Beteiligte
Bundesrepublik Deutschland |
2. Bundesversicherungsanstalt für Angestellte |
1. Kommission der Bundesrepublik Deutschland zum Versorgungsruhens- und Entschädigungsrentengesetz |
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. November 2000 in vollem Umfang und das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 25. Februar 2000 insoweit aufgehoben, als es die Klage abgewiesen hatte.
Der Bescheid der Beklagten vom 10. März 1998 wird aufgehoben.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Darüber hinaus sind Kosten zwischen den Beteiligten nicht zu erstatten.
Gründe
I
Zwischen den Beteiligten ist zuletzt noch streitig, ob die Beklagte berechtigt war, dem Kläger sein Recht auf Entschädigungsrente mit Wirkung ab April 1998 endgültig abzuerkennen.
Der am 2. August 1925 geborene Kläger war in der DDR in der Zeit vom 27. August 1953 bis 8. März 1986 hauptamtlich beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS), zuletzt in der Bezirksverwaltung der Staatssicherheit L. als Offizier für Sonderaufgaben im Rang eines Oberstleutnants, tätig. Nach Auskunft des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) war der Kläger von 1953 bis 1960 als operativer Mitarbeiter, von 1960 bis 1962 als Arbeitsgruppenleiter, von 1962 bis 1966 als Referatsleiter, von 1967 bis 1981 als stellvertretender Kreisdienststellenleiter (L.-Stadt) und in der Zeit von 1981 bis zum 28. Februar 1985 als Leiter der Abteilung 26 (Telefonüberwachung der Bezirksverwaltung L.) sowie danach als Offizier für Sonderaufgaben tätig. Ab 1. August 1985 bezog der Kläger Altersversorgung auf der Grundlage der Versorgungsordnung (VSO) des MfS.
Auf der Grundlage der „Anordnung über Ehrenpensionen für Kämpfer gegen den Faschismus sowie für deren Hinterbliebene” (Eh-PensAO) der DDR vom 20. September 1976 (Vertrauliche Dienstsache – VD 26/1976) erhielt der Kläger eine Ehrenpension. Diese wurde im Juli 1990 auf DM aufgewertet und bis zum 30. April 1992 von der Beigeladenen zu 2) zu Lasten der Beklagten weitergezahlt. In Ersetzung dieses Rechts erkannte die Beigeladene zu 2) dem Kläger ab dem 1. Mai 1992 ein Recht auf Entschädigungsrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer des Nationalsozialismus im Beitrittsgebiet (EntschRG) vom 22. April 1992 (BGBl I S 906) in Höhe von 1.400,00 DM monatlich zu.
Mit Bescheid vom 1. Oktober 1997 erkannte die Beklagte das gegen die Beigeladene zu 2) gerichtete Recht des Klägers auf Entschädigungsrente zunächst „mit sofortiger Wirkung vorläufig ab”, weil der Kläger die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit verletzt habe; sie folgte dabei einem entsprechenden Vorschlag der Beigeladenen zu 1) im Beschluß vom 19. Juni 1997, den sie ausdrücklich zum Bestandteil ihres Bescheides erklärte.
Der Kläger hat hiergegen am 17. Oktober 1997 Klage zum SG Leipzig erhoben. Während des laufenden Klageverfahrens hat die Beigeladene zu 1) mit Beschluß vom 16. Dezember 1997 die endgültige Aberkennung der Entschädigungsrente vorgeschlagen. Die Beklagte schloß sich auch insofern an und erkannte mit weiterem Bescheid vom 10. März 1998 den Anspruch des Klägers auf Entschädigungsrente mit sofortiger Wirkung endgültig ab. Ergänzend hat die Beklagte in der Begründung auf von der Kommission von Seiten des BStU beigezogene zusätzliche Unterlagen Bezug genommen, die Einzelheiten aus der hauptamtlichen Tätigkeit des Klägers dokumentieren (Vorgänge Nr 58/57 ≪„Lokführer”≫, 91/56 ≪„Beobachtungs-Gruppenvorgang Lager”≫, 199/57 ≪„Händler”≫, 110/59 ≪„Rennbahn”≫, 113/59 ≪„Tulpe”≫; Dienstanweisungen Nr 48, 53, 17/57, 1/84 ≪„Linie 26”≫; geheime Verschlußsachen Nr 2519/54, 364/58, 258/65, 472/74, 2/78, 5/79 sowie den Auszug aus dem Beschluß der Sicherheitskommission des Politbüros vom 26. Oktober 1954).
Das SG hat mit Urteil vom 25. Februar 2000 den Bescheid vom 1. Oktober 1997 aufgehoben und die Klage im übrigen abgewiesen. Das LSG hat die Berufung des Klägers gegen diese Entscheidung zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Gegenstand des Berufungsverfahrens sei der Bescheid vom 10. März 1998 über die endgültige Aberkennung des gegen die Beigeladene zu 2) gerichteten Rechts des Klägers auf Entschädigungsrente. Das Urteil des SG sei insofern zutreffend. Die angegriffenen Verwaltungsakte hätten in § 5 Abs 1 EntschRG eine ausreichende Grundlage. Die Entscheidung der Beklagten, der Aberkennungsgrund liege vor, sei nicht zu beanstanden; der Kläger habe gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen, indem er in seiner Funktion als Leiter einer Kreisdienststelle des MfS die einschlägigen Richtlinien und Dienstanweisungen umgesetzt habe. Dabei habe es sich um Post- und Telefonüberwachung sowie sonstige Bespitzelung, Hausdurchsuchungen, häufige Vorladungen zu Behörden, Verlust des Arbeitsplatzes oder Umsetzung auf einen schlechteren Arbeitsplatz, Sanktionen gegen Familienmitglieder, Verschlechterung der medizinischen Versorgung, Ächtung durch SED und staatliche Organisationen, Kriminalisierungen und Inhaftierungen (zB wegen des Vorwurfs der Vorbereitung von Republikflucht oder wegen Behinderung von staatlichen Organen) gehandelt. Mit diesen Maßnahmen sei im wesentlichen nicht die Abwehr von Geheimdienst- und Spionagetätigkeiten bezweckt gewesen, vielmehr hätte es sich um eine gezielte Überwachung, insbesondere von Ausreise- und Fluchtwilligen sowie mutmaßlichen Regimegegnern und Kritikern gehandelt. Darüber hinaus habe der Kläger – wie sich aus den Unterlagen der Gauck-Behörde ergebe – bis Anfang 1960 als operativer Mitarbeiter an diversen „operativen Vorgängen” mitgewirkt, dabei Einzelmaßnahmen festgelegt und angeordnet und so eigenhändig in rechtsstaatswidriger Weise in unveräußerliche Grund- und Menschenrechte eingegriffen; insofern werde auf die Entscheidungsgründe des SG verwiesen. Die vollständige Aberkennung des Rechts auf Entschädigungsrente rechtfertige sich aus der Schwere der dem Kläger konkret vorzuwerfenden Eingriffe in die Menschenrechte der Bürger der ehemaligen DDR und der langen Zeitspanne, in der der Kläger in verantwortlicher Position beim MfS tätig gewesen sei.
Der Kläger wendet sich hiergegen mit seiner vom LSG zugelassenen Revision:
Die vollständige Aberkennung der ursprünglich zuerkannten Entschädigungsrente sei unverhältnismäßig. Der DDR seien als Staat nicht diejenigen Strafrechtsnormen als Normativunrecht vorzuwerfen, die gegen Spionagehandlungen im Auftrag anderer Geheimdienste gerichtet gewesen seien; es wäre demgemäß selbstwidersprüchlich, dem Kläger die Beteiligung an der Aufklärung derartiger Handlungen und die Durchführung von Einzelmaßnahmen iS von § 5 Abs 1 EntschRG anzulasten. Ähnlich verhalte es sich mit der Tätigkeit des Klägers als Leiter der Telefonüberwachung der Bezirksverwaltung L. sowie mit dessen allgemeiner Tätigkeit für das MfS einschließlich der Anwerbung und des Einsatzes von verdeckten Ermittlern. Auch insofern gehe es nicht um den Vorwurf der Beteiligung an Normativunrecht, sondern um den Vorwurf der Beteiligung an einem von der DDR als Staat zu vertretenden Verwaltungsunrecht in Gestalt eines allgemeinen Systemunrechts. Eine das Maß des Üblichen nicht übersteigende Beteiligung an derartigem Systemunrecht könne nur als „Systemförderung” und (noch) nicht als individuell zurechenbare Verletzung von Grundsätzen der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit gewertet werden. Ebenfalls entgegen der Auffassung des LSG seien nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahmen keineswegs geeignet gewesen, die Einsicht in die Vorwerfbarkeit von Maßnahmen in die Rechtsstaatswidrigkeit oder die Unvereinbarkeit eines dienstlichen Verhaltens mit Grundsätzen der Menschlichkeit zu verbessern. Ob der berufliche Werdegang oder die Allgemeinbildung eines Betroffenen den eine bessere Erkenntnis hindernden Umständen der Kriegs- und Nachkriegszeit erfolgreich entgegenwirken konnten, bedürfe einer Entscheidung im Einzelfall.
Er beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. November 2000 und das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 25. Februar 2000, soweit dieses die endgültige Entziehung des Rechts auf Entschädigungsrente betrifft, sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. März 1998 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Kläger mache nunmehr nur noch die Unverhältnismäßigkeit der vollständigen Entziehung der Entschädigungsrente geltend. Das BSG habe insofern bereits klargestellt, daß es für die Rechtsfolge des Totalentzuges nicht auf die Hierarchieebene ankomme, auf der der Täter Macht ausgeübt habe. Entscheidend für die Bestimmung der Rechtsfolge (Aberkennung oder Kürzung) seien vielmehr Schwere und Intensität sowie Art, Umfang und Dauer der Unrechtshandlungen des Betroffenen selbst. Die subjektive Vorwerfbarkeit einer Unkenntnis des Unrechtsgehalts werde bereits im Rahmen des subjektiven Tatbestandes bei der Prüfung der zumutbaren Gewissensanspannung berücksichtigt; eine nochmalige Würdigung auf der Rechtsfolgenseite sei demgegenüber nicht geboten. Entscheidend sei daher immer eine Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Abwägungskriterien.
Die Beigeladene zu 1) beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Aus den bisher von der Rechtsprechung entwickelten Maßstäben ergebe sich, daß die Rente des Klägers zu Recht vollständig entzogen worden sei. Weder habe er nur allgemein das politische System gefördert, noch habe es ihm bei gehöriger Gewissensanspannung an der Fähigkeit gefehlt, den Unrechtsgehalt seines Tuns erkennen zu können.
Die Beigeladene zu 2) stellt keinen Antrag.
II
Die zulässige Revision des Klägers erweist sich auch in vollem Umfang als begründet.
Zu Unrecht hat das Berufungsgericht die Berufung des Klägers zurück- und das SG seine Klage abgewiesen. Der Verwaltungsakt der Beklagten vom 10. März 1998 greift rechtswidrig in sein subjektives Recht auf Entschädigungsrente ein, das ihm gemäß § 6 EntschRG ab dem 1. Mai 1992 gegen die Beigeladene zu 2) als Entschädigungsträger zustand (vgl hierzu Urteile des Senats in SozR 3-8850 § 3 Nr 1 und § 5 Nr 1). Die Beklagte hat es – wie sie der Sache nach auf Nachfrage des Senats auch selbst eingeräumt hat – entgegen § 24 Abs 1 SGB X unterlassen, den Kläger vor seinem Erlaß ordnungsgemäß anzuhören; die unterlassene Verfahrenshandlung ist auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr mit heilender Wirkung nachgeholt worden. Dies ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (vgl Urteil des Senats in SozR 3-1300 § 24 Nr 4 mwN). Die von der Beklagten getroffene Regelung ist schon deshalb aufzuheben (§ 42 Satz 2 SGB X). Das LSG hat den Senat gemäß § 163 SGG bindende abweichende tatsächliche Feststellungen nicht getroffen; seine rechtliche Schlußfolgerung, „dem Kläger sei vor Erlaß des Bescheides vom 10. März 1998 Gelegenheit zur Stellungnahme zu den tragenden Gesichtspunkten für eine Aberkennung gegeben” worden, ist unter diesen Umständen schlechthin unverständlich.
Der Kläger war als künftiger Adressat des Aberkennungs-Verwaltungsaktes im Bescheid der Beklagten vom 10. März 1998 Beteiligter des auf dessen Erlaß gerichteten Verwaltungsverfahrens (§ 12 Abs 1 Nr 2 SGB X). Die Beklagte hätte den Kläger vor Erlaß dieses Verwaltungsaktes (§ 31 SGB X), mit dem ihm ein bis dahin gegen die Beigeladene zu 2) zuerkanntes Recht entzogen wurde, gemäß § 24 Abs 1 SGB X anhören müssen, ihm also Gelegenheit geben müssen, sich speziell ihr gegenüber gerade zu den ihrer Auffassung nach für die in Aussicht genommene Regelung maßgeblichen Haupttatsachen zu äußern. Hiervon durfte sie auch nicht etwa deshalb und jedenfalls insofern absehen, als die Beigeladene zu 1) vor Bekanntgabe von deren Vorschlag im Rahmen einer Anhörung zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 21 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X) bereits ausreichend Gelegenheit eingeräumt hatte, dieser gegenüber zu den von ihr insofern für maßgeblich erachteten Tatsachen Stellung zu nehmen und die damals mitgeteilten Tatsachen mit denen identisch waren, auf die sich später auch der Aberkennungs-Verwaltungsakt der Beklagten stützte. Eine derartige Auffassung verkennt gleichermaßen die Funktion der Anhörung wie die Ausgestaltung des Verfahrens nach dem EntschRG.
Der Senat hat bereits entschieden, daß der Vorschlag der Kommission die entschädigungsrechtlichen Rechte der Betroffenen nicht unmittelbar verändert und daher kein Verwaltungsakt iS von § 31 SGB X ist; es handelt sich vielmehr um einen verwaltungsinternen Mitwirkungsakt in dem Verwaltungsverfahren, dessen Träger das beklagte BVA als alleinige nach außen „federführende” Behörde ist (SozR 3-8850 § 3 Nr 1). Soweit daher die Kommission im Rahmen der ihr übertragenen Aufklärung des Sachverhalts für diesen begrenzten Zweck (§ 5 Abs 3 Satz 1 Halbsatz 1 EntschRG, § 5 Abs 1 VersRG, § 20 SGB X; vgl zu den Aufgaben der Kommission im übrigen Urteil des Senats in SozR 3-8850 § 3 Nr 1 S 7) ebenfalls Betroffene anhört, handelt es sich nicht um eine von § 24 Abs 1 SGB X vorgeschriebene Anhörung, sondern vielmehr um das Ergebnis einer (entsprechenden) Anwendung von § 21 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X (§§ 5 Abs 3 Satz 1 Halbsatz 1 EntschRG, 5 Abs 1 VersRG). Schon deshalb kann die von der Beigeladenen zu 1) durchgeführte Anhörung nicht etwa gleichzeitig die von der Beklagten in (entsprechender) Anwendung von § 24 Abs 1 SGB X (§ 6 Abs 3 Satz 1 EntschRG) und erstmals gerade im Blick auf deren abschließenden Aberkennungs-Verwaltungsakt durch schriftlichen Bescheid (§ 5 Abs 1 und 2, § 6 Abs 3 Satz 2 EntschRG) durchzuführende Anhörung ersetzen (vgl Urteil des Senats in SozR 3-8850 § 5 Nr 3 S 50).
Die Beklagte muß in jedem Einzelfall vor Erlaß eines beabsichtigten Aberkennungs-Verwaltungsaktes und gerade im Blick auf die diesbezüglich relevanten tatsächlichen Umstände selbst (erstmals) eine Anhörung nach § 24 Abs 1 SGB X durchführen und ist in Fällen der vorliegenden Art von dieser Pflicht auch nicht ausnahmsweise dispensiert. Der Bundesgesetzgeber hat mit § 6 Abs 3 Satz 3 EntschRG spezialgesetzlich ausdrücklich und abschließend bestimmt, daß es im sachlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes einer Anhörung – iS von § 24 Abs 1 SGB X – (nur) dann nicht bedarf, wenn eine Entschädigungsrente nach § 2 Abs 1, 2 und 5 EntschRG „festgesetzt”, dh das im April 1992 bestehende Recht auf eine Ehrenpension oder Hinterbliebenenpension nach der Eh-PensAO (durch die hierfür zuständige Beigeladene zu 2) durch ein Recht auf Entschädigungsrente nach dem EntschRG ersetzt wird (vgl Urteil des Senats in SozR 3-8850 § 3 Nr 1 S 9). Demgegenüber fehlt es an einer derartigen Anordnung für die Fälle des § 5 Abs 1 EntschRG (Ablehnung, Kürzung oder – wie hier – Aberkennung einer Entschädigungsrente); insofern verbleibt es demgemäß bei der sich aus § 24 Abs 1 SGB X ergebenden Verpflichtung. Erst recht hätte es daher einer eindeutigen gesetzlichen Grundlage bedurft, hätte der Parlamentsgesetzgeber eine Ausnahme von der Anhörungspflicht für den Sonderfall vorsehen wollen, daß zu den für eine in Aussicht genommene Aberkennung relevanten Tatsachen außerhalb dieses Kontexts und gerade nicht durch die für den Erlaß der abschließenden Entscheidung zuständige Behörde im Rahmen der Sachaufklärung Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden war. Etwas anderes gilt auch nicht etwa deshalb, weil die Beklagte gemäß § 5 Abs 3 Satz 1 Halbsatz 1 EntschRG, § 2 Abs 2 Satz 2 VersRG grundsätzlich – und mit Ausnahme besonders begründeter Einzelfälle – gehalten ist, dem Vorschlag der Kommission zu folgen; gerade hinsichtlich dieser Fallgruppe kann nämlich schon wegen ihrer rechtlich und tatsächlich prägenden Bedeutung für das EntschRG nicht angenommen werden, der Gesetzgeber habe sie bei der Fassung von § 6 Abs 3 Satz 3 EntschRG nur übersehen. Die Erwägung, daß in der Regel faktisch eine Gefährdung schutzwürdiger Interessen des Adressaten deshalb ausscheiden wird, weil die von der Kommission angeführten tatsächlichen Umstände auch diejenigen sind, auf die die später Beklagte ihre Entscheidung stützt, hat damit gegenüber der Leitentscheidung des Gesetzes für eine unbedingte und in ihren Anforderungen gegenüber § 24 Abs 1 SGB X nicht reduzierte Anhörungspflicht gerade durch die Beklagte selbst und vor Erlaß ihres abschließenden Bescheides zurückzutreten.
Der Senat hat daher in seiner Entscheidung vom 24. März 1998, B 4 RA 78/96 R (SozR 3-8850 § 5 Nr 3 S 50), den Bescheid der Beklagten über die (vorläufige) Aberkennung einer Entschädigungsrente eigenständig und tragend auch deshalb aufgehoben, weil die damalige Klägerin vor Erlaß dieses Verwaltungsaktes nicht von der Beklagten, sondern – zudem in sich fehlerhaft – „allein von der beigeladenen Kommission” angehört worden war. Erst recht besteht eine derartige Anhörungspflicht dann, wenn die Beklagte ihre abschließende Entscheidung – wie hier – auf zusätzliche tatsächliche Gesichtspunkte stützt, die die Beigeladene zu 1) zur Begründung ihres Vorschlages noch nicht herangezogen hatte (vgl Urteil des LSG S 5/6); jedenfalls von der Richtigkeit dieser Rechtsauffassung war im übrigen ausweislich des der Entscheidung vom 24. März 1998 zugrundeliegenden Sachverhalts auch die Beklagte ausgegangen und hatte damals die dortige Klägerin hinsichtlich der endgültigen Aberkennung ihrer Entschädigungsrente nochmals selbst angehört. Schließlich findet auf den zur Entscheidung stehenden Sachverhalt keiner der Tatbestände des § 24 Abs 2 SGB X Anwendung.
Wegen dieses Verfahrensfehlers kommt – unabhängig vom bisher fehlenden Antrag der Beklagten – auch weder eine Aussetzung des Rechtsstreits in der Revisionsinstanz noch eine Aufhebung und Zurückverweisung an das LSG in Betracht. § 114 Abs 2 Satz 2 SGG, der durch Art 21 des Gesetzes zur Einführung des Euro im Sozial- und Arbeitsrecht sowie zur Änderung anderer Vorschriften vom 21. Dezember 2000 (4. Euro-Einführungsgesetz, BGBl I S 1983) eingefügt und am 1. Januar 2001 in Kraft getreten ist, findet seinem sachlichen Geltungsbereich nach keine Anwendung. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht auf Antrag das Verfahren zur Heilung ua von Verfahrensfehlern aussetzen, soweit dies im Sinne der Verfahrenskonzentration sachdienlich ist. Der Senat hat mit Urteil vom 12. Juni 2001 (B 4 RA 37/00 R) bereits entschieden, daß im Blick auf das Zusammenwirken von § 114 Abs 2 Satz 2 SGG mit dem ebenfalls durch das 4. Euro-Einführungsgesetz (Art 10 Nr 5) geänderten § 41 Abs 2 SGB X und die Bindung des Revisionsgerichts an die vom Berufungsgericht festgestellten Tatsachen (§ 163 SGG) Gericht in diesem Sinne allein das Tatsachengericht ist.
§ 114 Abs 2 Satz 2 SGG erfaßt in Fällen der vorliegenden Art das laufende (Gerichts-)Verfahren auch zeitlich nicht (vgl Urteil des Senats vom 12. Juni 2001, B 4 RA 37/00 R mwN). Auch im vorliegenden Fall hatte der Kläger bei Inkrafttreten der Vorschrift am 1. Januar 2001 einen Aufhebungsanspruch bereits allein wegen des Verfahrensfehlers der fehlenden Aufhebung (§§ 41 Abs 2 aF, 42 Satz 2 SGB X), in die andernfalls belastend eingegriffen würde. Die das Verwaltungsverfahren beendende Entscheidung war nämlich bereits am 10. März 1998 ergangen und gemäß § 96 Abs 1 SGG unmittelbar Gegenstand des damals gegen den Bescheid vom 1. Oktober 1997 seit dem 17. Oktober 1997 anhängigen Klageverfahrens geworden.
Abgesehen hiervon käme eine „Heilung” des Anhörungsmangels nach Abschluß des Verwaltungsverfahrens ohnehin nicht mehr in Betracht. Unabhängig vom nunmehr in zeitlicher Hinsicht erweiterten Wortlaut von § 41 Abs 2 SGB X kann nämlich die Anhörung ihrer unveränderten gesetzlichen Funktion auch weiterhin nur bis längstens zu diesem Zeitpunkt genügen und ist im Blick auf den Abwehrgehalt der Grundrechte eine Beschränkung des Anspruchs auf Aufhebung (auch verfahrensrechtlich) rechtswidriger Staatsakte nur dann hinnehmbar, wenn die nachgeholte Verfahrenshandlung die Position des Betroffenen in vollem Umfang wiederherzustellen vermag:
Der Bürger hat – hier im Blick auf Art 2 Abs 1 GG – Eingriffe in Rechte nur hinzunehmen, wenn diese formell und materiell der verfassungsmäßigen Ordnung einschließlich der Verfahrensgesetze entsprechen (vgl etwa Hufen, Heilung und Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern, JuS 1999, 313 ff, 315). Begeht die Behörde einen Verfahrensfehler, wandelt sich der subjektive Anspruch auf Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns in einen Sanktionsanspruch auf Aufhebung des fehlerhaften Aktes (hier) durch das Gericht, der seinerseits durch die Vorschriften über die – hier im Gegensatz zum VwVfG durch § 42 Satz 2 SGB X ausdrücklich gerade ausgeschlossene (vgl BSG – Großer Senat – SozR 3-1300 § 24 Nr 6 S 17 f) – Unbeachtlichkeit bzw Heilung eingeschränkt wird. Allerdings ist die Begrenzung des Aufhebungsanspruchs aufgrund einer nachträglichen Herbeiführung der Rechtmäßigkeit (vgl etwa Kopp/Ramsauer, Komm zum VwVfG, § 45 VwVfG RdNr 12) des betroffenen Verwaltungsaktes durch Nachholung der unterlassenen Verfahrenshandlung („Heilung”, vgl § 41 Abs 3 Satz 2 SGB X) nur hinnehmbar, wenn diese den einzelnen so stellt, wie er ohne den Fehler gestanden haben würde („Grundsatz der realen Fehlerheilung”, vgl Hufen aaO S 315; ebenso etwa Hatje, Die Heilung formell rechtswidriger Verwaltungsakte im Prozeß als Mittel der Verfahrensbeschleunigung, DÖV 1997, 477, 483 mwN). Gerade dies ist bei Anhörungsfehlern von vornherein unmöglich.
§ 24 Abs 1 SGB X gibt der Verwaltung auf, ua dem künftigen Adressaten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, bevor sie einen Verwaltungsakt erläßt, der in seine Rechte eingreift. Ebenso wie zunächst § 34 Abs 1 SGB I will die Vorschrift auf diese Weise zur einfach-gesetzlichen Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips (Art 20 Abs 3 GG) und zur Stärkung des Vertrauens in die Sozialverwaltung sicherstellen, daß dem Betroffenen Gelegenheit gegeben wird, auf deren Verfahren noch während seines Laufs und zum Schutz vor Überraschungsentscheidungen auf deren abschließende Entscheidung vor ihrem Ergehen so Einfluß zu nehmen, daß jedenfalls das letzte Wort der Verwaltung zur Sache (Urteil des Senats in SozR 1300 § 24 Nr 4 S 9) seinem berechtigten Vorbringen ggf noch angepaßt werden kann (BSG in SozR 1300 § 24 Nr 6 S 11); er muß hierzu die Möglichkeit haben, gegenüber der Stelle der vollziehenden Gewalt (Art 1 Abs 3, Art 20 Abs 2 und 3 GG), die über den Erlaß und den Inhalt des Verwaltungsaktes entscheidet (BSG in SozR 1200 § 34 Nr 9 S 43), jedenfalls in dem Zeitraum, in dem sich die Entscheidung noch in deren Verantwortungsbereich befindet – spätestens im Widerspruchsverfahren – alle die Erwägungen vorzubringen und Tatsachen bekanntzumachen, die nach seiner Sicht gegen den Erlaß des Verwaltungsaktes sprechen (vgl exemplarisch BSG in SozR 1200 § 34 Nr 2 S 9, 11, Nr 4 S 20, Nr 6 S 29, Nr 7 S 33; SozR 1300 § 24 Nr 2 S 4, Nr 7 S 15). Dieser Gesetzeszweck ist dagegen durch eine Nachholung im anschließenden Klageverfahren nicht mehr zu verwirklichen (vgl exemplarisch BSG in SozR 1200 § 34 Nr 2 S 11, Nr 3 S 16, Nr 4 S 21, Nr 6 S 28, Nr 9 S 44, Nr 10 S 47 f, Nr 12 S 55, Nr 14 S 62; s auch Hufen aaO S 316; Hatje aaO S 484; Sodan, Unbeachtlichkeit und Heilung von Verfahrens- und Formfehlern, DVBl 1999, 729, 737; Berkemann, Verwaltungsprozeßrecht auf „neuen Wegen”?, DVBl 1998, 446, 448; BVerwGE 34, 133, 138 sowie 66, 11, 114). Entsprechend dem Grundsatz der realen Fehlerheilung muß nämlich auch die nachgeholte Anhörung dieselbe rechtliche Qualität haben wie diejenige, die vor Erteilung des Verwaltungsaktes durchzuführen gewesen wäre (Urteil des Senats in SozR 3-1300 § 24 Nr 4 S 8 f). Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut von § 41 Abs 1 Nr 3 SGB X, dem zufolge (nur) die „erforderliche” – dh die den Anforderungen des § 24 Abs 1 SGB X entsprechende – Anhörung dessen ursprüngliche Verletzung unbeachtlich macht, und ebenso aus § 42 Satz 2 SGB X, der die „wirksam nachgeholte” der „erforderlichen” Anhörung gleichstellt (vgl BSG in SozR 1300 § 24 Nr 6 S 11). Die Kompetenz der Beklagten, den mangels Anhörung fehlerhaften Verwaltungsakt aufzuheben und ihn (zukunftsgerichtet) durch einen neuen zu ersetzen (vgl BSG – Großer Senat –, BSGE 75, 159, 164) bleibt hiervon unberührt.
Schließlich ist auch eine Aufhebung des Berufungsurteils unter Zurückverweisung der Streitsache an das LSG, damit die Beklagte dort einen Antrag nach § 114 Abs 2 SGG nF stellen und den Verfahrensfehler beheben kann, von vornherein ausgeschlossen. Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet; das Revisionsgericht kann nach den vorstehenden Ausführungen abschließend in der Sache selbst entscheiden und auf die isolierte Anfechtungsklage des Klägers den angefochtenen Verwaltungsakt der Beklagten aufheben. Aus § 170 Abs 2 SGG ergibt sich unter diesen Umständen keine Grundlage, den Rechtsstreit dennoch zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen; durch ein darüber hinausgehendes Verständnis würde sich der Senat ua im grundrechtsrelevanten Bereich der Art 19 Abs 4, 2 Abs 1 GG zugunsten der Beklagten anstelle des Gesetzgebers selbst ermächtigen, den dem Kläger bereits abschließend zustehenden Aufhebungsanspruch nachträglich wieder (potentiell) zu entwerten bzw in seiner Durchsetzung zumindest zu verzögern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen