Beteiligte
Kläger und Revisionsbeklagter |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I.
Zwischen den Beteiligten besteht Streit darüber, ob die beklagte Betriebskrankenkasse verpflichtet ist, den bei ihr versicherten Kläger mit einem sogenannten Fernsehlesegerät auszustatten.
Bei dem 1953 geborenen Kläger ist die Sehschärfe beider Augen von Geburt an stark herabgesetzt. Er erlernte deshalb die Blindenschrift in Stenografie und Schreibmaschine. Von 1971 bis 1976 war er beim Finanzamt in H… beschäftigt. Dann nahm er das Studium der Sozialpädagogik auf. Die normale Schrift in Büchern kann er mit der Brille oder der Lupenbrille nicht lesen, die größere Schreibmaschinenschrift nur für sehr kurze Zeit.
Im Dezember 1975 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für ein Fernsehlesegerät, weil andere Sehhilfen nicht mehr ausreichten. Dieses Gerät ermöglicht stark sehgeschädigten Personen, Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, Geschäftskorrespondenz usw. zu lesen, von Hand oder mit der Schreibmaschine zu schreiben, Rechenmaschinen zu benützen, zu zeichnen, kleine Montagearbeiten auszuführen und dergleichen mehr. Die Vorlage wird durch eine spezielle Fernsehkamera aufgenommen und direkt auf einem Fernsehschirm stark vergrößert abgebildet.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, bei dem Fernsehlesegerät handele es sich um eine Eingliederungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG), für die die Krankenkasse nicht zuständig sei. Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) hat nur die beigeladene Sozialhilfeverwaltung Berufung eingelegt. Sie hielt sich dazu für befugt, weil sie die Kosten für die Beschaffung des Fernsehlesegeräts in Höhe von 5.396,52 DM übernommen und das Gerät dem Kläger zunächst leihweise zur Verfügung gestellt habe. Das Landessozialgericht (LSG) hat der Berufung stattgegeben und die Beklagte antragsgemäß verurteilt, die Kosten für das Fernsehlesegerät des Klägers zu übernehmen: Die Beklagte habe ihre Leistungspflicht zu Unrecht verneint. Beim Fernsehlesegerät handele es sich um ein Hilfsmittel im Sinne des § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c i.V.m. § 182b der Reichsversicherungsordnung (RVO). Die auf dem Arbeitsplatz fest zu montierende Anlage biete dem Kläger die Möglichkeit, den Rest seines Sehvermögen wenigstens beim Lesen und Schreiben zu verwerten. Das Gerät stelle ein auf die gestörte Körperfunktion unmittelbar wirkendes Hilfsmittel dar und diene damit der medizinischen Rehabilitation. Daß es zugleich die künftige berufliche Eingliederung des Klägers ermögliche und seiner sozialen, gesellschaftlichen und privaten Eingliederung zugutekomme, sei eine Auswirkung, die bei allen medizinischen Maßnahmen nicht nur gewünscht werde, sondern Sinn und Zweck einer erfolgreichen Rehabilitation sei.
Dagegen wendet sich die Beklagte mit der vom LSG zugelassenen Revision. Sie rügt eine Verletzung von § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c und § 182b RVO. Das Fernsehlesegerät diene, wie das LSG festgestellt habe, ausschließlich der Lese- und Schreibfähigkeit des Versicherten. Es setze nicht bei der Behinderung selbst (dem eingeschränkten Sehvermögen) ausgleichend ein, sondern lediglich bei bestimmten Folgen dieser Behinderung. Für eine Ausstattung mit Hilfsmitteln dieser Art, die primär Folgeerscheinungen der Behinderung im beruflichen, gesellschaftlichen oder privaten Bereich ausgleichen, sei nicht die Krankenkasse zuständig. Das Fernsehlesegerät entspreche den Hilfen, die nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (SGB 1) i.V.m. § 9 der Eingliederungshilfe-Verordnung zu § 47 BSHG (BGBl. 1975 1 434) grundsätzlich der allgemeinen sozialen Eingliederung dienten und nicht zu den medizinischen Leistungen zu zählen seien (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 SGB 1). Unabhängig hiervon seien bestimmte Elemente des Fernsehlesegeräts (Fernsehkamera mit Zubehör, Monitor = Fernsehempfänger) als Gebrauchsgegenstände anzusehen, zu deren Bereitstellung die Krankenkasse nicht verpflichtet sei.
Die Beklagte beantragt,das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 6. Dezember 1977 aufzuheben und die Berufung der Beigeladenen gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 23. Mai 1977 zurückzuweisen.
Der Kläger und die Beigeladene beantragen,die Revision zurückzuweisen.
Sie halten die Entscheidung des LSG für zutreffend. Der Kläger weist ergänzend darauf hin, daß das Fernsehlesegerät nicht nur zum Lesen geeignet und bestimmt sei, sondern auch zur Verrichtung manueller Tätigkeiten verschiedenster Art (z.B. Basteln, Stopfen von Strümpfen). Nach Ansicht der Beigeladenen könne das Gerät auch nicht als alltäglicher Gebrauchsgegenstand bezeichnet werden, denn selbst wenn es zur Herstellung von Fernsehfilmen (Fernsehkamera) und als Gegenstand der Unterhaltungselektronik (Monitor = Fernsehgerät) verwendbar wäre, so scheide hier eine solche Betrachtung aus, weil der Kläger dieses Gerät aufgrund seiner Sehschwäche zu keinem dieser Zwecke verwenden könne.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Beklagten ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückzuverweisen ist. Das LSG kommt zwar zutreffend zu dem Ergebnis, daß die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger mit einem Fernsehlesegerät auszustatten. Seine Tatsachenfeststellungen reichen jedoch nicht aus, um die der Beklagten obliegende Leistung dem Umfang nach bestimmen zu können.
Zunächst hat das LSG die Zulässigkeit der Berufung, die auch noch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfen ist (ständige Rechtsprechung; u.a. BSGE 2, 225, 226; 21, 292, 294; SozR 1500 § 147 SGG Nr. 2), mit zutreffender Begründung bejaht. Sie ist insbesondere nicht deshalb zu verneinen, weil die Berufungsklägerin nur als Beigeladene am Verfahren beteiligt ist und dem Beiladungsbeschluß des SG nicht entnommen werden kann, ob es sich um eine Beiladung nach Abs. 1 des § 75 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) - einfache Beiladung - oder um eine solche nach Abs. 2 - notwendige Beiladung - handelt. Auch ein Beigeladener im ersteren Sinne kam im Rahmen der Anträge der anderen Beteiligten Rechtsmittel einlegen, wenn das angefochtene Urteil seine berechtigten Interessen berührt und dem Inhalt nach für ihn ungünstig ist (SozR 1500 § 161 SGG Nr. 1 Seite 6 ff. m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Die Verpflichtung der Beklagten, den Kläger mit einem Fernsehlesegerät auszustatten, ergibt sich aus § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c i.V.m. § 182b RVO in der seit 1. Oktober 1974 geltenden Fassung des Rehabilitationsangleichungsgesetzes (RehaAnglG) vom 7. August 1974 (BGBl. I 1881). Danach hat der Versicherte Anspruch auf Ausstattung mit Körperersatzstücken sowie orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die erforderlich sind, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen, den Erfolg der Heilbehandlung zu sichern oder - was im vorliegenden Fall allein in Betracht kommt - eine körperliche Behinderung auszugleichen. Aus dieser gesetzlichen Zweckbestimmung und aus der Aufgabenverteilung im gesamten Sozialleistungsbereich auf mehrere Leistungsträger ergeben sich Umfang und Begrenzung der Leistungsverpflichtung der Krankenkasse. Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Krankenkasse als Trägerin der Krankenhilfe und einer ausschließlich medizinischen Rehabilitation - im Gegensatz zu anderen Sozialleistungsträgern mit final umfassenderer Zuständigkeit (z.B. Rentenversicherungsanstalten, Berufsgenossenschaften, Versorgungsverwaltung und Sozialhilfeträger) - nur zur Gewährung von solchen Hilfsmitteln verpflichtet, die den Ausgleich der körperlichen Behinderung selbst bezwecken, also unmittelbar gegen die Behinderung gerichtet sind (BSGE 45, 133, 136 = SozR 2200 § 182b RVO Nr. 4). Diese hiernach gebotene Unmittelbarkeit ist vor allem dann gegeben, wenn das Hilfsmittel die Ausübung der beeinträchtigten Funktion - Greifen, Gehen, Sitzen, Hören, Sehen usw. ermöglicht, ersetzt, erleichtert oder ergänzt (z.B. Hörgerät BSGE 33, 263 -, Badhelfer - SozR 2200 § 187 RVO Nr. 3 -, Arthrodesenstuhl - BSGE 39, 275 = SozR 2200 § 187 RVO Nr. 4 -, elektrischer Zimmerfahrstuhl - SozR 2200 § 182b RVO Nr. 9 - Clos-o-mat - BSG vom 19. Dezember 1978, 3 RK 26/78, SozSich 1979, 56, zur weiteren Veröffentlichung vorgesehen, m.w.N. -). Kein Anspruch gegen die Krankenkasse besteht dagegen dann, wenn ein Hilfsmittel erforderlich ist, um lediglich die Folgen und Auswirkungen der Behinderung in den verschiedenen Lebensbereichen, insbesondere auf beruflichem, gesellschaftlichem oder privatem Gebiet, zu beseitigen oder zu mildern, wenn also das Hilfsmittel nicht bei der Behinderung selbst ansetzt (z.B. elektrische Schreibmaschine - BSGE 37, 138 = SozR 2200 § 187 RVO Nr. 1 -, Blindenführhund - BSGE 45, 133 = SozR 2200 § 182b RVO Nr. 4, Blindenschriftschreibmaschine - SozR 2200 § 182b RVO Nr. 5, PKW-Zusatzgerät KVRS 2240/23-, normaler Auto-Kindersitz - SozR 2200, § 182b RVO Nr. 6 -).
Das Fernsehlesegerät ist ein Hilfsmittel der erstgenannten Art; denn es ermöglicht ein besseres Sehen. Es dient nicht nur der Eingliederung in das Berufsleben oder der Milderung nachteiliger Folgen im privaten Bereich, sondern unmittelbar dem Ausgleich der Sehschwäche. Es kommt hier nicht darauf an, ob das Hilfsmittel unmittelbar am Körper ausgleichend wirkt (BSGE 45, 133, 134) und auf welche Weise der Ausgleich erzielt wird (durch Brillen werden Brechungsfehler ausgeglichen, mit Lupenbrillen wird eine Vergrößerungswirkung erzielt, das Fernsehlesegerät überträgt die Vorlage vergrößernd auf einen Monitor). Entscheidend ist, daß das beeinträchtigte Sehvermögen selbst erleichtert, erweitert, verbessert wird. Entsprechend dem Ausgleich der Behinderung entfallen zwar auch die nachteiligen Folgen der Behinderung. Damit wird das Hilfsmittel aber im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten nicht zu einer Eingliederungshilfe i.S. des BSHG. Schließlich läßt auch der Umstand, daß der Anwendungsbereich eines Fernsehlesegerätes funktionell und räumlich begrenzt ist, keine andere Beurteilung zu. Ein Gerät, das eine beeinträchtigte Körperfunktion nur in einem beschränkten Bereich ersetzt oder ergänzt, ist ebenfalls ein Hilfsmittel im Sinne der Krankenversicherung (z.B. Zimmerfahrstuhl). Es mag dahingestellt bleiben, ob ausnahmsweise etwas anderes gilt, wenn das Hilfsmittel zwar eine natürliche Körperfunktion ersetzt, aber im wesentlichen nur eine spezielle, einem bestimmten Lebensbereich (z.B. Beruf) zuzuordnende Tätigkeit ermöglicht. Eine solche Beschränkung der Verwendbarkeit liegt hier nicht vor.
Für den Kläger ist das Fernsehlesegerät ein erforderliches Hilfsmittel. Es soll ein normales Sehen (teilweise) ermöglichen, also nicht eine - möglicherweise nur in besonderen (z.B. beruflichen) Bereichen erforderliche - außergewöhnliche Sehfähigkeit bewirken. Nach den mit der Revision nicht angegriffenen und daher gemäß § 163 SGG für den Senat bindenden Tatsachenfeststellungen des LSG leidet der Kläger an einer angeborenen Augenkrankheit mit Augenzittern und einer Herabsetzung der zentralen Sehschärfe rechts auf 0,05, links auf 0,06. Seine verminderte Sehkraft ist mit den herkömmlichen Sehhilfen nicht annähernd auszugleichen. Eine Lese- und Schreibfähigkeit kam ausschließlich mit dem Fernsehlesegerät erreicht werden (Vergrößerungen bis zum Fünfzehn- bis Zwanzigfachen, Vergrößerungen bei Lupenbrillen bis zum Achtfachen). Mit der Lupenbrille und der Lesebrille, die der Kläger besitzt, kann er nur ein Schriftbild in der Größe der Schreibmaschinenschrift lesen und das wegen des Augenzitterns nur für sehr kurze Zeit. Bei der Benutzung eines Fernsehlesegeräts wirkt sich das Augenzittern nicht nachteilig aus.
Im Bereich der Hilfsmittelgewährung ist aber wie im gesamten Bereich der Krankenpflege das gesetzliche Gebot zu beachten, daß die Leistungen der Krankenkasse zwar ausreichend und zweckmäßig sein müssen, jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfen (§ 182 Abs. 2 RVO). Die Notwendigkeit bezieht sich hierbei auf den medizinischen Zweck (vgl. auch § 182b RVO: "Hilfsmittel, die erforderlich sind, um … eine körperliche Behinderung auszugleichen"). Nur soweit dieser Zweck Leistungen erforderlich macht, besteht eine Verpflichtung der Krankenkasse. Ihr Zuständigkeitsbereich ist also auch hinsichtlich des Umfangs der Leistung von dem Zuständigkeitsbereich anderer Sozialleistungsträger, aber auch von dem Bereich der Eigenverantwortung des Versicherten abzugrenzen. Die Krankenkasse hat daher Aufwendungen für allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens nicht zu tragen. Wird ein Hilfsmittel in Verbindung mit einem allgemeinen Gebrauchsgegenstand verwendet oder ist in ihm ein solcher Gegenstand enthalten, so beschränkt sich die Leistungspflicht der Krankenkasse auf das eigentliche Hilfsmittel. Das die Krankenversicherung beherrschende Sachleistungsprinzip steht dem nicht entgegen. So sind z.B. der Entscheidung des Senats vom 28. September 1976 - 3 RK 9/76 - (BSGE 42, 229 = SozR 2200 § 182b RVO Nr. 2) orthopädische Schuhe nur insoweit notwendige Hilfsmittel im Sinne der Krankenversicherung, als sie die Funktion des Hilfsmittels erfüllen. Soweit sie als Bekleidung dienen, sind sie Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens. Die fehlende reale Trennbarkeit ist kein Hindernis, Hilfsmittel und allgemeinen Gebrauchsgegenstand wirtschaftlich zu unterscheiden (vgl. auch das Urteil vom 19. Dezember 1978 - 3 RK 26/78 - a.a.O.). An dieser Rechtsprechung wird festgehalten.
Den Tatsachenfeststellungen des LSG ist nicht zu entnehmen, ob und inwieweit das vom Kläger begehrte Fernsehlesegerät auch einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens darstellt und deshalb die Leistungspflicht der Beklagten eingeschränkt ist. Diesbezüglich sind Klarstellungen in tatsächlicher Hinsicht veranlaßt, denn bei einem Fernsehlesegerät handelt es sich um eine Anlage, die u.a. aus einer Fernsehkamera und einem Bildschirm besteht. Es erscheint nicht ausgeschlossen, daß z.B. der Empfängerteil der Gesamtanlage, wie die Revision geltend macht, auch als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, nämlich als gewöhnlicher Fernsehempfänger verwendet werden kann. In diesem Falle wäre der entsprechende Kostenanteil grundsätzlich nicht von der Beklagten zu tragen, es sei denn, das in Betracht kommende Einzelgerät der Gesamtanlage diene ausschließlich medizinischen Zwecken, etwa deshalb, weil es sich um ein Spezialgerät handelt, das lediglich in der Gesamtanlage verwendet werden kann, oder weil der Kläger aufgrund seiner Behinderung am Fernsehempfang nicht teilnehmen kann, oder weil die Bedürfnisse des Klägers einerseits und seiner Familienangehörigen andererseits zwei Geräte erforderlich machen, wobei das eine ausschließlich als Hilfsmittel, das andere für den Fernsehempfang benützt wird.
Da es der Revisionsinstanz verwehrt ist, die fehlenden Tatsachenfeststellungen selbst nachzuholen, ist der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.
Fundstellen