Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit der Berufung
Orientierungssatz
1. Der in der Rechtsmittelbelehrung enthaltene Satz: "Gegen dieses Urteil ist die Berufung zulässig" enthält keine Zulassung der Berufung iSd § 150 Nr 1 SGG (vgl BSG 1956-05-15 10 RV 730/55 = SozR Nr 10 zu § 150 SGG).
2. Der Ausschluß der Berufung nach § 148 Nr 2 SGG ist nach dem Inhalt der Entscheidung des Sozialgerichts, nicht nach dem Streitgegenstand im Berufungsverfahren zu Beurteilen (vgl BSG 1956-08-24 10 RV 1065/55 = SozR Nr 6 zu § 148 SGG ).
Normenkette
SGG § 150 Nr. 1, § 148 Nr. 2
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 09.11.1955) |
SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 10.08.1954) |
Tenor
Das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 9. November 1955 wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Eine Zulassung der Berufung gemäß § 150 Nr. 1 SGG sei nicht erfolgt. Das LSG. hat die Revision nicht zugelassen.
Gegen das am 21. November 1955 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 16. Dezember 1955, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG.) am 19. Dezember 1955, Revision eingelegt und diese zugleich begründet. Er beantragt,
das Urteil des Hessischen LSG. in Darmstadt vom 9. November 1955 aufzuheben und die Sache an dieses Gericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen,
hilfsweise, unter Aufhebung der Entscheidungen beider Vorinstanzen die Klage kostenpflichtig abzuweisen.
Er rügt einen wesentlichen Mangel des Verfahrens im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG, der darin zu erblicken sei, daß das LSG., statt eine Sachentscheidung zu treffen, die Berufung als unzulässig verworfen hat. Die Berufung sei vom SG. zugelassen worden. Der Grund für die Zulassung der Berufung sei in der Abweichung des Urteils von der in ihm angeführten Entscheidung des Bayerischen Landesversicherungsamts vom 5. Dezember 1951 zu sehen. Wenn aber angenommen werde, das SG. habe die Berufung nicht zugelassen, dann hätte das LSG. prüfen müssen, ob das SG. nach der zwingenden Vorschrift des § 150 Nr. 1 Halbs. 2 SGG die Berufung hätte zulassen müssen. Bei der grundsätzlichen Bedeutung der Sache liege darin ein Verstoß gegen das Prozeßgesetz (§ 150 Nr. 1 Halbs. 2 SGG), der die Berufungszulässigkeit gemäß § 150 Nr. 2 SGG nach sich ziehe. Hiervon abgesehen hat nach Ansicht des Beklagten das LSG. die Berufung deshalb zu Unrecht als unzulässig verworfen, weil es den § 148 Nr. 2 SGG falsch angewendet habe. Die Berufungsfähigkeit des Urteils des ersten Rechtszuges bestimme sich danach, worüber in diesem Urteil entschieden ist, nicht danach, worüber der Streit im Berufungsverfahren geht. Der Antrag des Klägers im Verfahren vor dem SG. sei aber dahin gegangen, ihm über den Zeitpunkt der Entziehung hinaus die Rente ohne zeitliche Begrenzung zu gewähren. Schließlich hält der Beklagte den § 148 Nr. 2 SGG auch deshalb für nicht anwendbar, weil nicht das Ende der Versorgung, sondern höchstens das Ende der Beschädigtenrente nach §§ 29 ff. BVG streitig gewesen sei.
Der Kläger hat im Verfahren vor dem BSG. keinen Antrag gestellt.
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist auch statthaft. Der Beklagte rügt zu Recht als einen Verfahrensmangel, daß das LSG. eine Sachentscheidung hätte treffen müssen, anstatt die Berufung als unzulässig zu verwerfen.
Die Ansicht des Beklagten, das SG. habe in der Rechtsmittelbelehrung die Zulassung der Berufung auf Grund des § 150 Nr. 1 SGG ausgesprochen, trifft allerdings nicht zu. Es kann hierbei dahingestellt bleiben, ob das SG. eine ausdrückliche Zulassung hätte begründen müssen. Wie der 10. Senat bereits in seinem Urteil vom 15. Mai 1956 - 10 RV 730/55 - ausgesprochen hat, ist der Satz: "Gegen dieses Urteil ist die Berufung zulässig" im allgemeinen nicht als eine Zulassung der Berufung aufzufassen. Das SG. hätte die Zulassung der Berufung ausdrücklich aussprechen müssen, damit die Berufung im Sinne des § 150 Nr. 1 SGG zulässig ist. Im vorliegenden Fall ist das nicht geschehen. Der angeführte Satz über die Zulässigkeit der Berufung ist nach seiner Stellung in der Urteilsurkunde und nach seinem Wortlaut nur ein Teil der Rechtsmittelbelehrung, aus der hervorgeht, daß nach Ansicht des SG. die Berufung auch ohne Zulassung statthaft war.
Soweit der Beklagte vorträgt, das SG. hätte wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Berufung zulassen müssen und das LSG. hätte wegen dieser Unterlassung und des darin liegenden Verfahrensmangels seinerseits die Berufung als zulässig behandeln müssen, ist die Rüge nicht schlüssig. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hatte. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre und das SG. trotzdem die Berufung nicht zuließ, so wäre dies nicht ein Verfahrensmangel im Sinne des § 150 Nr. 2 SGG gewesen, der das LSG. verpflichtet hätte, die Berufung als statthaft anzusehen. Der Senat hatte keine Veranlassung, von seiner Rechtsansicht und der ständigen Rechtsprechung anderer Senate des BSG. abzuweichen, nach welcher die Entscheidung des Vordergerichts über die Nichtzulassung eines Rechtsmittels bindend ist und keinen wesentlichen Mangel im Sinne des § 150 Nr. 2 oder § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG darstellt, selbst wenn die Entscheidung über die Nichtzulassung unrichtig sein sollte (vgl. SozR. SGG § 150 Bl. Da 1 Nr. 3, Da 2 Nr. 8 und § 162 Bl. Da 3 Nr. 18 und 19). Im übrigen hätte der behauptete Verfahrensmangel im Berufungsverfahren gerügt werden müssen (vgl. § 150 Nr. 2 SGG und Urteil 10. Senat vom 15.5.1956 - 10 RV 640/55 -).
Schlüssig ist die Rüge des Beklagten auch insoweit nicht, als er vorträgt, das LSG. habe die Berufung zu Unrecht gemäß § 148 Nr. 2 SGG als unzulässig verworfen, weil es sich im vorliegenden Falle nur um das Ende der Beschädigtenrente handelt, nicht aber um das Ende der Versorgung schlechthin. Es trifft wohl zu, daß dem Kläger nach dem Bescheid vom 6. Juni 1955, der hinsichtlich der Anerkennung des Rheumatismus im rechten Ellenbogengelenk nicht angefochten ist, weiterhin Heilbehandlung als Versorgung im Sinne des § 9 Nr. 1, § 10 Abs. 2 BVG zu gewähren ist. Für die Anwendbarkeit des § 148 Nr. 2 SGG ist aber nicht erforderlich, daß alle im § 9 erwähnten Versorgungsarten im Streit befangen sind, sondern es genügt, wenn nur eine von ihnen, wie hier die Rente, vom Urteil erfaßt ist. Das SGG hat den Begriff Versorgung bei dieser Vorschrift als umfassenden Begriff gewählt, um nicht jede einzelne Versorgungsleistung besonders nennen zu müssen. Die Anwendung des § 148 Nr. 2 SGG war also nicht deshalb ausgeschlossen, weil dem Kläger noch weiterhin ein Versorgungsanspruch auf Heilbehandlung für den anerkannten Rheumatismus zusteht.
§ 148 Nr. 2 SGG war jedoch aus einem anderen Grunde nicht anwendbar. Aus dieser Vorschrift ergibt sich nämlich, daß es lediglich darauf ankommt, ob das Urteil des SG. nur Beginn oder Ende der Versorgung oder nur Versorgung für abgelaufene Zeiträume betrifft, d.h. ob der Umfang des Rechtsstreits z.Zt. der Entscheidung insoweit begrenzt war (Urteil des 10. Senats vom 24.8.1956 - 10 RV 1065/55).
Kommt es aber bei der Anwendung des § 148 Nr. 2 SGG auf den Umfang der Entscheidung im Verfahren vor dem Gericht des ersten Rechtszuges an, so war im vorliegenden Falle die Berufung nach dieser Vorschrift nicht ausgeschlossen. Der Kläger hatte mit der Klage die Weitergewährung der Rente ohne zeitliche Begrenzung über den 1. Dezember 1951 hinaus begehrt. Das Urteil, das über diesen Anspruch entschied, betraf also nicht nur den Beginn oder das Ende der Versorgung oder nur eine Versorgung für abgelaufene Zeiträume, sondern die Weitergewährung der Rente an sich für unbegrenzte Zeit. Das LSG. hätte demnach die Berufung nicht als unzulässig verwerfen dürfen, sondern eine Sachentscheidung treffen müssen. Das Verfahren leidet deswegen an einem wesentlichen Mangel (BSG. in SozR. SGG § 162 Bl. Da 3 Nr. 17 und Nr. 21). Da der Beklagte diesen Mangel gerügt hat, ist seine Revision statthaft. Damit ist seine Revision auch begründet, denn die Entscheidung des LSG. beruht auf der unrichtigen Anwendung des § 148 Abs. 2 SGG. Das Urteil des LSG. mußte daher aufgehoben werden.
In der Sache selbst konnte der Senat nicht entscheiden, da das LSG. keinerlei Feststellungen getroffen hat, die es dem BSG. ermöglichten, über den streitigen Anspruch des Klägers zu entscheiden. Gemäß § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG war daher die Sache an das LSG. zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Die Kostenentscheidung war dem abschließenden Urteil vorzubehalten.
Fundstellen