Leitsatz (amtlich)
Die Aussicht (Chance) eines Rentenberechtigten auf einen Zuschuß gemäß RVO § 1307 Abs 1 zu den Kosten seiner Anstaltsunterbringung ist nicht vererblich.
Leitsatz (redaktionell)
Zusätzliche Leistungen, deren Gewährung in das freie Ermessen des Versicherungsträgers gestellt ist, sind in der Regel erst vererblich, wenn der Versicherungsträger sein Ermessen bewilligt hat und sich insoweit durch Verfestigung ein Vermögenswert gebildet hat.
Normenkette
BGB § 1922 Fassung: 1896-08-18; RVO § 1307 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. Mai 1964 aufgehoben. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 7. November 1960 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Kläger als Rechtsnachfolger der am 16. Juni 1963 während des Berufungsverfahrens gestorbenen Rentnerin M R (R.) gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zuschüsse zu den Kosten der Anstaltsunterbringung (§ 1307 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) der R. haben.
R. war wegen Schizophrenie von 1948 bis zu ihrem Tode in dem Landeskrankenhaus J in S untergebracht. Sie bezog von der Beklagten seit 1957 Versichertenrente, die aber zur Deckung der Unterbringungskosten an das Sozialamt der Stadt M gezahlt wurde. Am 1. September 1958 beantragte der Pfleger der R. bei der Beklagten, die nach § 1307 Abs. 1 RVO Mittel der Versicherung für Zuschüsse an ihre Rentenberechtigten zu den Kosten der Unterbringung in einem Altersheim oder einer ähnlichen Anstalt und für Taschengeld zur Befriedigung ihrer persönlichen Bedürfnisse während der Unterbringung aufwendet (§ 74 Abs. 1 - § 84 aF - der "Grundsätze" der Beklagten, veröffentlicht in "Amtliche Mitteilung der LVA R" 1960 S. 99, 110), Zuschüsse zu den Kosten der Anstaltunterbringung der R. zu gewähren. Die Beklagte lehnte dies ab, da sie mit Rücksicht auf die Krankheit der R. für die Gewährung von Zuschüssen zu den Kosten der Heilanstaltsunterbringung nicht zuständig sei (Bescheid vom 17. Juli 1959). Widerspruch und Klage des Pflegers der Klägerin blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 30. November 1959; Urteil des Sozialgerichts - SG - vom 7. November 1960). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Beklagte verurteilt, den Antrag vom 1. September 1958 erneut zu bescheiden (Urteil vom 20. Mai 1964). Es hat die Kläger als Erben der R. für aktiv legitimiert gehalten und hat angenommen, R. sei mit Zustimmung ihres Pflegers in dem Landeskrankenhaus J untergebracht gewesen, das eine "ähnliche" Anstalt im Sinne des § 1307 Abs. 1 RVO und der einschlägigen "Grundsätze" der Beklagten sei. Daher habe die Beklagte die beantragten Zuschüsse nicht mit der Begründung verweigern dürfen, sie gewähre nach den §§ 77, 84 (§§ 87, 94 aF) ihrer "Grundsätze" nur solchen Rentnern Zuschüsse, die von Bezirksfürsorgeverbänden untergebracht worden seien. Wenn sie Rentner, die wie die R. von Landesfürsorgeverbänden bzw. von überörtlichen Sozialhilfeträgern untergebracht worden seien, von einer Zuschußgewährung ausschließe, so mißachte sie das nicht nur für Sozialhilfeleistungen, sondern uneingeschränkt geltende Subsidiaritätsprinzip und den Gleichheitsgrundsatz.
Die Beklagte rügt mit der vom LSG zugelassenen Revision unrichtige Anwendung des § 1307 RVO und unzulässige Einengung ihrer Regelungsbefugnis und ihres Ermessens bei der Gewährung von zusätzlichen freiwilligen Leistungen aus der Rentenversicherung. Entgegen der Ansicht des LSG habe sie im Rahmen ihres Ermessens gehandelt und zu Recht Zuschüsse zur Unterbringung der R. wegen Geisteskrankheit im Landeskrankenhaus versagt. In ständiger Verwaltungsübung habe sie es bisher abgelehnt, bei bestimmten nicht altersbedingten Gebrechen, wie z. B. Taubstummheit, Geisteskrankheit und Geistesschwäche, Zuschüsse zur Anstaltsunterbringung zu leisten, und ferner Zuschüsse nur zur Unterbringung von Rentnern in solchen Anstalten gewährt, die Altersheimen vergleichbar seien. Da erfahrungsgemäß die medizinische Prüfung, ob es sich um ein altersbedingtes Leiden handele, im Einzelfall schwieriger sei als die Feststellung des Charakters der Pflegeanstalt als eines Altersheimes oder einer ähnlichen Anstalt, habe sie die Art der Anstalt als zusätzliches Unterscheidungsmerkmal in ihre Verwaltungsübung aufgenommen. Soweit es sich um Anstalten der Sozialhilfeträger handele, sei die Unterscheidung dadurch erleichtert, daß Altersheime und ähnliche Anstalten regelmäßig von den Trägern der örtlichen Sozialhilfe und die sonstigen Pflegeanstalten von den überörtlichen Trägern der Sozialhilfe getragen werden. Mit dieser Verwaltungsübung habe sie weder gegen das Prinzip der Subsidiarität von Sozialhilfeleistungen noch gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 20. Mai 1964 aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen das Urteil des SG Düsseldorf vom 7. November 1960 zurückzuweisen.
Die Kläger sind nicht vertreten.
Die Beigeladene beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
II
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Das LSG ist bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, daß das Berufungsverfahren durch den Tod der R. unterbrochen war und das unterbrochene Verfahren durch den Nachlaßpfleger für die Erben rechtswirksam aufgenommen werden konnte (§ 68 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - in Verbindung mit §§ 239, 250 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Dabei hat es in dem Begehren der R., die Beklagte möge ihr Zuschüsse zu den Kosten ihrer Anstaltsunterbringung aus den Mitteln der Versicherung zahlen (§ 1307 Abs. 1 RVO in Verbindung mit § 74 Abs. 1 - § 84 aF - der "Grundsätze" der Beklagten), eine "vermögensbezogene, rechtlich geschützte Position" erblickt und diese ebenso wie "andere geldwerte Güter" für vererblich erklärt.
Dieser Rechtsansicht des Vorderrichters ist der Senat jedoch nicht gefolgt. Da die jetzigen Kläger als Erben der R. das Verfahren fortzusetzen wünschten, war zu prüfen, ob die Gesamtrechtsnachfolge der Erben (§ 1922 BGB) sich auch auf das ursprünglich von der R. mit der Klage verfolgte Begehren erstreckt. Das Berufungsgericht konnte die Vorschrift des § 1288 Abs. 2 RVO, die einige von dem allgemeinen Erbrecht abweichende und dieses verdrängende Bezugsberechtigungen aufstellt (BSG 15, 157, 158 f.), beiseite lassen, da sie jedenfalls deshalb unanwendbar ist, weil wegen der langjährigen Anstaltsunterbringung der R. keine der in der Vorschrift als bezugsberechtigt genannten Personen mit ihr zur Zeit ihres Todes in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat oder von ihr wesentlich unterhalten worden ist. Ob und in welchem Umfang Ansprüche, Anwartschaften, Rechtsverkehrslagen oder ähnliche Rechtspositionen, die dem öffentlichen Recht angehören, vererblich sind, bestimmt sich zwar in erster Linie nach öffentlich-rechtlichen Grundsätzen und nicht nach bürgerlichem Recht, jedoch ist beim Fehlen öffentlich-rechtlicher ausdrücklicher Vorschriften der Rechtsgedanke des § 1922 BGB auf öffentlich-rechtliche Ansprüche entsprechend anwendbar. Deshalb sind öffentlich-rechtliche Leistungsansprüche, Anwartschaften und dergleichen, sofern sie nicht als höchstpersönliche mit dem Tode des Berechtigten erlöschen, dem vererblichen Vermögen zuzuzählen, falls sie bereits dem Erblasser als eine hinreichend verfestigte Rechtsposition zustanden.
Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, stand der R. kein Rechtsanspruch darauf zu, daß die Beklagte ihr Zuschüsse zu den Kosten ihrer Anstaltsunterbringung leistete, da es nach § 1307 Abs. 1 RVO im Ermessen des Rentenversicherungsträgers steht, ob und wie er Mittel der Versicherung aufwendet, um Rentenberechtigte mit ihrer Zustimmung in einem Altersheim, einem Kinderheim oder einer ähnlichen Anstalt unterzubringen. Ihrer Natur nach war also die gemäß § 1307 Abs. 1 RVO erstrebte Leistung eine Ermessensleistung. Der R. war allein die Möglichkeit eröffnet, eine vermögensrechtliche, in das Ermessen der Beklagten gestellte Leistung zu erhalten. Mehr als eine gesetzlich eröffnete Aussicht (Chance) auf eine an die Ausübung pflichtgemäßen Ermessens gebundene Gewährung von Zuschüssen zu ihrer Anstaltsunterbringung hatte sie jedoch nicht.
In Fällen einer derartigen gesetzlich eröffneten bloßen Aussicht auf eine an die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens gebundene Gewährung einer Leistung gilt die Regel, daß eine solche gesetzlich eröffnete Aussicht (Chance) rechtlich nicht einem Rechtsanspruch auf eine öffentlich-rechtliche Leistung gleichzusetzen ist. Es ist nämlich durchaus möglich, daß die Verwaltung, obschon sämtliche Voraussetzungen für die verlangte Zuschußgewährung erfüllt sind, ihr Ermessen ordnungsmäßig dahin ausübt, daß sie diese Leistung - z. B. aus Mangel an Mitteln - gleichwohl versagt. Erst wenn der angegangene Versicherungsträger dem Erblasser in einer Ermessensentscheidung die so gestaltete Kann-Leistung zuerkannt hat, der Leistungsträger sich also schon in dieser Weise selbst gebunden hat, hat der Antragsteller eine Rechtsstellung erlangt, die soweit verfestigt ist, daß sie auf die Erben übergeht. (Vgl. zum Vorstehenden die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Oktober 1961 - MDR 1962, 242 - und vom 6. Juli 1965 - MDR 1965, 1020 -, denen der Senat im wesentlichen gefolgt ist.)
Über das von den Erben der R. weiterverfolgte Begehren auf Gewährung von Zuschüssen zu den Kosten der Anstaltsunterbringung der R. hatte die Beklagte nicht in dem Sinn entschieden, daß sie die Zuschüsse bewilligt hatte, als die R. starb. Die mit dem Begehren verbundene Aussicht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Beklagten hatte sich daher im Zeitpunkt des Todes der R. noch nicht verfestigt. Die erwähnte, der R. eröffnete Aussicht auf eine an die Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens gebundene Zuschußgewährung ging mit ihrem Tod unter und fiel daher nicht den Erben zu. Damit steht den Klägern kein Anspruch auf Aufhebung des angefochtenen Bescheides und auf eine neue Bescheiderteilung zu. Auf die Revision der Beklagten mußte daher das angefochtene Urteil aufgehoben und die Berufung gegen das Urteil des SG zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen