Entscheidungsstichwort (Thema)
Notwendige Beiladung. Wirksamkeit der Beitragsentrichtung
Orientierungssatz
1. Die Entscheidung darüber, ob die Beiträge für einen bestimmten Zeitraum zu Recht entrichtet worden sind, betrifft ein Rechtsverhältnis, an dem nicht nur der Kläger, sondern auch sein Arbeitgeber derart beteiligt ist, daß die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§ 75 Abs 2 Alt 1 SGG). Nicht beizuladen ist in diesem Fall die Einzugsstelle.
2. Bei der "Beanstandung" von Beiträgen ist, selbst wenn eine solche Beanstandung kein Verwaltungsakt sein sollte (vgl BSG 1965-09-22 1 RA 165/62 = BSGE 24, 13, 14, BSG 1966-08-03 4 RJ 301/65 = BSGE 25, 136, 138), Gegenstand des Rechtsstreits und damit streitiges Rechtsverhältnis iS des § 75 Abs 2 SGG die Rechtswirksamkeit der von dem Träger der Angestelltenversicherung für unwirksam erklärten Beiträge.
Normenkette
SGG § 75 Abs 2 Alt 1 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 23.01.1980; Aktenzeichen L 13 An 157/79) |
SG Würzburg (Entscheidung vom 15.05.1979; Aktenzeichen S 5 An 181/78) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die für den Kläger für die Jahre 1975 bis 1977 entrichteten Pflichtbeiträge zu Recht beanstandet hat.
Die Beklagte hat den Kläger durch Bescheid vom 14. Februar 1966 gem Art 2 § 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) von der Versicherungspflicht zur Angestelltenversicherung befreit. Am 1. Januar 1975 trat der Kläger in ein neues Arbeitsverhältnis ein; sein neuer Arbeitgeber führte für die Jahre 1975 bis 1977 Pflichtbeiträge zur Angestelltenversicherung ab. Die Beklagte hat diese Beiträge durch den Bescheid vom 26. Mai 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. August 1978 beanstandet. Die Klage und die Berufung des Klägers blieben ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts -SG- Würzburg vom 15. Mai 1979; Urteil des Landessozialgerichts -LSG- vom 23. Januar 1980). Das LSG hat die Beanstandung für rechtmäßig erachtet, weil der Kläger auf die Befreiung von der Versicherungspflicht nicht verzichtet habe und diese Rechtsfolge auch nicht im Wege eines sozialrechtlichen Schadenersatzanspruches herbeiführen könne.
Gegen dieses Urteil richtet sich die - vom LSG zugelassene - Revision des Klägers, der die rechtliche Beurteilung des LSG für unzutreffend hält und beantragt,
das Urteil des Bayerischen LSG vom 23. Januar 1980,
das Urteil des SG Würzburg vom 15. Mai 1979 und den
Bescheid der Beklagten vom 26. Mai 1978 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
22. August 1978 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG. Der Senat kann in der Sache selbst nicht entscheiden, weil das Verfahren vor dem LSG an einem im Revisionsverfahren fortwirkenden prozessualen Mangel leidet, der in der Revisionsinstanz nicht beseitigt werden kann. Das LSG hat nicht beachtet, daß die Entscheidung darüber, ob die Beiträge für die Jahre 1975 bis 1977 zu Recht entrichtet worden sind, ein Rechtsverhältnis betrifft, an dem nicht nur der Kläger, sondern auch sein Arbeitgeber derart beteiligt ist, daß die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§ 75 Abs 2 SGG, 1. Fall).
Die Klage richtet sich gegen eine von der Beklagten ausgesprochene "Beanstandung" von Beiträgen. Selbst wenn eine solche Beanstandung kein Verwaltungsakt sein sollte (so BSGE 24, 13, 14; anderer Ansicht Verbandskomm § 1241 RVO Anm 3 und anscheinend auch BSGE 25, 136, 138), ist Gegenstand des Rechtsstreits und damit streitiges Rechtsverhältnis iS des § 75 Abs 2 SGG die Rechtswirksamkeit der von der Beklagten für unwirksam erklärten Beiträge. An diesem Rechtsverhältnis ist auch der Arbeitgeber des Klägers beteiligt, der die fraglichen Beiträge entrichtet hat; denn im Falle der Unwirksamkeit der Beiträge hat auch er - soweit er die Beiträge getragen hat - einen eigenen Erstattungsanspruch (vgl jetzt § 26 Abs 2 SGB 4). Die Beteiligung des Arbeitgebers ist ferner derart, daß über die Rechtswirksamkeit der Beiträge auch ihm gegenüber nur einheitlich entschieden werden kann. Würde nämlich darüber allein im Verhältnis zum Versicherten rechtskräftig entschieden werden, so wäre es nicht ausgeschlossen, daß der Arbeitgeber, obwohl die Wirksamkeit der Beiträge gegenüber dem Versicherten rechtskräftig festgestellt ist, später mit Erfolg ihre Unwirksamkeit geltend macht und die Erstattung seines Arbeitgeberanteils erreicht, während der Arbeitnehmeranteil beim Versicherungsträger verbleibt. Umgekehrt könnte dem Arbeitgeber - trotz rechtskräftiger Feststellung der Unwirksamkeit der Beiträge im Verhältnis zum Versicherten - die Erstattung seines eigenen Beitragsanteils vom Versicherungsträger verweigert werden, wenn die gegenüber dem Versicherten ergangene Entscheidung ihm gegenüber nicht rechtskräftig würde. Um solche in sich widersprüchlichen Entscheidungen zu vermeiden, muß auch der Arbeitgeber bei einem Streit über die Rechtswirksamkeit von entrichteten Beiträgen zum Rechtsstreit beigeladen werden.
Die Unterlassung einer notwendigen Beiladung ist ein im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtender und zur Zurückverweisung zwingender Verfahrensmangel (erkennender Senat, Urteil vom 30. Januar 1980 - 12 RK 58/78 -, SozR 1500 § 75 Nr 29 mwN; ständige Rechtsprechung).
Nicht beizuladen war hingegen die Einzugsstelle, an die die Beiträge entrichtet worden sind. Die Einzugsstelle hat zwar im Streitfall allein zu entscheiden, ob ein Beschäftigungsverhältnis der Versicherungspflicht gem § 2 Abs 1 Nr 1 AVG unterliegt (vgl § 121 Abs 3 AVG). Im Falle der Beanstandung bereits entrichteter Beiträge ist jedoch die Frage der Versicherungspflicht nur eine Vorfrage im Rahmen der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der entrichteten Beiträge, über die die Beklagte allein zu entscheiden hat (§ 147 Abs 1 Nr 2 AVG).
Die Kostenentscheidung bleibt dem das Verfahren abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen