Entscheidungsstichwort (Thema)
Gebührenanspruch einer freiberuflich tätigen Hebamme
Leitsatz (amtlich)
Eine freiberuflich tätige Hebamme hat auch dann Anspruch gegen die KK auf Zahlung der gesetzlichen Gebühren, wenn sie von einer Krankenanstalt anstelle der - zeitweilig nicht verfügbaren - festangestellten Hebamme ("Anstaltshebamme") hinzugezogen wird (Ergänzung zu BSG 1959-10-23 3 RK 53/56 = BSGE 10, 260).
Leitsatz (redaktionell)
1. Zieht ein Krankenhaus eine freiberuflich tätige Hebamme bei einer Anstaltsentbindung hinzu, dann wird die Hilfe bei der Entbindung in freiberuflicher Tätigkeit erbracht; der Umstand, daß die Hebamme anstelle einer zeitweilig verhinderten Anstaltshebamme eingesetzt wird, nimmt ihrer Tätigkeit nicht den freiberuflichen Charakter.
2. Der Gebührenanspruch der freiberuflich tätigen Hebamme richtet sich unmittelbar gegen die Krankenkasse; diese ist nicht berechtigt, die ihr obliegende Zahlungspflicht dadurch auf das Krankenhaus zu übertragen, daß die Krankenanstalt verpflichtet wird, die Hebammenhilfe auf eigene Rechnung gegen Zahlung eines entsprechend erhöhten Pflegesatzes bereitzustellen.
Normenkette
RVO § 376a Fassung: 1954-01-04; HebGebV Fassung: 1960-12-27
Tenor
Die Sprungrevision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 25. März 1968 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin - freiberuflich tätige Hebamme - leistete am 6. Dezember 1966 auf Veranlassung des St. J-Hospitals in B (künftig: Krankenanstalt) in dessen Räumen Hilfe bei der Entbindung der Frau Karin B (B.). Sie begehrt von der beklagten Krankenkasse, die für Frau B. Familienwochenhilfe (§ 205 a der Reichsversicherungsordnung - RVO - aF) zu gewähren hatte, Zahlung der gesetzlichen Gebühren gemäß § 376 a RVO i. V. m. §§ 1 Buchst. a (Pauschalsatz B) und 5 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung über die von den Krankenkassen den freiberuflich tätigen Hebammen für Hebammenhilfe zu zahlenden Gebühren i. d. F. vom 27. Dezember 1966 - HebGVO - (BAnz 1966 Nr. 243).
Die Beklagte verweigert die Zahlung: Die Krankenanstalt sei ihr gegenüber vertraglich verpflichtet, bei stationärer Behandlung und Wöchnerinnenheimpflege Hebammenhilfe bereitzustellen. Als "Erfüllungsgehilfin" der Krankenanstalt habe die Klägerin insoweit nur gegen diese Anspruch auf Vergütung.
Demgegenüber beruft sich die Klägerin auf eine mündliche Vereinbarung mit der Krankenanstalt, nach der sie dort in der Zeit vom 15. Oktober bis 31. Dezember 1966 wegen des Ausfalls festangestellter Hebammen ("Anstaltshebammen") freiberuflich Entbindungen vorgenommen hat.
Ausgehend von dieser Vereinbarung hat das Sozialgericht (SG) der Klage stattgegeben: Auch wenn die Krankenanstalt die Sicherstellung der Hebammenhilfe vertraglich übernommen habe, könne eine solche Regelung nicht in den gesetzlichen Anspruch eines unbeteiligten Dritten, nämlich der Hebamme, eingreifen (Urteil vom 25. März 1968, in dem die Berufung zugelassen ist).
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte mit Einverständnis der Klägerin Sprungrevision eingelegt. Sie ist der Auffassung, ein Anspruch aus § 376 a RVO bestehe nur bei Vorliegen eines Dienstvertrages zwischen der Wöchnerin und der Hebamme. Dies ergebe sich aus Absatz 2 der genannten Vorschrift, wonach die Hebamme nicht berechtigt sei, weitergehende Ansprüche an die Wöchnerin zu stellen. Zwischen Frau B. und der Klägerin sei kein Dienstvertrag zustandegekommen. Frau B. habe sich nämlich in ein Krankenhaus begeben, das über den Dienstposten einer Anstaltshebamme verfüge. Nach einem Vertrag, den die Arbeitsgemeinschaft der RVO-Kassen für den südlichen Teil des Regierungsbezirks Köln mit dem Zweckverband freier gemeinnütziger Krankenanstalten und Wohlfahrtseinrichtungen in Bonn geschlossen habe, sei die Krankenanstalt verpflichtet, Hebammenhilfe durch die Anstaltshebamme zu gewähren. Diese Leistung werde - wie auch im vorliegenden Fall geschehen - mit dem "großen" Pflegesatz abgegolten. Erfülle die Krankenanstalt die genannte Verpflichtung im Einzelfall mit Hilfe einer freipraktizierenden Hebamme, so werde diese nur als Erfüllungsgehilfin der Anstalt tätig. Nicht aber dürfe und wolle die Krankenanstalt in diesem Fall einen Dienstvertrag zu Lasten der Wöchnerin vermitteln.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Köln vom 25. März 1968 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II.
Die Sprungrevision der beklagten Krankenkasse ist unbegründet. Das SG hat sie mit Recht verurteilt, der Klägerin gemäß § 376 a RVO i. V. m. §§ 1 Buchst. a (Pauschalsatz B: Anstaltsentbindung) und 5 Abs. 1 Buchst. b (Wegepauschale) HebGVO 100,50 DM für die Hilfe bei der Entbindung der Frau B. zu zahlen.
Die Voraussetzungen, von denen der Gebührenanspruch der Klägerin nach den genannten Bestimmungen abhängt, sind erfüllt. Insbesondere hat die Klägerin die Hilfe in freiberuflicher Tätigkeit geleistet, wie es die Überschrift der HebGVO ausdrücklich fordert. Das SG hat unangefochten festgestellt, daß sie zur Zeit der Hilfeleistung nicht in einem Dienstverhältnis als "Anstaltshebamme" - mit vertraglichem Vergütungsanspruch gegen die Krankenanstalt - gestanden hat, sondern in der Anstalt vereinbarungsgemäß freiberuflich - d. h. unbeschadet des gesetzlichen Gebührenanspruchs - tätig geworden ist.
§ 376 a RVO stellt nicht - wie die Beklagte meint - auch eine ungeschriebene Voraussetzung des Inhalts auf, daß die Hebamme im Einzelfall "an sich" einen durch Dienstvertrag (§§ 611 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) begründeten Vergütungsanspruch gegen die Wöchnerin hat, für dessen Erfüllung die Krankenkasse gleichsam schuldbefreiend eintritt. Ein solcher - fiktiver - Anspruch der Hebamme gegen die Wöchnerin wird, wenn nicht aus Dienstvertrag, so doch nach den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff BGB) ohnehin regelmäßig gegeben sein (vgl. insbesondere § 679 BGB i. V. m. § 3 Abs. 1 des Hebammengesetzes - HebG - vom 21. Dezember 1938, BGBl I 1893). Wie der Senat im übrigen bereits ausgesprochen hat, begründet allein die Tatsache, daß die Hebamme in einem Fall Hilfe geleistet hat, in dem die Krankenkasse nach § 195 a oder § 205 a RVO aF (jetzt §§ 195, 196 oder 205 a RVO idF des Finanzänderungsgesetzes vom 21. Dezember 1967, BGBl I 1259) Wochen-(Mutterschafts-)hilfe zu gewähren hat, kraft Gesetzes ihren Anspruch gegen die Krankenkasse auf die Gebühren (BSG 10, 260, 262). Ob und welche vertraglichen Beziehungen daneben zwischen Wöchnerin und Hebamme bestehen, ist nach der Fassung sowie nach Sinn und Zweck des § 376 a RVO, der - auf Anfordern stets zum Einsatz verpflichteten (§ 2 Abs. 1 HebG) - Hebamme eine feste, nur an die Tatsache der Hilfeleistung gebundene Vergütung zu sichern, keine für diesen gesetzlichen Anspruch erhebliche Vorfrage (vgl. BGHZ 31, 24, 28 f und die dort angeführten Gesetzesmaterialien; BGH, Urteil vom 28. Februar 1961 - VII ZR 174/59 -, KVRS 6800/6; LSG Rheinland-Pfalz, BKK 1961, 538; Schumacher, Hebammen und Krankenkassen, 6. Aufl., S. 16; aA LSG Niedersachsen, Breithaupt 1960, 12, 13). Auch § 376 a Abs. 2 Satz 2 RVO, wonach die Hebamme nicht berechtigt ist, weitergehende Ansprüche an die Wöchnerin zu stellen, spricht insoweit nicht für die Auffassung der Beklagten. Diese Vorschrift stellt lediglich klar, daß sich die Vergütung der Hebamme ausschließlich nach der gesetzlichen Gebührenregelung vollzieht; sie macht keine Aussage über die Art des Rechtsgrundes, der sonst für "weitergehende Ansprüche" der Hebamme in Betracht käme, geschweige denn besagt sie, daß der gesetzliche Anspruch auf die Hebammengebühren den (wirksamen) Abschluß eines Dienstvertrages zwischen Wöchnerin und Hebamme voraussetzt.
Gemäß § 376 a Abs. 2 Satz 1 RVO richtet sich der Gebührenanspruch der Hebamme stets nur und unmittelbar gegen die Krankenkasse. Diese ist nicht berechtigt, die ihr obliegende gesetzliche Zahlungspflicht auf andere Stellen zu übertragen. Insbesondere kann das nicht im Wege einer Vereinbarung geschehen, die die Krankenanstalt verpflichtet, die Hebammenhilfe auf eigene Rechnung gegen Zahlung des entsprechend erhöhten ("großen") Pflegesatzes bereitzustellen. Eine solche Vereinbarung vermag den Gebührenanspruch einer - an dem Vertragswerk unbeteiligten - freiberuflich tätigen Hebamme schon nach allgemeinen Grundsätzen nicht zu berühren. Davon abgesehen behandelt die RVO den Gebührenanspruch der Hebamme gegenüber der Krankenkasse als einen "für beide Teile verbindlich" geregelten, d. h. der rechtsgeschäftlichen Disposition entzogenen Anspruch (§ 376 a Abs. 1 RVO). Um so weniger kann die Krankenkasse mit einem Dritten, nämlich der Krankenanstalt, wirksame vertragliche Abreden über diesen Anspruch treffen (vgl. KG, Urteil vom 9. Juni 1932, DK 1932, 1124; Erlaß des Reichsministers des Innern vom 27. Juli 1942 - IV d 900/42 - 3720). Entgegen der Auffassung der Beklagten macht es dabei keinen Unterschied, ob die Hebamme die Hilfeleistung, zu der sie - gleich auf wessen Veranlassung - gesetzlich verpflichtet ist, in einer Krankenanstalt mit oder ohne den Dienstposten einer Anstaltshebamme erbringt. Der Umstand allein, daß sie - wie hier die Klägerin - anstelle einer zeitweilig verhinderten oder ausgeschiedenen Anstaltshebamme hinzugezogen wird, nimmt ihrer Tätigkeit nicht den freiberuflichen Charakter. Wenn sie in solchen Fällen die Verrichtungen ausführt, die regelmäßig der Anstaltshebamme zufallen, beruht das nur auf faktischer Zwangsläufigkeit. Es ist deshalb zumindest mißverständlich, hier von einer "Vertretung" der Anstaltshebamme durch die freiberuflich tätige zu sprechen; rechtliche Schlußfolgerungen - wie etwa die, daß der freiberuflich tätigen Hebamme jeweils vorübergehend die Rechte und Pflichten einer Anstaltshebamme zuwachsen - können aus dieser bildhaften Umschreibung nicht abgeleitet werden (im Ergebnis ebenso SG Kassel, DHZ 1970, 60, 61; SG Detmold, DHZ 1970, 198, 199; von der Bach, Das Krankenkassen-Gebührenrecht der Hebamme, 2. Aufl., S. 17 f; ders., DHZ 1966, 187; aA LSG Niedersachsen, aaO S. 14 f; Schumacher, aaO, S. 18 f).
In keinem erheblichen Zusammenhang mit dem Gebührenanspruch steht schließlich die Frage, inwieweit sich die Krankenanstalt der Hebamme als "Erfüllungsgehilfin" (§ 278 BGB) bedient, um ihren Verpflichtungen (Gewährleistung der Hebammenhilfe) gegenüber Wöchnerin und Krankenkasse nachzukommen. Diese Frage hat nur haftungsrechtliche Bedeutung; sie wird akut, wenn es darum geht, ob die Krankenanstalt für ein schuldhaftes Verhalten der Hebamme, insbesondere der Wöchnerin gegenüber, einzustehen hat. Eine solche Haftung wäre im übrigen kein Indiz für rechtliche Sonderbeziehungen - z. B. ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis - zwischen Hebamme und Krankenanstalt (vgl. BGHZ 50, 32, 35; Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 29. Aufl., § 278 Anm. 3).
Da sich die Rechtsauffassung des SG hiernach als im Ergebnis zutreffend erweist, muß die Sprungrevision der Beklagten zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
Haufe-Index 1669047 |
BSGE, 222 |