Leitsatz (amtlich)
Die Rentenberechnung ist stets dann nach VuVO § 4 vom 1960-03-03 (BGBl 1 1960, 137) durchzuführen, wenn die Zahl oder die Klasse der entrichteten Beiträge bzw die Höhe des Arbeitsentgelts des Versicherten für die nach den Anlagen 1 bzw 2 zu RVO § 1255 maßgebenden Zeiträume nicht nachzuweisen sind.
Für den Nachweis dieser Tatsachen gibt es keine Beschränkung auf bestimmte Beweismittelarten.
Die Kenntnis des Tariflohnes des Versicherten genügt für diesen Nachweis nicht, wenn nicht außerdem bekannt ist, wieviele Stunden der Versicherte in diesen Zeiträumen gearbeitet hat.
Die nach VuVO § 3 vom 1960-03-03 als Beitragszeit anzuerkennenden 5/6 der glaubhaft gemachten Beitragszeit können nicht als nachgewiesen im Sinne des § 4 aaO angesehen werden.
Normenkette
VuVO § 3 Fassung: 1960-03-03, § 4 Fassung: 1960-03-03; RVO § 1255 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 19. Dezember 1960 und das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 4. Januar 1960 aufgehoben, soweit über den Anspruch für die Zeit nach dem 31. Dezember 1958 entschieden worden ist. Insoweit wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin 1/5 der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der ... 1901 in R geborene und während des Laufes des Revisionsverfahrens verstorbene Versicherte Heinrich V war von Beruf Schriftsetzer. Im Jahre 1922 trat er in den Dienst der Firma A. F. J. in K. ein; von 1924 bis zum 10. Mai 1945 wurde er als Setzer und Aufsichtsführer der Abteilung Akzidenz beschäftigt. Von Juni 1945 bis zum Februar 1957 war er als Setzer bei der Firma H. M. Söhne in R. tätig.
Er beantragte am 19. Juni 1957 bei der Beklagten die Gewährung der Versichertenrente. An Versicherungsunterlagen sind die Quittungskarten Nr. 1 bis 4 vorhanden, die jedoch nur über die Beitragsleistungen für die Zeit vom 15. Juni 1945 bis zum 8. Februar 1957 Auskunft geben. Auf der Quittungskarte Nr. 1, die am 12. Februar 1945 ausgestellt wurde, ist vermerkt, daß die vorhergehenden Quittungskarten sowie sämtliche Aufrechnungsbescheinigungen durch Feindeinwirkungen vernichtet sind. Der Versicherte gab zu dem Verbleib seiner letzten Quittungskarte aus der Zeit vor Mai 1945 an, daß diese ihm von seinem damaligen Arbeitgeber nicht mehr hätte ausgehändigt werden können, da sie durch Kriegseinwirkungen verlorengegangen sei. Nach seiner Erinnerung habe diese Karte die Nr. 24 oder 25 getragen. Bei der Beklagten sind die Versicherungsunterlagen, soweit sie die Zeit vor dem 10. Mai 1945 betreffen, ebenfalls durch Kriegseinwirkung vernichtet.
Die Beklagte holte Auskünfte bei ehemaligen Arbeitskollegen des Versicherten über dessen Beschäftigungs- und Versicherungsverhältnisse ein. Sie gewährte dem Versicherten sodann mit Bescheid vom 7. Juni 1958 die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit; sie setzte diese, beginnend mit dem 1. Juni 1957, einschließlich eines Kindergeldzuschusses für ein Kind auf monatlich DM 234,50 fest. Der Rentenberechnung wurden für die Zeit von 1924 bis Mai 1945 die Tabellenwerte für Facharbeiter aus der Anlage 2 zur 1. Durchführungsverordnung (DVO) zum Fremd- und Auslandsrentengesetz (FRG) als Jahresarbeitsentgelt zugrunde gelegt.
Gegen diesen Bescheid hat der Versicherte am 4. Juli 1958 Klage erhoben, mit der er sich gegen die Berechnung der Rente wendet. Er hat die Auffassung vertreten, daß die Anwendung der erwähnten Tabelle zur Ermittlung seines Arbeitseinkommens nicht zulässig sei, da er ständig in Schleswig-Holstein gewohnt habe und somit nicht zu dem Personenkreis gehöre, der von dem FRG erfaßt werde. Er hat dem Gericht drei Erklärungen ehemaliger Arbeitskollegen und eine Bescheinigung der Industriegewerkschaft Druck und Papier über die Tariflöhne der Facharbeiter im graphischen Gewerbe für die Orte mit der Ortsklasse I eingereicht; damit sei sein früheres Versicherungsverhältnis in genügender Weise glaubhaft gemacht. Für eine Anwendung der Tabellenwerte des FRG sei daher kein Raum.
Der Versicherte hat beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, den Rentenbescheid vom 7. Juni 1958 in der Weise abzuändern, daß für die Zeit von 1924 bis zum 10. Mai 1945 der jeweilige Jahresarbeitsverdienst nach dem wöchentlichen Tariflohn für Facharbeiter im graphischen Gewerbe in Orten der Ortsklasse I mit einem Aufschlag von 20 % zugrunde gelegt wird.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, die vom Versicherten vorgelegten Bescheinigungen seien nicht geeignet, als Grundlage für die Rentenberechnung zu dienen. Nach den im Rentenverfahren geltenden Beweisgrundsätzen könne nur mit Originalunterlagen oder Verdienstbescheinigungen, die auf Grund von Originalunterlagen erstellt seien, der Beweis über die wirkliche Höhe des Arbeitseinkommens geführt werden. Da solche Unterlagen für die Zeit vor 1945 nicht vorlägen, habe diese Zeit nach der FRG-Tabelle abgegolten werden müssen.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte durch Urteil vom 4. Januar 1960 für verpflichtet erklärt, dem Versicherten einen neuen Bescheid zu erteilen, in welchem der Berechnung der Rente für die Zeit vom Januar 1924 bis zum 10. Mai 1945 der jeweils um 10 % erhöhte Tariflohn für Facharbeiter im graphischen Gewerbe in Orten mit der Ortsklasse I zugrunde zu legen ist.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt. Sie meint, daß nur dann, wenn der Versicherte die abgeführten Beiträge nachweise, diese in voller Höhe bei der Berechnung der Versichertenrente angerechnet werden könnten. Einen solchen Nachweis habe der Versicherte aber nicht erbracht. Er habe die streitige Versicherungszeit nur glaubhaft gemacht.
Die Beklagte hat nach Erlaß der Verordnung zu § 1256 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) betreffend die Feststellung von Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung bei verlorenen, zerstörten, unbrauchbar gewordenen oder nicht erreichbaren Versicherungsunterlagen vom 3. März 1960 (BGBl I 137) die Rente des Versicherten mit Bescheid vom 23. Juni 1960 für die Zeit vom 1. Januar 1959 an neu festgestellt. Danach erhält der Versicherte nunmehr eine Rente in Höhe von monatlich DM 275,70. Die Beklagte ist der Ansicht, daß die Berechnung der Rente nach dieser Verordnung selbst dann stattfinden müsse, wenn zwar die Beitragshöhe, nicht aber die Beitragszeit als nachgewiesen angesehen werde.
Der Versicherte meint, daß seine Rente auch nach der Rechtsverordnung vom 3. März 1960 fehlerhaft berechnet worden sei, da er Zahl und Höhe der Versicherungsbeiträge voll nachgewiesen habe.
Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 19. Dezember 1960 unter Abänderung des Urteils des SG vom 4. Januar 1960 und des Bescheides der Beklagten vom 23. Juni 1960 diese verurteilt, die Rente des Versicherten für die Zeit vom 1. Januar 1959 an neu zu berechnen, davon ausgehend, daß in der Zeit vom 1. Januar 1924 bis zum 10. Mai 1945 Beiträge nach einem 15 % über Tarif liegendem Wochenlohn, und zwar jeweils von 5/6 eines jeden Jahres, entrichtet worden sind. Im übrigen hat das LSG die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen; es hat die Revision zugelassen.
Das LSG ist der Ansicht, daß die in dem Bescheid vom 7. Juni 1958 erfolgte Rentenberechnung für die Zeit bis zum 31. Dezember 1958 nicht zu beanstanden sei. Die Beklagte habe zur Abgeltung der vom Versicherten vor dem 10. Mai 1945 geleisteten Beiträge zur Arbeiterrentenversicherung die Tabellensätze der Anlage 2 zur 1. DVO zum FRG zugrundelegen dürfen. Die Berufung habe daher Erfolg gehabt, als sie sich gegen die vom SG insoweit vorgenommene Neuberechnung der Rentenleistung richte.
Dagegen sei die Rente des Versicherten durch den Ergänzungsbescheid vom 23. Juni 1960, der gemäß § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Verbindung mit § 153 Abs. 1 SGG Gegenstand dieses Verfahrens geworden ist, nicht zutreffend berechnet worden. Diese Rentenberechnung beruhe auf der Verordnung über die Feststellung von Leistungen aus den gesetzlichen Rentenversicherungen bei verlorenen, zerstörten, unbrauchbar gewordenen oder nicht erreichbaren Versicherungsunterlagen vom 3. März 1960 (BGBl I 137 f). Entgegen der Auffassung der Beklagten unterscheide diese Verordnung im Falle des Fehlens von Versicherungsunterlagen, ob die Beitragszeit (§ 3 der Verordnung - VO -) oder die Beitragshöhe (§ 4 der VO) nicht feststehe. Für jeden dieser Zweifelspunkte erfolge eine gesonderte Regelung. Während nach § 3 für das einzelne Jahr nicht nachgewiesene Beitragszeiten 5/6 als Beitragszeit angerechnet würden, seien nach § 4 für die Ermittlung der maßgebenden Bemessungsgrundlage bei nicht nachgewiesener Beitragshöhe die Tabellenwerte der Anlagen der Verordnung zu verwenden. Diese der Systematik des Gesetzes zu entnehmende Differenzierung der Grundlagen der Rentenberechnung habe zur Folge, daß eine Pauschalrechnung nur insoweit stattzufinden habe, als der volle Nachweis der für den Rentenanspruch maßgebenden Tatsachen nicht erbracht werden könne. Gelinge daher dem Versicherten der Nachweis der Beitragshöhe, nicht aber der der Beitragszeit, dann greife hinsichtlich der Beitragszeit die Regelung des § 3 aaO ein. Hinsichtlich der Beitragshöhe, die nachgewiesen sei, finde dagegen eine Schätzung nach den Tabellenwerten der Anlage nicht statt. Im umgekehrten Fall, bei nachgewiesener Beitragszeit, aber nicht feststehender bzw. nur glaubhaft gemachter Beitragshöhe entfalle eine Kürzung der Beitragszeit um 1/6. Dann seien aber zur Ermittlung der maßgebenden Bemessungsgrundlage die Tabellenwerte der Anlage zur VO zu § 4 zu verwenden.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei die Höhe der vom Versicherten erbrachten Beitragsleistungen erwiesen. Über den Tariflohn für Facharbeiter im graphischen Gewerbe mit der Ortsklasse I hinaus habe der Versicherte mit ausreichender Sicherheit noch einen Zuschlag von 15 % erhalten. Es bestehe kein Zweifel, daß der Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge für seine Arbeitnehmer nach der Höhe der jeweiligen Löhne richtig berechnet und abgeführt habe.
Somit errechne sich die für den Versicherten maßgebende persönliche Rentenbemessungsgrundlage nicht nach § 4 dieser VO, sondern nach dem von ihm voll nachgewiesenen Arbeitsentgelt (§§ 1253 ff RVO). Dagegen müsse der Versicherte gemäß § 3 aaO, da hinsichtlich der Beitragszeiten der volle Nachweis nicht erbracht werden konnte, eine Kürzung der Beitragszeit um 1/6 in Kauf nehmen.
Gegen dieses ihr am 13. März 1961 zugestellte Urteil hat die Beklagte durch Schriftsatz vom 10. April 1961, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 11. April 1961, Revision eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 5. Mai 1961, eingegangen am 9. Mai 1961, begründet.
Das LSG habe sie verurteilt, der Rente des Versicherten einen jeweils um 15 % über dem Tarif liegenden Lohn zugrunde zu legen, während das SG sie lediglich verurteilt habe, von einem um 10 % erhöhten Wochenlohn auszugehen. Die Verurteilung durch das LSG gehe also in ihrem Umfange über den Urteilsspruch des SG hinaus. Da der Versicherte ein Rechtsmittel gegen das erstinstanzliche Urteil nicht eingelegt habe, verletze das Urteil des LSG die Grundsätze über das Verbot der reformatio in peius.
Dem LSG sei zuzustimmen, wenn es davon ausgehe, daß der Versicherte die von ihm behaupteten Beschäftigungszeiten lediglich glaubhaft gemacht und nicht nachgewiesen habe und daß er sich daher gemäß § 3 der VO eine Kürzung dieser Zeiten um 1/6 gefallen lassen müsse.
Dem LSG könne aber nicht darin gefolgt werden, daß die Höhe des von dem Versicherten bezogenen Entgelts im Sinne des § 4 der VO nachgewiesen sei und daß daher eine Abgeltung mit den Tabellenwerten nicht in Betracht kommen könne. Es sei nicht möglich, eine Beitragsleistung nur als glaubhaft gemacht, hingegen die Höhe des Entgelts als nachgewiesen anzusehen. Der Begriff des Entgelts sei notwendig zeitbezogen. Es gebe keinen Entgelt schlechthin, sondern nur einen Entgelt in einem bestimmten Zeitraum. Arbeitsunterbrechungen durch Krankheit, unbezahlten Urlaub, Arbeitslosigkeit oder ähnliche Umstände führten zu einer Änderung der Höhe des Lohnes und zu geringeren Sozialversicherungsbeiträgen. Ließen sich, wie im Falle des Versicherten, die Zeiten der Arbeitsunterbrechung nicht feststellen und müßte daher eine Kürzung der Beschäftigungszeiten stattfinden, so folge daraus notwendig, daß auch die Höhe des Entgeltes nicht festgestellt werden könne. Sei dies aber nicht der Fall, so müsse eine Abgeltung des Arbeitsverdienstes nach § 4 der VO stattfinden.
Sie beantragt,
das Urteil des LSG vom 19. Dezember 1960 sowie das Urteil des SG vom 4. Januar 1960 aufzuheben, soweit diese die Zeit nach dem 31. Dezember 1958 betreffen, und die Klage insoweit abzuweisen.
Die Klägerin, welche das durch den Tod ihres Ehemannes, des Versicherten, unterbrochene Verfahren fortsetzt, beantragt,
die Revision zurückzuweisen und der Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens aufzuerlegen.
Soweit die Beklagte rüge, daß das Urteil auf einer Verletzung der Grundsätze über das Verbot der reformatio in peius beruhe, könne ihr nicht gefolgt werden. Das Berufungsgericht habe vielmehr dem Berufungsantrag der Beklagten vollständig und richtig entsprochen. Soweit es die Beklagte verurteilt habe, die Rente des Versicherten mit einem neuen Bescheid für die Zeit vom 1. Januar 1959 an neu zu errechnen und dabei einen jeweils um 15 % über dem Tarif liegenden Lohn zugrunde zu legen, beruhe die Entscheidung ausdrücklich auf dem Ergänzungsbescheid der Beklagten vom 23. Juni 1960, der gemäß § 96 SGG in Verbindung mit § 153 Abs. 1 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden sei. Über diesen Ergänzungsbescheid vom 23. Juni 1960 habe das Berufungsgericht entscheiden dürfen und müssen.
Aber auch die §§ 3 und 4 der VO zu § 1256 Abs. 3 RVO seien im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten vom Berufungsgericht zutreffend ausgelegt und angewandt worden. Sie hält daher das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Ehefrau des Versicherten, die mit ihm bis zu seinem Tode in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat, war befugt, das unterbrochene Verfahren aufzunehmen.
Die zulässige Revision hatte Erfolg. Die Klage wurde - unter entsprechender Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen - insoweit zurückgewiesen, als sie die Zeit nach dem 31. Dezember 1958 betrifft, d. h. soweit Revision eingelegt worden ist.
Ob das Berufungsgericht, wie die Beklagte meint, gegen das Verbot der reformatio in peius verstoßen hat, bedurfte keiner Entscheidung, da die Revision schon aus anderen Gründen Erfolg hatte.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat die Beklagte durch ihren Bescheid vom 23. Juni 1960, der nach § 96 in Verbindung mit § 153 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden ist, die Rente für den allein noch streitigen Zeitraum zutreffend berechnet. Diese Berechnung richtet sich für die Zeit nach dem 31. Dezember 1958 nach der Verordnung über die Feststellung von Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung bei verlorenen, zerstörten, unbrauchbar gewordenen oder nicht anrechenbaren Versicherungsunterlagen vom 3. März 1960 (BGBl I 137), wie auch die Klägerin nicht bezweifelt. Denn bei der Beklagten sind alle Versicherungsunterlagen, die den Geburtsjahrgang 1916 und die älteren Geburtsjahrgänge betreffen, vernichtet (vgl. Aufstellung im Anhang 2 zur VO von 1960). Da der Versicherte im Jahre 1901 geboren ist, gehören seine Unterlagen zu dem vernichteten Teil der Versicherungsunterlagen der Beklagten. Zudem ist die vor 1945 zuletzt ausgestellte Beitragskarte bei dem Arbeitgeber des Versicherten verloren gegangen und es sind die vorhergehenden Aufrechnungsbescheinigungen bei dem Versicherten in Verlust geraten. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 und 2 aaO sind erfüllt.
Es genügt daher für die Feststellung der rechtserheblichen Tatsachen, zu deren Nachweis die Versicherungsunterlagen dienen, daß diese glaubhaft gemacht sind; eines Nachweises bedarf es also insoweit ausnahmsweise nicht. Rechtserhebliche Tatsachen, die für die Berechnung der Rente erforderlich sind, sind für Zeiten, für die Beiträge nach Lohn- oder Beitragsklassen zu entrichten sind, die Zahl und die Klasse der entrichteten Beiträge und für Zeiten, für die Beiträge im Lohnabzugsverfahren zu entrichten sind, die Höhe des Arbeitsentgelts. Diese Tatsachen sind die Grundlagen für die Berechnung der Rente, für die u. a. die persönliche Rentenbemessungsgrundlage bekannt sein muß. Diese ist nach § 1255 RVO in Verbindung mit den Anlagen 1 und 2 zu dieser Vorschrift zu berechnen. Für Zeiten, für die Beiträge nach Lohn- oder Beitragsklassen zu entrichten sind, wird bis einschließlich des Jahres 1955 nach Anlage 1 zu § 1255 RVO die für die dort aufgeführten Zeiträume jeweils entrichtete Anzahl von Beiträgen jeder einzelnen Klasse mit den für diese einzelnen Zeiträume angegebenen Werten vervielfältigt und für Zeiten, für die Beiträge im Lohnabzugsverfahren entrichtet sind, wird bis einschließlich des Jahres 1955 für jedes Kalenderjahr der in der Versicherungskarte eingetragene Arbeitsentgelt, soweit er der Beitragsbemessung zugrunde lag, im Vomhundertsatz des in der Tabelle der Anlage 2 für dieses Kalenderjahr angegebenen durchschnittlichen Bruttojahresarbeitsentgelts aller Versicherten ausgedrückt.
Es muß daher im vorliegenden Fall für die Zeit vor dem 29. Juni 1942 die Zahl und die Klasse der Beiträge, die in den in der Tabelle der Anlage 1 aufgeführten Zeiträumen entrichtet sind, bekannt sein, um die Berechnung der Rente nach neuem Recht durchführen zu können, und für die anschließende Zeit bis zum Jahre 1945 muß für jedes Kalenderjahr die Höhe des Arbeitsentgelts bekannt sein. Nur wenn diese Tatsachen nachgewiesen sind, konnte eine Individualberechnung durchgeführt werden, andernfalls mußte die Rente nach § 4 der VO von 1960 berechnet werden. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hat die Beklagte die Rente des Versicherten zu Recht nach § 4 aaO berechnet. Denn nicht alle diese für die Rentenberechnung erforderlichen Tatsachen sind nachgewiesen. Wenn auch entgegen der Ansicht der Beklagten dieser Nachweis nicht nur durch Versicherungsunterlagen geführt werden kann - da aus dem Gesetz keine derartigen Beschränkungen ersichtlich sind -, sondern alle Beweismittelarten zulässig sind, so kann doch die Kenntnis der während der maßgebenden Zeiträume der Anlage 1 bzw. der Kalenderjahre der Anlage 2 gültigen Tariflöhne, selbst wenn sie stets dieselbe Höhe gehabt haben, der erforderliche Nachweis nicht als erbracht angesehen werden, wenn nicht außerdem feststeht, wieviele Stunden der Versicherte während dieser Zeiträume bzw. während dieser Kalenderjahre gearbeitet hat. Dies aber ist im vorliegenden Fall nicht bekannt und läßt sich auch nicht mehr feststellen. Denn es ist nicht mehr nachzuweisen, welche Zeiten der Arbeitslosigkeit, der Kurzarbeit, der Überarbeit, des unbezahlten Urlaubs, der Krankheit und des Streiks in diese Zeiträume fallen. Ohne deren genaue Kenntnis aber läßt sich die Rente nicht berechnen. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts geht es nicht an, für den nicht zu führenden Nachweis dieser Fehlzeiten auf § 3 der VO von 1960 zurückzugreifen und anzunehmen, es seien für eine Zeit von je 5/6 der einzelnen Kalenderjahre, für welche die Entrichtung von Beiträgen glaubhaft gemacht sei, nachgewiesenermaßen Beiträge entrichtet worden.
Denn bei dieser Zeit von je 5/6 der einzelnen Kalenderjahre handelt es sich nicht um nachgewiesene Beitragszeiten, sondern nur um eine gesetzlich vorgeschriebene pauschale Anrechnung von Beitragszeiten, die unter Berücksichtigung von üblichen Fehlzeiten berechnet sind. Diese Zeiten sind aber keine nachgewiesenen Beitragszeiten für den Einzelfall; die Rentenberechnung nach § 4 aaO kann daher nicht ausgeschlossen werden. Das angefochtene Urteil und das Urteil des SG mußten somit, soweit die Zeit nach dem 31. Dezember 1958 betroffen ist, aufgehoben und die Klage insoweit abgewiesen werden.
Da die von der Beklagten auf Grund der Verordnung von 1960 festgesetzte Rente etwas höher war als die von ihr ursprünglich festgesetzte Rente, hatte die Klägerin mit ihrer Klage immerhin einen kleinen Erfolg, so daß die Beklagte zu verurteilen war, ihr 1/5 der außergerichtlichen Kosten des gesamten Rechtsstreits zu erstatten.
Fundstellen
Haufe-Index 2375230 |
BSGE, 275 |