diese Vorschrift neben der "Prüfung" der Leistungen auch den "Nachweis" ausdrücklich hervorhebt, wird das Interesse der Krankenkassen anerkannt, in den genannten Ausschüssen auch darüber mit zu entscheiden, ob eine Forderung überhaupt entstehen konnte.
Die Prüfung der Frage, wie weit die Zulassung des Klägers reicht, wäre dann nicht erforderlich, wenn feststünde, daß der Kläger von jeglicher Mundbehandlung - also ausnahmslos - ausgeschlossen wäre. Davon gehen aber der Beklagte und die beigeladene KZV selbst nicht aus. Entsprechend der "vereinbarten Erläuterung" zu Nr. 105 Bema räumen sie ein, daß der Kläger für die Beseitigung von Druckstellen innerhalb von drei Monaten im Anschluß an die Eingliederung oder die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit von Prothesen zusammen mit der Vergütung für die Prothetik honoriert wird. Sie bestreiten auch nicht, daß er im Einzelfall zu einer solchen Behandlung, die ihrer Art nach eine Behandlung nach Nr. 105 Bema darstellen kann, befugt ist. Es wäre auch rechtlich nicht vertretbar, den Kläger von der in der genannten Erläuterung zum Ausdruck gebrachten Regelung etwa deshalb auszunehmen, weil diese Regelung zu einer Zeit geschaffen wurde, als Zahnbehandler wie der Kläger zur kassenzahnärztlichen Praxis noch nicht zugelassen werden konnten. Schließlich besteht auch keine Möglichkeit, die beschränkt zugelassenen Zahnbehandler entgegen der Erläuterung auf physikalische oder mechanische Druckstellenbeseitigung zu beschränken, wofür eine Vergütung nach Nr. 106 Bema in Betracht kommt. Die Vertragspartner gehen nämlich bei ihrer Erläuterung zu Nr. 105 Bema offenkundig davon aus, daß auch lokale medikamentöse Behandlungen im Anschluß an die Eingliederung oder Reparatur einer Prothese unumgänglich sein können.
Die Befugnis des Klägers zu der ihm grundsätzlich verbotenen Mundbehandlung ist nicht auf die in der Erläuterung zu Nr. 105 Bema ausdrücklich geregelten Fälle zu beschränken. Diese Regelung ist nur Ausdruck der allgemeinen Erkenntnis, daß sich in einer auf bestimmte Tätigkeitsbereiche beschränkten kassenzahnärztlichen Praxis - wie auch im Rahmen einer fachärztlichen Kassenpraxis (vgl. das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil des erkennenden Senats vom 18. September 1973 - 6 RKa 14/72 -) - erlaubte und unerlaubte Tätigkeit nicht immer scharf trennen lassen. Weder der Zulassungskatalog (aufgrund von § 3 ZG § 19 ZHG), der Mundbehandlungen nicht enthält, noch § 123 RVO, der Mundbehandlungen den approbierten Zahnärzten vorbehält, verlangen, das Verbot von Mundbehandlungen als absolut zu verstehen.
Bei der Abgrenzung von erlaubtem und unerlaubtem Tätigkeitsbereich fällt entscheidend ins Gewicht, daß sich der Ausschluß von Mundbehandlungen als eine Einschränkung des Rechts auf freie Berufsausübung darstellt (vgl. BVerfG 25, 236; BSG in SozR Nr. 1 zu § 7 RVO-Kassen-Badearztvertrag vom 31. Januar 1964; das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil des Senats vom 19. Juli 1973 - 6 RKa 1/73 -). Das Verbot darf daher nicht weitergehen, als sein Zweck es gebietet, und es darf den betroffenen Personenkreis nicht unzumutbar belasten (vgl. BVerfG 30, 336, 351; BSG 23, 97, 100).
Indem das ZG § 19 ZHG den Umfang der Zulassung nicht von Befähigungsnachweisen oder -Indizien abhängig machte - was möglich gewesen wäre (vgl. BVerfG 25, 236, 254) - wird deutlich, daß dem allgemeinen Interesse daran, schwierigere, möglicherweise mit Gefahren für den Patienten verbundene Behandlungen nur besonders ausgebildeten Personen zu überlassen, kein größeres Gewicht beizumessen ist als dem beruflichen Bestandsschutz, wie er bereits in § 19 des Zahnheilkundegesetzes (ZHG) vom 31. März 1952 (BGBl I 221) Ausdruck gefunden hatte. Bei der Ermittlung des Umfangs verbotener beruflicher Betätigungen hat daher auch die an die Freiheitsvermutung des Art. 12 des Grundgesetzes gebundene Exekutive (BVerfG 12, 281, 295 f) zu beachten, daß das ZG § 19 ZHG den betroffenen Zahnbehandlern keine weitergehenden Beschränkungen auferlegt, als sie sich selbst in der Zeit der Kurierfreiheit bis zum Inkrafttreten des ZHG Privatpatienten gegenüber auferlegt hatten (vgl. §§ 3, 4 ZG § 19 ZHG). ... Nach der Lebenserfahrung ist davon auszugehen, daß auch Zahnbehandler, die keine Mundbehandlungen durchführten, sondern sich auf die vier genannten Grundbehandlungsarten beschränkten, im Einzelfall ihre Behandlung nicht unterbrachen, wenn Mundschleimhautbehandlungen in unmittelbarem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einer Grundbehandlung als Nebenleistungen von untergeordneter Bedeutung im Rahmen eines einheitlichen Behandlungsvorganges notwendig wurden.
Auch die Beschränkung der Zulassung zur kassenzahnärztlichen Tätigkeit kann mithin nicht in einem strengeren Sinn verstanden werden. Kraft seines einmal erworbenen Besitzstandes ist der Kläger berechtigt, auch bei Kassenpatienten in begrenztem Umfang Mundschleimhautbehandlungen durchzuführen, wenn sie - wie dargelegt - in einem derart engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit den ausdrücklich erlaubten Behandlungsarten stehen, daß die Unterlassung als ungerechtfertigte Unterbrechung eines einheitlichen Behandlungsvorganges erscheinen müßte. Ein derartiger Zusammenhang setzt voraus, daß die Mundschleimhautbehandlung nur als Nebenleistung gegenüber der ausdrücklich erlaubten Tätigkeit zu beurteilen ist und nicht selten anzufallen pflegt. Davon kann besonders dann keine Rede sein, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die zunächst noch unbedeutende Munderkrankung zu einer bösartigen Gewebsveränderung führen kann.
Da das LSG von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig keine Feststellungen zu der Frage getroffen hat, ob die Mundschleimhautbehandlungen, die den umstrittenen Abrechnungen zugrunde liegen, in einem Zusammenhang mit erlaubten Tätigkeiten stehen, und welcher Art dieser etwaige Zusammenhang ist, war der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten - zurückzuverweisen.
Fundstellen