Leitsatz (redaktionell)
Ruhensvorschriften als Berechnungsfaktor?
Die Ruhensvorschriften gehören nicht zu den Vorschriften über die Zusammensetzung und die Berechnung der Renten iS des ArVNG Art 2 § 42. An dieser Auffassung hält der Senat fest. Für sie spricht schon der Wortsinn des Ausdrucks "Zusammensetzung und Berechnung der Renten", der auf die betragsmäßige Ermittlung der einzelnen Rentenbestandteile und deren Zusammenfassung hindeutet.
Was für Altrentner gilt, muß erst recht für Versicherte gelten, die in der Übergangszeit vom 1957-01-01 bis zum 1961-12-31 Rentner geworden sind.
Normenkette
ArVNG Art. 2 § 42 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 22. Mai 1962 wird aufgehoben. Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 16. November 1962 wird insoweit aufgehoben, als die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 22. Mai 1962 zurückgewiesen und die Beklagte zur Erstattung außergerichtlicher Kosten verurteilt worden ist.
Die Klage wird mit der sich aus § 1278 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung in der Fassung des Art. 2 Nr. 4 des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 30. April 1963 für die Zeit vom 1. Juli 1963 an ergebenden Maßgabe abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Es ist streitig, ob die Vorschriften über das Ruhen der Renten zu den bei der Durchführung der Vergleichsberechnung nach Art. 2 § 42 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) zu berücksichtigenden "Vorschriften über die Zusammensetzung und die Berechnung der Renten" gehören.
Der Kläger bezieht von der Beklagten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Grund von Bescheiden vom 26. Juni und 20. Juli 1961. Seine Erwerbsunfähigkeit ist auf einen Arbeitsunfall zurückzuführen, dessentwegen ihm zugleich eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung gewährt wird. Die Versichertenrente ist nach den vom 1. Januar 1957 an geltenden Vorschriften berechnet; es sind auch die Ruhensvorschriften des neuen Rechts wegen des Zusammentreffens mit einer Unfallrente (§ 1278 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) angewandt. Danach ergab sich ein Rentenzahlbetrag von monatlich 35,- DM.
Mit der Klage hat der Kläger eine höhere Rente verlangt. Er hat sein Begehren damit begründet, daß bei der Durchführung der Vergleichsberechnung nach Art. 2 § 42 ArVNG die Vorschriften über das Ruhen der Renten in die Gegenüberstellung der Rentenberechnung nach altem und neuem Recht einzubeziehen seien und dann die Anwendung des alten Rechts wegen seiner günstigeren Ruhensvorschriften (§ 1274 RVO aF) für ihn eine Rente von mehr als 90,- DM monatlich ergebe.
Dem Klageantrag entsprechend hat das Sozialgericht (SG) Lübeck durch Urteil vom 22. Mai 1962 unter Änderung der angefochtenen Bescheide die Beklagte verurteilt, dem Kläger die Rente zu gewähren, die sich bei der Berechnung nach dem bis zum 31. Dezember 1956 geltenden Recht - einschließlich der Ruhensvorschriften - ergibt.
Hiergegen haben die Beklagte Berufung, der Kläger Anschlußberufung eingelegt. Der Kläger hat Zahlung eines Rentenbetrages von monatlich 119,60 DM verlangt, indem er - insoweit in Übereinstimmung mit der Beklagten - die Rente nunmehr nach neuem Recht errechnet, aber den bewilligten 35,- DM zwei nach seiner Meinung bei Anwendung der Ruhensvorschriften außer Betracht zu lassende Kinderzuschüsse von insgesamt 84,60 DM hinzurechnet.
Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 16. November 1962 beide Rechtsmittel zurückgewiesen. Es hat die Ruhensvorschriften als Vorschriften über die Zusammensetzung und Berechnung der Rente im Sinne des Art. 2 § 42 ArVNG angesehen, weil sonst der dieser Vorschrift zugrunde liegende Gedanke der Besitzstandswahrung nicht zum Zuge käme. Andererseits hat es - in Anwendung des § 1278 RVO in der damals geltenden Fassung - die Kinderzuschüsse als Rentenbestandteile in den ruhenden Rententeil einbezogen.
Die Beklagte hat - die vom LSG zugelassene - Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des Art. 2 § 42 ArVNG und vertritt zur Begründung die Auffassung, daß die Ruhensvorschriften nicht zu den Berechnungsfaktoren der Rente gehörten.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger hat keinen förmlichen Antrag gestellt. Er bezieht sich auf das angefochtene Urteil. Eine am 5. April 1963 eingelegte Anschlußrevision hat er - nach Verkündung des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) vom 30. April 1963 - am 7. Juni 1963 zurückgenommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§§ 165, 153, 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Revision ist zulässig und begründet.
Die unter den Beteiligten streitige Rechtsfrage ist, wie der Senat bereits am 29. September 1964 entschieden hat (SozR ArVNG Art. 2 § 42 Nr. 27), dahin zu beantworten, daß die Vorschriften über das Ruhen der Renten nicht zu den Vorschriften über die Zusammensetzung und die Berechnung der Renten im Sinne des Art. 2 § 42 ArVNG gehören. An dieser Auffassung hält der Senat fest. Für sie spricht schon der Wortsinn des Ausdrucks "Zusammensetzung und Berechnung der Renten", der auf die betragsmäßige Ermittlung der einzelnen Rentenbestandteile und deren Zusammenfassung hindeutet. Demgegenüber betrifft die Frage, ob eine Rente ganz oder teilweise ruht, einen Denkvorgang, der sich außerhalb der rechnerischen Ermittlung der Rente abspielt und ihm zeitlich erst folgt. Auf dieser Vorstellung beruht offensichtlich auch die systematische Anordnung der Vorschriften sowohl des mit dem 31. Dezember 1956 außer Kraft getretenen als auch des seitdem geltenden neuen Rechts. Schon im alten Recht waren die Vorschriften über die Berechnung der Renten (§§ 1268 bis 1273 RVO aF) von denen über das Ruhen der Renten (§§ 1274 ff RVO aF) deutlich voneinander getrennt. In der Neuregelung des Jahres 1957 findet sich der in Art. 2 § 42 ArVNG verwendete Begriff "Zusammensetzung und Berechnung der Renten" als Überschrift vor §§ 1253 bis 1262 RVO (betr. Renten an Versicherte) und vor §§ 1268 bis 1270 RVO (betr. Renten an Hinterbliebene). Demgegenüber ist das Ruhen der Renten (§ 1278 RVO) gesondert im Zusammenhang mit anderen gemeinsamen Vorschriften für Renten an Versicherte und für Renten an Hinterbliebene geregelt. Neben dieser Systematik des Gesetzes bestätigen Sinn und Zweck der neuen Ruhensvorschriften einschließlich der Übergangsvorschrift des Art. 2 § 23 ArVNG die vom Senat vertretene Auffassung. Durch die Neuregelung der Ruhensvorschriften im Jahre 1957 sollte verhindert werden, daß beim Zusammentreffen von Rentenansprüchen aus der Unfallversicherung und aus der Rentenversicherung das Renteneinkommen höher wird, als es das Erwerbseinkommen des Versicherten war. Von dieser Neuregelung werden auch Altrentner betroffen, deren Renten nach Art. 2 §§ 32 bis 37 ArVNG umzustellen waren; denn nach Art. 2 § 23 ArVNG ist § 1278 RVO nF für Rentenbezugszeiten nach dem Inkrafttreten des ArVNG auch auf vorher eingetretene Versicherungsfälle anzuwenden. Was aber für Altrentner gilt, muß erst recht für Versicherte gelten, die - wie der Kläger - in der Übergangszeit vom 1. Januar 1957 bis zum 31. Dezember 1961 Rentner geworden sind.
Hiernach hat die Beklagte bei der Vergleichsberechnung mit Recht ohne Berücksichtigung von Ruhensvorschriften die Rente, die dem Kläger nach dem bis zum 31. Dezember 1956 geltenden Recht zugestanden hätte, derjenigen Rente gegenübergestellt, die sich unter Anwendung des neuen Rechts ergibt. Dabei erwies sich, wie der Kläger nicht bezweifelt, die Berechnung nach neuem Recht für ihn als vorteilhafter. Die Beklagte hat auch zutreffend die Ruhensvorschriften des seit dem 1. Januar 1957 geltenden Rechts angewendet; denn der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit, aus dem sich der Rentenanspruch des Klägers herleitet, ist erst nach diesem Zeitpunkt, nämlich im Jahre 1960, eingetreten. Die Übergangsvorschriften des ArVNG sehen eine Weitergeltung der für die Versicherten günstigeren Ruhensvorschriften des alten Rechts für Versicherungsfälle aus der Zeit nach dem 31. Dezember 1956 nicht vor.
Die Beklagte hat somit die dem Kläger zustehende Versichertenrente richtig errechnet. Deshalb müssen die Urteile der Vorinstanzen, soweit sie - von einer anderen Rechtsauffassung ausgehend - der Klage stattgegeben haben, aufgehoben werden. In der die aufgehobenen Urteile ersetzenden Entscheidung ist die Klage abzuweisen, zugleich aber auch die Folgerung daraus zu ziehen, daß § 1278 Abs. 1 RVO durch Art. 2 Nr. 4 UVNG geändert worden ist. Der Kinderzuschuß der Versichertenrente ist nunmehr vom Ruhen ausgenommen. Die Neuregelung gilt auch für Versicherungsfälle, die vor dem Inkrafttreten des UVNG eingetreten sind (Art. 4 § 3 UVNG), sie bezieht sich indessen nur auf die Zeit vom 1. Juli 1963 an (Art. 4 § 16 Abs. 1 UVNG).
Die Kostenentscheidung ergeht in Anwendung des § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Fundstellen