Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit der Revision bei fortwirkendem Verfahrensverstoß. angemessene Frist für Beitragsnachentrichtung. Bereiterklärung zur Beitragsentrichtung. Vorliegen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
Leitsatz (amtlich)
Zur Bestimmung der "angemessenen Frist" iS RVO § 1419 Abs 2 in Fällen der Beitragsnachentrichtung nach ArVNG Art 2 § 51a Abs 2 (Fortführung von BSG 1979-09-13 12 RK 47/78 = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 29).
Orientierungssatz
1. Bei einer zulässigen Revision hat das Revisionsgericht auch ohne ausdrückliche Rüge eines Beteiligten vor der eigentlichen Sachentscheidung von Amts wegen nachzuprüfen, ob das Verfahren der Vorinstanzen einen in der Revisionsinstanz fortwirkenden Verstoß gegen verfahrensrechtliche Grundsätze aufweist, welche im öffentlichen Interesse zu beachten sind und einer Entscheidung der Vordergerichte in der Sache selbst entgegengestanden haben. Zu diesen unverzichtbaren Prozeßvoraussetzungen gehört die Zulässigkeit der Klage (vgl BSG 1981-12-09 1 RJ 104/80 = BSGE 53, 8, 9 und insoweit speziell das Rechtsschutzbedürfnis als zwingende Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Klage (vgl BSG 1979-12-11 7 RAr 10/79 = BSGE 49, 197, 198).
2. Die Angemessenheit einer Frist ist rückschauend vom Zeitpunkt der Beitragszahlung aus entsprechend den näheren Umständen des Einzelfalles und unter Berücksichtigung der speziellen Verhältnisse des Beitragspflichtigen zu beurteilen. Angemessen ist eine Frist, innerhalb derer dem Beitragspflichtigen in einem Bescheid des Rentenversicherungsträgers die Nachentrichtung der Beiträge gestattet worden ist (vgl BSG 1981-03-12 11 RA 4/80 = BSGE 51, 230, 232).
3. In dem Antrag auf Nachentrichtung von Beiträgen gemäß Art 2 § 49a AnVNG (= Art 2 § 51a ArVNG) liegt eine Bereiterklärung zur Beitragsentrichtung im Sinne des § 1419 Abs 2 RVO (Anschluß an BSG 1979-09-13 12 RK 47/78 = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 29 S 45).
4. Das richterrechtliche Institut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ist für den Fall entwickelt worden, daß der Versicherungsträger eine ihm gegenüber dem Versicherten obliegende Nebenpflicht aus dem Versicherungsverhältnis insbesondere zur Auskunft und Beratung verletzt und dadurch dem Versicherten ein sozialrechtlicher Schaden zugefügt wird.
5. Der Versicherungsträger muß sich bei Vornahme der Amtshandlung im Rahmen von Gesetz und Recht halten; eine dem widersprechende Amtshandlung kann im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht begehrt werden (vgl BSG 1981-09-23 11 RA 78/80 = BSGE 52, 145, 147).
Normenkette
RVO § 1419 Abs 2 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art 2 § 51a Abs 2 Fassung: 1972-10-16; SGG § 53 Fassung: 1953-09-03; RVO § 1419 Abs 1 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 06.11.1981; Aktenzeichen L 6 J 191/81) |
SG Speyer (Entscheidung vom 12.05.1981; Aktenzeichen S 11 J 758/79) |
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung einer höheren Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU-Rente) unter Berücksichtigung nachentrichteter Beiträge.
Die zuletzt arbeiterrentenversicherungspflichtig beschäftigte Klägerin beantragte mit einem am 31. Dezember 1975 bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) eingegangenen Schreiben die Nachentrichtung von Beiträgen und die Einräumung einer Teilzahlung von fünf Jahren. Den ihr Anfang März 1976 von der BfA übermittelten Formularantrag gab sie am 9. Dezember 1977 zurück und beantragte darin die Nachentrichtung von Beiträgen der Klasse 400 für die Jahre 1958 (drei Monate), die Jahre 1959 bis 1961 (je sechs Monate) und die Zeit von März 1969 bis Dezember 1973 (zusammen 58 Monate). Nach Abgabe des Antrages an die Beklagte im Februar 1978 ließ diese durch Bescheid vom 6. Februar 1979 die Nachentrichtung freiwilliger Beiträge antragsgemäß zu. Die Klägerin zahlte den Nachentrichtungsbetrag von 5.688,-- DM Anfang November 1981.
Bereits vorher hatte ihr die Beklagte auf den Antrag vom 21. Juni 1978 wegen eines an diesem Tage eingetretenen Versicherungsfalls mit Bescheid vom 10. November 1978 für die Zeit ab 1. Juli 1978 EU-Rente bewilligt. Bei deren Berechnung blieben die Zeiten, für welche die Klägerin die Nachentrichtung von Beiträgen beantragt hatte, unberücksichtigt. Hierzu vertrat die Beklagte in einem Zusatz des Nachentrichtungsbescheides vom 6. Februar 1979 die Ansicht, die Beiträge könnten für die derzeitige EU-Rente nicht berücksichtigt werden. Den deswegen erhobenen Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 10. November 1978 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. November 1979 zurück.
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Speyer die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 10. November 1978 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 1979 verurteilt, die Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen gemäß dem Antrag vom 5. Dezember 1977 zuzulassen und bei der EU-Rente zu berücksichtigen (Urteil vom 12. Mai 1981). Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 6. November 1981) und zur Begründung ausgeführt:
Das SG habe die Beklagte zutreffend verurteilt. Die Klägerin sei zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge in dem von ihr spezifizierten Umfang für die Zeit bis Ende 1973 berechtigt gewesen. Zwar sei nach der grundsätzlichen Regelung des § 1419 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) die Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach Eintritt ua des Versicherungsfalls der Erwerbsunfähigkeit für Zeiten vorher nicht statthaft. Indes seien die besonderen Voraussetzungen des § 1419 Abs 2 RVO, daß sich der Versicherte vor Eintritt des Versicherungsfalls gegenüber einer zuständigen Stelle zur Entrichtung von Beiträgen bereit erklärt habe und die Beiträge in einer angemessenen Frist geleistet würden, erfüllt. Die Klägerin habe sich bereits erhebliche Zeit vor Eintritt des Versicherungsfalls mit ihrem bei der BfA am 31. Dezember 1975 eingegangenen Nachentrichtungsantrag und dessen Konkretisierung durch den am 9. Dezember 1977 eingegangenen Formularantrag zur Beitragsentrichtung bereit erklärt. Hierzu sei weder eine Bereitstellung der Beiträge noch eine Erklärung über den Zahlungsmodus erforderlich. Ausreichend sei die unstreitig erfolgte erkennbare Bekundung des Willens zur Nachentrichtung konkret bestimmbarer Beiträge. Hinsichtlich des weiteren Erfordernisses der tatsächlichen Beitragsleistung in angemessener Frist sei der Klägerin nicht vorwerfbar, daß sie mit ihrer Bereiterklärung eine Teilzahlung beantragt und die freiwilligen Beiträge tatsächlich erst gegenwärtig nachentrichtet habe. Aufgrund des Teilzahlungsantrages könne nicht davon ausgegangen werden, daß die Klägerin die für die Zahlung erforderliche angemessene Frist nicht einhalte, zumal sie nach ihrem überzeugenden Vorbringen schon nach ihrem Antrag vom Dezember 1977 und vor allem nach Erteilung des Anerkennungsbescheides vom 6. Februar 1979 zur kurzfristigen Einzahlung des gesamten Nachentrichtungsbetrages von lediglich 5.688,--. DM in der Lage gewesen sei. Außerdem komme eine längere Nachfrist dann in Frage, wenn dem Versicherten die Nachentrichtung nicht zuzumuten sei, bevor irgendwelche Ungewißheiten geklärt seien. Das sei hier angesichts der Weigerung der Beklagten, die Nachentrichtungsbeiträge bereits für die ab Juli 1978 gezahlte EU-Rente zu berücksichtigen, der Fall. Der Teilzahlungsantrag der Klägerin stehe einer Leistung in angemessener Frist entsprechend § 1419 Abs 2 RVO auch deshalb nicht entgegen, weil der Versicherungsträger grundsätzlich die Frist für die Beitragsentrichtung durch Verwaltungsakt in den Grenzen eines Fünfjahreszeitraums festlegen könne. Im übrigen habe die Klägerin den Teilzahlungsantrag lediglich mit Rücksicht auf die Beratung durch einen Sachbearbeiter der BfA gestellt, obgleich sie ihn im Hinblick auf die relativ geringe Nachentrichtungssumme angesichts ihrer finanziellen Situation überhaupt nicht hätte zu stellen brauchen. Verweise der Versicherungsträger in diesem Fall nicht auf die möglichen Nachteile im Hinblick auf die Nichtberücksichtigung zwischenzeitlich eintretender Versicherungsfälle, so verletze er die ihm gegenüber dem Versicherten obliegende sachgerechte Aufklärungs- und Beratungspflicht. Verweigere er sodann die Berücksichtigung der nachzuentrichtenden Beiträge bei der nunmehr gewährten Rente, so verstoße er gegen Treu und Glauben und sei im Wege des Herstellungsanspruchs nicht nur zur Entgegennahme der nachträglich zu entrichtenden Beiträge, sondern auch zu deren Berücksichtigung im Falle des späteren Eintritts des Versicherungsfalls verpflichtet. Die Verpflichtung der Beklagten zur Berücksichtigung der nachzuentrichtenden Beiträge bereits bei der EU-Rente der Klägerin stelle keine Risikoverschiebung zum Nachteil der Versichertengemeinschaft und zum Vorteil des Beitragszahlers dar. Im Zeitpunkt der Antragstellung spätestens Anfang Dezember 1977 sei der Eintritt des Versicherungsfalls noch nicht vorhersehbar gewesen. Es gehe zu Lasten der Beklagten, wenn sie durch die lange Dauer der Bearbeitung des Antrages den zwischenzeitlichen Eintritt eines Versicherungsfalles riskiere. Die Klägerin ihrerseits habe alles in ihrer Macht Liegende getan, um eine Berücksichtigung der nachzuentrichtenden Beiträge bei Eintritt eines Versicherungsfalles zu erreichen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 1419 Abs 2 RVO und hilfsweise des § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Einer "Bereiterklärung" im Sinne des § 1419 Abs 2 RVO stehe entgegen, daß die Klägerin ihren Nachentrichtungsantrag nach Art 2 § 51a Abs 3 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) mit einem Antrag auf Teilzahlung verbunden habe. Eine Fiktion wie in § 1419 Abs 2 RVO sei in Art 2 § 51a Abs 3 ArVNG nicht enthalten und auch nicht notwendig, weil § 1419 RVO in seiner Gesamtheit grundsätzlich auch für die Sondernachentrichtungen gelte. Die für Teilzahlungen in Art 2 § 51a Abs 3 ArVNG vorgesehene Fünfjahresfrist sei keine "angemessene Frist" im Sinne des § 1419 Abs 2 RVO. Sie bestimme lediglich den zeitlichen Rahmen für eine wirksame Beitragsnachentrichtung und habe keine darüber hinausgehende Wirkung, weil anders als von § 1418 RVO eine Abweichung von § 1419 RVO in Art 2 § 51a Abs 3 ArVNG nicht erwähnt sei. Die Auffassung des LSG führe zu der vom Gesetzgeber nicht gewollten Rechtsfolge, daß jede Ratenzahlung als in angemessener Frist nach Abgabe der Bereiterklärung angesehen und bei bereits laufenden Renten nach jedem Eingang einer Zahlung die Rente für Zeiten vom Eintritt des Versicherungsfalls neu berechnet werden müsse. Soweit das LSG seine Entscheidung auch unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs als gerechtfertigt angesehen habe, hätte es sich nicht mit dem Vortrag der Klägerin begnügen dürfen, sondern bezüglich ihrer Behauptungen, ihr sei seitens der BfA ein Ratenzahlungsantrag empfohlen worden und sie wäre zur Zahlung der geringen Nachentrichtungsbeiträge in einem Betrag durchaus in der Lage gewesen, angesichts der Zweifel an der Richtigkeit dieser Behauptungen den Sachverhalt weiter aufklären müssen.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. November 1981 und des Sozialgerichts Speyer vom 12. Mai 1981 aufzuheben und die Klage abzuweisen; hilfsweise: Das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. November 1981 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Urteile für zutreffend und ist der Ansicht, sie habe die Beiträge, deren Zahlung in einem Betrag ihr nach ihren wirtschaftlichen Verhältnissen auch früher möglich gewesen wäre, binnen angemessener Frist geleistet. Die Stellung eines Ratenzahlungsantrages sei ihr von einem Fachmann der Rentenversicherung empfohlen worden.
Entscheidungsgründe
Die durch Zulassung statthafte Revision der Beklagten ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und zur Abweisung der Klage.
Die Revision der Beklagten erweist sich allein aus verfahrensrechtlichen Gründen insoweit als begründet, als das SG sie verurteilt hat, die Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen gemäß Antrag vom 5. Dezember 1977 zuzulassen, und das LSG auch in diesem Umfange die Berufung der Beklagten zurückgewiesen hat. Diese Entscheidungen sind rechtsfehlerhaft. Die Vordergerichte hätten die Klage auf Zulassung zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge als unzulässig abweisen müssen. Für eine solche Klage fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.
Allerdings hat die Beklagte mit der Revision eine entsprechende Rüge nicht erhoben. Dessen bedarf es jedoch nicht. Bei einer zulässigen Revision hat das Revisionsgericht auch ohne ausdrückliche Rüge eines Beteiligten vor der eigentlichen Sachentscheidung von Amts wegen nachzuprüfen, ob das Verfahren der Vorinstanzen einen in der Revisionsinstanz fortwirkenden Verstoß gegen verfahrensrechtliche Grundsätze aufweist, welche im öffentlichen Interesse zu beachten sind und einer Entscheidung der Vordergerichte in der Sache selbst entgegengestanden haben. Zu diesen unverzichtbaren Prozeßvoraussetzungen gehört die Zulässigkeit der Klage (vgl die Urteile des Senats in BSG SozR 1500 § 171 Nr 2 S 2 und in BSGE 53, 8, 9 = SozR 7610 § 1813 Nr 1 S 2; jeweils mwN) und insoweit speziell das Rechtsschutzbedürfnis als zwingende Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Klage (BSGE 49, 197, 198; BSG SozR 1500 § 53 Nr 2 S 3). Für eine Klage auf Verurteilung der Beklagten zur Zulassung der Nachentrichtung freiwilliger Beiträge fehlt der Klägerin das Rechtsschutzbedürfnis.
Die Beklagte hat dem zunächst an die BfA gerichteten und dort am 31. Dezember 1975 eingegangenen Antrag der Klägerin vom 28. Dezember 1975 auf Zulassung zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach näherer Maßgabe der von der Klägerin in dem am 9. Dezember 1977 eingegangenen Formularantrag vorgenommenen Konkretisierung durch Bescheid vom 6. Februar 1979 in vollem Umfange stattgegeben. Einer gerichtlichen Durchsetzung des Nachentrichtungsbegehrens der Klägerin hat es somit zu keinem Zeitpunkt bedurft. Ein Rechtsschutzbedürfnis für eine entsprechende Klage hat demnach sowohl bereits im Zeitpunkt der Klageerhebung (13. Dezember 1979) als auch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht nicht bestanden. Die Klage ist insoweit unzulässig gewesen und nunmehr auf die Revision der Beklagten abzuweisen.
Keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen insoweit, als die Klägerin eine Berücksichtigung der nachzuentrichtenden bzw zwischenzeitlich nachentrichteten Beiträge bei der Berechnung der ihr bewilligen EU-Rente begehrt. Indes ist in diesem Umfange die Klage entgegen der Ansicht der Vorinstanzen in der Sache selbst unbegründet.
Die Klägerin begehrt eine Berücksichtigung der im November 1981 für die Zeiträume von 1958 bis 1961 und von März 1969 bis Dezember 1973 nachentrichteten Beiträge bei der Berechnung der ihr mit Bescheid vom 10. November 1978 für die Zeit ab 1. Juli 1978 bewilligten EU-Rente. Rechtsgrundlage für die Beitragsnachentrichtung ist Art 2 § 51a Abs 2 Satz 1 ArVNG idF des Rentenreformgesetzes (RRG) vom 16. Oktober 1972 (BGBl I S 1965). Hiernach können Personen, die nach § 1233 RVO zur freiwilligen Versicherung berechtigt sind, auf Antrag abweichend von den Regelungen des § 1418 RVO freiwillig Beiträge für Zeiten vom 1. Januar 1956 an bis 31. Dezember 1973, die noch nicht mit Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung belegt sind, in der Weise nachentrichten, daß ein Beitrag für einen Monat erst dann entrichtet werden darf, wenn alle späteren Monate bereits mit Beiträgen belegt sind. Der Nachentrichtungsantrag ist bis zum 31. Dezember 1975 bei dem zuständigen Träger der Rentenversicherung der Arbeiter zu stellen (Art 2 § 51a Abs 3 Satz 1 ArVNG). Dieser kann Teilzahlungen bis zu einem Zeitraum von fünf Jahren zulassen (Art 2 § 51a Abs 3 Satz 3 ArVNG).
Ob und unter welchen Voraussetzungen derart nachentrichtete Beiträge bei der Berechnung einer aus Anlaß eines bereits vorher eingetretenen Versicherungsfalles bewilligten Rente leistungssteigernd angerechnet werden können, ist in Art 2 § 51a ArVNG nicht geregelt. In einem solchen Falle sind auch dort, wo das Gesetz eine besondere Nachentrichtungsmöglichkeit vorsieht, grundsätzlich die allgemeinen Vorschriften über die Beitragsnachentrichtung anzuwenden (so für die Nachentrichtungsmöglichkeit nach Art 2 § 49a Abs 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes -AnVNG- = Art 2 § 51a Abs 1 ArVNG Urteil des erkennenden Senats in BSGE 42, 197, 198 = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 5 S 5; vgl im übrigen mit eingehenden weiteren Hinweisen BSG SozR aaO Nr 29 S 44). Einschlägig hierfür ist § 1419 RVO. Danach dürfen freiwillige Beiträge und Beiträge der Höherversicherung nach Eintritt der Berufsunfähigkeit, der Erwerbsunfähigkeit oder des Todes für Zeiten vorher nicht mehr entrichtet werden (§ 1419 Abs 1 RVO). Das gilt nicht, wenn sich der Versicherte vorher gegenüber einer zuständigen Stelle zur Entrichtung von Beiträgen für diese Zeiten bereit erklärt hat und die Beiträge in einer angemessenen Frist geleistet werden (§ 1419 Abs 2 RVO).
Hiernach müssen die von der Klägerin nachentrichteten Beiträge bei der Berechnung der ihr bewilligten EU-Rente unberücksichtigt bleiben. Das folgt aus § 1419 Abs 1 RVO. Der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit ist bei der Klägerin am 21. Juni 1978 eingetreten. Die von ihr geleisteten Beiträge sind für Zeiten vorher nachentrichtet worden. Zwar enthält § 1419 Abs 1 RVO nicht das Verbot einer derartigen Beitragsentrichtung. Wohl aber verbietet er eine Anrechnung der nach Eintritt der Erwerbsunfähigkeit für Zeiten vorher nachentrichteten Beiträge bei der Berechnung der EU-Rente (vgl BSG SozR Nr 16 zu Art 2 § 52 ArVNG S Aa 25).
Die Ausnahmeregelung des § 1419 Abs 2 RVO greift nicht ein. Allerdings ist ihre erste Voraussetzung erfüllt. Die Klägerin hat sich vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit gegenüber einer zuständigen Stelle zur Nachentrichtung von Beiträgen für Zeiten vorher bereit erklärt. Wie der 12. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem Urteil vom 13. September 1979 (BSG SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 29 S 45) bereits entschieden hat, liegt in den Fällen des Art 2 § 49a AnVNG (= Art 2 § 51a ArVNG) in dem Antrag auf Nachentrichtung von Beiträgen eine Bereiterklärung zur Beitragsentrichtung im Sinne des § 1419 Abs 2 RVO. Dem schließt sich der erkennende Senat im Grundsatz an. Dabei kann allerdings offen bleiben (ebenso BSGE 50, 213, 215 = SozR 2200 § 1419 Nr 7 S 9), ob erst ein im einzelnen konkretisierter Nachentrichtungsantrag (BSG SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 29 S 45 und wohl auch BSGE 51, 230, 232 = SozR 2200 § 1419 Nr 9 S 14) oder schon ein Nachentrichtungsbegehren schlechthin einer Bereiterklärung zur Beitragsnachentrichtung gleichzustellen ist. Die Klägerin hat vor Eintritt ihrer Erwerbsunfähigkeit (21. Juni 1978) nicht nur am 31. Dezember 1975 die Zulassung zur Beitragsnachentrichtung als solche beantragt. Vielmehr hat sie diesen Antrag am 9. Dezember 1977 und somit ebenfalls vor Eintritt des Versicherungsfalles spezifiziert und konkretisiert.
Nicht erfüllt ist hingegen die zweite Voraussetzung des § 1419 Abs 2 RVO. Die Klägerin hat die nachzuentrichtenden Beiträge nicht innerhalb angemessener Frist geleistet. Wann eine Frist angemessen ist, läßt sich nicht generell bestimmen. Vielmehr ist die Angemessenheit der Frist rückschauend vom Zeitpunkt der Beitragszahlung aus entsprechend den näheren Umständen des Einzelfalles und unter Berücksichtigung der speziellen Verhältnisse des Beitragspflichtigen zu beurteilen (BSGE 51, 230, 233 = SozR 2200 § 1419 Nr 9 S 15 f). Angemessen ist jedenfalls eine Frist, innerhalb derer dem Beitragspflichtigen in einem Bescheid des Rentenversicherungsträgers die Nachentrichtung der Beiträge gestattet worden ist (BSGE 51, 230, 232 = SozR 2200 § 1419 Nr 9 S 14 f). Im Rahmen der Beitragsnachentrichtung nach Art 2 § 51a ArVNG ist, wenn der Versicherungsträger dem Berechtigten gemäß Art 2 § 51a Abs 3 Satz 3 ArVNG eine über einen bestimmten Zeitraum ausgedehnte Teilzahlung eingeräumt hat, dieser Zeitraum als angemessene Frist anzusehen. Insofern wird deren Dauer durch die besonderen Bestimmungen des Art 2 § 51a ArVNG näher abgegrenzt (BSG SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 29 S 45). Der Senat ist in Verallgemeinerung dieses Rechtsgedankens der Ansicht, daß mangels entgegenstehender Umstände des Einzelfalles die in einem Nachentrichtungsbescheid bestimmte Zahlungsfrist jedenfalls dann als angemessen anzusehen ist, wenn der Nachentrichtungsberechtigte den Bescheid insbesondere hinsichtlich der Bestimmung der Zahlungsmodalitäten nicht anficht und dieser daher in Bindungswirkung erwächst (§ 77 SGG). Dies kann als Indiz dafür gewertet werden, daß die vom Versicherungsträger bestimmten Zahlungsmodalitäten auch aus der Sicht des Berechtigten seinen individuellen Verhältnissen und Möglichkeiten entsprechen und gerecht werden.
Hiervon ausgehend hat die Klägerin die erst im November 1981 nachentrichteten Beiträge nicht innerhalb angemessener Frist geleistet. Die Nachentrichtung ist erst zweidreiviertel Jahre nach dem Erlaß des Bescheides der Beklagten vom 6. Februar 1979 erfolgt. In diesem Bescheid hat die Beklagte ohne Bestimmung eines Zahlungszieles und ohne Einräumung der Möglichkeit zu Teilzahlungen um eine Überweisung des Gegenwertes der Beiträge gebeten. Allerdings hatte die Klägerin sowohl in ihrem Antrag vom 31. Dezember 1975 als auch in dessen Konkretisierung vom 9. Dezember 1977 die Einräumung einer Teilzahlung von fünf Jahren begehrt. Dem hat die Beklagte im Bescheid vom 6. Februar 1979 nicht entsprochen. Dabei ist nicht ersichtlich, ob sie den Teilzahlungsantrag der Klägerin übersehen hat oder ausdrücklich hat ablehnen wollen. Das kann jedoch auf sich beruhen. Denn jedenfalls hat die Klägerin den Bescheid vom 6. Februar 1979 auch insoweit, als darin ihr Teilzahlungsantrag nicht beschieden bzw abgelehnt worden ist, nicht angefochten. Sie hat im Gegenteil dazu am 30. Mai 1979 zur Niederschrift des Städtischen Versicherungsamtes K. erklärt, sie habe die Teilzahlung eigentlich nur zu dem Zwecke beantragt, um bei Eintritt eventuell unvorhergesehener Umstände noch einen Zahlungsspielraum zu haben. Ergänzend dazu hat sie während der Anhängigkeit des Rechtsstreits in den Vorinstanzen wiederholt vorgetragen, sie sei durchaus in der Lage gewesen, die nachzuentrichtenden Beiträge schon früher und in einem Betrag zu leisten (vgl S 3, 4 und 8 des angefochtenen Urteils). Wenn sie gleichwohl unter Nichtbeachtung der Zahlungsaufforderung im Bescheid vom 6. Februar 1979 die nachzuentrichtenden Beiträge erst einige Jahre später geleistet hat, so ist dies unter Würdigung aller insoweit erheblichen Umstände nicht mehr innerhalb angemessener Frist im Sinne des § 1419 Abs 2 RVO geschehen.
Die Voraussetzungen dieser Vorschrift für eine Berücksichtigung der von der Klägerin nachentrichteten Beiträge bei der Berechnung der ihr ab 1. Juli 1978 gewährten EU-Rente sind nach alledem nicht erfüllt. Eine derartige Berechnung kann die Klägerin entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auch nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verlangen.
Das richterrechtliche Institut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ist für den Fall entwickelt worden, daß der Versicherungsträger eine ihm gegenüber dem Versicherten obliegende Nebenpflicht aus dem Versicherungsverhältnis insbesondere zur Auskunft und Beratung verletzt und dadurch dem Versicherten ein sozialrechtlicher Schaden zugefügt wird. In diesem Falle kann ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch gegeben sein. Er ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herbeiführung derjenigen Rechtsfolge gerichtet, die eingetreten wäre, wenn der Versicherungsträger die ihm aus dem Versicherungsverhältnis erwachsenen Nebenpflichten ordnungsgemäß wahrgenommen hätte. Dabei ist allerdings Voraussetzung, daß die Verletzung der Nebenpflicht ursächlich für den sozialrechtlichen Schaden des Versicherten gewesen ist. Außerdem muß sich der Versicherungsträger bei Vornahme der Amtshandlung im Rahmen von Gesetz und Recht halten; eine dem widersprechende Amtshandlung kann im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht begehrt werden (vgl Urteile des erkennenden Senats in BSGE 50, 88, 91 = sozR 5750 Art 2 § 51a Nr 39 S 74 f und in BSG SozR 1200 § 14 Nr 9 S 9 mit eingehenden weiteren Nachweisen sowie ferner ua BSGE 51, 89, 92 = SozR 2200 § 381 Nr 44 S 119; BSGE 52, 145,147 f = SozR 1200 § 14 Nr 12 S 17 f).
Das LSG (S 9 des angefochtenen Urteils) erblickt eine Verletzung der dem Versicherungsträger obliegenden Aufklärungs- und Beratungspflicht darin, daß der Klägerin einerseits die Beantragung von Teilzahlungen empfohlen, sie aber andererseits nicht auf die möglichen Nachteile im Hinblick auf die Nichtberücksichtigung zwischenzeitlich eintretender Versicherungsfälle hingewiesen worden sei. Deswegen müßten die nachentrichteten Beiträge mit Rücksicht auf die vor Eintritt des Versicherungsfalles beantragte Anerkennung für den späteren Fall des Eintritts des Versicherungsfalles berücksichtigt werden. Indes läßt sich mit diesen Erwägungen ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch nicht begründen. Dabei ist unerheblich, ob und mit welchem Inhalt die Klägerin über die Möglichkeit einer Teilzahlung und die hiermit eventuell verbundenen Nachteile beraten worden ist. Deswegen braucht der Senat auch nicht auf die von der Beklagten gegen die entsprechenden tatsächlichen Feststellungen des LSG erhobenen Verfahrensrügen einzugehen. Selbst wenn der Klägerin ihrer Behauptung entsprechend die Leistung der nachzuentrichtenden Beiträge in Teilzahlungen ohne den gleichzeitigen Hinweis auf mögliche Nachteile im Hinblick auf eventuell zwischenzeitlich eintretende Versicherungsfälle empfohlen worden sein sollte, so ist diese Empfehlung jedenfalls nicht ursächlich für den von ihr geltend gemachten "Schaden" in Form der Nichtberücksichtigung der Beiträge bei der Berechnung der EU-Rente. Diese Außerachtlassung der Beiträge ist vielmehr - wie dargelegt - eine Konsequenz dessen, daß die Klägerin nicht innerhalb einer angemessenen Frist (§ 1419 abs 2 RVO) nach Zulassung der Nachentrichtung durch den Bescheid vom 6. Februar 1979 die Beiträge geleistet hat. In dem genannten Bescheid ist jedoch die Möglichkeit einer Teilzahlung gerade nicht eingeräumt, sondern der nachzuzahlende Betrag in einer Summe gefordert worden. Die Außerachtlassung dieser Zahlungsaufforderung durch die Klägerin und nicht eine angebliche Empfehlung zu Ratenzahlungen seitens des Versicherungsträgers schließt eine Berücksichtigung der nachentrichteten Beiträge bei der Berechnung der EU-Rente aus. Damit fehlt es an der für den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch notwendigen Voraussetzung eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen dem (angeblich) rechtswidrigen Verhalten des Versicherungsträgers und der Verschlechterung der Rechtsposition des Versicherten.
Der von der Klägerin erhobene Anspruch auf Berechnung der ihr bewilligten EU-Rente unter Berücksichtigung der nachentrichteten Beiträge besteht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt. Dies muß unter Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen zur Abweisung der Klage führen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen