Leitsatz (redaktionell)
Die von einem Landwirt an landwirtschaftliche Aushilfskräfte gezahlten Bezüge, die gemäß § 35b Abs 1 S 1 Buchst b der LStDV 1961 pauschal besteuert worden sind, können nur dann bei der Beitragsberechnung unberücksichtigt bleiben, wenn sie zu den in RFM/RAMErl 1944-09-10 Abschn 1 Nr 4 aufgeführten Bezügen gehören. Hierzu rechnen grundsätzlich nur Bezüge, bei denen die Pauschalbesteuerung wegen der Eigenart des konkreten Bezuges zugelassen ist, nicht aber solche Bezüge, bei denen die Pauschalbesteuerung im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis zugelassen ist.
2. Die in LStDV § 35b Abs 1 Nr 1 Buchst b enthaltene Ermächtigung zur Zulassung der Pauschalbesteuerung von Bezügen an kurzfristig beschäftigte Arbeitnehmer stellt keine Zulassung der Pauschalbesteuerung iS des RFM/RAMErl 1944-09-10 Abschn 1 Nr 4 dar, so daß eine solche Besteuerung die Entgelteigenschaft des den Aushilfskräften gewährten Arbeitslohnes nicht beseitigt.
3. Nach dem Außerkrafttreten des RFMErl 1943-06-02 ( RStBl 1943, 457 ) und entsprechender landesrechtlichen Bestimmungen besteht für Aushilfskräfte in der Land- und Forstwirtschaft hinsichtlich der Entgeltbeurteilung keine Sonderregelung mehr.
Leitsatz (amtlich)
Bezüge an kurzfristig beschäftigte Arbeitnehmer, die nach LStDV 1959 § 35b Abs 1 S 1 Buchst b pauschal besteuert worden sind, fallen nicht unter RMF/RAM-Erl 1944-09-10 Abschn 1 Nr 4. Sie sind Entgelt iS der Sozialversicherung und deshalb, wenn Versicherungspflicht besteht, bei der Beitragsberechnung zu berücksichtigen.
Normenkette
RVO § 160 Fassung: 1941-07-01; RFM/RAMErl 1944-09-10 Abschn. 1 Nr. 4; LStDV 1959 § 35b Abs. 1 S. 1 Buchst. b; LStDV § 35b Abs. 1 S. 1 Buchst. b
Tenor
Auf die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 26. Januar 1968 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger für Kolonnenarbeiter, die er im August und September 1961 zur Bohnenernte auf seinem Gut beschäftigt und deren Entgelt er pauschal versteuert hat, Beiträge zur Sozialversicherung zu entrichten hat.
Mit Bescheid vom 16. Januar 1962 forderte die beklagte Landkrankenkasse (LKK) für diese Arbeitnehmer vom Kläger Sozialversicherungsbeiträge in einem Gesamtbetrag von 881,69 DM. Der Kläger lehnte diese Zahlung mit der Begründung ab, er sei entsprechend den Bestimmungen des Gemeinsamen Erlasses des Reichsfinanzministers und des Reichsarbeitsministers vom 10. September 1944 - Gem. Erl. 1944 - ( AN 1944, 281 ) für diese pauschal besteuerten Bezüge nicht beitragspflichtig. Sein Widerspruch blieb erfolglos. Das Sozialgericht (SG) hat seine Klage abgewiesen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben. Es hat zur Begründung ausgeführt: Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung sei auch unter Berücksichtigung der gesetzlichen Neuregelung des Lohnsteuerrechts weiter nach den Bestimmungen des Gem. Erl. 1944 zu verfahren. Dies gelte auch für § 35b der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDVO) in der hier maßgeblichen Fassung, aufgrund dessen die Pauschalbesteuerung erfolgt sei. In Anwendung des Gem. Erl. 1944 hätten daher die Bezüge der Kolonnenarbeiter für die Berechnung der Beiträge zur Sozialversicherung außer Ansatz zu bleiben.
Gegen dieses Urteil haben die beklagte LKK und die im ersten Rechtszug beigeladene Landesversicherungsanstalt Schleswig-Holstein die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Die Revisionskläger meinen, es fehle an einer Zulassung der Pauschalbesteuerung im Sinne des Gem. Erl. 1944. Der Erlaß des früheren Reichsministers der Finanzen vom 2. Juni 1943 - RdF-Erl. 1943 - (RStBl. 1943, 457) über die Zulassung der Pauschalierung der Lohnsteuer für die Vergütung an Aushilfskräfte in der Land- und Forstwirtschaft, der aufgrund des Nachfolge-Erlasses des Schleswig-Holsteinischen Ministeriums für Finanzen vom 22. März 1949 zunächst weiter gegolten habe, sei mit der Neuregelung der Pauschalbesteuerung in § 40 des Einkommensteuergesetzes (EStG) durch das Gesetz zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 (BGBl I 848), spätestens aber durch Art. 2 des Steueränderungsgesetzes 1961 (StÄndG 1961) außer Kraft gesetzt worden. Eine neue Rechtsverordnung entsprechend der Ermächtigung des Art. 2 sei nicht erlassen worden. Im Hinblick auf Art. 2 könne auch § 40 EStG 1957 = § 42a EStG 1958 nicht als eine solche Zulassungsnorm angesehen werden. Daher sei die Pauschalbesteuerung der Löhne von Aushilfskräften in der Landwirtschaft nicht mehr zulässig. Dies müsse erst recht für eine Pauschalbesteuerung der Bezüge berufsmäßiger ständiger Arbeitnehmer gelten, zu denen die beim Kläger beschäftigten Kolonnenarbeiter zählten. Denn es handele sich hier nicht um eine vorübergehende Aushilfsbeschäftigung, sondern um einen Teil einer Gesamtbeschäftigung, die auf ständige, regelmäßige Beschäftigung gerichtet sei. Diese Kolonnenarbeitskräfte seien aufgrund ihres Gesamttätigkeitsbildes auch weder zu dem Kreis der unständig Beschäftigten im Sinne des § 441 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu rechnen, noch handele es sich um versicherungsfreie Nebenbeschäftigung gemäß § 168 , § 1228 RVO . Diese Rechtsansicht stehe im übrigen mit dem Bedürfnis der Arbeitnehmer nach Versicherungsschutz in Einklang, und entspreche allein dem Grundgedanken des Gem. Erl. 1944, der aus Vereinfachungsgründen zwar einen Teil der Bezüge für die Beitragsberechnung unberücksichtigt lasse, nicht aber den Versicherungsschutz völlig ausschließe; denn die Frage der Versicherungs- und Beitragsfreiheit von Beschäftigungsverhältnissen sei in der RVO abschließend geregelt.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
das Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 26. Januar 1968 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Kiel vom 26. Oktober 1966 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist begründet.
Wie der Senat schon wiederholt entschieden hat (BSG 6, 47; 15, 65; 24, 281, 284) ist der Gem. Erl. 1944 geltendes Recht. In diesem Erlaß ist in Abschnitt I Nr. 4 bestimmt, daß Bezüge für die Berechnung der Beiträge zur Sozialversicherung außer Betracht bleiben, für die der Reichsminister der Finanzen Pauschalbesteuerung zugelassen hat oder zulassen wird.
Zu Unrecht hat das LSG angenommen, daß die Bezüge der beim Kläger beschäftigten Kolonnenarbeiter im Sinne der genannten Bestimmung pauschal besteuert worden seien mit der Folge, daß sie "nicht als Entgelt i.S. der Sozialversicherung anzusehen" seien (vgl. Erlaß des RAM vom 24.10.1944, Abs. 1, 1. Halbsatz; AN 1944, 302 ). Zwar hat es nach früherem Reichsrecht (RMF-Erlaß vom 2.6.1943, RStBl S. 457), das zum Teil regional aufrechterhalten wurde (vgl. z.B. Erlaß des Niedersächsischen Finanzministers vom 22.3.1949, Niedersächsisches Steuer- und Zollblatt 1949, 107), die Möglichkeit der Pauschalbesteuerung von Aushilfskräften in der Land- und Forstwirtschaft gegeben, die die Freistellung der Bezüge dieser Aushilfskräfte von der Beitragspflicht zur Folge hatte (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 25.11.1964, SozR RVO § 160 Nr. 14). Diese Form der Sonderbehandlung von Bezügen der Aushilfskräfte in der Land- und Forstwirtschaft ist jedoch weggefallen (vgl. hierzu das genannte Urteil Bl. Aa 13 R.). Nach geltendem Recht ist die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Beitragsfreiheit pauschal besteuerter Bezüge von Aushilfskräften in der Land- und Forstwirtschaft zu bestimmen ( Art. 2 des StÄndG 1961 vom 13.7.1961 , BGBl I 981). Da die Bundesregierung jedoch von dieser Ermächtigung keinen Gebrauch gemacht hat, kann auf sich beruhen, ob diese Rechtsgrundlage den gegen eine solche "Ausnahmebehandlung" (so das genannte Urteil Bl. Aa 13 R.) unter der Herrschaft des Grundgesetzes verstärkt zu erhebenden verfassungsrechtlichen Bedenken standhält. Jedenfalls besteht zur Zeit in der Frage der Entgeltsbeurteilung kein Sonderrecht für Aushilfskräfte in der Land- und Forstwirtschaft, so daß auch dem von der Revision erneut vorgetragenen Gesichtspunkt, es habe sich bei den Kolonnenarbeitern nicht um Aushilfskräfte ("die sonst beruflich nicht tätig zu sein pflegen", BSG aaO Bl. Aa 13 R.), sondern um berufsmäßige Lohnarbeiter gehandelt, nicht nachgegangen zu werden brauchte.
Entgegen der Auffassung des LSG stellt auch die allgemeine Ermächtigung zur Zulassung der Pauschalbesteuerung für Bezüge an kurzfristig beschäftigte Arbeitnehmer ( § 35b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b LStDVO vom 22.7.1959 , BGBl I 477 idF vom 28.7.1961, BGBl I 1108 - LStDVO 1959 -) keine Zulassung der Pauschalbesteuerung im Sinne des Abschnitts I Nr. 4 des Gem. Erl. 1944 dar. Zu Unrecht hat sich das LSG zur Stütze seiner Ansicht auf das Urteil des 5. Senats des Bundessozialgerichts vom 6. Juli 1967 - 5 RKn 18/64 - (Breithaupt 1967, 993) berufen. Dieses Urteil betrifft, wie auch das Urteil des erkennenden Senats vom 18. März 1966 (BSG 24, 281), "sonstige" Bezüge, für die Pauschalbesteuerung nach § 35b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a LStDVO wegen der Eigenart des Bezuges zugelassen ist. In diesen Fällen bleiben mit dem alleinigen Ziel der Vereinfachung des Lohnabzuges bestimmte einzelne Bezüge, die im allgemeinen neben dem hiervon unberührten laufenden Arbeitslohn nur eine untergeordnete Rolle spielen, wegen der besonderen Art ihrer Besteuerung "für die Berechnung der Beiträge zur Sozialversicherung ... außer Ansatz" (Abschnitt I Satz 2 des Gem. Erl. 1944). Nur diese Vereinfachung im Rahmen des Beitragsberechnungsverfahrens, bei dem das Vorliegen eines entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses vorausgesetzt ist, bezweckt der Gem. Erl. 1944. Mit dieser beschränkten Zielsetzung unvereinbar wäre aber eine Auswirkung des Gem. Erl. 1944, die die Entgeltlichkeit ganzer Beschäftigungsverhältnisse beseitigen würde und abhängig Beschäftigte, die nach den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften der Versicherungspflicht unterlägen, nicht an dem Schutz der Sozialversicherung teilhaben ließe. Vielmehr bestimmt sich die Versicherungspflicht und die daraus herrührende Beitragspflicht nach der materiell-rechtlichen Regelung des Sozialversicherungsrechts, insbesondere bei gelegentlich oder nebenher ausgeübter Beschäftigung - wie sie auch in § 35b Abs. 1 Satz 1 Buchst. b LStDVO 1959 für die besondere Art der Lohnsteuerberechnung ins Auge gefaßt ist - nach §§ 168 , 1228 Abs. 1 Nr. 4 und 5 RVO . Deshalb fallen Bezüge, die wegen der Eigenart des Beschäftigungsverhältnisses aufgrund der Ermächtigung in § 35b Abs. 1 Satz 1 Buchst. b LStDVO 1961 pauschal besteuert worden sind, nicht unter Abschnitt I Nr. 4 des Gem. Erl. 1944.
Das Urteil des LSG muß daher aufgehoben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden. Das Berufungsgericht wird bei der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beitragsbescheides in erster Linie die bisher unterlassene Prüfung nachzuholen haben, ob die bei dem Kläger beschäftigt gewesenen Kolonnenarbeiter nach § 168 (ggf. auch §§ 441 ff) und § 1228 RVO versicherungsfrei waren, evtl. auch, ob § 66 AVAVG anwendbar ist.
Dem LSG bleibt auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens überlassen.
Fundstellen
Haufe-Index 60456 |
BSGE, 275 |