Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherungsschutz bei Hepatitis nach Bluttransfusion während stationärer Behandlung
Orientierungssatz
Das Risiko der ärztlichen Behandlung selbst ist nicht Gegenstand des Unfallversicherungsschutzes nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO (vgl BSG 1980-09-30 2 RU 13/80 = SozR 2200 § 539 Nr 71). Demnach fallen auch die für eine Infektion bei der operativen oder postoperativen Behandlung in Betracht kommenden Umstände nicht unter die von § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a iVm § 548 RVO erfaßten Risiken. Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine zur Infektion führende Maßnahme von dem Arzt selbst oder aufgrund seiner besonderen Anordnung oder allgemeinen Weisung von einer Hilfsperson (Krankenschwester, Pfleger) vorgenommen worden ist.
Normenkette
RVO § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a Fassung: 1974-08-07
Verfahrensgang
SG Hildesheim (Entscheidung vom 25.04.1979; Aktenzeichen S 6 U 20/79) |
Tatbestand
Die Klägerin (AOK) verlangt von der Beklagten (Verwaltungs-BG) Ersatz von 9.949,10 DM, die sie für die bei ihr gegen Krankheit versicherte Frau E B (B.) an Krankengeld, Krankenhauskosten und Haushaltshilfe vom 2. April bis zum 30. Juni 1975 aufgewendet hat. Die Versicherte B. befand sich vom 19. Februar bis zum 15. März 1975 auf Kosten der Klägerin in stationärer Behandlung der Frauenklinik der Universität G. Am 25. Februar 1975 wurde ein gynäkologischer Eingriff bei ihr vorgenommen. Wegen Blutverlustes während der Operation erhielt sie eine Bluttransfusion; weitere Transfusionen sowie Injektionen wurden postoperativ durchgeführt. Der postoperative Verlauf wurde von dem behandelnden Arzt als normal bezeichnet. Nach der Entlassung traten bei der Versicherten Beschwerden auf, die zur erneuten stationären Behandlung - wiederum auf Kosten der Klägerin - vom 3. April bis zum 12. Mai 1975 führten. Es wurde eine infektiöse Hepatitis festgestellt, zu der es nach Ansicht der Ärztin Dr S nur durch eine Bluttransfusion gekommen sein kann. Bis zum 30. Juni 1975 war die Versicherte arbeitsunfähig.
Die Beklagte lehnte den Ersatzanspruch der Klägerin ab, weil bei den während der stationären Behandlung gemäß § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a der Reichsversicherungsordnung (RVO) versicherten Personen Komplikationen (zB eine Serumhepatitis), die durch die Behandlung aufträten, nicht als Arbeitsunfälle iS des § 548 RVO zu werten seien. Überdies bestehe kein ausreichender Anhalt dafür, daß sich Frau B die Serumhepatitis während der stationären Behandlung zugezogen habe.
Die Klägerin hat Klage erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, ihr 9.949,10 DM zu ersetzen. Durch Urteil vom 25. April 1979 hat das Sozialgericht (SG) Hildesheim die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Ersatzanspruch nach § 1504 RVO, weil die Krankheit der bei ihr versicherten B nicht die Folge eines von der Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfalls gewesen sei. Es könne dahingestellt bleiben, ob Frau B sich die infektiöse Hepatitis, die vom 2. April 1975 an eine stationäre Behandlung erforderlich machte, während des Krankenhausaufenthaltes vom 19. Februar bis 15. März 1975 zugezogen habe. Zwar habe B. zu den nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO versicherten Personen gehört. Versicherungsschutz bestehe insoweit jedoch nur bei in ursächlichem Zusammenhang mit der stationären Behandlung stehenden Unfällen. Daran habe es hier gefehlt. In Betracht komme, daß sich B im Zusammenhang mit der operativen und postoperativen Behandlung bei einer Blutübertragung, bei Infusionen oder subkutanen Injektionen an Hepatitis infiziert habe. Das Risiko der ärztlichen Behandlung sei jedoch nicht Gegenstand des Versicherungsschutzes nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO.
Das SG hat die Revision zugelassen.
Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel mit Zustimmung der Beklagten eingelegt und zur Begründung vorgetragen: Der Vorgang der Infektion durch Transfusion erfülle die Merkmale eines Unfalls. Sofern noch Zweifel an dem Ursachenzusammenhang zwischen der Hepatitisinfektion und einer Transfusion während der stationären Behandlung im Februar/März 1975 bestünden, sei der Rechtsstreit zu weiteren Ermittlungen an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Die vom SG geteilte Auffassung des Bundessozialgerichts (BSG), das Risiko der Heilbehandlung sei nicht Gegenstand des Versicherungsschutzes nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO, stehe nicht im Einklang mit der sozialpolitischen Zielsetzung der Vorschrift. Die Angleichung zB an die Leistungen für die Rehabilitanden der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 555 RVO) werde auf diese Weise verhindert. Durch den Ausschluß des Risikos der Heilbehandlung weiche das BSG darüber hinaus von dem Grundsatz ab, daß der Versicherungsschutz nicht auf bestimmte Verrichtungen beschränkt sei, sich vielmehr auf alle Verrichtungen erstrecke, die in ursächlichem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit - hier: der stationären Behandlung - stünden (so BSG SozR 2200 § 539 Nr 48). Deshalb und wegen der großen Zahl gleichgelagerter Fälle werde die Anrufung des Großen Senats des BSG angeregt.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die
Beklagte zu verurteilen, ihre Aufwendungen zu ersetzen,
hilfsweise,
Zurückverweisung an die Vorinstanz.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.
Zu Recht hat das SG entschieden, daß der Klägerin ein Ersatzanspruch nicht zusteht.
Nach § 1504 Abs 1 RVO idF bis zum Inkrafttreten des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes vom 27. Juni 1977 (BGBl I 1069) am 1. Juli 1977 hatte der Träger der Unfallversicherung, wenn die Krankheit eines Verletzten die Folge eines von dem Träger der Unfallversicherung zu entschädigenden Arbeitsunfall war, dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung, bei dem der Verletzte für den Fall der Krankheit versichert war, die Kosten mit Ausnahme des Sterbegeldes zu erstatten, die nach Ablauf des 18. Tages nach dem Arbeitsunfall entstanden; ausgenommen waren die Kosten der Krankenpflege (§ 182 Abs 1 Nr 1 RVO). Die Klägerin kann für ihre Aufwendungen an Krankengeld, Haushaltshilfe und Krankenhauskosten von der Beklagten keinen Ersatz verlangen, weil die Krankheit der Verletzten Frau B vom 2. April bis zum 30. Juni 1975 nicht die Folge eines Arbeitsunfalls war.
Während der von der Klägerin gewährten stationären Behandlung vom 19. Februar bis zum 25. März 1975 gehörte Frau B zu den nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO gegen Arbeitsunfall versicherten Personen (BSG SozR 2200 § 539 Nr 56; BSG, Urteil vom 30. September 1980 - 2 RU 13/80; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-9. Aufl, S 475e). Das SG hat nicht festgestellt, ob sie sich, was die Beklagte bei der Ablehnung des Ersatzanspruchs bestritt, die infektiöse Hepatitis während dieser Behandlung zugezogen hat. Es hat aber - zugunsten der Klägerin - in Betracht gezogen, daß, wie diese meint, Frau B im Zusammenhang mit der operativen und postoperativen Behandlung bei einer Blutübertragung, bei Infusionen oder subkutanen Injektionen infiziert worden ist. Der Feststellung, ob einer dieser hier allein in Betracht zu ziehenden Fälle vorgelegen hat, bedarf es nicht. Denn jedenfalls fehlt es an den Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls.
Die nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO versicherten Personen sind nur gegen Arbeitsunfälle versichert (vgl § 548 RVO). Der Versicherungsschutz besteht demnach insoweit bei in ursächlichem Zusammenhang mit der stationären Behandlung stehenden Unfällen (s ua BSGE 46, 283; BSG SozR 2200 § 539 Nr 48). Der Senat hat jedoch schon mehrfach entschieden, daß das Risiko der ärztlichen Behandlung selbst nicht Gegenstand des Unfallversicherungsschutzes nach § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO ist (vgl BSGE aaO S 284 ff; SozR aaO Nr 56; Urteil vom 30. September 1980 - 2 RU 13/80 -). Rechtsprechung und Schrifttum sind dieser Auffassung überwiegend gefolgt (s Brackmann aaO S 475g ff mit zahlreichen Nachweisen). Mit der - auch von der Klägerin vertretenen - Gegenmeinung hat sich der Senat in den angeführten Urteilen bereits ausführlich auseinandergesetzt. Die Ausführungen der Revision, die keine dem Senat bisher nicht bekannten Argumente enthalten, haben keinen überzeugenden Anlaß gegeben, die bisherige Rechtsprechung zu ändern. Der Senat verweist insoweit auf seine Darlegungen in den angeführten Urteilen. Insbesondere vermag der Hinweis auf den Versicherungsschutz der Blutspender und Spender körpereigenen Gewebes (s § 539 Abs 1 Nr 10 RVO) schon deshalb nicht zu überzeugen, weil er den unfallversicherungsrechtlichen Schutz bei der Hilfe für andere Menschen bezweckt (s Brackmann aaO S 474e). Ebenso beruht die Einbeziehung der Personen in den Versicherungsschutz, die aufgrund von Arbeitsschutz- oder Unfallverhütungsvorschriften ärztlich untersucht oder behandelt werden (s § 539 Abs 1 Nr 11 RVO), entgegen der Auffassung der Klägerin auf mit dem Versicherungsschutz während stationärer Behandlung nicht vergleichbaren Beweggründen (s Brackmann aaO S 474f). Eine Änderung der Rechtsprechung des Senats, daß das Risiko der stationären ärztlichen Behandlung nicht gem § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO unter den Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung fällt, rechtfertigt sich auch nicht daraus, daß nach den Urteilen des 8. Senats des BSG (SozR 2200 § 636 Nr 1) und des Bundesgerichtshofes (NJW 1981, 627) keine Haftungsbeschränkung des Trägers des Krankenhauses gem §§ 636, 637 RVO eintritt. Dieses war nur eines von mehreren Argumenten des Senats in seinen ersten Entscheidungen zu dem hier maßgebenden Fragenkreis. Die Klägerin hält schließlich zu Unrecht die Beachtung der Kostenträger der Unfallversicherung der in § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO aufgeführten Personen für trugschlüssig; denn der Regelfall ist eben doch die Tragung der Hälfte der Beiträge zur Krankenversicherung und damit zur Unfallversicherung gem § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a RVO durch den Versicherten. Im Hinblick auf die von Rechtsprechung und Schrifttum überwiegend geteilte Auffassung des Senats zu der maßgebenden Rechtsfrage hat der Senat keine Veranlassung gesehen, den Großen Senat des BSG gem § 43 SGG anzurufen.
Die hier für eine Infektion bei der operativen oder postoperativen Behandlung in Betracht kommenden Umstände fallen demnach nicht unter die von § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst a iVM § 548 RVO erfaßten Risiken. Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine zur Infektion führende Maßnahme von dem Arzt selbst oder aufgrund seiner besonderen Anordnung oder allgemeinen Weisung von einer Hilfsperson (Krankenschwester, Pfleger) vorgenommen worden ist (s BSG-Urteil vom 30. September 1980 - 2 RU 13/80).
Die Revision war danach zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 4 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen