Leitsatz (amtlich)
Einer nicht nur vorübergehend in der SBZ wohnenden Versicherten, die Versicherungszeiten in der Bundesrepublik zurückgelegt hatte, können aus Anlaß ihrer Heirat jedenfalls dann keine Beiträge von dem Versicherungsträger in der Bundesrepublik erstattet werden, wenn sie bereits zur Zeit der Antragstellung in der SBZ gewohnt hat.
Normenkette
RVO § 1303 Fassung: 1957-02-23, § 1304 Fassung: 1957-02-23, § 1317 Fassung: 1960-02-25
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 5. Juni 1962 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die aus A (Kreis E) stammende Klägerin war von 1955 bis 1959 im Ruhrgebiet versicherungspflichtig beschäftigt. Dort heiratete sie am 24. März 1959. Bald darauf verzog sie wieder in ihre mitteldeutsche Heimat. Am 25. Januar 1961 beantragte sie, ihr aus Anlaß ihrer Eheschließung die Hälfte der für sie zur Rentenversicherung der Arbeiter entrichteten Beiträge zu erstatten (§ 1304 der Reichsversicherungsordnung - RVO -).
Mit Bescheid vom 14. Juli 1961 erkannte die Beklagte einen Erstattungsanspruch in Höhe von 687,54 DM an, zahlte aber diesen Betrag nicht aus, weil nach § 1317 RVO die Leistung an einen Deutschen ruhe, solange er sich außerhalb des Geltungsbereichs der RVO aufhalte.
Auf die Klage hin hat das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen die Beklagte am 5. Juni 1962 verurteilt, der Klägerin den anerkannten Betrag auszuzahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, § 1317 RVO stehe der Auszahlung nicht entgegen; die Vorschrift beziehe sich nur auf Rentenleistungen nicht aber auf Beitragserstattungen.
Das SG hat die Berufung zugelassen.
Die Beklagte hat unter Vorlegung einer Einwilligungserklärung der Klägerin Sprungrevision eingelegt und diese wie folgt begründet: Die §§ 1315 ff RVO, also auch § 1317 seien - wie sich aus der Überschrift ("Zahlung von Leistungen") ergebe und wie vor allem § 1316 RVO ("Die Bundesregierung kann durch Rechtsverordnung ... das Ruhen der Leistung ... ausschließen") erkennen lasse - auf alle in § 1235 RVO angeführten Regelleistungen anzuwenden, somit auch auf Beitragserstattungen. Dies werde dadurch bestätigt, daß schon die Vorläufer jener Vorschriften - § 1 Abs. 4, §§ 8 und 9 des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes (FAG) vom 7. August 1953 - alle Ansprüche auf Leistungen, nicht nur die Rentenansprüche, behandelt hätten. Wende man aber § 1317 RVO auf Beitragserstattungen an, so ergebe sich, daß eine Erstattung in die sowjetisch besetzte Zone (SBZ) nicht zulässig sei. Die Rechtfertigung hierfür ergebe sich aus dem Grundsatz, daß aus einem Gesetz in der Regel nur die in seinem Geltungsbereich wohnenden Personen Rechte herleiten könnten, und ferner daraus, daß die Gegenseitigkeit mit der SBZ nicht verbürgt sei.
Die Beklagte beantragt,
unter Änderung des Urteils des SG Gelsenkirchen vom 5. Juni 1962 die Klage abzuweisen.
Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht durch einen vor dem Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten.
Die Sprungrevision ist nach § 161 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig; sie ist auch begründet.
Der Anspruch der Klägerin auf Beitragserstattung aus Anlaß ihrer Eheschließung (§ 1304 RVO) ist nach den zur Zeit der Antragstellung - Januar 1961 - geltenden Vorschriften zu beurteilen, also nach dem Unterabschnitt D des Zweiten Abschnitts des Vierten Buches der RVO (§§ 1315 ff) in der Fassung des mit Wirkung vom 1. Januar 1959 in Kraft getretenen Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) vom 25. Februar 1960. Nach seiner Überschrift betrifft der Unterabschnitt D die "Zahlung von Leistungen bei Aufenthalt außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes". Demgegenüber behandeln die einzelnen Vorschriften - abgesehen von dem zum Erlaß einer Rechtsverordnung ermächtigenden § 1316 - nur die Zahlung von "Renten"; für sie gilt der - durch Ausnahmen unterbrochene - Grundsatz, daß sie ruhen, solange der Berechtigte sich nicht nur vorübergehend außerhalb des Geltungsbereichs des Gesetzes (GdG) aufhält. Hieraus hat das SG gefolgert, daß nur Rentenansprüche, nicht aber sonstige Regelleistungen der Rentenversicherung Einschränkungen unterworfen seien. Dieser Schluß ist im Hinblick auf die - im folgenden noch näher zu erörternde - Rechtsprechung der Nachkriegszeit über die Gewährung von Leistungen beim Aufenthalt außerhalb des GdG vor allem beim Aufenthalt in der SBZ, und auf die Tatsache, daß das FANG die vorher in der RVO und im FAG verstreuten Vorschriften in erster Linie zusammengefaßt und einheitlich als Ruhenstatbestände gestaltet, nicht aber das frühere Recht grundlegend geändert hat (vgl. amtl. Begründung zum Regierungsentwurf des FANG, Bundestagsdrucksache 1109, 3. Wahlperiode), nicht gerechtfertigt. Die Regelung ist vielmehr dahin zu verstehen, daß beim Aufenthalt außerhalb des GdG und beim Fehlen zwischenstaatlicher Abkommen Leistungen nur dann zu gewähren sind wenn das Gesetz dies ausdrücklich festlegt. Solche ausdrücklichen Regelungen gibt es aber nur für Renten, nicht dagegen für sonstige Regelleistungen wie zB Beitragserstattungen, Rentenabfindungen und Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit. Dementsprechend hat das BSG vor und nach dem Erlaß des FANG in Fällen, in denen Ansprüche nach der RVO an sich begründet gewesen wären, wegen des dauernden Aufenthalts der Berechtigten in der SBZ für diese Zeit die geforderten Leistungen versagt (vgl. BSG 3, 286; 5, 60; 11, 271; 17, 144; 5 RKn 110/63 vom 17.11.1964). Diese Entscheidungen beruhen auf dem Wohnsitzgrundsatz. Sie betreffen zwar - abgesehen von dem Urteil vom 17. November 1964 - Rentenansprüche, lassen aber erkennen, daß sie sich darüber hinaus allgemeine Bedeutung beilegen. Hiermit steht im Einklang, daß auch nach den durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30. April 1963 neugefaßten Ruhensvorschriften in der Unfallversicherung der Aufenthalt außerhalb des GdG Ansprüche nicht nur auf Renten, sondern auch auf sonstige Leistungen beeinträchtigt (§ 625 RVO nF). Der Entwurf eines Gesetzes zur Beseitigung von Härten in den gesetzlichen Rentenversicherungen (Deutscher Bundestag, 4. Wahlperiode, Drucksache IV/2572) sieht zwar in Art. 1 § 1 Nr. 19 - in Änderung der gegenwärtigen Rechtslage - Beitragserstattungen nach § 1304 RVO bei einem Aufenthalt im Ausland vor, will aber auch künftig Beitragserstattungen nicht allgemein bei jedem Aufenthalt außerhalb des GdG zulassen.
Somit ist der Klageanspruch, weil für Beitragserstattungen außerhalb des GdG keine Regelung im Gesetz besteht, unbegründet. Dabei ist es unerheblich, ob die Klägerin nach ihrer Rückkehr in die Heimat versicherungspflichtig beschäftigt war und ob ihr nach dem dortigen Sozialversicherungsrecht ein Anspruch auf Beitragserstattung aus Anlaß ihrer Eheschließung zusteht.
Die Auffassung des erkennenden Senats steht im Ergebnis im Einklang mit dem - in der Begründung verschiedene Wege gehenden - Schrifttum (vgl. Jantz/Zweng/Eicher, Das neue Fremdrenten- und Auslandsrentenrecht, 2. Aufl. S. 141; Haensel/Lippert, Handkommentar zum Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz S. 473 ff; Hoernigk/Jorks, Rentenversicherung S. 179 b, 180; Ludwig, DVZ 1960, 290, 292; Compter, SGb 1961, 68 und - unter Berufung auf ihn - Kommentar zur Reichsversicherungsordnung, Viertes und Fünftes Buch, herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, § 1315 Vorbem. 3).
Hiernach muß das angefochtene Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung ergeht in Anwendung des § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Fundstellen